Die bisherige Diskussion hat einen wichtigen Punkt herausgestellt, der Fähigkeiten von anderen Potentialen (wie Dispositionen oder Anlagen) abhebt, nämlich ein gewisses Maß an
Eigenständigkeit bei ihrer Aktualisierung.
Eisen rostet, wenn es mit Wasser in Berührung kommt. Aber wir würden wohl kaum sagen, das Eisen hätte die Fähigkeit zu rosten. Es
reagiert einfach regelmäßig auf bestimmte Randbedingungen - wo bei die Rede von Re-
Agieren, also von einem Zurück-
Handeln, streng genommen schon mächtig übertrieben ist.
Bei Lebewesen und ihren schematischen Verhaltensweisen muss man schon genauer hinsehen und unterscheiden. Da finden sich zwar auch bedingte Reflexe, aber daneben doch viele Verhaltensweisen, die auf mehr Eigenständigkeit hinweisen: Es wird auf Umweltreize flexibel reagiert, es gibt Alternativen im Repertoire von Verhaltensmustern, es gibt "Impulskontrolle" (@Tosa Inu hat darauf hingewiesen) und anderes mehr, das auf eine
vom Organismus selbst vollzogene Steuerung des Geschehens hindeutet.
Noch einmal einen Schritt weiter gehen wir im
handelnden Umgang mit Unseresgleichen. Da betrachten wir uns sogar als die "Urheber" bestimmter Geschehnisse und Abläufe. D.h. wir erklären Handlungen nicht aus gegebenen Randbedingungen, sondern lokalisieren die maßgebliche "Ursache" des Geschehens beim vollziehenden Individuum, das wir dementsprechend als "Subjekt" seines Handelns betrachten. Außerdem sind die Subjekte und ihre Handlungen eingebunden in ein weitverzweigtes Netzwerk der gegenseitigen Verantwortung, innerhalb dessen die Handlungen den Akteuren als ihr Verdienst oder Verschulden angerechnet werden.
Vielleicht darf man also festhalten: Je eigenständiger schematische Vollzüge (Reaktionen, Reflexe, Verhaltensmuster, Handlungsschemata...) erscheinen, desto eher sind wir geneigt, den vollziehenden Individuen eine entsprechende "Fähigkeit" zuzugestehen. Ein gewisses Maß an Eigenständigkeit scheint also immer mitgemeint zu sein, wenn wir sagen, etwas oder jemand habe die
Fähigkeit, dies oder jenes zu tun.
Aber klar scheint mir auch zu sein, dass es sich bei "diesem oder jenem" immer (oder fast immer) um typische,
wiederholbare und
wiedererkennbare Vollzüge, also um Handlungs
schemata handelt. Und somit hätte das vollziehende Subjekt mit seiner Fähigkeit, S zu tun, immer auch eine gewisse "Regelkompetenz". Trotzdem kann die Fähigkeit, S zu tun, um ihrer implizierten Eigenständigkeit willen nicht völlig in der Reproduktion des Schemas aufgehen. Soll die Aktualisierung von S als eigenständige Handlung betrachtet werden können, müssen wir dem Akteur zugleich die Fähigkeit unterstellen, S zu unterlassen, abzuwandeln, an neue Situationen anzupassen, kreativ zu rekombinieren usw.
Seid Ihr einverstanden mit dieser Zwischenbilanz?