Was sind Fähigkeiten, und wie lassen sie sich erkennen?

Drei wichtige philosophische Schulen der Philosophie des 20. Jahrhunderts, welche die Philosophie europäischer und amerikanischer Provenienz mitgeprägt haben
Tosa Inu
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Fr 20. Okt 2017, 12:31

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 11:53
Dass man zu ihnen sinnvoll auffordern kann, ist nebenbei ein elementares Merkmal von Handlungen. Zum Stolpern, Niesen, Verdauen kann man niemanden sinnvoll auffordern. Zu Handlungen oder genauer: zu Aktualisierungen von Handlungsschemata sehr wohl. Indem der Akteur einer solchen Aufforderung nachkommt, "beweist" er performativ, also durch die Tat, dass er das entsprechende Handlungsschema "beherrscht", dass er darüber willkürlich verfügt
Robert Brandom hat sich hierzu meisterhaft und vielschichtig verbreitet:
Robert Brandom hat geschrieben : „Der explanatorische Rahmen, in dem der Begriff des praktischen Begründens arbeiten soll, ist der Kantische, wonach einen Akt als eine Handlung zu behandeln heißt, ihn als etwas zu behandeln, für das es grundsätzlich angemessen ist, nach einem Grund zu fragen. Nicht alles, was jemand tut, ist eine Handlung. Wenn ich am Rand einer Klippe spazierengehe, stolpere und herunterfalle, dann ist das Stolpern wie auch das Fallen mit einer Beschleunigung von 9,8 m/s² etwas, was ich tue (in dem Sinne, dass es zu meinem Verhalten gehört), aber es sind keine Handlungen; das Gehen und das Greifen nach einem Busch, wenn ich über den Rand falle, schon. Handlungen sind Dinge, die intentional getan werden, oder in der hier eingesetzten Begrifflichkeit: Intentional zu handeln heißt, einen Akt nichtinferentiell hervorzubringen, der entweder die Anerkennung einer praktischen Festlegung darstellt (im Fall der Handlungsabsichten) oder einer verlässlichen unterscheidenden Reaktionsdisposition auf eine solche Anerkennung (bei vorgängigen Absichten) entspringt. Unter der Anerkennung der praktischen Festlegung kann man sich die Absicht vorstellen, mit der der Akt hervorgebracht wird.
Man kann mit einem Grund, aber ohne Absicht handeln (etwa wenn einem die Festlegungen nicht gegenwärtig sind, die in den Augen der Zuweisenden einen Grund liefern könnten). Doch aus einem Grund kann man nur intentional handeln – während man intentional, aber ohne einen Grund handeln kann. Nur rationale Wesen können Handelnde sein, aber es gibt so etwas wie irrationale Handlungen, etwa wenn jemand intentional, aber impulsiv und nicht entlang dessen, wofür man einen Grund hat, handelt. Aus deontischer Sicht sind solche irrationalen Handlungen insofern intentional, als sie Anerkennungen praktischer Festlegungen sind (oder aus der Ausübung verlässlicher nichtinferentieller Dispositionen, unterscheidend zu reagieren, hervorgehen), und irratioanal sind sie insofern, als die praktische Festlegung keine ist, zu der der Handelnde berechtigt ist durch eine ordnungemäße praktische Inferenz durch Prämissen, auf die er festgelegt und zu denen er berechtigt ist – sei es, weil er keinen Grund hat, etwas zu tun, was mit dem, was er tatsächlich tut, inkompatibel ist. Da diese Berechtigung einen Grund für den Vollzug einer Handlung voraussetzt, werden praktischen Festlegungen und somit Handlungen (intentionale Akte) nur denjenigen zuerkennt, die sich im Raum des Gebens und Verlangens von Gründen bewegen – das sind diejenigen, die rational sind (oder als solche behandelt werden).“
(Robert Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. Suhrkamp 2000, S.358 f)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Hermeneuticus
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 07:03
Aber stell dir vor, jemand hätte einfach alle Rechenergebnisse blind auswendig gelernt und nie verstanden, worum es sich dabei handelt, er hätte also nie gerechnet, nie eine Rechnung vollzogen. Nun hat man zumindest zwei Möglichkeiten. Ein Behaviourist müsste sagen, die fragliche Person kann rechnen, auch wenn man ihm dem Umstand, dass alles nur auswendig gelernt war, eröffnet. Ich würde hingegen meinen, ich dachte bisher, sie könne rechnen, aber ich habe mich getäuscht.
Das wäre aber ein ziemlich beschränkter Behaviorist, der den Unterschied zwischen einer gedankenlosen Reproduktion und der Beherrschung der Rechenregeln nicht erkennt.

Dabei lässt sich dieser Unterschied doch ziemlich leicht erkennen. Wer etwas nur gedankenlos reproduzieren kann, der kann es nicht eigenständig in verschiedenen und neuen Zusammenhängen verwenden. Er wird das Schema S auch nicht spontan so abwandeln können, dass es zwar dem Kontext angepasst ist, aber doch immer noch als Aktualisierung von S erkennbar bleibt.

Beispiel: Wenn man einer Sprechmaschine Wörter einprogrammiert, die sie selbst nach bestimmten Regeln neu kombinieren kann, bleibt die Aussprache gleichsam tot. Denn die Wörter kommen immer nur mit genau der Intonation heraus, mit der sie eingegeben wurden. Die Maschine kann die Intonation also nicht dem jeweils neuen Satzgefüge und seinem Sinn anpassen.




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Fr 20. Okt 2017, 12:52

@Tosa Inu: Das Brandom-Zitat in allen Ehren, aber es ist leider so kompliziert, dass es selbst erst umständlich erläutert werden muss, bevor man mit seiner Hilfe etwas anderes erläutern könnte... :D
(Das sage ich natürlich im Guten, als Brandom-supporter...)




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Jörn Budesheim
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Fr 20. Okt 2017, 13:33

Bereits 2014 (!!) hat eine Maschine zum ersten mal den Turingtest bestanden > Der unheimlich menschliche Eugene Goostmann damit können wir eine mögliche Antwort auf die Frage "Was sind Fähigkeiten, und wie lassen sie sich erkennen?" also bereits ausschließen.




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Fr 20. Okt 2017, 14:03

Turing-Test:

Im Zuge dieses Tests führt ein menschlicher Fragesteller über eine Tastatur und einen Bildschirm ohne Sicht- und Hörkontakt mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern eine Unterhaltung. Der eine Gesprächspartner ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Beide versuchen, den Fragesteller davon zu überzeugen, dass sie denkende Menschen sind. Wenn der Fragesteller nach der intensiven Befragung nicht klar sagen kann, welcher von beiden die Maschine ist, hat die Maschine den Turing-Test bestanden, und es wird der Maschine ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen unterstellt.
Bei der Unterstreichung liegt der Hase im Pfeffer. Denn diese künstliche Kommunikationsbedingung verkürzt den Begriff von Denken oder Intelligenz von vornherein auf eine Beschränktheit der Maschine. Außerdem wird mit der Versuchsanordnung implizit unterstellt, Intelligenz sei etwas, das unabhängig vom leiblichen Ganzen einer Person existiere und funktioniere.




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Fr 20. Okt 2017, 14:14

Ich schlage einen anderen Test vor: Man erteile einer Maschine Klavierunterricht. Wenn der Lehrer nach 4 wöchentlichen Unterrichtsstunden glaubt, er habe es mit einem Menschen zu tun, ist die Intelligenz der Maschine der eines Menschen ebenbürtig.
:D




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Herr K.
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Fr 20. Okt 2017, 14:45

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 14:03
Außerdem wird mit der Versuchsanordnung implizit unterstellt, Intelligenz sei etwas, das unabhängig vom leiblichen Ganzen einer Person existiere und funktioniere.
Aus Wikipedia - Moravec's paradox (übersetzt mit DeepL):

Moravecs Paradoxon ist die Entdeckung von Forschern der künstlichen Intelligenz und Robotik, dass High-Level-Logik im Gegensatz zu traditionellen Annahmen nur sehr wenig Rechenleistung erfordert, während Low-Level-Sensorik-Fähigkeiten enorme Rechenleistung erfordern. Das Prinzip wurde in den 1980er Jahren von Hans Moravec, Rodney Brooks, Marvin Minsky und anderen artikuliert. Wie Moravec schreibt: "Es ist vergleichsweise einfach, Computer bei Intelligenztests oder beim Spielen von Dame auf das Leistungsniveau von Erwachsenen zu bringen und es ist schwierig oder unmöglich, ihnen die Fähigkeiten eines Einjährigen zu vermitteln, wenn es um Wahrnehmung und Mobilität geht." [...] Rodney Brooks erklärt, dass laut der frühen AI-Forschung Intelligenz am besten als die Dinge charakterisiert wurden, die hochqualifizierte männliche Wissenschaftler herausfordernd fanden, wie Schach, symbolische Integration, mathematische Theoreme beweisen und komplizierte Wort-Algebra Probleme lösen. "Die Dinge, die Kinder von vier oder fünf Jahren mühelos tun konnten, wie z. B. die visuelle Unterscheidung zwischen Kaffeetasse und Stuhl oder das Herumlaufen auf zwei Beinen oder der Weg vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer, wurden nicht als intelligente Tätigkeiten angesehen." [...] In seinem Buch "The Language Instinct" schreibt er [der Sprachwissenschaftler und Kognitionswissenschaftler Steven Pinker]: Die wichtigste Lehre aus 35 Jahren KI-Forschung ist, dass die harten Probleme einfach sind und die einfachen Probleme schwierig sind. Die mentalen Fähigkeiten eines Vierjährigen, die wir für selbstverständlich halten - ein Gesicht erkennen, einen Bleistift heben, durch einen Raum gehen, eine Frage beantworten - lösen in der Tat einige der schwierigsten technischen Probleme, die jemals erdacht wurden... Wenn die neue Generation intelligenter Geräte erscheint, werden es die Aktienanalysten und Petrochemie-Ingenieure und Aufsichtsräte sein, die Gefahr laufen, durch Maschinen ersetzt zu werden. Gärtner, Empfangsmitarbeiter und Köche sind in ihren Arbeitsplätzen auf Jahrzehnte gesichert.




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Jörn Budesheim
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Fr 20. Okt 2017, 14:57

Wenn ein Jugendfreund (jetzt Professor der Informatik) von mir recht behält sind das schlechte Nachrichten für die KI. Er meint, dass vielleicht nur eine "Maschine", die wirklich ein Leben führt, wirklich intelligent sein kann. Von einem weiteren KIler hab ich was gelesen, was dazu passt: Solange Maschinen keinen Sex haben können, wird das nix mit der KI - frei wiedergegeben.

Das Problem ist wohl, dass es für die Maschinen (bisher) um nichts geht, sie kennen keine Werte.




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Tarvoc
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Fr 20. Okt 2017, 17:16

In Marx' Deutscher Ideologie gibt es den Gedanken, dass sich das menschliche Bewusstsein in engem Zusammenhang mit vier anderen Momenten entwickelt. Knapp zusammengefasst handelt es sich um die folgenden Momente: die Produktion von Mitteln zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung; die Entstehung neuer Bedürfnisse (z.B. nach Produktionsmitteln) aus der Produktion selbst; die Reproduktion der eigenen Spezies (beim Menschen von Natur aus durch Sex, obwohl das womöglich nicht die einzige Möglichkeit ist - eine zukünftige Gesellschaft könnte etwa stattdessen Klonierung zur Reproduktion verwenden); sowie die Assoziation der Individuen untereinander, die durch die gemeinsame Produktion notwendig wird. Das Bewusstsein tritt dann als fünftes Moment notwendig hinzu, und zwar in Form von Sprache.

Das heißt, zur Erzeugung einer KI mit Bewusstsein wäre es nötig, (1) ihr so etwas wie materielle Bedürfnisse zu geben, auf deren Befriedigung sie ihre Aktivität ausrichten kann (wie immer diese dann aussehen mögen), (2) ihr die Möglichkeit zu geben, im Umgang mit ihrer materiellen Umgebung neue Bedürfnisse zu entwickeln, (2) ihr die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu reproduzieren (gefährlich und womöglich unnötig), und (3) ihr die Möglichkeit zu geben, sich zum Zwecke der Produktion mit anderen Individuen (menschlichen oder künstlichen) zusammenzuschließen. Hinzu käme noch die Fähigkeit, sich in irgendeiner Form sprachlich auszudrücken. Sind diese fünf Momente gegeben, sollte auch eine Maschine bewusstes Verhalten entwickeln können, jedenfalls wenn der Materialismus korrekt ist.



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novon
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Fr 20. Okt 2017, 23:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 11:11
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 11:02
Wenn es heißt Operationen zuverlässig auszuführen, dann ja.
Meines Erachtens rechnen die Rechner nicht. Sie wissen nicht was sie tun, sie haben keinen Begriff von richtig und falsch, das heißt keine Vorstellung von Objektivität. Wenn aber "Nachschauen" das Kriterium ist, dann muss man ihnen die "Fähigkeit" zu rechnen dennoch zugestehen.
Das Wissen, dass Rechner rechnen lässt ist das Wissen der Ingenieure, die diese konzipieren und konstruieren (inklusive etwaiger Fehler, s. Pentium Bug). Chips wissen nicht. Sie stellen nichts weiter als das manifeste Kondensat menschlicher Abstraktion des Rechenvorgans dar (auch Abakusse etc. fallen in diese Kategorie).




Tosa Inu
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Sa 21. Okt 2017, 09:09

novon hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 23:55
Das Wissen, dass Rechner rechnen lässt ist das Wissen der Ingenieure, die diese konzipieren und konstruieren (inklusive etwaiger Fehler, s. Pentium Bug). Chips wissen nicht. Sie stellen nichts weiter als das manifeste Kondensat menschlicher Abstraktion des Rechenvorgans dar (auch Abakusse etc. fallen in diese Kategorie).
Da hat sich auch schon wieder was getan. AlphaGo Zero (ohne Zucker, für Veganer geeignet und nicht zu verwechseln mit AlphaGo) ist da anders:
Jörg Schieb/WDR hat geschrieben : AlphaGo haben noch Menschen antrainiert: Sie haben das KI-System mit Spielsituationen von Go-Gurus gefüttert. Die Software hat die Spielzüge genau analysiert und Lehren daraus gezogen. „Supervised Learning“ nennen das die Experten. Das KI-System lernt zwar selbständig und probiert auch viel aus, aber wird sozusagen betreut. Das ist beim neuen AlphaGo Zero anders. AlphaGo Zero greift erstmals nicht auf menschliches Expertenwissen zurück. Das neue System kennt nur die Spielregeln, mehr nicht. Beim sogenannten „Reinforcement-Learning“ trainiert es, indem es unentwegt gegen sich selbst spielt und dabei für gewonnene Spiele durch ein Punktesystem belohnt wird. Dabei kommt es mit weniger Hardware aus und lernt in kürzerer Zeit besser zu spielen als seine Vorgänger.
Kucksdualles



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novon
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Sa 21. Okt 2017, 22:58

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 09:09
novon hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 23:55
Das Wissen, dass Rechner rechnen lässt ist das Wissen der Ingenieure, die diese konzipieren und konstruieren (inklusive etwaiger Fehler, s. Pentium Bug). Chips wissen nicht. Sie stellen nichts weiter als das manifeste Kondensat menschlicher Abstraktion des Rechenvorgans dar (auch Abakusse etc. fallen in diese Kategorie).
Da hat sich auch schon wieder was getan. AlphaGo Zero (ohne Zucker, für Veganer geeignet und nicht zu verwechseln mit AlphaGo) ist da anders:
Jörg Schieb/WDR hat geschrieben : AlphaGo haben noch Menschen antrainiert: Sie haben das KI-System mit Spielsituationen von Go-Gurus gefüttert. Die Software hat die Spielzüge genau analysiert und Lehren daraus gezogen. „Supervised Learning“ nennen das die Experten. Das KI-System lernt zwar selbständig und probiert auch viel aus, aber wird sozusagen betreut. Das ist beim neuen AlphaGo Zero anders. AlphaGo Zero greift erstmals nicht auf menschliches Expertenwissen zurück. Das neue System kennt nur die Spielregeln, mehr nicht. Beim sogenannten „Reinforcement-Learning“ trainiert es, indem es unentwegt gegen sich selbst spielt und dabei für gewonnene Spiele durch ein Punktesystem belohnt wird. Dabei kommt es mit weniger Hardware aus und lernt in kürzerer Zeit besser zu spielen als seine Vorgänger.
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Die Kurzform wäre: "Na und?".
Genauer ginge das vielleicht so: Und was meinst du nun, was das mit Denken oder gar Bewusstsein (des Rechners) zu tun haben könnte?




Hermeneuticus
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So 22. Okt 2017, 13:56

Die bisherige Diskussion hat einen wichtigen Punkt herausgestellt, der Fähigkeiten von anderen Potentialen (wie Dispositionen oder Anlagen) abhebt, nämlich ein gewisses Maß an Eigenständigkeit bei ihrer Aktualisierung.

Eisen rostet, wenn es mit Wasser in Berührung kommt. Aber wir würden wohl kaum sagen, das Eisen hätte die Fähigkeit zu rosten. Es reagiert einfach regelmäßig auf bestimmte Randbedingungen - wo bei die Rede von Re-Agieren, also von einem Zurück-Handeln, streng genommen schon mächtig übertrieben ist.

Bei Lebewesen und ihren schematischen Verhaltensweisen muss man schon genauer hinsehen und unterscheiden. Da finden sich zwar auch bedingte Reflexe, aber daneben doch viele Verhaltensweisen, die auf mehr Eigenständigkeit hinweisen: Es wird auf Umweltreize flexibel reagiert, es gibt Alternativen im Repertoire von Verhaltensmustern, es gibt "Impulskontrolle" (@Tosa Inu hat darauf hingewiesen) und anderes mehr, das auf eine vom Organismus selbst vollzogene Steuerung des Geschehens hindeutet.

Noch einmal einen Schritt weiter gehen wir im handelnden Umgang mit Unseresgleichen. Da betrachten wir uns sogar als die "Urheber" bestimmter Geschehnisse und Abläufe. D.h. wir erklären Handlungen nicht aus gegebenen Randbedingungen, sondern lokalisieren die maßgebliche "Ursache" des Geschehens beim vollziehenden Individuum, das wir dementsprechend als "Subjekt" seines Handelns betrachten. Außerdem sind die Subjekte und ihre Handlungen eingebunden in ein weitverzweigtes Netzwerk der gegenseitigen Verantwortung, innerhalb dessen die Handlungen den Akteuren als ihr Verdienst oder Verschulden angerechnet werden.


Vielleicht darf man also festhalten: Je eigenständiger schematische Vollzüge (Reaktionen, Reflexe, Verhaltensmuster, Handlungsschemata...) erscheinen, desto eher sind wir geneigt, den vollziehenden Individuen eine entsprechende "Fähigkeit" zuzugestehen. Ein gewisses Maß an Eigenständigkeit scheint also immer mitgemeint zu sein, wenn wir sagen, etwas oder jemand habe die Fähigkeit, dies oder jenes zu tun.

Aber klar scheint mir auch zu sein, dass es sich bei "diesem oder jenem" immer (oder fast immer) um typische, wiederholbare und wiedererkennbare Vollzüge, also um Handlungsschemata handelt. Und somit hätte das vollziehende Subjekt mit seiner Fähigkeit, S zu tun, immer auch eine gewisse "Regelkompetenz". Trotzdem kann die Fähigkeit, S zu tun, um ihrer implizierten Eigenständigkeit willen nicht völlig in der Reproduktion des Schemas aufgehen. Soll die Aktualisierung von S als eigenständige Handlung betrachtet werden können, müssen wir dem Akteur zugleich die Fähigkeit unterstellen, S zu unterlassen, abzuwandeln, an neue Situationen anzupassen, kreativ zu rekombinieren usw.


Seid Ihr einverstanden mit dieser Zwischenbilanz?
8-)




Tosa Inu
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So 22. Okt 2017, 18:19

novon hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 22:58
Die Kurzform wäre: "Na und?".
Genauer ginge das vielleicht so: Und was meinst du nun, was das mit Denken oder gar Bewusstsein (des Rechners) zu tun haben könnte?
Ich finde eine leidenschaftslose Wurschtigkeit der KI gegenüber oft angemessen, aber immerhin, das Biest ist nicht von uns trainiert worden und hat das Programm, das von uns trainiert wurde 100:0 geschlagen. Das ist schon mal einen C-Dur-Akkord wert.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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novon
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So 22. Okt 2017, 22:49

Tosa Inu hat geschrieben :
So 22. Okt 2017, 18:19
novon hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 22:58
Die Kurzform wäre: "Na und?".
Genauer ginge das vielleicht so: Und was meinst du nun, was das mit Denken oder gar Bewusstsein (des Rechners) zu tun haben könnte?
Ich finde eine leidenschaftslose Wurschtigkeit der KI gegenüber oft angemessen, aber immerhin, das Biest ist nicht von uns trainiert worden und hat das Programm, das von uns trainiert wurde 100:0 geschlagen. Das ist schon mal einen C-Dur-Akkord wert.
Die erwähnte Trainigsmethode impliziert eine (perfekte, streng den Go-Regeln folgende) Bewertungsfunktion (Fitness) der jeweiligen Stellungen. Die wird vollständig ausprogrammiert sein. Die eigentliche Go-Engine passt iterativ verschiedene eigene Parameter (weitgehend zufällig, teils vielleicht in Abhängigkeit von der aktuellen Fitness) in Bezug auf die Fitnessfunktion an. Bis das Konstukt ein ziemlich perfektes Resultat abliefert (lokale Maxima mal unberücksichtigt gelassen, könnte mir aber vorstellen, dass damit algorithmisch hinreichend umgegangen wird) stellt für mich nichts weiter als eine herkömmlich Ingenieursleistung dar. So aus sich selbst[ (des Programms) passiert da gar nichts.
Cm7 vielleicht... ;)




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Jörn Budesheim
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Mo 23. Okt 2017, 06:22

Diese Programme zeigen uns, dass uns Zombies "besiegen" können, auch wenn sie gar nicht wissen, was Siegen und Verlieren heißt. Spielen ist jedoch etwas für Wesen, für die etwas auf dem Spiel steht. Diese Maschinen mögen noch so perfekt Handlungsschemata aktualisieren können, aber solange diese "Handlungen" nicht Teil eines Lebens sind, sind es eben auch keine Handlungen ...

Fähigkeiten und Handlungen an Schemata zu koppeln, schließt Kreativität, Spontanität, Sinn für Neues, Nonsens und Neugierde und das Je ne sais quoi aus dem Reich der Handlungen aus. Bei vielen Handlungen handelt es sich zwar um Techniken, aber damit ist der Handlungsbegriff keineswegs vollständig umfasst. Oft sehen wir es als Gütezeichen, wenn sich jemand gerade nicht an Schema X orientiert.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 23. Okt 2017, 06:22
Fähigkeiten und Handlungen an Schemata zu koppeln, schließt Kreativität, Spontanität, Sinn für Neues, Nonsens und Neugierde und das Je ne sais quoi aus dem Reich der Handlungen aus.
An ein solches Ausschließungsverhältnis zwischen Regel und Kreativität/Originalität kann ich nicht glauben. Handlungsregeln lassen immer auch Raum für Variationen, situative Anpassungen und kreative Uminterpretationen. Nur der sture, nicht-intelligente Umgang mit Regeln schließt Originalität und Kreativität aus. Außerdem bleibt uns immer auch die Option der Regelverletzung. Allerdings kann die schnell zu Lasten des Handlungserfolgs gehen. Denn die Erfolgsbedingungen für Handlungen stehen nicht allein in der Macht und im Belieben des handelnden Subjekts.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 23. Okt 2017, 10:24
An ein solches Ausschließungsverhältnis zwischen Regel und Kreativität/Originalität kann ich nicht glauben. Handlungsregeln lassen immer auch Raum für Variationen, situative Anpassungen und kreative Uminterpretationen. Nur der sture, nicht-intelligente Umgang mit Regeln schließt Originalität und Kreativität aus.
Das möchte ich noch einmal bekräftigen, und zwar gerade im Blick auf die Probleme mit technischen Substitionen menschlicher Leistungen. Es bieten sich ja besonders die wiederholbaren und gleichbleibenden Anteile von Handlungen und Handlungsketten zur technischen Substitution an. Solche Routineabläufe langweilen uns schnell, sie stumpfen uns ab und ermüden uns; und dort schleichen sich auch besonders gern Fehler ein. Automaten können solche Routineabläufe aufgrund ihrer starren materiellen Eigenschaften erheblich effektiver und zuverlässiger erledigen. Aber die Vorzüge dieser Starrheit können schnell in Nachteile umschlagen. Denn Maschinen entfalten ihre Effektivität stets innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen. Geschieht nun entweder innerhalb des vorgegebenen Rahmens etwas Unvorhergesehenes oder gälte es, den Arbeitsbereich neu zu kontextualisieren, kommt es zu typischen Störungen und Katastrophen.

Die Überlegenheit der menschlichen Intelligenz erweist sich dagegen in ihrer Flexibilität. Unsere Regelkompetenz kann so weit entwickelt werden, dass sie Regeln an besondere Bedingungen anpassen, die Zweckmäßigkeit von Regelabläufen kritisch reflektieren und neue Regelungen erfinden kann. Und gerade diese Flexibilität meinen wir auch, wenn wir sagen, jemand "beherrsche" eine bestimmte Handlungsweise. Die Beherrschung umfasst aber beides: die Kontrolle sowohl über das Immergleiche als auch über sein Verhältnis zu den besonderen Umständen.

Genau dies scheint mir auch das Optimum, den "Gipfel" von Fähigkeiten zu benennen. Obwohl... vielleicht ist doch der hintersinnige Vorschlag des Aristoteles noch treffender. Er meinte nämlich, dass die Meisterschaft erst erreicht sei, wenn man das Können an andere weitergeben könne...




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Di 24. Okt 2017, 07:11

novon hat geschrieben :
So 22. Okt 2017, 22:49
Bis das Konstukt ein ziemlich perfektes Resultat abliefert (lokale Maxima mal unberücksichtigt gelassen, könnte mir aber vorstellen, dass damit algorithmisch hinreichend umgegangen wird) stellt für mich nichts weiter als eine herkömmlich Ingenieursleistung dar. So aus sich selbst[ (des Programms) passiert da gar nichts.
Cm7 vielleicht... ;)
Das rückt meine kleine Welt wieder etwas gerade.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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novon
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Di 24. Okt 2017, 21:50

Sicher nicht verkehrt auch mal zu lesen: http://www.xing-news.com/reader/news/articles/993884




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