Qualia

Drei wichtige philosophische Schulen der Philosophie des 20. Jahrhunderts, welche die Philosophie europäischer und amerikanischer Provenienz mitgeprägt haben
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 2. Aug 2024, 08:16

Quk hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 09:18
Qualia
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 13:44
Was meinst du damit?
Quk hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 14:43
"Röte, Bräune, Süße, Wieherton, Freudenton, Kratzigkeit etc."
Consul hat geschrieben :
Mi 31. Jul 2024, 22:27
Ich bin kein Fan der berühmt-berüchtigten Phrase "what it is like" (mehr), die regelmäßig zur Definition phänomenal bewusster Ereignisse/Zustände herangezogen wird. Mir genügt es zu sagen, dass das phänomenale Bewusstsein im bewussten seelischen Innenleben als einer inneren "Erleuchtung" besteht, d.h. im subjektiven Erleben von Empfindungen, Fühlungen (Stimmungen), Denkungen oder Vorstellungen.
Der Begriff Qualia taucht in unseren Debatten oft auf. Zeit, ihm einen eigenen Faden zu widmen. Oben ein paar Text-Schnipsel der letzten Zeit, in denen der Begriff auftauchte. Zum Original-Zusammenhang kommt man schnell, wenn man auf den kleinen Pfeil in der Überschrift klickt.

Man könnte Qualia als das "Wie" eines Erlebens im Unterschied zum "Was" charakterisieren (Das soll keine Definition sein.). Wobei es sich bei dieser Unterscheidung von "Wie" und "Was" um eine (durchaus sinnvolle) begriffliche Unterscheidung handelt, denke ich. Wenn ich im Moment aus dem Fenster schaue, sehe ich den grauen Himmel. Das "Was" ist der Himmel, das "Wie" das Grau. Ich schätze, wir haben immer beides zusammen (Intentionalität und Phänomenalität). Gerade trinke ich zum Beispiel einen Kaffee; sein besonderer Geschmack, das "Wie" gar nicht leicht zu beschreiben ist, ist eben der Geschmack des Kaffees, dem "Was". Unser intentionales Bewusstsein ist uns in der Regel in einer bestimmten phänomenalen Weise gegeben.

Worauf will ich hinaus? Es ist schwer zu bestreiten, dass wir qualitative Erlebnisse haben. Allerdings sind sie immer nur integrierte Aspekte eines umfassenderen Bewusstseinsfeldes. "Freudenton" (Quk) ist für mich zum Beispiel nicht primär Quale, denn der Fokus liegt dabei zugleich (und meines Erachtens viel mehr) auf dem intentionalen Aspekt des Bewusstseins. Wenn man das "Wie es ist" (Qualia) vom "Was", also demjenigen "Wovon es handelt" (Intentionalität) nicht nur begrifflich unterscheidet, sondern begrifflich trennt, dann tut man unserem bewussten Erleben Gewalt an, denke ich.

Ein anderer Punkt. Es ist heiß. Ist Hitze wirklich etwas, was seinen Ort im "bewussten seelischen Innenleben" hat? Hören wir das Konzert "innen"? Erleben wir das Blau der Kanne "innen"? Ich jedenfalls nicht. Wie sinnvoll ist diese "Innen"-Auszeichnung der Qualia? Ich bin da skeptisch. Ich will damit nicht umstandslos zum "Gegenteil" wechseln, denn die Hitze ist auch nicht einfach "da draußen", schließlich bin ich es, der darunter leidet.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Fr 2. Aug 2024, 12:04

Freudenton meine ich hier im Sinne eines Ton- und Klanggemisches, ähnlich einer Mischung aus Farbton, Helligkeit und Sättigung, welche zum Beispiel rosa oder knallgelb ergeben können. Ein Ton- und Klanggemisch besteht physikalisch aus einer Vielzahl bestimmter Frequenzen mit bestimmten Amplituden, die bei der geistigen "Übersetzung" zu einem Quale, also einer kompakten Qualität vereinheitlicht werden, die nicht weiter beschreibbar ist, und von der man nicht wissen kann, ob alle Lebewesen dabei die gleiche Qualität erleben; manches Wesen könnte dies eher Schreckton nennen wollen als Freudenton, zum Beispiel. Ich muss hier irgendwelche Wörter benutzen, um irgendwie die Unterschiede in den akustischen Qualia zu nennen, so wie ich den Unterschied zwischen rosa und knallgelb nenne. In den Qualia selbst stecken diese Wörter natürlich nicht.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 3. Aug 2024, 07:47

Quk hat geschrieben :
Fr 2. Aug 2024, 12:04
Ein Ton- und Klanggemisch besteht physikalisch aus einer Vielzahl bestimmter Frequenzen mit bestimmten Amplituden, die bei der geistigen "Übersetzung" zu einem Quale, also einer kompakten Qualität vereinheitlicht werden
Kannst du mir das erläutern, ich bin kein Tontechniker :}

Hier eine Erläuterung auf YouTube:





Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 3. Aug 2024, 09:14

Hier ein paar Gedanken zu dem Video und der Idee, dass der Klang physikalisch gesehen mit der Bewegung der Luft identisch ist. Wäre der Ton, den wir hören, identisch mit den Schallwellen, würden wir nicht das Klatschen der Hände hören, sondern die Vibrationen der Luft. Das scheint mir nicht der Fall zu sein.

Hier ist ein unfertiger Gedanke: Information kann auf viele Arten kodiert werden, wahrscheinlich auf unendlich viele Arten. Die Vibrationen der Luft machen uns das Klatschen nur auf eine bestimmte, kontingente Weise zugänglich. Klang könnte sicherlich auch anders als durch Schallwellen kodiert werden. Wie könnte man sich das vorstellen? In einem futuristischen Szenario könnten wir Geräte verwenden, die den Körper mit elektrischen Signalen stimulieren, so dass die Person den gewünschten Klang hört, z.B um im luftleeren Raum kommunizieren zu können.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass verschiedene Leute, wenn sie das Klatschen hören und die Quelle identifizieren sollen, auf die klatschenden Hände zeigen und nicht etwa auf die Luft. Oder - schlimmer noch - sogar auf irgendeine andere Ursache, die weiter zurückliegt als das Klatschen selbst. Sonst müssten wir am Ende sagen, dass wir eigentlich den Urknall hören, da schließlich eine Ursache die andere gibt.

Ich schlage also vor, unserer lebensweltlichen Realität genüge zu tun und zu sagen, dass wir das Klatschen der Hände hören. Es ist eine Eigenschaft der Hände selbst, dass sie sich so anhören, wenn sie klatschen. Nebenbei bliebe damit auch der Zusammenhang von "Wie" und "Was" erhalten.

»But modes of presentation are not mental; they are objective, in that they come with the objects themselves as the very features of those objects that make them available for demonstration, thought and talk. And they are individuated by the objects they present.« (Johnston)

Die klatschenden Händen aus dem Video passen eigentlich sehr gut hierher, denn es gibt einen berühmten Koan, bei dem gefragt wird, welches Geräusch beim Klatschen die linke Hand macht.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 3. Aug 2024, 10:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Aug 2024, 07:47
Quk hat geschrieben :
Fr 2. Aug 2024, 12:04
Ein Ton- und Klanggemisch besteht physikalisch aus einer Vielzahl bestimmter Frequenzen mit bestimmten Amplituden, die bei der geistigen "Übersetzung" zu einem Quale, also einer kompakten Qualität vereinheitlicht werden
Kannst du mir das erläutern, ich bin kein Tontechniker :}
Nicht nur bei Trommelfellbewegungen erscheinen geistige Qualitäten, sondern auch bei Bewegungen der Haut oder wenn bestimmte Moleküle in die Zungenhaut dringen und so weiter. Stechend, drückend, bitter, sauer etc. Was bringt es jetzt diesbezüglich, den Schall zu erklären? Man könnte auch um eine Erklärung der Zuckermoleküle bitten. Aber gut, nehmen wir einen einfachen und konstanten Sinuston (Sinuswelle). Er ist in jedem Klanggemisch die kleinste Einzelheit. Er ist ein Grundton ohne farbgebende Obertöne. Wenn wir jetzt beispielsweise eine Rechteckwelle nehmen, hören wir einen Grundton plus viele Obertöne. Obertöne selbst sind auch wiederum Sinuswellen. Also alle komplexen Wellen, seien es dreieckige, rechteckige oder sonstige, sind immer Additionen aus vielen Sinuswellen verschiedener Frequenzen und Amplituden. Das ist ein hochkomplexes Gemisch. Anhand dieser Obertöne können wir die Stimmen verschiedener Personen unterscheiden. Persönliche Stimmen können wir bestenfalls beschreiben mit Wörtern wie dunkel, hell, rauh, weich oder so, aber das ist viel zu grob um wirklich die persönlichen Details zu beschreiben, die einen Unterschied machen zwischen den Stimmen von Paula und Erna. Unser Geist stellt dieses Sinuswellengemisch nicht quantitativ dar, sondern eben qualitativ und kompakt, und das ist unbeschreibbar, so, wie rot oder blau unbeschreibbar sind. Man könnte vielleicht noch sagen, rot sei "wärmer" als blau. Man kann auch sagen, eine Sinuswelle mit 600 Hz klingt wie der Vokal "o" und eine mit 2000 Hz klingt wie der Vokal "e".




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 3. Aug 2024, 10:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Aug 2024, 09:14
Klatschen ...
Ich denke, Klatschen ist schon mehr als ein einziges Quale. Klatschen ist bereits eine kleine Geschichte mit charakteristischem Anfang und Ende. Wenn dem nicht so wäre, könnten wir nicht unterscheiden zwischen Händeklatschen, Bombenexplosion, Hammerschlag etc. Zuvor habe ich über die Qualität eines konstanten Tons geschrieben. Wenn wir diese Qualität im Lauf der Zeit verändern, und sei es nur für einen Sekundenbruchteil, so entstehen Tongeschichten (Qualiageschichten) mit bestimmten charakteristischen Abläufen, die man natürlich auch wiederum mittels lehrendem Zeigefinger mit charakteristischen Sachen der Lebensumgebung verbinden kann. Wie weit wollen wir die Qualia auslegen in diesem Faden? Ist ein Buch ein Quale? Ich würde sagen, nein.

Eine einzige Phase einer Sinuswelle ist natürlich auch schon eine Geschichte; sie ist eine Berg- und Talfahrt entlang der Zeit. Die Frage macht also durchaus Sinn, wie lange eine Qualität andauern muss, um sie nicht mehr als einzelnes Quale bezeichnen zu können. Ich denke, das ist eine Frage der Vereinbarung.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 3. Aug 2024, 11:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 3. Aug 2024, 09:14
In einem futuristischen Szenario könnten wir Geräte verwenden, die den Körper mit elektrischen Signalen stimulieren, so dass die Person den gewünschten Klang hört, z.B um im luftleeren Raum kommunizieren zu können.
Ich denke, ein anderes Signalsystem -- wie etwa elektrische Wörter anstatt Trommelfellbewegungswörter -- ändert nichts an der Komplexität der Informations-Vielfalt im Bereich der Qualia.

Um Ernas Stimme von Paulas unterscheiden zu können, müssen Abermillionen verschiedener Signale kommunziert werden. Ob die elektrisch kodiert sind oder wellenmechanisch oder molekular oder sonstwie, ändert nichts an der Datenmenge im Kommunikationsmittel.

Im begrifflichen Denken hören wir natürlich nicht die "Schallwellen", sondern den "Wind um die Laterne pfeifen". Wäre das Signal-System elektrisch, so würden wir ebenfalls keine "Elektrik" hören, sondern den "Wind um die Laterne pfeifen".

Ich wollte darauf hinaus, dass quantitative Komplexität zur kompakten Qualität wird. So etwas nennen ich ein Quale.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 3. Aug 2024, 13:03

Quk hat geschrieben :
Sa 3. Aug 2024, 11:23
elektrische Wörter anstatt Trommelfellbewegungswörter
Sind wir uns im Folgenden einig:

Wenn ich eine Information (sagen wir ein Wort) auf zwei verschiedene Arten kodiere (sagen wir einmal elektrisch, einmal mittels Bewegungen des Trommelfells) habe ich danach kein elektrisches- gegenüber einem Trommelfellbewegungswort, sondern ein einziges Wort, was auf zwei verschiedene Arten und Weisen kodiert wurde. Das Wort hat seinen Sinn, egal wie es kodiert wurde, durch Referenzen auf Gegenstände, Beziehungen zu anderen Wörtern und ähnliches. Das Wort verstehe ich, indem ich seinen Sinn erfasse und nicht, indem ich elektrische Impulse oder die Schwingungen des Trommelfells, mit dem kodiert wurde, messe oder ähnliches. Ebenso wenig entsteht das Wort aus diesem Kodierungen.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 3. Aug 2024, 14:12

Dem stimme ich zu.

Aber mit diesen Begriffs-Informationen sind wir ein Schritt weiter und lassen die Qualia hinter uns. Eingangs sind da komplexe, unverstandene Datenwörter, welche im Geist zu unbeschreiblichen Qualia vereinfacht werden, wie etwa Röte oder Süße. Aus mehreren dieser Qualia ergeben sich wiederum komplexe Kompositionen, die wir dem Garten oder dem 3-Gänge-Menü zuweisen; zuweisen mittels deutscher Wörter oder Zeigefingern oder Symbolbildern. Reden wir über Qualia oder über Wörter?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 3. Aug 2024, 14:35

Quk hat geschrieben :
Sa 3. Aug 2024, 14:12
Begriffs-Informationen
Die Wörter waren nur ein Beispiel. Ich wollte zeigen, dass das, was kodiert wird, nicht die Eigenschaft des Kodierungsmediums annimmt. Zum Beispiel werden Wörter nicht elektronisch, wenn sie elektronisch kodiert werden, sie werden nicht zu Tinte, wenn sie mit Tinte geschrieben werden.

Das Geräusch klatschender Hände wird nicht zu einer Schallwelle, wenn es mittels Schallwellen kodiert wird.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 4. Aug 2024, 08:27

Quk hat geschrieben :
Sa 3. Aug 2024, 10:55
Ich denke, Klatschen ist schon mehr als ein einziges Quale.
Ja.

Allerdings tauchen meines Erachtens einzelne Quale nie auf. Quale sind Abstraktionen. Wir sehen nie rot, sondern einen roten Ball.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 4. Aug 2024, 09:49

Quk hat geschrieben :
Sa 3. Aug 2024, 10:29
Obertöne selbst sind auch wiederum Sinuswellen. Also alle komplexen Wellen, seien es dreieckige, rechteckige oder sonstige, sind immer Additionen aus vielen Sinuswellen verschiedener Frequenzen und Amplituden.
Damit kenne ich mich nicht aus, ich möchte stattdessen auf einen vermutlich analogen Fall beim Sehen hinweisen. Die Wellenlängen des Lichts determinieren nicht, wie wir Farben wahrnehmen. Beispielsweise sehen wir Bananen normalerweise weiterhin (Bananen-)gelb und Rosen (Rosen-)rot, selbst wenn sich die Beleuchtungsverhältnisse ändern und damit auch die Wellenlängen. Dieses Phänomen nennt man Farbkonstanz. Meiner Meinung nach kann man unsere Wahrnehmung grundsätzlich nicht gut verstehen, wenn man sich allein auf den aktuellen Input (die diversen Wellenlängen o.ä.) konzentriert.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

So 4. Aug 2024, 12:55

Wie sehr gelb die Banane bleibt bei veränderlichen Lichtverhältnissen, hängt von der Farbsättigung des Gelbs ab. Je blasser, also je mehr weiß enthalten ist, desto verfärbbarer wird die Banane. Wenn sie ganz entsättigt ist, also ganz weiß, kann sie quasi alle Farben darstellen: Bei blauem Licht erscheint sie blau, bei rotem rot etc. Aber wenn das Gelb maximal gesättigt ist, kann sie bei veränderlicher Beleuchtung nur heller oder dunkler werden. In grünem oder blauem Licht erscheint sie dann schwarz. So funktioniert jedes Farbbildsystem: Bestimmte Sensoren, die nur bestimmte Farbtöne aufnehmen, nehmen bei anderen Farbtönen kein Licht auf; sie bleiben "schwarz". Das ist der Beweis.

Aber ich verstehe Deinen Punkt. Die meisten Farbsachen im Alltag haben ja einen großen Weißanteil, und damit sind sie farbtonmäßig durchaus sehr veränderbar. Deshalb gibt es in Kameras auch einen Weißabgleich, damit bei verschiedenen Lichtquellen -- Sonne, LCD-Licht etc. -- die weißen Sachen keinen Gelbstich oder Blaustich bekommen etc.

Einen ähnlichen Effekt gibt es auch in der Akustik. Kein Klang klingt überall gleich; verschiedene Lautsprecher färben ihn individuell, oder unsere Ohrmuschel: wenn man sie verbiegt, verfärbt der Klang; oder Wände: ihre Reflexionen löschen bestimmte Frequenzen aus und verfärben damit den Klang. Der Clou: Wie bei unserer Farbanpassung erleben wir auch eine Höranpassung. Wenn wir eine Weile über einen schlechten Lautsprecher eine Geige hören, klingt diese irgendwann ziemlich neutral. Wenn wir umschalten auf einen guten Lautsprecher, wird uns bewusst, wie mies der vorige Lautsprecher klang. Aber die Geige ist natürlich immer noch diesselbe. Ihren Klang-Charakter im großen Ganzen wurde nicht verändert.

Ein reiner Sinuston hingegen klingt -- wenn idealerweise keine obertonerzeugende Verzerrungen hinzukommen -- überall gleich; er kann nur leiser oder lauter werden. Das entspricht beim Licht der Helligkeit, also der Amplitudengröße der Wellen. Ein reiner Sinuston entspricht beim Licht einer maximalen Farbsättigung. Null Obertonanteil, null Weißanteil. Maximales Weiß entspricht maximalem Rauschen. Über das Rauschen kann man jedweden Filter legen: Es wird immer irgendein Ton herauskommen, so, wie bei gefiltertem Weiß immer irgendein Farbton herauskommt. Lege ich aber bei einem 500-Hz-Ton einen 600-Hz-Filter drüber, kommt kein Ton mehr heraus. Der Ausgang ist dann sozusagen schwarz.

In der Tontechnik ist die Psychoakustik ein ganz wichtiges Feld. Natürlich geht es nicht nur um Physik, sondern auch darum, wie unser Geist diese Töne erlebt.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 4. Aug 2024, 13:12

Der Effekt der Farbkonstanz ist keine Erfindung von mir. Ich schätze, dass es einen großen evolutionären Vorteil bedeutete, Dinge mit gleicher Farbe auch in unterschiedlichen Lichtverhältnissen als gleichfarbig erkennen zu können.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

So 4. Aug 2024, 13:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2024, 13:12
Der Effekt der Farbkonstanz ist keine Erfindung von mir.
Ich weiß. Ich kenne den Effekt ja auch schon lange :-) Und ja, ich denke es wäre verheerend, wenn die Wiedererkennung bestimmter Sachen nur in ganz bestimmtem Licht oder unter ganz bestimmten Hörverhältnissen möglich wäre. Die situationelle Anpassung ist lebenswichtig.

Trotz veränderlicher Umgebung erleben wir den Charakter einer Sache unverändert. Charakteristisch für das Wort "Au" beispielsweise sind nicht die absoluten Vokale "a" und "u", sondern ihr klanglicher Abstand zu einander. Wenn ich Helium einatme und "Au" sage, klinge ich wie Micky Maus; es klingt alles höher, auch die Vokale sind verschoben: Aus "a" wird "ä", aus "u" wird "o". Rein physikalisch klingt mein "Au" jetzt wie ein "Äo". Trotzdem begreife ich es als ein "Au", weil die Relationen der Details zueinander dieselben bleiben, während insgesamt alles gleichermaßen verschoben wurde. Bei Sonnenuntergang wird eben alles verschoben, nicht nur die Farbe der Bananen, sondern auch die Farben aller anderen Sachen. Aber die Relationen innerhalb bleiben erhalten. Die Farbe der Banane erhält ihren Abstand zur Farbe der Kirsche. Dank dieser Konstanz können wir sie weiterhin erkennen und unterscheiden.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 4. Aug 2024, 13:54

Quk hat geschrieben :
So 4. Aug 2024, 13:48
Bei Sonnenuntergang wird eben alles verschoben, nicht nur die Farbe der Bananen, sondern auch die Farben aller anderen Sachen.
Erlebst du das wirklich so? Bei einbrechender Dunkelheit erlebe ich es so: ich kann die Farben dann zunehmend schlechter sehen; und nicht etwa, dass die Dinge ihre Farbe langsam gegen dunkel/schwarz ändern.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 2872
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

So 4. Aug 2024, 14:04

Im Abendrot sehe ich, wie die Sachen zunehmend gelblicher und röter werden. Das ist ein schleichender Prozess. Es dauert eine Weile, bis mir das bewusst wird. Wenn dann plötzlich irgendwo in einem fernen Haus ein künstliches Weißlicht angeht, erscheint mir dies nicht weiß, sondern blau, weil in meinem gelbrot angepassten Sehfeld das Gelbrot das neue Weiß ist, und in Relation dazu erscheint mir das vermeintlich weiße Kunstlicht bläulich. Der Abstand zwischen den Farbtönen bleibt ziemlich gleich. So kann ich weiterhin unterscheiden zwischen den individuellen Farben verschiedener Sachen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 4. Aug 2024, 14:12

Wenn ich von hier aus, wo ich gerade sitze und schreibe, aus dem Fenster schaue, bewundere ich oft das unglaubliche Farbenschauspiel, das sich mir da draußen bietet. Wenn ich nicht gerade die Augen schließe, eine getönte Brille aufsetze (auch dann nur bedingt) oder irgendwie blinzle, habe ich normalerweise nicht das Gefühl, dass es sich um Dinge handelt, die ich produziere. Auf kurze Distanz kann ich ein solches subjektives Gefühl erzeugen, indem ich die Brille abnehme, dann habe ich das Gefühl, dass die Unschärfe von mir selbst kommt, namentlich von meinen schlechten Augen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 25498
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 4. Aug 2024, 18:20

Qualia werden oft als die Art und Weise beschrieben, wie sich etwas für uns anfühlt, wie es für uns ist, als subjektive Erlebnisinhalte. Das ist einerseits richtig, aber ich denke, es konzentriert sich zu sehr auf das Subjektive. Und es ist nicht das, was wir wirklich erleben. Wenn ich das Grün eines Baumes auf der anderen Straßenseite sehe, empfinde ich es nicht als etwas in mir, sondern als etwas Reales und Äußeres. Der Baum ist grün. Um Qualia besser zu verstehen, müssen wir diese objektive Seite in unsere Erklärung miteinbeziehen. Es wäre inkonsequent, einerseits die Erfahrungsseite stark zu machen und sie andererseits nicht ernst zu nehmen.

Außerdem ist es doch Alltag, dass wir über diese "subjektiven Dinge" objektiv reden und uns austauschen. Niemand hat ein Problem damit, die Farbe des Baumes richtig zu benennen, obwohl er nicht in meinem Bewusstsein schauen kann und ich bin mir mit fast allen einig, dass der Baum grün ist. Wenn wir über solche Dinge triangulieren, beziehen wir uns offenbar nicht auf innere Erfahrungen, sondern auf grüne Bäume.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 507
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

So 4. Aug 2024, 20:32

Allgemein gesprochen, ist ein Quale eine Qualität.
"Qualität (qualitas, poiotês): Beschaffenheit, ist eine der Grundformen der Auffassung, des Denkens von Objekten. Unter den Begriff »Qualität« fällt alles, insofern es nicht bezüglich seines »Daß«, seiner Existenz oder seiner Wesenheit, sondern bezüglich seiner es von anderem unterscheidenden Bestimmungen, Merkmale gedacht wird. »Qualität« als solche wird erst im (vergleichenden) Denken gesetzt, freilich aber nicht erst im abstrakten, sondern schon im konkreten Denken (durch Apperzeption, s. d.), sowie nicht ohne »Fundament« im Gedachten, welches dem Denken die Nötigung oder den Anlaß gibt, es als Quale zu bestimmen. Im weitesten Sinne umfaßt die Qualität alle Bestimmtheiten eines Etwas, im engeren wird sie von der Quantität unterschieden."

Qualität. In: Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe
Das ontologische Verhältnis von Qualitäten und Quantitäten ist ein schwieriges Thema für sich. Viele betrachten Letztere als eine Art von Ersteren, d.h. als numerisch darstellbare und somit messbare Qualitäten.

Es gibt eine weitere Unterscheidung zwischen Qualitäten als "Wieheiten" und Quidditäten als "Washeiten". Eine Qualität ist dann eine charakterisierende, nichtsortale Eigenschaft (z.B. Schönsein, Altsein) und eine Quiddität ist eine partikularisierende, individualisierende, sortale Eigenschaft (z.B. Frausein, Hundsein).

In der Philosophie des Geistes und der Psychologie wird "Quale" in einem engen phänomenologischen Sinn verwendet. Thomas Nagel definiert phänomenologische Qualia wie folgt:
"Qualia. The subjective qualities of conscious experience (plural of the Latin singular 'quale'). Examples are the way sugar tastes, the way vermilion looks, the way coffee smells, the way a cat's purr sounds, the way it feels to stub your toe."

("Qualia," by Thomas Nagel. In The Oxford Companion to Philosophy, edited by Ted Honderich. Oxford: Oxford University Press, 1995. p. 736.)
"Qualia" =def "die subjektiven Qualitäten bewusster Erfahrung" (Nagel)

Erfahrnisse/Erlebnisse sind eine Art von Ereignissen. Ereignisse, Vorgänge und Zustände kann man allgemein unter dem Fachbegriff Okkurrenzen zusammenfassen. Okkurrenzen sind keine Substanzen. Nach meiner ontologischen Auffassung haben alle Okkurrenzen substanzielle Substrate; aber es gibt Ontologen, die an substrat- oder subjektlose Okkurrenzen glauben—an "absolute Vorgänge" (Charlie Broad), "freie Vorgänge" (Johanna Seibt), "reine Vorgänge" (Wilfrid Sellars), "unbesessene/besitzerlose Vorgänge"/"subjektlose Vorgänge" (Nicholas Rescher), "reine Ereignisse" (Grover Maxwell), "subjektlose (oder objektlose) Ereignisse" (Wilfrid Sellars).

Ob es Ereignisse und insbesondere seelische Erfahrnisse/Erlebnisse ohne substanzielle "Kerne" geben kann, ist eine ontologische Frage für sich.

Wenn wir davon ausgehen, dass phänomenale Qualia Besitzer oder Träger haben, dann stellt sich die ontologische Frage, ob diese wirklich zur Kategorie Okkurrenz gehören—wie von Nagels Definition und den meisten anderen impliziert—, oder vielmehr zur Kategorie Substanz, in welchem Fall Qualia keine Qualitäten bestimmter psychischer Ereignisse/Vorgänge/Zustände wären, sondern Qualitäten psychischer Subjekte (die aus meiner materialistischen Sicht alle physische Objekte sind, d.i. tierische Organismen).



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Antworten