Ein shitstorm für ein Gedicht!

Im Zuge der philosophischen und Debatten der letzten 30 Jahre sind Theorien des Schönen und philosophisch inspirierte Theorien medialer Erfahrungen zunehmend in den Vordergrund gerückt.
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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 09:45

"Judith Zander erhält den wichtigsten Preis für deutschsprachige Lyrik, den Peter-Huchel-Preis, und wird darauf mit vielen Kommentaren auf Facebook kritisiert. Sie vermute dahinter „Besitzneid“, sagte die Schriftstellerin im Dlf ..."

Hier geht es zu dem Interview in deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/eine-neu ... 4-100.html

Hier geht es zum shitstorm: https://m.facebook.com/story.php?story_ ... 4265286076

Ich habe sowohl den Shitstorm gelesen, als auch mir selbst das Gedicht mehrmals laut und leise vorgelesen. Je öfter ich das Gedicht lese, desto besser gefällt es mir. Besonders schön finde ich, dass die Dichterin viele alte Wörter verwendet, die ich so noch nie gelesen habe. Ich hätte nie gedacht, dass es das Wort Kuckucksspucke wirklich gibt :)

Kuckucksspucke
Kuckucksspucke oder Kuckucksspeichel, regional auch Hexenspucke genannt, ist eine volkstümliche Bezeichnung für die Schaumnester der Schaumzikaden, in denen ihre Larven leben ...

wiesenschaumkraut
Das Wiesen-Schaumkraut ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Schaumkräuter in der Familie der Kreuzblütengewächse. Das Verbreitungsgebiet umfasst weite Teile der Nordhalbkugel ...

lichtkeimer
Lichtkeimer sind Pflanzen, deren Samen nur dann optimal keimen, wenn sie ausreichend Sonnenlicht abbekommen. Deshalb sind bei der Aussaat von Lichtkeimern einige Dinge zu beachten...




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Sa 4. Feb 2023, 10:17

Neben diesen wunderbaren Wörtern Schwänzer, Lichtkeimer, Kuckucksspucke und Wiesenschaumkraut stehen plötzlich der Waldlehrpfad, das Wald- und Wiesenlexikon und der Grundbucheintrag.

Da prallen doch sehr gegensätzliche Vorstellungen von Natur aufeinander, oder?




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 10:40

Im Shitstorm zu dem Gedicht hat sich jemand darüber beschwert, dass der Begriff "Follower" vorkommt, das sei unpassend. Für mich ist das ein wichtiger Hinweis. Als ich das gelesen habe, ist mir klar geworden, dass das vielleicht eines der Kompositionsprinzipien des Gedichts ist. Das heißt, es werden Begriffe aus verschiedenen Bereichen in den Versen einander gegenübergestellt, wenn man so will.




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 10:44

In dem Gedicht taucht kein "lyrisches Ich" auf, auch kein du, er, sie, es und ihr ... ausschließlich wir. Im Moment habe ich das Gefühl, dass es vielleicht um eine Erinnerung geht, etwas was tatsächlich erlebt wurde wird bruchstückhaft geschrieben?! Wie auch immer: je öfter ich es lese, umso "heimischer" fühle ich mich und umso mehr schöne Dinge entdecke ich.




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 11:14

Hier noch ein weiterer hilfreicher Beitrag aus dem shitstorm: jemand hat bemerkt, dass das Wort "grundlegende" vieldeutig ist, eine Möglichkeit es zu lesen ist: Grund - Legende. Das gefällt mir sehr gut!

Für mich war das Wort "grundlegende", wie ich bei Facebook geschrieben habe, eine Anthropologie in einem Wort. Über die diversen Facetten des Wortes "Grund" muss ich in einem Philosophie-Forum wohl nicht viele Worte verlieren :) in dem Gedicht kommt es jedoch noch weitere Nuancen, weil es direkt mit diversen Landschaftsbildern konfrontiert wird.

Der Umstand, dass das Wort Legende in Text noch mal auftaucht, spricht für diese Interpretation. Außerdem gibt es Legenden ja auch auf Plänen und Karten!




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Lucian Wing
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Sa 4. Feb 2023, 11:54

"Authentische Lyrik kommuniziert etwas, bevor sie verstanden wird" - wird T.S. Eliot im Rundfunkbeitrag zitiert. Wenn der Satz wahr ist, dann beschäftigen sich Literaturkritiker damit, verstandene Lyrik darauf abzuklopfen, ob sie, bevor sie verstanden wurde, schon etwas kommuniziert hat.

Wenn jemand auf dem Gesichtsbuch an Loriots "Krawehl, krawehl" erinnert, dann halte ich das für keinen Shitstorm. Ich glaube, der Shitstorm ist eher eine Subventionierung der Dichterin durch Deutschlandradio. Lyrik hat ja in der Regel Auflagen von kaum über 1.000 Exemplaren, hier verkauft der Verlag dann vielleicht einmal 1.000 mehr.

Lyrik ist innerhalb der Literatur eine geschlossene Welt einiger Spezialisten und in der Regel nur für Eingeweihte goutierbar, wenn sie nicht im fröhlichen Reimschema daherkommt. Frau Zander sollte sich sagen: Wem der Schaden nützt, sollte den Spott begrüßen. Denn Aufmerksamkeit rechnet sich.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 14:02

Hier ein Interview mit Insa Wilke, die zu den Jurymitgliedern zählt und über ihre Entscheidung berichtet: https://www.swr.de/swr2/literatur/juror ... 3-100.html




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 14:07

Auch die Zeit berichtet aktuell über den Preis sowie den shitstorm, aber leider nur in der Bezahlausgabe. Hat jemand von euch zufällig Zugang dazu und kann berichten?




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 15:23

...
in einem acte de volonté
verlaufene sind
wir ...
Die Stelle gefällt mir besonders gut, sie wirft auch ein gewisses Licht auf das Verhältnis von Philosophie und Lyrik.




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Feb 2023, 15:58

"Wenn man so zerrissen wird, ist es heftig": Nora Gomringer über den schweren Stand der Lyrik

Nora Gomringer [...] bedauert den schlechten Ruf, den die Lyrik heute in der Gesellschaft habe. Das zeigten die negativen Facebook-Reaktion auf Huchel-Preisträgerin Judith Zander. Dabei habe gerade Spoken Word das Potential zum Massenphänomen.

https://www.swr.de/swr2/literatur/nora- ... n-100.html
Der Name wird einigen vielleicht bekannt vorkommen, Nora Gomringer ist die Tochter von Eugen Gomringer. Sie ist selbst Dichterin und erzählt in dem Interview, dass der Shitstorm in Lyrikerkreisen große Beachtung findet, denn "wenn man so zerrissen wird, ist es heftig".




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Lucian Wing
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Sa 4. Feb 2023, 16:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Feb 2023, 14:07
Auch die Zeit berichtet aktuell über den Preis sowie den shitstorm, aber leider nur in der Bezahlausgabe. Hat jemand von euch zufällig Zugang dazu und kann berichten?
Jau, ich schau mal nach. In der Printausgabe ist mir nix aufgefallen. Ich werde berichten.



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Lucian Wing
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Sa 4. Feb 2023, 16:18

Ein völlig unaufgeregter Artikel, der auch nicht von "Shitstorm" spricht:
[...] Die Jury lobte ihre "nuancierte Wortarbeit" und die "hohe Musikalität" ihrer Sprache. Nur leider sahen das viele Nutzer in den sozialen Medien anders und witterten bei der 42-jährigen Dichterin aus dem brandenburgischen Jüterbog statt großer Verskunst nur eine wahllose Aneinanderreihung von Wörtern.

Und so ergoss sich nach der Preisbekanntgabe durch den SWR der lyrische Volkszorn über den hier abgedruckten Text, bei dem die fehlende Großschreibung nur das geringste Verständnisproblem war. Neben den allfälligen Verweisen auf Loriots Dichterparodie Krawehl, Krawehl und auf Hape Kerkelings Musikerstreich Hurz! durften da auch der weniger appetitliche "geschwollene Quark" und die "KI im Endstadium" nicht fehlen. Sperrig, schwer zugänglich, als Gedicht nicht zu gebrauchen, so die einhellige Meinung der SWR-Community.

...
Danach noch das Gedicht. Und hier bestätigt sich auch meine Angabe zur Auflage von Lyrik. Ich persönlich hätte mich zum Gedicht niemals geäußert irgendwo (ich äußere mich sowieso zu nix außerhalb der beiden Foren, in denen ich schreibe).

Kunert war klüger als Zander. Er hat mal auf die Frage, warum er so schwer verständlich schreibe, geantwortet, warum sie (die fragende Dame) so schwer verstehe.



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Sa 4. Feb 2023, 16:33

Zunächst erst einmal danke, dass du dir die Mühe gemacht hast das zu kopieren. Ich glaube aber nicht, dass wir hier den gesamten Artikel zeigen dürfen - aus Gründen des Copyright. Deswegen habe ich, um rechtliche Probleme zu vermeiden, ein wenig gekürzt. Du kannst es natürlich gegen eine Version, die ganz anders gekürzt ist, ersetzen. (Bzw ich würde das natürlich für dich erledigen.) Vielleicht würde der zweite Teil, der sich nicht der Beschreibung des shitstorms widmet, sogar besser passen?

Sorry, aber das konnte ich jetzt so nicht stehen lassen, das könnte sonst für uns teuer werden.




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Sa 4. Feb 2023, 17:17

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 4. Feb 2023, 16:18
Kunert war klüger als Zander. Er hat mal auf die Frage, warum er so schwer verständlich schreibe, geantwortet, warum sie (die fragende Dame) so schwer verstehe.
Ich habe einmal aus dem Interview paraphrasiert, was Judith Zander auf die Frage, "Muss neue Lyrik denn so schwer sein?" (Zeit) geantwortet hat:

"Moderne Lyrik muss überhaupt nicht schwer sein, aber sie darf sich natürlich sprachlicher Ausdrücke bedienen, die vielleicht dem alltäglichen Sprachgebrauch zuwiderlaufen. Es ist doch ein Anspruch an Lyrik, dass sie mit Sprache etwas anderes macht als zum Beispiel ein Facebook-Post. Wenn sie das nicht täte, hätte sie eigentlich keine Existenzberechtigung ..."

Wer das gesamte Interview hören will: https://www.deutschlandfunk.de/eine-neu ... 4-100.html

Die Antwort von Kunert ist natürlich lustig und schlagfertig. Ich finde die kurzen Erläuterungen von Zander aber ebenfalls sehr gut.




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Jörn Budesheim
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So 5. Feb 2023, 08:00

Ich habe bei Facebook versucht, mit einigen, die sich zu dem Gedicht geäußert haben, in ein produktives Gespräch zu kommen, manchmal ist es tatsächlich gelungen. Chat GPT war in dem gesamten Faden bei Facebook durchgängig ein Thema. Aber diese Userin hat in dem Dialog mit mir später die Probe aufs Exempel gemacht. Das fand ich eigentlich eine ganz lustige Idee.
Facebook Userin hat geschrieben : Von der humanen zur kuenstlichen Intelligenz - hier der Versuch von ChatGTP, das Gedicht zu interpretieren: "Dieses Gedicht ist sehr abstrakt und es fällt schwer, eine eindeutige Interpretation zu geben. Es scheint eine Art Reflektion über die Identität und das Selbstverständnis der Sprecherperspektive zu sein, die sich als "vermessen" und "schwänzer" bezeichnet. Es wird erwähnt, dass eine Art "Parole" ausgegeben wurde, aber diese scheint nicht bekannt oder offiziell dokumentiert zu sein. Es scheint, dass die Sprecherperspektive sich selbst als "Follower von Spuren und Strukturen" bezeichnet, aber nicht in der Lage ist, ihre Identität oder ihr Ziel vollständig zu beschreiben. Schließlich scheint es, dass die Sprecherperspektive auf der Suche nach einem "Abkommen" in die "ungeschilderten Bäume" ist, um sich selbst zurückzurufen"
Facebook Userin hat geschrieben : Zusaetzlich habe ich dann ChatGTP gefragt, ein eigenes Gedicht in aehnlichem Stil zu schreiben - das kann ChatGTP nicht! Die Gedichte waren dermassen platt, das ich nach ein paar Versuchen aufgegeben habe. Ich finde das Gedicht immer noch unverstaendlich, aber die Tatsache, dass ChatGTP im Vergleich so dermassen unfaehig ist, hat mich etwas versoehnt. Man braucht eben doch einen Menschen, um originell zu sein.
JB hat geschrieben : "die Identität und das Selbstverständnis der Sprecherperspektive" ich hatte das gestern schon an anderer Stelle gepostet, dass "lyrische Ich" taucht in diesem Gedicht gar nicht auf! Auch du, er/sie/es, ihr, sie/Sie fehlen. Es gibt nur das wir!
JB hat geschrieben : es gibt etwas, was die Maschine auf keinen Fall kann: sich nämlich das Gedicht selbst laut vorlesen und den Klang hören. Dieses musikalische, ganz körperliche Moment steht ihr gar nicht zur Verfügung. Und ich bin mir sicher, dass das für jedes Gedicht einen ganz wichtigen Teil ausmacht.




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Lucian Wing
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Feb 2023, 17:17
Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 4. Feb 2023, 16:18
Kunert war klüger als Zander. Er hat mal auf die Frage, warum er so schwer verständlich schreibe, geantwortet, warum sie (die fragende Dame) so schwer verstehe.
Ich habe einmal aus dem Interview paraphrasiert, was Judith Zander auf die Frage, "Muss neue Lyrik denn so schwer sein?" (Zeit) geantwortet hat:

"Moderne Lyrik muss überhaupt nicht schwer sein, aber sie darf sich natürlich sprachlicher Ausdrücke bedienen, die vielleicht dem alltäglichen Sprachgebrauch zuwiderlaufen. Es ist doch ein Anspruch an Lyrik, dass sie mit Sprache etwas anderes macht als zum Beispiel ein Facebook-Post. Wenn sie das nicht täte, hätte sie eigentlich keine Existenzberechtigung ..."
Nach meinem Verständnis darf Lyrik alles. Die Aussage über den Anspruch an Sprache, in der Lyrik mehr aus ihr zu machen als einen Facebook-Post halte ich für ein Strohmannargument. Ihr zu sagen, dass man ihre Lyrik zu verquast empfindet, ist keine Forderung, sie möge klingen wie ein FB-Post. Ich habe mal ein nettes Büchlein gelesen, das hieß "Kunst hassen", in dem die Autorin kritisch hinterfragt, warum wir eigentlich gehalten sind, vor Ehrfurcht zu erstarren vorm Kunstwerk, obwohl wir es weder verstehen noch bewundern und keiner drauf käme, was gemeint sein könnte, ohne den Arzt oder Apotheker der Interpretationskunst zu fragen. Das kann man auf Lyrik übertragen: warum eine Anreihung von Worten, nur weil "Lyrik" draufsteht und eine bestimmte Gattung von "Experten" einen Preis verleiht, bewundern? Was sie da geschrieben hat kommt mir vor wie die aus praktischer Alltagssicht absurden Kreationen auf dem Laufsteg oder bestimmte Designermöbel, die für eine erlauchte Kundschaft entworfen und vorgeführt werden. Hinzuschauen und das dann ironisch zu kommentieren ist wie im Café an der Promenade zu sitzen und die Flaneure zu kommentieren. Da hat's halt auch ziemlich schräge Vögel drunter. Wie in der Lyrik, wo manche Wortreihung halt aussieht wie ein zusammengefallenes Soufflé, wo man sich vergeblich müht, Form und ursprüngliche Absicht zu erraten.



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Lucian Wing hat geschrieben :
So 5. Feb 2023, 09:42
Ich habe mal ein nettes Büchlein gelesen, das hieß "Kunst hassen", in dem die Autorin kritisch hinterfragt, warum wir eigentlich gehalten sind, vor Ehrfurcht zu erstarren vorm Kunstwerk, obwohl wir es weder verstehen noch bewundern und keiner drauf käme, was gemeint sein könnte, ohne den Arzt oder Apotheker der Interpretationskunst zu fragen.
Niemand ist gehalten sind, vor Ehrfurcht vorm Kunstwerk zu erstarren.




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Lucian Wing
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Feb 2023, 16:34
Lucian Wing hat geschrieben :
So 5. Feb 2023, 09:42
Ich habe mal ein nettes Büchlein gelesen, das hieß "Kunst hassen", in dem die Autorin kritisch hinterfragt, warum wir eigentlich gehalten sind, vor Ehrfurcht zu erstarren vorm Kunstwerk, obwohl wir es weder verstehen noch bewundern und keiner drauf käme, was gemeint sein könnte, ohne den Arzt oder Apotheker der Interpretationskunst zu fragen.
Niemand ist gehalten sind, vor Ehrfurcht vorm Kunstwerk zu erstarren.
Ich meine damit: so, wie uns das Design eines Autos oder einer Uhr oder eines Möbelstücks missfallen kann, so kann einen auch ein Stück Lyrik zum Spott herausfordern.

Die Lyriker haben das Pech, dass sich ihre Produkte nicht verkaufen wie Objekte, von denen keiner auf die Idee käme, sie als Kunst zu verstehen, bevor nicht ein Experte sagt, dies sei Kunst. Könnten die Reichen sich mit Lyrik schmücken wie mit Gemälden oder sonstigen der Kunst zugerechneten Objekten, wäre Judith Zander sicher gerade ihrer Unzugänglichkeit auch für durchaus textaffine Leser wegen sicher steinreich. Aber bei Lyrik ist es genau anders herum wie bei Kunst: je mehr "Experten" mit Deutungen beschäftigt sind, desto weniger wird einer gelesen. Nur wer ins Gerede kommt, verkauft 100 Exemplare mehr.



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Gedichte lesen: 20 Strategien. Eine Anleitung für Ratlose

Veröffentlicht von G13

Fast jeder hat schon einmal ratlos vor einem Gedicht gestanden. Gedichte können uns emotional oder intellektuell berühren, aber mindestens genauso wahrscheinlich ist es, dass sie uns abschrecken ...

https://gdreizehn.com/2017/02/24/gedich ... l%C3%A4sst.




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