Bessarion: Über Natur und Kunst (De Natura et Arte)

Im Zuge der philosophischen und Debatten der letzten 30 Jahre sind Theorien des Schönen und philosophisch inspirierte Theorien medialer Erfahrungen zunehmend in den Vordergrund gerückt.
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Philosophist
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Di 22. Aug 2017, 19:10

In diesem Thread würde ich gern auf Bessarion Schrift "Über Natur und Kunst" eingehen. Bessarion selbst ist ein weiterer byzantinischer Philosoph (später als Psellos, das aber nur kurz nebenbei angemerkt) , der in diesem Buch eben über dieses Verhältnis von Natur und Kunst reflektiert, wo er sich vor allem auch auf Platon und Aristoteles bezieht.

So heißt es beispielsweise (Bessarion . Meiner 2015, S.5ff.):

" Erstes Kapitel: Aristoteles vertritt im zweiten Buch der Physik die These, dass die Natur alles um etwas willen hervorbringe, auch wenn sie doch ganz offensichtlich nicht überlege, denn auch die Kunst bringe, auch wenn sie nicht überlege, dennoch alles um etwas willen hervor. Ihn berichtigt Plethon und behauptet im Anschluss an die Platoniker, dass sowohl die Kunst selbst als auch die Natur, indem sie überlegen, das hervorbringen, was sie hervorbringen. Dagegen macht sich ein gelehrter Mann , unser Gefährte Theodoros aus Thessalonike , zum Anwalt des Aristoteles: Sowohl Plethon als auch die Platoniker, so schreibt er, sprächen weder zutreffend noch wahr; denn weder Kunst noch Natur überlegten. Die Überlegung gelte nämlich nur für die Mittel, bei denen es ungewiss und unbestimmt ist, ob sie zum vorliegenden Zweck führten. So wie für Natur und Kunst ihr Zweck selbst gewiss und bestimmt sei, so seien auch die Mittel gewiss und bestimmt, die zum Zweck führen. Daraus folge, dass weder Natur und Kunst überlegten. Und da sich das Hervorbringen und Handeln voneinander unterscheiden, , werde ferner der Kunst das Hervorbringen und der Klugheit das Handeln zugewiesen. Überlegung nämlich beziehe sich nicht auf den Gegenstand des Hervorbringens , sondern auf den des Handelns. Und folglich beziehe sich das Überlegen nicht auf die Kunst, d.h. auf die mit Vernunft verbundende hervorbringende Haltung, sondern auf die Klugheit, d.h. auf die mit Vernunft verbundene handelnde Haltung."

Stichwörter: Kunst (τεχνη), Natur (φυσις), überlegen (βουλευσθαι), hervorbringen ( ποιειν ) , handeln ( πραττειν ), Klugheit ( φρονησις ) , Vernunft ( λογος ) , Zweck ( τὲλος)

Das vielleicht als eine Art "Einstieg" bzw. als (erste) Orientierung über Bessarions Diskurs (weitere Zitate sind auf Wunsch gern möglich). Ich selbst bin kein Experte für Bessarion, aber finde diesen Traktat durchaus interessant auch für heutige Diskussionen über Natur und Kunst. Es setzt allerdings soweit ich sehe auch Kenntnis in der griechischen Philosophie (der platonisch-aristotelischen Philosophie) voraus. Denn auf diese bezieht sich Bessarion hier. Und die hier entwickelte Argumentation ist zugegebenerweise schon etwas "tricky".

Soweit von meiner Seite (erstmal) dazu. Und vielleicht ist ja jemand mit dieser Materie etwas näher vertraut. Auf jedenfall wäre eine anschließende Diskussion dieser Stelle (auch vielleicht in allgemeinerer Art) und darüberhinaus natürlich wünschenswert.

PS: Ich beziehe mich hierbei auf die zweisprachige Meiner -Ausgabe , die vor kurzem (2015) erschienen ist, werde aber der Einfachheit halber vor allem nur die deutsche Übersetzung berücksichtigen. Philosophiegeschichtlich gehört der Traktat übrigens ins 15. Jahrhundert soweit ich sehe (also Renaissance-Philosophie /Philosophie des 15. Jahrhunderts).

Zu Bessarion selbst sei noch empfohlen zur Lektüre dieser gute Überblicksartikel bei wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Basilius_Bessarion

Aus dem Klappentext der Ausgabe:

"Die in ihrem Umfang knappe, in ihrer gedanklichen Dichte anspruchsvolle Schrift Über Natur und Kunst ist in gleicher Weise für Philosophiehistoriker des Altertums wie auch für Byzantinisten und Historiker der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Philosophie von höchstem Interesse.

In seinem Werk »Über Natur und Kunst« beschäftigt sich Bessarion mit der Frage, ob Natur und Kunst ihre Produkte mit Überlegung hervorbringen oder nicht. Seine Schrift steht im Kontext der Aristoteles-Kritik, die Georgios Gemistos (Plethon) während des Konzils von Ferrara / Florenz (1438/9) in Über die Unterschiede zwischen Platon und Aristoteles formulierte. Dort betont er, dass kein zweckbestimmtes Erzeugen ohne Überlegen möglich sei.

Den Kern von Bessarions Traktat bildet eine Stellungnahme gegen Georg von Trapezunt, der die hitzige Diskussion um Aristoteles und Platon dazu genutzt hatte, in einem Pamphlet Bessarion als Intellektuellen und möglichen Kandidaten für den Papstthron zu diskreditieren. In seiner Antwort auf die Frage, ob Natur und Kunst überlegten, versucht Bessarion, Platon und Aristoteles unter Anerkennung der vorrangigen Stellung Platons zu harmonisieren. Gleichzeitig zeigt er, dass die Lehre Platons und der Platoniker mit der christlichen Theologie des Ostens und Westens völlig übereinstimme.

Eben dieser Versuch macht Bessarion zu einer zentralen Figur im Prozess der Übertragung der platonischen Philosophie aus dem byzantinischen Osten in die Welt der Renaissance und Über Natur und Kunst zu einem der wichtigsten Rezeptionszeugnisse der byzantinischen Philosophie dieser Zeit.

Die Ausgabe enthält eine Neuedition des griechischen Textes, die editio princeps der bis jetzt unveröffentlichten, von Bessarion selbst erstellten lateinischen Übersetzung sowie eine neue Edition der von Niccolò Perotti überarbeiteten lateinischen Fassung dieses Textes. Eine ausführliche Einleitung und ein umfangreicher Kommentar erschließen den Text, der hier zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt wurde."



φιλοσοφος και σοφιστες

"(...) sondern weil die Philosophie wesentlich eine menschliche, d.h. endliche Möglichkeit ist, deshalb steckt in jedem Philosophen ein Sophist." (Heidegger ,Gesamtausgabe, Band 27, S.24)

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iselilja
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Di 22. Aug 2017, 20:06

Spannendes aber auch schwieriges Thema, das ein breites Spektrum an Betrachtungs- und Diskussionsmöglichkeiten bietet.

Zentraler Begriff (ohne dabei jetzt eine Diskussionsrichtung vorgeben zu wollen), auch wenn er nur beiläufig auftaucht, scheint mir telos zu sein. Von seinem Verständnis hängt das Verständnis des Übrigen ab.

Das Ziel kann auf zwei wesentliche Weisen erreicht werden. Einmal durch Bestimmung im Sinne von nicht verfehlbar (also Vorbestimmtheit) und einmal durch Verfolgung im Sinne von etwas zuvor Bestimmtes nicht aus den Augen zu lassen und dorthin zu streben. Dreh- und Angelpunkt hierbei ist sicherlich durch was das Ziel bestimmt wird. Ist es allein durch die Voraussetzungen bereits bestimmt, fällt die Überlegung heraus. Reichen die Voraussetzungen nicht, um dieses Ziel zu erreichen, könnte durch Überlegung nachgeholfen werden.

Ich lass es erst mal bei dieser kurzen Betrachtung. Da kommt gewiß noch einiges nach.




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Philosophist
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Registriert: Sa 12. Aug 2017, 20:01

Di 22. Aug 2017, 20:12

iselilja hat geschrieben :
Di 22. Aug 2017, 20:06
Spannendes aber auch schwieriges Thema, das ein breites Spektrum an Betrachtungs- und Diskussionsmöglichkeiten bietet.

Zentraler Begriff (ohne dabei jetzt eine Richtung vorgeben zu wollen), auch wenn er nur beiläufig auftaucht, scheint mir telos zu sein. Von seinem Verständnis hängt das Verständnis des Übrigen ab.

Das Ziel kann auf zwei wesentliche Weisen erreicht werden. Einmal durch Bestimmung im Sinne von nicht verfehlbar (also Vorbestimmtheit) und einmal durch Verfolgung im Sinne von etwas zuvor Bestimmtes nicht aus den Augen zu lassen und dorthin zu streben. Dreh und Angelpunkt hierbei ist sicherlich durch was das Ziel bestimmt wird. Ist es allein durch die Voraussetzungen bereits bestimmt, fällt die Überlegung heraus. Reichen die Voraussetzungen nicht, um dieses Ziel zu erreichen, könnte durch Überlegung nachgeholfen werden.

Ich lass es erst mal bei dieser kurzen Betrachtung. Das kommt gewiß noch einiges nach.
Nun das Thema/die Argumentation ist gewiss nicht einfach. Und die Begrifflichkeit (also telos oder phronesis oder logos oder techne/physis usw) spielt hier schon eine wichtige Rolle für die Ausführungen. Also das Verständnis dieser genannten Begriffe ist nicht unwesentlich.

Es ist erinnert glaube ich gut an das aristotelische Denken über Mittel /Zweck (Ziel), wenn man dies etwas kennt. Ich glaube man findet dazu auch was in der Metaphysik des Aristoteles (wo dieser sich auch zur Kunst äußert, sofern ich mich richtig erinnere). Auch der Begriff Überlegung scheint auf Aristoteles zurückzugehen.

Das erstmal auch als eine eher relativ kurze Antwort von meiner Seite dazu (fürs erste).



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