Einen Tisch wahrnehmen

Im Zuge der philosophischen und Debatten der letzten 30 Jahre sind Theorien des Schönen und philosophisch inspirierte Theorien medialer Erfahrungen zunehmend in den Vordergrund gerückt.
Burkart
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Do 13. Okt 2022, 13:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 12:31
Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 09:18
Wann etwas aufgeräumt ist, darüber gehen bei Menschen die Meinung aus verschiedenen Gründen sehr auseinander
Das behauptest du einfach. Woher willst du das wissen? Hast du eine Statistik erhoben?
Da muss ich nur die Ansicht meiner Partnerin und meine eigene abgleichen ;)



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Jörn Budesheim
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Do 13. Okt 2022, 13:13

Das ist keine sinnvolle Datengrundlage. Zudem werden ihr ganz sicher deutlich mehr Übereinstimmungen haben, als du denkst. Wenn ihr beide einen Messi-Haushalt mit einem komplett cleanen vergleicht, wird nicht eine:r den Messi-Haushalt als ordentlich ansehen und der/die andere den Cleanen als unordentlich.




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AufDerSonne
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Do 13. Okt 2022, 13:57

Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 13:06
Da muss ich nur die Ansicht meiner Partnerin und meine eigene abgleichen ;)
Jetzt würde die Diskussion interessanter. Wenn nämlich Ordnung ins Spiel kommt.
In Gegensatz zu Wahrnehmung, die unmittelbar gegeben ist, ist Ordnung möglicherweise etwas, das wir lernen müssen.
Ordnung in einem Zimmer ist etwas Schönes. Es ist angenehm, wenn Ordnung herrscht in einem Zimmer. Auch wenn es sauber ist.
Oder vielleicht müssen wir Ordnung nicht einmal lernen. Ich denke, jeder Mensch merkt von Natur aus, ob Ordnung ist oder nicht.



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Jörn Budesheim
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Do 13. Okt 2022, 14:23

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 13:57
In Gegensatz zu Wahrnehmung, die unmittelbar gegeben ist
Meinst du, Neugeborene können sofort Tische und Suppenteller wahrnehmen? Sicher nicht.




Burkart
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Do 13. Okt 2022, 14:34

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 13:57
Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 13:06
Da muss ich nur die Ansicht meiner Partnerin und meine eigene abgleichen ;)
Jetzt würde die Diskussion interessanter. Wenn nämlich Ordnung ins Spiel kommt.
In Gegensatz zu Wahrnehmung, die unmittelbar gegeben ist, ist Ordnung möglicherweise etwas, das wir lernen müssen.
Ordnung in einem Zimmer ist etwas Schönes. Es ist angenehm, wenn Ordnung herrscht in einem Zimmer. Auch wenn es sauber ist.
Oder vielleicht müssen wir Ordnung nicht einmal lernen. Ich denke, jeder Mensch merkt von Natur aus, ob Ordnung ist oder nicht.
Da überschätzt du Ordnung aber. Klar, es gibt Kriterien für sie, z.B. aufsteigende Größe o.ä., aber sie ist alles andere als eindeutig.
Zum einen mag es mehrere Ordnungskriterien geben, die aber nicht alle gleich(zeitig) erfüllbar sind, z.B. die Sortierung von Büchern nach Kategorie ODER Autor ODER Größe, Farbe etc.
Zum zweiten mag der eine ein Kriterium lieber, der eine ein anderes - und damit kann keines objektiv einfach richtig sein.

Bei der Wohnung mag es für einige perfekt ordentlich sein, wenn kein einziger Gegenstand irgendwo sichtbar herumsteht.
Meine Wohnung ist dagegen pragmatisch aufgebaut bzw. sortiert: Da haben Gegenstände durch eine Anwesenheit/Positionierung z.T. eine bestimmte Bedeutung - das ist für mich (meine) Ordnung, die für andere sicher nicht (so) nachvollzogen werden kann.



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Jörn Budesheim
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Do 13. Okt 2022, 14:53

Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 14:34
Da überschätzt du Ordnung aber.
Du meinst also, ein nennenswerter, statistisch relevanter Prozentsatz hält Messi-Wohnungen für ordentlich.




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Do 13. Okt 2022, 15:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 14:53
Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 14:34
Da überschätzt du Ordnung aber.
Du meinst also, ein nennenswerter, statistisch relevanter Prozentsatz hält Messi-Wohnungen für ordentlich.
Nö; alleine durch dein Ausdruck "Messi-Wohnungen" glaubst du wohl auch nicht dran. Nur gut, dass es mehr als nur Schwarz und Weiß gibt...



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Lucian Wing
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Do 13. Okt 2022, 15:07

A: Ich finde in diesem Saustall nichts.
B: Klar.
A: Warum räumst du dann nicht auf?
B: Wozu?
A: Um hier etwas Ordnung reinzubringen.
B: Ordnung ist im Kopf. Wer die hat, braucht nicht zu suchen.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Der Subjektivismus ist unbesiegbar, da kann man nichts machen.




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Jörn Budesheim
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Do 13. Okt 2022, 15:31

Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 15:02
Nur gut, dass es mehr als nur Schwarz und Weiß gibt [von mir hervorgehoben]
Das ist lustig. Denn schließlich behaupte ich ja, dass es Schwarz, Weiß und die entsprechenden Übergänge gibt. (An keine Stelle behaupte ich, dass es zwischen Ordnung und Unordnung keine Übergänge gibt.)

Während du jedoch behauptest, Ordnung und Unordnung gäbe es nicht, das sei alles subjektiv.




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AufDerSonne
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Do 13. Okt 2022, 15:38

Aber es soll ja hier im einen Tisch gehen, den wir wahrnehmen.
Vielleicht wäre folgendes Gedankenexperiment noch interessant.
Einmal ist der Tisch leer und einmal ist ein Gegenstand darauf, etwa eine Tasse.
Was ist der Unterschied in der Wahrnehmung?



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Do 13. Okt 2022, 15:49

Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 14:34
Da überschätzt du Ordnung aber. Klar, es gibt Kriterien für sie, z.B. aufsteigende Größe o.ä., aber sie ist alles andere als eindeutig.
Zum einen mag es mehrere Ordnungskriterien geben, die aber nicht alle gleich(zeitig) erfüllbar sind, z.B. die Sortierung von Büchern nach Kategorie ODER Autor ODER Größe, Farbe etc.
Zum zweiten mag der eine ein Kriterium lieber, der eine ein anderes - und damit kann keines objektiv einfach richtig sein.
Interessant finde ich deine Idee von einer Wohnung, wo nichts irgendwo herumsteht. Wörtlich ist das ja gar nicht möglich, sonst wäre die Wohnung leer.

Es gibt sicher verschiedene Kriterien für Ordnung. Trotzdem können wir alle zwischen einem Saustall (Lucian Wing :D ) in einem Zimmer und Ordnung unterscheiden.
Mir kommen jetzt noch die nach der Größe geordneten natürlichen Zahlen, also 1, 2, 3 usw. in den Sinn. Da scheinen wir uns dann alle einig zu sein, wie die Ordnung sein muss.



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Do 13. Okt 2022, 17:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 15:31
Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 15:02
Nur gut, dass es mehr als nur Schwarz und Weiß gibt [von mir hervorgehoben]
Das ist lustig. Denn schließlich behaupte ich ja, dass es Schwarz, Weiß und die entsprechenden Übergänge gibt. (An keine Stelle behaupte ich, dass es zwischen Ordnung und Unordnung keine Übergänge gibt.)
Dann ist ja gut.
Während du jedoch behauptest, Ordnung und Unordnung gäbe es nicht, das sei alles subjektiv.
Und wo habe ich behauptet, dass es gar keine gibt? Nich' doch...



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Do 13. Okt 2022, 17:38

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 15:49
Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 14:34
Da überschätzt du Ordnung aber. Klar, es gibt Kriterien für sie, z.B. aufsteigende Größe o.ä., aber sie ist alles andere als eindeutig.
Zum einen mag es mehrere Ordnungskriterien geben, die aber nicht alle gleich(zeitig) erfüllbar sind, z.B. die Sortierung von Büchern nach Kategorie ODER Autor ODER Größe, Farbe etc.
Zum zweiten mag der eine ein Kriterium lieber, der eine ein anderes - und damit kann keines objektiv einfach richtig sein.
Interessant finde ich deine Idee von einer Wohnung, wo nichts irgendwo herumsteht. Wörtlich ist das ja gar nicht möglich, sonst wäre die Wohnung leer.
Das war auch vor allem als extremes Beispiel gedacht.
Es gibt sicher verschiedene Kriterien für Ordnung. Trotzdem können wir alle zwischen einem Saustall (Lucian Wing :D ) in einem Zimmer und Ordnung unterscheiden.
Extreme zu unterscheiden ist meist einfach. Aber bist du dir sicher, dass du jede Ordnung erkennen würdest und nicht z.T. als Unordnung ansehen würdest?
Mir kommen jetzt noch die nach der Größe geordneten natürlichen Zahlen, also 1, 2, 3 usw. in den Sinn. Da scheinen wir uns dann alle einig zu sein, wie die Ordnung sein muss.
Hier liegt ja auch nur ein Ordnungskriterium vor, halt die Zahl. Was machst du z.B. mit Buch1, Zeitung1, Buch2, Zeitung2? Hier kann man z.B. nach Büchern oder Zeitungen sortieren. Wenn man sich Buch-Thema-1 usw. vorstellt, würde eine Sortierung nach Thema-1 u.U. sinnvoller sein.



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Jörn Budesheim
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Fr 14. Okt 2022, 21:31

Diese Stelle hatte ich weiter oben erwähnt, jetzt trage ich sie mal aus dem Buch zitiert nach
Karl R. Gegenfurtner, in "Gehirn & Wahrnehmung" hat geschrieben : Kinderzeichnungen sind nicht perspektivisch genau, sondern zeigen Form und Größe so, wie wir sie aufgrund von Konstanzmechanismen wahrnehmen. Ein Kind zeichnet einen Tisch, den es vor sich sieht, als Rechteck mit parallelen Seiten, Teller sind eher Kreise als Ellipsen. Dem gegenüber steht die besondere Zeichenfähigkeit mancher autistischer Kinder, die bereits im Vorschulalter nicht sichtbare Linien auslassen, eine korrekte Verkürzung verwenden und die relative Größe von Gegenständen wie Kopf und Rumpf perspektivisch richtig ins Bild setzen. Dieses »Talent« stellt sich jedoch bei näherer Betrachtung als ein kognitives Problem dar: Das begriffliche Denksystem steuert die Zeichenfähigkeit deshalb nicht, weil es sich nicht entwickelt hat. Diese Kinder können aus dem Gedächtnis eine sehr genaue Wiedergabe einer Vorlage anfertigen, einen kognitiv relativ unverarbeiteten visuellen Eindruck abrufen, während eine Klassifizierung der gesehenen Objekte nicht gelingt. Wenn in fortgeschrittenem Alter die autistische Störung nachlässt und die Kinder sprechen lernen, lässt auch die außerordentliche zeichnerische Fähigkeit nach.




Timberlake
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Fr 14. Okt 2022, 22:04

Burkart hat geschrieben :
Do 13. Okt 2022, 09:18
Timberlake hat geschrieben :
Mi 12. Okt 2022, 23:33
Burkart hat geschrieben :
Mi 12. Okt 2022, 10:13

Mir ist (auch!?) nicht klar, was es genauer nachzuspüren und zu vertiefen gibt. Dass Mensch mit seinen Sinnen wahrnimmt, ist ja irgendwie klar.
Vielleicht wird dir das klar, wenn man sich fragt , ab wann ein Tisch unaufgeräumt ist.
Ich fürchte, das ist nicht das, was Jörn hier im Thread meint(e).

Na dann frage ich mich doch ernsthaft, warum der Themenstarter in dem Beitrag , mit dem er diesen Thread eröffnet hat , explizit darauf verwiesen hat ..
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 21:16
Das soll kein weiterer Thread sein über Erkenntnistheorie sein oder Spektizismus. In diesem Faden gilt es daher als gesetzt, dass es erstens Tische gibt und dass wir sie zweitens wahrnehmen können.

Außerdem soll es um die Wahrnehmung von Menschen und nicht etwa von Hunden oder Katzen gehen. Der Gegenstand der Wahrnehmung soll explizit ein Tisch sein, und nicht etwa ein Stein. Denkbar und passend wäre z.b, die Wahrnehmung eines unaufgeräumten Schreibtisches zu thematisieren.

Ziel ist, von mir aus auch auf lockere Art und Weise, den Begriff der Wahrnehmung nachzuspüren und ihn etwas zu vertiefen.
.. wenn schon denn schon ist zu befürchten, dass ihm das "Denkbare und Passende" zu diesem Thema offensichtlich nicht mehr denkbar und passend erscheint.




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Jörn Budesheim
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Sa 15. Okt 2022, 09:12

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 12. Okt 2022, 11:41
Rein wahrnehmungstheoretisch gesehen nehmen wir ein Objekt, eine auf eine bestimmte Art und Weise zusammengesetzte Ansammlung von Molekülen wahr, die uns "erscheinen".
Stellen wir uns noch mal den Tisch vor und platzieren darauf (wie weiter oben, wenn ich mich richtig entsinne, vorgeschlagen) ein Glas. Das Glas stellen wir in Gedanken an den Rand des Tisches und zwar so, dass der Fuß ungefähr zu einem Drittel oder zur Hälfte über den Rand hinausragt, aber so, dass das Glas geradeso nicht fällt.

Wir stellen uns dann vor, wir kommen gerade in das Zimmer, das Glas steht wie beschrieben auf dem Tisch und was sehen wir? Ich würde meinen, wir sehen, dass das Glas fragil steht und zu fallen droht.

Nur zur Sicherheit: Wenn wir nun antworten, wir wissen aus Erfahrung, dass Gläser, die am Rande des Tisches stehen, fallen können, dann ist die Frage, was wir sehen gar nicht tangiert, sondern bloß beiseite gewischt.

Stattdessen frage ich mich, WAS wir wahrnehmen. Ich würde sagen, im vorliegenden Fall sehen wir eben u.a., dass das Glas zu fallen droht. Die Wahrnehmung ist also auch durchzogen von Möglichkeiten und Wertungen. Wenn wir sehen ja, dass das Glas, möglicherweise (in der nahen Zukunft) fallen wird und dadurch vermutlich zerstört werden wird.




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Sa 15. Okt 2022, 10:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 15. Okt 2022, 09:12
.
Stattdessen frage ich mich, WAS wir wahrnehmen. Ich würde sagen, im vorliegenden Fall sehen wir eben u.a., dass das Glas zu fallen droht. Die Wahrnehmung ist also auch durchzogen von Möglichkeiten und Wertungen. Wenn wir sehen ja, dass das Glas, möglicherweise (in der nahen Zukunft) fallen wird und dadurch vermutlich zerstört werden wird.
Nach Russell haben die Sinnesdaten nicht viel mit dem Tisch zu tun, wenn wir ihn wahrnehmen.
Der Tisch ist zwar die Ursache der Sinnesdaten, aber das ist auch schon fast alles.
Und dann unterscheidet er noch die Sinnesdaten vom Erlebnis des Wahrnehmens. Ich glaube, das nennt er dann die Empfindung.
Unsere Wahrnehmung ist doch durchsetzt mit Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit mit Tischen gemacht haben.
Wie würden wir zum Beispiel reagieren, wenn der Tisch ein Meter über dem Boden in der Luft schwebt? Wir würden die Ursache suchen, wieso er das tut. Denn das wäre nicht normal.
Bei dem Beispiel mit dem fast fallenden Glas würde ich mich noch fragen. Wie kam das Glas dorthin? Und wie kam der Tisch dorthin, wo er steht? Ist der Tisch rund oder eckig?
Daraus folgt. Bei der Wahrnehmung eines Tisches setzen wir doch viele Sachen als selbstverständlich voraus, die in die Wahrnehmung hineinfließen. Es ist klar, dass der Tisch auf dem Boden steht und nicht in der Luft schwebt, zum Beispiel.
Zuletzt geändert von AufDerSonne am Sa 15. Okt 2022, 10:26, insgesamt 1-mal geändert.



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Sa 15. Okt 2022, 10:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 15. Okt 2022, 09:12

Wir stellen uns dann vor, wir kommen gerade in das Zimmer, das Glas steht wie beschrieben auf dem Tisch und was sehen wir? Ich würde meinen, wir sehen, dass das Glas fragil steht und zu fallen droht.
Meine Überlegung dazu wäre: Ab wann sieht man das? So etwas zu sehen setzt Wissen und Erfahrung voraus. Wissen und Erfahrung ermöglichen uns, eine Wahrnehmung zu interpretieren, also das, was gesehen wird, zu verstehen.

Ein Anderthalbjähriger weiß vielleicht noch nichts von der Zerbrechlichkeit von Glas oder davon, wann ein über den Rand stehender Gegenstand möglicherweise das Übergewicht bekommt und fällt. Aber von dieser Beziehung zwischen zwei Objekten zu wissen, wäre m.E. Voraussetzung dafür, die Position des Glases auf dem Tisch innerhalb des Akts des Sehens als eine prekäre zu erkennen.

Wissen wirkt sich auf Wahrnehmung aus. Einer der alles über Bäume weiß, sieht mehr als einer, der nur weiß, dass das ein Baum ist. Ein Botaniker wird einem feinste Linien auf einem Blatt oder einer Blüte zeigen, die dem normalen Sehen in der Regel verborgen bleiben. Und wenn ich in den Urwald gehe mit einem Indigenen, dann würde der mich im Grunde als dreiviertel blind verlachen.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Sa 15. Okt 2022, 10:30

Angenommen der Tisch im Wohnzimmer würde einen Meter über dem Boden schweben. Meine Frau und ich betreten das Zimmer und ich würde mich dann heran machen, die Ursache zu erforschen. Ich glaube meine Frau würde dann (ganz zurecht) an meinem Geisteszustand zweifeln. Das hätte schon etwas kafkaeskes, wie Gregor Samsa, der sich in ein Ungeziefer verwandelt im Bett vorfindet und sich dann Gedanken darüber macht, ob er noch pünktlich zur Arbeit erscheinen kann.




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