Phänomenologie, was ist ein Phänomen?

Drei wichtige philosophische Schulen der Philosophie des 20. Jahrhunderts, welche die Philosophie europäischer und amerikanischer Provenienz mitgeprägt haben
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Jörn Budesheim
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Fr 22. Sep 2017, 09:37

Heidegger schreibt in Sein und Zeit: "Als Bedeutung des Ausdrucks "Phänomen" ist daher festzuhalten: Das Sich-an-ihm-selbst-zeigende, das Offenbare."

Um ein Beispiel für verschiedene Bedeutungen von Schein, Erscheinung und Phänomen zu haben bringt Heidegger ein Beispiel: "in bestimmter Beleuchtung kann jemand so aussehen, als hätte er gerötete Wangen, welche sich zeigende Röte als Meldung von Vorhandensein von Fieber genommen werden kann, was seinerseits noch wieder eine Störung im Organismus indiziert."

Wenn ich recht sehe, haben wir es hier (u.a.?) mit einigen negativen Ballspielen zu tun, bei denen es gerade nicht Phänomene (im Sinne der Phänomenologie) geht. Da haben wir zum Beispiel das Licht, was dazu, führt dass jemand nur so aussieht, als sei er gerötet, er ist es nur scheinbar.

Und wir haben die geröteten Wangen, welche anzeigen können, dass im Organismus eine Störung vorliegt. In diesem Falle zeigt sich das Phänomen (die Störung) nämlich nicht an ihm selbst - die Störung tritt als etwas anderes, nämlich als gerötete Wangen davor.

In diesem Thread soll es jedoch nicht um Heidegger Exegese gehen. Hier soll es darum gehen, die verschiedenen Bedeutungen von Schein, bloßer Schein, Anschein, Erscheinen und Phänomen zu beleuchten und zu befragen. Vielleicht passen in diesen Thread auf die Begriffe Gesichtsfeld und objektives Gesichtsfeld...

Wer nachlesen will, die beiden Zitate finden sich in "Sein und Zeit" auf Seite 28 und 30.




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Jörn Budesheim
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So 24. Sep 2017, 09:41

Wittgenstein hat geschrieben : Was den philosophischer Betrachter unserer Sprache am meisten befremdet, ist der Unterschied zwischen Sein und Schein.




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Jörn Budesheim
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Mi 4. Okt 2017, 20:13

Herr K. hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 08:29
Zu sagen, dass etwas nur in unseren Köpfen existiert, bedeutet aber nun gar nicht, dass es nur zum Schein - also nicht - existiere.
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 4. Okt 2017, 17:38
Jemand, der Autos als Illusionen bezeichnet, sagt nicht, dass Autos nicht existieren, sondern dass Autos als etwas anderes existieren als sie zu sein scheinen
Wenn ich es richtig sehe, vertritt Herr K. die Ansicht nur zum Schein existieren, heißt nicht existieren. Ich wollte darauf noch antworten, meine aber dass die Formulierung von Tarvoc bereits die richtige Fährte ist. Und daher poste ich es hier einfach mal kommentarlos.




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Tarvoc
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 4. Okt 2017, 20:13
Wenn ich es richtig sehe, vertritt Herr K. die Ansicht nur zum Schein existieren, heißt nicht existieren.
Jedenfalls ist das ein Gebrauch von "nicht existieren". Wenn ich z.B. sage, dass die Oase am Horizont nicht existiert, sondern nur eine Fata Morgana ist, dann sage ich eigentlich, dass das, was wir sehen, keine Oase ist. Nichtexistenz wird dabei nur scheinbar von etwas ausgesagt, tatsächlich aber von nichts, also nichts. Wenn ich sage, dass Autos nicht existieren, weil sie Illusionen sind, dann sage ich eigentlich, dass das, was wir sehen, kein Auto ist - existieren tut es aber trotzdem. Was nicht existiert, kann man auch nicht sehen. Man kann aber natürlich Dinge als etwas sehen, das sie nicht sind. Z.B. jemand "sieht" die Bilder bei einem LSD-Trip als äußerliche Gegenstände, obwohl sie in Wirklichkeit Erzeugnisse der gegenwärtigen Neurochemie seines Gehirns sind. Bei Gott liegt die Lage hingegen etwas anders. Hier ist es nicht so, dass man etwas als etwas sieht, das es nicht ist, sondern hat schon Schwierigkeiten, etwas anzugeben, von dem man auch nur sagen könnte, dass es Gott zu sein scheint.

Ich glaube nicht, dass es viele Atheisten gibt, die sagen würden, Gott existiere nur scheinbar. Und das hat seine Gründe. Es wäre gar nicht auf Anhieb klar, was das heißen sollte.



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Herr K.
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 4. Okt 2017, 20:13
Wenn ich es richtig sehe, vertritt Herr K. die Ansicht nur zum Schein existieren, heißt nicht existieren.
Ja, ich halte das auch für einen üblichen Sprachgebrauch, wenn z.B. sagt: "Herr Müller ist scheinbar reich", dann bedeutet das normalerweise, dass Herr Müller nicht reich ist, obgleich es vordergründig den Anschein hat, als ob, (z.B. mag sich Herr Müller für einen Festtag von seinen letzten Ersparnissen einen teuren Anzug und ein teures Auto gemietet haben).

(Wiewohl einige Menschen wohl "scheinbar" und "anscheinend" nicht auseinanderhalten können.)




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Tarvoc
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So 8. Okt 2017, 16:01

Wenn Herr Müller scheinbar reich ist, dann ist er nicht reich, schon klar. Hier geht es eigentlich weniger um die Semantik von "scheinbar" als um die von "nicht existieren".



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Herr K.
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Ich dachte, es ginge um Sein und Schein? Mir ist allerdings nicht ganz klar, um was es in diesem Thread eigentlich geht und was das Zitat von mir aus einem anderen Thread, das Jörn oben brachte, hier eigentlich zu suchen hat.




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Jörn Budesheim
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Do 28. Dez 2017, 07:55

Hubert Dreyfus, Charles Taylor in Die Wiedergewinnung des Realismus hat geschrieben : Es geschieht leicht, daß die »Erscheinungen«, auf die man sich hier [bei der antiken Skepsis] beruft, mit den Cartesischen »Ideen« gleichgesetzt werden. Das ist jedoch, wie Burnyeat darlegt, ein Irrtum. Der Grund liegt darin, daß »Erscheinungen« keine ontologisch definierte Klasse bilden, die den Realitäten gegenüberstünde. Sie ähneln nicht so sehr einem geistigen Gehalt bestimmter Art, sondern eher einem momentanen So-Aussehen der Dinge. Eigentlich ist es nicht einmal nötig, dieses So-Aussehen überhaupt im Geist anzusiedeln. Daß der ins Wasser getauchte Stock gekrümmt aussieht, könnte man ebensogut als ein Merkmal der ins Wasser getauchten Stöcke auffassen.
Mark Johnston in Objective Mind and the Objectivity of Our Minds hat geschrieben : But modes of presentation are not mental; they are objective, in that they come with the objects themselves as the very features of those objects that make them available for demonstration, thought and talk. And they are individuated by the objects they present.

(Aber Präsentationsformen sind nicht mental, sie sind objektiv, da sie mit den Objekten selbst kommen, als die Eigenschaften jener Objekte, die sie für Demonstrationen, Gedanken und Gespräche zur Verfügung stellen. Und sie werden durch die Objekte, die sie präsentieren, individualisiert. Übersetzt von deepl)




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Schimmermatt
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Sa 8. Sep 2018, 19:52

Tarvoc hat geschrieben :
Mi 4. Okt 2017, 22:21
Ich glaube nicht, dass es viele Atheisten gibt, die sagen würden, Gott existiere nur scheinbar. Und das hat seine Gründe. Es wäre gar nicht auf Anhieb klar, was das heißen sollte.

Mir scheint das Gegenteil zuzutreffen: alle atheistische Argumentation will die Scheinbarkeit von Gottes Existenz als zentrale Pointe aufzeigen. Feuerbach argumentierte, dass Gott eine Projektion sei, Nietzsche ergeht sich genüsslich-ironisch im scheinbar plötzlichen Präsens des "Gott ist tot!" eben als sei das bis dato als wirklich geglaubte auch wirklich gewesen, Marx zeigt Gott als Tröster eines aus purer Not Imaginierenden. Die Unklarheit, was die Scheinbarkeit von Gottes (Nicht-)Existenz denn so eigentlich heißt, ist für Atheisten meines Erachtens nach auch eher Motiv als Hemmnis.



"Manche Leute werden heutzutage langsam wahnsinnig. Ich schnell." C. Schlingensief

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Jörn Budesheim
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Do 4. Okt 2018, 08:53

Taylor, Dreyfus in "Wiedergewinnung des Realismus" hat geschrieben : Es geschieht leicht, daß die »Erscheinungen«, auf die man sich hier beruft, mit den Cartesischen »Ideen« gleichgesetzt werden. Das ist jedoch [...] ein Irrtum. Der Grund liegt darin, daß »Erscheinungen« keine ontologisch definierte Klasse bilden, die den Realitäten gegenüberstünde. Sie ähneln nicht so sehr einem geistigen Gehalt bestimmter Art, sondern eher einem momentanen So-Aussehen der Dinge. Eigentlich ist es nicht einmal nötig, dieses So-Aussehen überhaupt im Geist anzusiedeln. Daß der ins Wasser getauchte Stock gekrümmt aussieht, könnte man ebensogut als ein Merkmal der ins Wasser getauchten Stöcke auffassen.




Homer
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Guten Morgen Jörn, könntest du ein bisschen tiefer an die Sache eingehen was die Cartesiche Ideen angeht ?



Lebe so, dass dein Glück so wenig wie möglich, von äußeren Dingen abhänging ist.
(Epiktet)

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