Schillers Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen

Im Zuge der philosophischen und Debatten der letzten 30 Jahre sind Theorien des Schönen und philosophisch inspirierte Theorien medialer Erfahrungen zunehmend in den Vordergrund gerückt.
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Jörn Budesheim
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So 2. Jun 2019, 17:16

Schillers Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen: Nebenbei lese ich dazu. Das hier kann gut und gerne ein Kraut und Rüben Thread werden, jeder darf seinen Spieltrieb ausleben :) Ich wünsche mir einen kreativen auf gegenseitigem Wohlwollen basierenden Thread.




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Rüdiger Safranski hat geschrieben : ...Mit diesem im Handgemenge mit Fichte entwickelten Gedanken bringt Schiller eine überraschend neue Konfiguration von wissenschaftlicher Wahrheit und individueller künstlerischer Bedeutsamkeit ins Spiel. Diese Konfiguration ist als Konsequenz aus den »Ästhetischen Briefen«, näherhin aus dem dort abgehandelten Verhältnis von Formtrieb und Stofftrieb entwickelt. Was den Künstler vom Wissenschaftler unterscheidet, ist, daß der Künstler es mit der individuellen Form, dem Stil also, zu tun hat; der Wissenschaftler aber mit dem allgemeinen Stoff, dem Gehalt. Der Wissenschaftler wirkt durch seine Ergebnisse und verschwindet darin. Der Künstler jedoch prägt sich aus in seinem Stil und bleibt darin als Individuum sichtbar und faßbar. Als Theoretiker beansprucht der Künstler zwar auch wissenschaftliche Wahrheit, aber kraft seines Stils partizipiert er darüberhinaus an der Welt individueller Bedeutsamkeit. Er positioniert sich auf beiden Feldern, dem des Allgemeinen und dem des Besonderen. Wenn der Erkenntnis-Stoff, den er zutage fördert, auch im Archiv der Stoffmassen der Erkenntnis untergehen, wenn seine Allgemeingültigkeit beanspruchenden Erkenntnisse im anonymen Strom des Allgemeinen verschwinden sollten, so bleibt die Individualität, die sich eine Form gegeben hat, im Gedächtnis der Nachwelt erhalten als Ausdrucksform in der Welt der Bedeutsamkeiten. Das bedeutet: sollte die Wahrheit der Theorie über das Schöne fraglich oder selbstverständlich werden, wird sie immer noch überleben können – als schöne Theorie. Schiller will sich mit seiner schönen Theorie gegen Fichte behaupten, der bloß eine Theorie über das Schöne vorgelegt hat.
Oha! Eine Idee kann auch interessant sein, weil sie schön ist. Selbst wenn sie am Ende falsch sein sollte ...




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Schillers Nase!




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Eigentlich will ich mich ja in Schillers Briefe zur ästhetischen Erziehung einlesen, aber der Spieltrieb kommt immer dazwischen ... Aber hier passt es ja thematisch perfekt :)




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.... aus diesen Briefen stammt auch das berühmte Zitat: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist" und "und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."
„Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz […] wird […] eine große Bedeutung erhalten […]; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigern Lebenskunst tragen.“




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Elisabeth Donhauser hat geschrieben : In seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ entwirft Friedrich Schiller das Bild eines idealen Staates, in dem sich der einzelne Mensch frei entfalten kann, ohne dass die Interessen der Gemeinschaft verletzt werden, oder in dem „ihm das ‚sittliche Betragen’ zur ‚Natur’ werde.“

Das Mittel, um einen solchen Staat zu schaffen, ist für Schiller die Ästhetik, beziehungsweise die ästhetische Bildung des Menschen. Ausgehend von den gegenwärtigen Bedingungen seiner Zeit greift er die rousseauistische Theorie auf, dass sich der Mensch bei wachsendem wissenschaftlich-technischen Fortschritt zunehmend selbst entfremdet. In dieser Gespaltenheit der menschlichen Seele – zwischen sinnlich-emotionaler und vernünftig-rationaler Welt – sieht Schiller die Ursache aller negativen Entwicklungen des Individuums und somit auch der Gesellschaft.

Um diese Entwicklung aufzuheben proklamiert Schiller die alles versöhnende Kraft der Ästhetik. Nur im ästhetischen Zustand, wenn der Mensch mit der Schönheit spielt, wie Schiller es nennt, werden die beiden antagonistischen Prinzipien „Gefühl“ und „Verstand“ miteinander harmonisch verbunden. Diese Verbindung muss im idealen Staat realisiert werden.




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Rüdiger Safranski zum Begriff Spiel hat geschrieben : Gegen den Zwang der lebenserhaltenden Nützlichkeit bedeutet Lockerung: Sinn für das Überflüssige, Hingabe ans Zwecklose oder Selbstzweckhafte, Verspieltheit statt Zielstrebigkeit.
Passt übrigens auch ganz gut in den Workaround-Thread




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Mo 3. Jun 2019, 05:33

Den Text Schillers findet man natürlich an diversen Stellen online, z.b. hier > https://gutenberg.spiegel.de/buch/ueber ... fen-3355/1

Und bei Wikipedia finden sich auch ein Überblick und eine Zusammenfassung der Briefe > https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber ... s_Menschen




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Do 6. Jun 2019, 22:09

Ich komme gerade von einem Gesprächskreis, 10 Leute haben sich zusammengefunden, um die Briefe zu lesen. Wir gehen Absatz
für Absatz vor, jemand liest laut vor und dann wird diskutiert und gedeutet. Das war eine ästhetische Erziehung, die außerordentlich viel Spaß gemacht hat :)




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Di 23. Jul 2019, 17:58

Hirnforscher über das Spielen

„Frei entfalten kann man sich nur spielerisch“
Gerald Hüther im Gespräch mit Dieter Kassel

https://www.deutschlandfunkkultur.de/hi ... _id=454444




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Mo 12. Aug 2019, 20:59

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Neulich in unserer Kunsthalle...




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Di 13. Aug 2019, 06:20

Zum Beitrag oben...
Schiller an Herzog von Holstein-Augustenburg hat geschrieben : Aber sollte ich von der Freiheit, die mir von Ihnen verstattet wird, nicht vielleicht einen bessern Gebrauch machen können, als Ihre Aufmerksamkeit auf dem Schauplatz der schönen Kunst zu beschäftigen? Ist es nicht wenigstens außer der Zeit, sich nach einem Gesetzbuch für die ästhetische Welt umzusehen, da die Angelegenheiten der moralischen ein so viel näheres Interesse darbieten und der philosophische Untersuchungsgeist durch die Zeitumstände so nachdrücklich aufgefordert wird, sich mit dem vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem Bau einer wahren politischen Freiheit zu beschäftigen?
Schiller hatte von dem Herzog ein großzügiges Stipendium bekommen. Und die Freiheit, die ihm von dem von dem Herzog verstattet wird, ist die Arbeit an diesem Text. Schiller stellt sich an dieser Stelle selbst die Frage, ob sein Projekt zeitgemäß ist. Die großen Themen der Zeit sind natürlich die Revolution, die Aufklärung und die Befreiung des Menschen... Und Schiller legt ein Buch über Ästhetik vor? Ist das nicht etwas außer der Zeit?

Auf dem Bild im Beitrag zuvor findet sich eine ganz ähnliche Situation. Die Aufnahme wurde im Museum Fridericianum gemacht. Wie sehen ein Seestück von Lucas Arruda. Diese Arbeit ist typisch für die gesamte Ausstellung. An dem Tag, als ich und meine Frau die Ausstellung besucht haben, haben wohl einige Aktivisten in der Ausstellung ein paar Zettel verteilt. Einen davon haben wir neben das Bild erhalten und fotografiert.

Sinngemäß ist darauf zu lesen, dass Kunst wie diese - der Autor spricht von l'art pour l'art - in der derzeitigen Situation des Planeten und der Menschheit nicht relevant ist.

Das scheint mir, wenn schon nicht dieselbe, so doch eine sehr ähnliche Konstellation zu sein, wie die, von der Schiller in seinem zweiten Brief an den Herzog spricht. Gibt es nicht drängende Themen in der Welt als metaphysische Seestücke? Sollte die Kunst nicht von der Umweltproblematik, der Migration, dem Aufstieg der Rechten und vom Niedergang des Geistes handeln?




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Stefanie
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Di 13. Aug 2019, 21:58

Das scheint mir, wenn schon nicht dieselbe, so doch eine sehr ähnliche Konstellation zu sein, wie die, von der Schiller in seinem zweiten Brief an den Herzog spricht. Gibt es nicht drängende Themen in der Welt als metaphysische Seestücke? Sollte die Kunst nicht von der Umweltproblematik, der Migration, dem Aufstieg der Rechten und vom Niedergang des Geistes handeln?
Tut sie so doch.
Es gibt doch nicht Den Weg die derzeitige oder auch die damalige Situation darzustellen oder sich damit zu beschäftigen.
Zum einem gibt es die direkte Art, also die Probleme und die Situation künstlerisch darzustellen. Dies wird in der Kunst jedweder Art auch oft gemacht. Politische Kunst sage ich mal. Allein hierzu gibt es viele Art und Weise der Darstellung. Von der Musik, über Theater, Literatur und bildende Kunst.
In problematischen, mit Sorge zu betrachteten Entwicklungen, die auch Angst machen können, droht doch auch der Sinn und der Blick verloren hingehen, was auch das Leben ausmacht. Eben auch das schöne, auch im Alltäglichen. Nur die Zerstörung, das "Schlechte" zu zeigen, und das zu zeigen was schief geht, schließt das aus, was auch an Positiven vorhanden ist. Etwas pathetisch formuliert, die Hoffnung muss bleiben. Gegen diese Seebilder oder ähnliches ist ist nichts einzuwenden, sie zeigen zudem, um was es geht, was auf dem Spiel steht.

Ich mag meistens die direkt Art, wie Kunst mit der Gegenwart umgeht, sie sollte es aber nicht ausschließlich geben. Womit rüttelt man Menschen auf...mit Emotionen. Nicht nur mit Wut, Empörung, Betroffenheit, Mitgefühl, sondern auch mit den Emotionen, die beim Anblick eines Seebildes entstehen können.
Politische Freiheit hängt auch damit zusammen, wie frei Kunst sein kann. Sich selbst zu beschränken, in dem sich Kunst nur so und nicht anders zu beschäftigten hat, als die Probleme zu bearbeiten, ist nicht wirklich Freiheit. So in der Art.

Irgendwie kam mir beim schreiben das Adorno Zitat in den Sinn. Aber das ist wohl ein anderes Thema.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Jörn Budesheim
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Fr 16. Aug 2019, 17:27

Stefanie hat geschrieben :
Di 13. Aug 2019, 21:58
Tut sie so doch.
Ich schätze jedoch, die Forderung der Aktivisten ist, dass ich nicht manche Kunst damit beschäftigt, sondern Kunst generell :( sonst hätten sie auf diese Zettel Aktion wahrscheinlich verzichtet.

Ansonsten stimme ich dir in deinen Ausführungen eigentlich weitgehend zu.




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Jörn Budesheim
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Sa 24. Aug 2019, 16:56

Schüler im zweiten Brief hat geschrieben : Eine Frage*, welche sonst nur durch das blinde Recht des Stärkern beantwortet wurde, ist nun, wie es scheint, vor dem Richterstuhl reiner Vernunft anhängig gemacht, und wer nur immer fähig ist, sich in das Centrum des Ganzen zu versetzen und sein Individuum zur Gattung zu steigern, darf sich als einen Beisitzer jenes Vernunftgerichts betrachten, sowie er als Mensch und Weltbürger zugleich Partei ist und näher oder entfernter in den Erfolg sich verwickelt sieht. Es ist also nicht bloß seine eigene Sache, die in diesem großen Rechtshandel zur Entscheidung kommt; es soll auch nach Gesetzen gesprochen werden, die er als vernünftiger Geist selbst zu diktieren fähig und berechtiget ist.

*Der Hintergrund dürfte hier die französische Revolution sein.
Schiller bezieht sich an verschiedenen Stellen auf die Ethik Kants. Hier hat er Alethos dazu einen Thread eröffnet > https://www.dialogos-philosophie.de/viewtopic.php?t=713




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