Liegt Schönheit im Auge des Betrachters?

Im Zuge der philosophischen und Debatten der letzten 30 Jahre sind Theorien des Schönen und philosophisch inspirierte Theorien medialer Erfahrungen zunehmend in den Vordergrund gerückt.
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Jörn Budesheim
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Sa 29. Jul 2017, 11:05

Ich will hier auch noch mal den Teil zitieren, bei dem es um Wein geht. Meines Erachtens kann es gar keine Frage sein, dass man auch in solchen Bereichen lernen kann und dass man lernen kann heißt einfach, dass dort etwas ist, was nicht von dem abhängig ist was ich bereits schmecken kann.

Reiner Wein - objektiv

Zum Abschluss dieses Potpourris, ein kurzes Statement von Barry Smith, der sich der Philosophie des Weines widmet. Bis zur Vorbereitung auf diesen Vortrag war mir gar nicht bewusst, dass es so etwas überhaupt gibt. Dazu ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview:

Frage: Wie können Sie tatsächlich richtig liegen in Bezug darauf, wie ein Wein schmeckt?

Barry Smith: Der Gedanke, dass wir nicht richtig [oder falsch] liegen können [dass also Geschmack im Gaumen des Trinkers liegt] und dass alles nur subjektiv ist, also in dem Sinne, dass etwas mir hier und jetzt nur so erscheint, ist falsch. Wir wissen doch alle, dass wir nicht den vollen Geschmack dieses edlen Cabernet Sauvignon [...] erfahren werden, wenn wir uns gerade die Zähne geputzt oder in eine Zitrone gebissen haben. Uns ist also bewusst, dass bestimmte Vorbedingungen erfüllt sein müssen, und natürlich auch hinsichtlich des Weins, damit man zu einem Ergebnis gelangt.




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iselilja
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Sa 29. Jul 2017, 14:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Ich finde nicht, dass das stimmt. Meines Erachtens ist es durchaus möglich, dass man sich in seinen Urteilen über Kunstwerke irrt; ebenso wie es möglich ist, dass man in seinen Urteilen über Kunst lernt. Meines Erachtens geschieht das sogar recht häufig.

Ich sehe keinen Grund dafür, warum es nicht eine Schule des Sehens geben könnte, die einen dazu führt, die Dinge besser zu erfassen.
Bei Kunstwerken gebe ich Dir durchaus recht, es kann tatsächlich sein (oftmals sogar), dass nach entsprechender Betrachtung und geistiger Widmung ein Urteil zustandekommt, wonach wir dann eben auch sagen "es ist schön".

Vielleicht ist es sinnvoll zwischen spontan empfundener Schönheit und sich entwickelndem Verständnis (welches dann ebenfalls als schön empfunden werden kann) zu unterscheiden. Etwa wie man von Liebe auf den ersten Blick spricht, aber auch von Liebe, die erst mit der gemeinsamen Zeit entsteht.

ps: Ich glaube gerade bei Kunstwerken kommt der Komplexität diverser Sinneseindrücke eine wichtige Rolle zu - im Unterschied zum Kosten eines Weines bspw.




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Jörn Budesheim
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So 30. Jul 2017, 07:22

Was wir als schön empfinden ist eng mit dem verknüpft was wir wissen (und wie genau wir hinsehen).
[...]

Nur: Spricht das nicht eher für die Subjektivität des Schönen? Denn wie kann etwas objektiv mal schön und dann mal nicht schön sein?


Nehmen wir einen gänzlich anders gelagertes Beispiel. Jemand betrachtet eine Röntgenaufnahme. Was er dort erkennen wird, ist eng verknüpft, mit dem was er weiß und wie genau er hinschaut. Ein Arzt wird dort sicherlich anderes und vor allen Dingen mehr erkennen und eine genauere Diagnose abgeben können als ein Laie. Das spricht sicherlich nicht für die Subjektivität von Röntgenaufnahmen :)

Dein Beispiel mit dem Gesicht kann, muss aber nicht, anders gelagert sein. Dass man ein Gesicht von Mal zu Mal anders sieht, kann damit zusammenhängen, dass man andere Momente des Gesichtes erkennt und in den Blick nimmt. Es kann aber auch damit zusammenhängen, dass der eigene Blick gefärbt ist, etwa wenn man verliebt ist oder wenn man missgelaunt ist. Oft werden solche verschiedenen Aspekte so ineinander spielen, dass man sie nur schwerlich trennen kann.

Ich bin bekanntermaßen der Ansicht, dass die gängige Meinung “Schönheit liegt im Auge des Betrachters”, insbesondere wenn damit gemeint ist, dass schön ist was gefällt, verfehlt ist. Damit meine ich, nicht alles was man über Kunst oder Schönheit sagen und fühlen kann, lässt sich auf individuelle Präferenzen zurückführen. Damit werden aber individuelle Präferenzen und persönlich gefärbte Blicke nicht ausgeschaltet, ignoriert oder geleugnet.

Meines Erachtens kann man sehr wohl zwischen dem, was man mag und zwischen dem, was tatsächlich gut ist unterscheiden. Ich z.b. mag sehr selten bestimmte Formen von Free Jazz. Ich käme aber niemals auf die Idee, aus diesem Umstand zu folgern, dass Free Jazz schlechte Musik ist. Das wäre doch absurd.

Oder nehmen wir den Weinkenner von oben. Vielleicht kann er die Qualität einer bestimmten Sorte perfekt schmecken und auch gut begründen; aber obwohl er weiß und auch schmeckt, dass dieser Wein zu den Besten gehört, gehört seine Vorliebe vielleicht einem Wein, der weniger qualitätvoll ist... Möglicherweise, weil er damit eine angenehme Erinnerung verbindet oder was auch immer. Gut denkbar ist natürlich auch, dass seine individuellen Präferenzen und Erlebnisse sein Urteil hier und da beeinträchtigen.

Meines Erachtens kann und sollte man begrifflich zumindest unterscheiden zwischen erstens den vielfältigen objektiven Eigenschaften, welche ein Kunstwerk selbst aufweist. Zweitens unserer Fähigkeit (die nicht automatisch vorhanden sein und manchmal erst ausgebildet werden muss), diese Eigenschaften richtig zu erkennen. Und drittens unseren vielfältigen individuellen Präferenzen. Damit verbinde ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Aufzählung.

Wenn man jetzt jedoch den Begriff des richtigen Erkennens aus einem anderen Bereich in den Bereich der Kunst zu importieren versucht, dann wird man ihn natürlich verfehlen. Um den größtmöglichsten Kontrast zu haben, nehme man vielleicht als verfehltes Beispiel mathematische Aufgaben. Dort ist in aller Regel nur eine einzige Lösung die richtige, die Wahrheit ist zumeist klar bestimmt. So etwas gilt in der Kunst natürlich nicht. In aller Regel gehört zum Wert der Kunst, dass sie eine gewisse Offenheit hat. Offenheit ist jedoch nicht Beliebigkeit. Ein großer Teil der Missverständnisse, und ich glaube auch der Ablehnung, die meine Theorie oft erntet, liegt hierin begründet. Man hört irgendwie den Begriff “objektiv” und denkt dann sofort an die objektiven Naturwissenschaften, die strenge Logik, die Präzision der Mathematik oder was auch immer. Man hat den Begriff der Objektivität gewissermaßen an diesen Gegenstandsbereichen gebildet und versucht ihn dann, wie ich finde zu Unrecht, auf andere Bereiche eins zu eins zu übertragen.

Aber der Hauptwitz meiner Vorstellung ist ja, dass die Kunst ein vielfältiger Bereich eigenen Rechts ist. Was es dort und nur dort heißt, etwas richtig in den Blick zu nehmen, das lässt sich natürlich nicht am Beispiel der exakten Naturwissenschaften oder der Logik (oder diversen anderen Bereichen) verstehen. Das lässt sich nur innerhalb dieses Bereiches selbst und immer nur jeweils am konkreten Beispiel erfassen.




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epitox
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Tommy hat geschrieben :
Jörn Budesheim hat geschrieben : Der Mensch und alle seine Sinnanstrengungen sind nun aus dem Bild verschwunden.
Ich habe diesen Satz jetzt 12 Mal gelesen.
Egal wie, ich halte das was er aussagen will für völlig unmöglich.
Wir können das zwar versuchen, aber es ist schlicht nicht machbar.
Genau darauf will Gabriel aber hinweisen! Beispielsweise hält sich die Naturwissenschaft für "objektiv", weil sie glaubt, dass sie keine explizite Einstellung zur Natur besitzt. Eine solche Haltung impliziert dann eine Vorstellung, die man mit dem Ausdruck "Welt ohne Zuschauer" wiedergeben kann. ("Blick aus dem Nirgendwo" (Thomas Nagel)

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Lustigerweise kann man z.B. Farben gar nicht als elektromagnetische Wellen betrachten, ohne einen erheblichen theoretischen, also weltanschaulichen Aufwand zu betreiben.

Eletromagnetische Wellen sind niemandem unmittelbar zugänglich, der nicht die geeigneten Sinne dafür hat.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Fr 4. Aug 2017, 10:11

Das ist sicher richtig. Aber glücklicherweise ist kein Naturwissenschaftler darauf festgelegt, ein Naturalist zu sein, kein Physiker muss ein Physikalist sein und kein Biologe ist auf Biologismus verpflichtet :) und kein Psychologe muss Psychologismus egal in welcher Form für richtig erachten.

Bei meinem Vorbereitungen zu dem Vortrag hatte ich insgesamt das Gefühl, dass Naturwissenschaftler sich viel leichter damit tun z.b. das Universum oder ihre Theorie oder die Natur als schön zu bezeichnen als z.b. manche naturalistisch gesinnte Philosophen.




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epitox
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Jörn Budesheim hat geschrieben : Das ist sicher richtig. Aber glücklicherweise ist kein Naturwissenschaftler darauf festgelegt, ein Naturalist zu sein, kein Physiker muss ein Physikalist sein und kein Biologe ist auf Biologismus verpflichtet :) und kein Psychologe muss Psychologismus egal in welcher Form für richtig erachten.
Ich pflichte dir zwar bei - jemand der Physik btreibt, muss nicht notwendigerweise Naturalist sein - aber das ist hier nicht gemeint. Ein Naturwissenschaftler versteht unter Objektivität einstellungslos/überperspektivisch zu arbeiten. Die Folge ist eine Erklärungslücke: Mentale Zustände z.b. - Die Wahrnehmung der Rotheit eines rotes Bildes - findet der Physiker nicht im Gehirn wieder.

Licht:
Die Wellenlänge von rotem Licht ist nicht adäquat zu der Erfahrung, die ich mit der Rotheit des Bildes mache - d.h. die "Rotheit" ist keine physikalische Eigenschaft und damit sind Aussagen dass Begriffe wie "Rotes Licht" und "Licht der Wellenlänge 400nm" identisch sind, falsch!

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Jörn Budesheim
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Fr 4. Aug 2017, 10:58

Eine Erklärungslücke entsteht doch nur, wenn man glaubt, dass die ontologische Provinz, die man bearbeitet, bereits alles ist und unser Wissen darüber alles lückenlos erklären können müsste.




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epitox
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Jörn Budesheim hat geschrieben : Eine Erklärungslücke entsteht doch nur, wenn man glaubt, dass die ontologische Provinz, die man bearbeitet, bereits alles ist und unser Wissen darüber alles lückenlos erklären können müsste.
Die Ursache dieses Problems ist die "ontologische Provinz" in Form eines Monismus/Materialismus. Dieser muss aber nicht notwendigerweise scientifisch geprägt sein. Die Erklärungslücke selbst ist natürlich ein Scheinproblem!

epitox




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Jörn Budesheim
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Sa 5. Aug 2017, 07:16

epitox hat geschrieben : Die Ursache dieses Problems ist die "ontologische Provinz" in Form eines Monismus/Materialismus.
So richtig verstehe ich nicht, was du damit meinst. Kannst du es vielleicht noch mal erläutern?




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Jörn Budesheim
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Do 17. Aug 2017, 08:43

Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 21:36
Den letzten Aha Effekt hatte ich hier beim Lesen des Threads Liegt die Schönheit im Auge des Betrachters.
Welchen denn, wenn ich fragen darf?!




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Stefanie
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Do 17. Aug 2017, 09:13

Dein Beitrag vom 30.07.2017 07.22 Uhr. (Beitragsnummerierung wäre doch schön)

Deine Position zu diesem Thema hatte ich bislang nur ansatzweise verstanden, und hatte dann aber beim lesen endlich den Effekt... "ach sooo meint er das. *puuh* "
Das bedeutet aber nicht, dass ich alles mitgehe, darüber bin ich mir noch nicht klar, und ob ich alles bis ins kleinste Detail verstanden habe (vor allem wenn Du immer dieses Weinbeispiel bringst).



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Jörn Budesheim
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Fr 25. Aug 2017, 08:22

Tommy hat geschrieben :
Sa 29. Jul 2017, 12:39
Ich erlebe das vor allem bei Menschen immer wieder.
Menschen, die ich auf den ersten Blick als "nicht schön" oder unattraktiv ansehe, werden bei längerer Bekanntschaft immer "schöner", oder auch umgekehrt.
Ich weiß nicht wie das zusammenhängt, aber es ist so.

Nur: Spricht das nicht eher für die Subjektivität des Schönen? Denn wie kann etwas objektiv mal schön und dann mal nicht schön sein?
Tommy hat geschrieben :
Fr 18. Aug 2017, 23:16
Weil ich das Video gerade sehe:
Das ist ein schönes Beispiel für das Thema "Ist Schönheit subjektiv".
Als der Song damals erschien, also vor gut 3 Dekaden, war ich überzeugt davon, dass Marie Fredriksson keine schöne Frau ist.
Kurze Haare. Geht gar nicht an einer Frau. Und tanzen kann die auch nicht. Und die Klamotten erst. Was hat die denn für einen Geschmack.

Heute finde ich die junge Fredriksson extrem sexy. Ich mag ihre freche Frisur. Ich mag ihren Stil. Und diese Stimme in Verbindung wie sie sich bewegt: Was für eine Frau!
Ist doch komisch, oder? So ändert sich das. Und noch komischer ist, dass ich gar nicht weiß warum ich damals so empfunden habe und heute so.
So ist das mit der Schönheit.




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Jörn Budesheim
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Fr 25. Aug 2017, 08:29

Diese Beispiele sind eigentlich kein ernstes Problem für meine Sichtweise. Ich leugne ja nicht, dass es so etwas wie Geschmack gibt. Ich bezweifle nur, dass mit "Geschmack/Geschmackssache" beim Thema Schönheit schon alles gesagt ist. Etwas technischer formuliert, heißt es dazu in meinem kleinen Vortrag: "Die Gegenposition, die ich vertreten werde, heißt dann einfach: Nicht alle wertenden ästhetischen Aussagen lassen sich in Aussagen über individuelle Präferenzen übersetzen." Die Beispiel, die du bringst, sind problemlos damit vereinbar.

Ich hatte ja weiter oben schon ein paar Zeilen dazu geschrieben, die zeigen sollen, dass die "Geschmacksthese" bei den Beispielen mit den Gesichtern, die man plötzlich schöner findet als zuvor, nicht alternativ los ist, das lässt sich auch anders erklären: "Dass man ein Gesicht von Mal zu Mal anders sieht, kann [schiere Geschmacksache sein, es kann aber auch] damit zusammenhängen, dass man andere Momente des Gesichtes erkennt und in den Blick nimmt. Es kann aber auch damit zusammenhängen, dass der eigene Blick gefärbt ist, etwa wenn man verliebt ist oder wenn man missgelaunt ist. Oft werden solche verschiedenen Aspekte so ineinander spielen, dass man sie nur schwerlich trennen kann." Daneben kann der eigene Blick natürlich auch reifer geworden sein, so dass man die Schönheit der Dinge besser erkennen kann :-)




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Stefanie
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So 27. Aug 2017, 22:18

Wenn ich es richtig verstanden habe, lässt sich die Position von Jörn ähnlich wie ein Prüfungsschema abhandeln, d.h. mit Leben füllen. (nun gut, JuristInnen lernen subsumieren, das schlägt wohl gerade etwas durch.)
(Ich befürchte, ich bekomme es mit dem Zitieren nicht richtig hin, so mal als Vorwarnung.)

1.
Jörn:
Meines Erachtens kann und sollte man begrifflich zumindest unterscheiden zwischen erstens den vielfältigen objektiven Eigenschaften, welche ein Kunstwerk selbst aufweist.

Bei Gesichtern hieße dies zum Beispiel:
dass man andere Momente des Gesichtes erkennt und in den Blick nimmt.
So, also die objektiven Eigenschaften des Gesichtes erkennen und das nicht nur einmal, sondern am besten mehrmals, vielleicht auch in zeitlichen Abständen, weil es könnte sein, dass sich der Blickwinkel geändert hat, und nun etwas an dem Gesicht erkannt wird, was vielleicht vorher z.B. nur nebensächlich erschienen war. Vielleicht hier im Beispiel der Popsängerin die Augenstellung, Mund, Nase etc.

2. Dann, das wohl schwierigste:
Zweitens unserer Fähigkeit (die nicht automatisch vorhanden sein und manchmal erst ausgebildet werden muss), diese Eigenschaften richtig zu erkennen
.
Nun, bei dem Ursprungsbeispiel Kunst könne es man erlernen, was ich logisch finde. Bei Gesichtern die persönliche Entwicklung und Erfahrung, aus der gelernt wird. Was mit Nr.1 einhergeht. Mit 15 Jahren fand man(n) vielleicht das Make-Up ätzend und mit 40 Jahren erkennt man(n) erst richtig das ganze Gesicht. So in etwa.

3.
Und drittens unseren vielfältigen individuellen Präferenzen.

Ich denke, so richtig gezielt trennbar sind die Schritte nicht, vielmehr fließend. Bei der Fähigkeit zu erkennen spielt wohl mit rein, in wieweit jemand schon Erfahrungen gesammelt hat. Vielleicht auch das Alter.
Bei Kunst glaube ich aber schon, dass ein bestimmtes Wissen um die Eigenschaften deutlich mehr Gewicht hat, als bei der Frage Schönheit von Gesichtern.
Die jeweilige Stimmungslage und vielleicht auch persönliche Lebenslage oder Lebensabschnitt hängen irgendwie so darüber.

Wie aber persönliche Ansichten bzgl. gesellschaftlicher, politischer und religiöser Hinsicht Einfluss nehmen, ist mir nicht ganz klar. Dem AfD- Mann, der gegen ein bestimmtes Kunstwerk auf der documenta wetterte, kann man wahrscheinlich noch zu viel erklären, er wird die Eigenschaften nicht sehen wollen, obwohl er vielleicht sogar die Fähigkeit hätte, dies zu tun, und wenn dann noch individuelle Präferenzen zu bestimmten Fragen alles überstrahlen, wird das nichts, ob dieser Mann beurteilen kann, ob das besagte Kunstwerk schön ist oder nicht.



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Alethos
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So 27. Aug 2017, 23:33

Da trauen wir uns schon sehr viel zu, wenn wir beurteilen wollen, ob jemand einen genügend ausgebildeten Blick habe, um etwas als schön beurteilen zu können. Denn die Bewertung von politischen Implikationen unterstehen wiederum einem Schönheitsurteil z.B. über Gerechtigkeit, Angemessenheit, Korrektheit dieser politischen Einstellung. Es liegt wohl nicht in unserem Vermögen, die Schönheitsempfinden anderer objektiv als vollständig oder defizitär zu beurteilen :)
Überhaupt würde ich politische Gesinnung und Schönheitsurteilsfähigkeit nicht so ohne weiteres vermischen wollen.

Aber ich finde die Vorstellung sympathisch, dass man lernen könne, die Schönheit eines Objekts zu erkennen und dass dieses Lernen die eigene Lebenswirklichkeit und -einstellung verändern kann. Einer Subtilität Raum zu geben, damit ihre Schönheit aufblühen könne, das hat doch schon auch mit einer inneren Einstellung zu tun.

Ich tendiere zur Ansicht, dass Schönheit die Fähigkeit eines Objekts ist, in mir Wohlgefallen zu erzeugen. Das impliziert, dass am Objekt die Potenzialität liegt, als schön empfunden zu werden und ich denke, dass es hier auch ganz eingespielte Muster gibt, wo sich Schönheit einstellt. Sie wurden genannt: Proportionalität, Symmetrie etc.

Wir sprechen doch auch von Schönheitsidealen, und in einer platonischen Lesart wäre man vielleicht geneigt, von ewig gültigen absoluten Schönheitskriterien zu reden. Soweit möchte ich nicht gehen zu behaupten, dass es diese absoluten Kriterien gebe, ganz im Gegenteil. ich glaube aber, dass es in den Objekten eine Lust gibt, in uns tätig zu werden :) und dass dieses Kraft unerschöpflich ist. Ob man sie naturalistisch deutet als 'schwingende Atome' oder als 'neuronales Feuerwerk', das ist dann eigenlich nebensächlich, weil die Formalität des Entstehens von Schönheit nur eine Lesart ihrer vielfältigen Erscheinungen ist.



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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2017, 08:13

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 28. Jul 2017, 10:35
Gerade wenn man zeigen möchte, dass Schönheit etwas Objektives ist, übernimmt man auch die Pflicht, die objektiven, "vorliegenden", "vorhandenen" Charakteristika des Schönen klar herauszustellen. Wenn das Schöne eine objektive Eigenschaft ist, dann muss sie doch auch leicht zugänglich, gut beschreib- und nachweisbar sein.
Tommy hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2017, 00:36
Die entscheidende Frage ist, nach welchen (allgemeingültigen?) Regeln diese Fähigkeit [Schönheit zu erkennen] funktioniert, wenn überhaupt.
Ich schätze die beiden Einwände von Hermeneuticus und Tommy sind sehr ähnlich. Meine Antwort darauf habe ich an anderer Stelle schon gegeben.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 29. Jul 2017, 07:46
Die Behauptung, dass unsere Urteile wahr sein können, verpflichtet uns keineswegs auf die Behauptung, dass man klare WahrheitsKriterien angeben können müsse. Meines Erachtens gibt es für keinen Bereich, sei es der theoretische, sei es der ethische, sei es der ästhetische oder sonst einer einfache, klare und allgemeine Wahrheitskriterien, die man auf jedem besonderen Fall anwenden kann.




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Mo 28. Aug 2017, 08:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 25. Aug 2017, 08:29
Ich leugne [...] nicht, dass es so etwas wie Geschmack gibt. Ich bezweifle nur, dass mit "Geschmack/Geschmackssache" beim Thema Schönheit schon alles gesagt ist. Etwas technischer formuliert, heißt es dazu in meinem kleinen Vortrag: "Die Gegenposition, die ich vertreten werde, heißt dann einfach: Nicht alle wertenden ästhetischen Aussagen lassen sich in Aussagen über individuelle Präferenzen übersetzen."
Die Ansicht, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt, besagt im Grunde, dass wir, wann immer wir über Schönheit sprechen, in Wahrheit immer und ausschließlich über Geschmack sprechen. Alle Rede über Schönheit lässt sich (nach dieser Ansicht) im Grunde in eine Rede über persönliche Vorlieben und dergleichen mehr übersetzen. Wer sagt, das und das ist schön, der redet demzufolge nur über seine persönlichen Präferenzen.

Mein Position besagt jetzt nicht das Gegenteil in dem Sinne, dass (umgekehrt) sich jede Rede über Geschmack eliminieren lässt und in wahre Aussagen über Schönheit eintauschen lässt. Ich vertrete nicht die Ansicht, dass es so etwas wie Geschmack gar nicht gibt. Die paradigmatischen Fälle, um die es mir insbesondere geht, sind Urteile über Kunstwerke. Und auch hier gibt es ganz selbstverständlich so etwas, wie Geschmacksfragen im Sinne von persönlichen Präferenzen und Vorlieben. Darauf habe ich in dem Vortrag auch mit Beispielen hingewiesen.

Aus diesem Grund sind Hinweise darauf, dass es so etwas wie Geschmack in bestimmten Fällen doch wohl gibt, gar keine Herausforderung für meine Ansicht :-) Denn das glaube ich selbst auch :-)

Mein Text versteht sich auch nicht als ästhetische Epistemologie oder Methodologie oder etwas in der Art.




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Mo 28. Aug 2017, 09:09

Stefanie hat geschrieben :
So 27. Aug 2017, 22:18
Wie aber persönliche Ansichten bzgl. gesellschaftlicher, politischer und religiöser Hinsicht Einfluss nehmen, ist mir nicht ganz klar. Dem AfD- Mann, der gegen ein bestimmtes Kunstwerk auf der documenta wetterte, kann man wahrscheinlich noch zu viel erklären, er wird die Eigenschaften nicht sehen wollen, obwohl er vielleicht sogar die Fähigkeit hätte, dies zu tun, und wenn dann noch individuelle Präferenzen zu bestimmten Fragen alles überstrahlen, wird das nichts, ob dieser Mann beurteilen kann, ob das besagte Kunstwerk schön ist oder nicht.
So ähnlich sehe ich das auch. Ich mache gelegentlich Führungen durch Ausstellungen. Und manchmal gibt es fast so etwas, wie eine Mauer zwischen Betrachter und Kunstwerk. Das sind die Erwartungen, die man hat, sie können einen (bildlich gesprochen) blind für das machen, was es da zu sehen gibt. Wer zur Kunst geht, aber Kunststückchen erwarten, wird fast immer enttäuscht werden :-)




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Mo 28. Aug 2017, 09:11

Alethos hat geschrieben :
So 27. Aug 2017, 23:33
Aber ich finde die Vorstellung sympathisch, dass man lernen könne, die Schönheit eines Objekts zu erkennen und dass dieses Lernen die eigene Lebenswirklichkeit und -einstellung verändern kann.
Ja, die Schule des Sehens kann das eigene Leben durchaus verändern :-)




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