Sind Kunstwerke tote Materie?

Im Zuge der philosophischen und Debatten der letzten 30 Jahre sind Theorien des Schönen und philosophisch inspirierte Theorien medialer Erfahrungen zunehmend in den Vordergrund gerückt.
Segler
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So 14. Jan 2018, 23:18

Alethos hat geschrieben :
So 14. Jan 2018, 23:09

Aber, willst du mir sagen, dass du keinen Begriff von Kunst hast? Falls nein, dann ist das vielleicht der richtige Thread für uns :)
Kunst ist für mich zweckfreies Handwerk, das sich selbst genügt. Ästhetische Aspekte stehen hier im Vordergrund, Funktionalität spielt keine Rolle. Allerdings sind die Produkte der Bemühungen des Künstlers meiner Ansicht nach Artefakte, die sich nicht wesentlich von Artefakten unterscheiden, die für einen Zweck hergestellt wurden.

Meine Frage lautet nach wie vor: Was sind die Kriterien, die Artifizien von anderen Artefakten unterscheiden? Das Kriterium der Zweckfreiheit reicht nicht aus, um Artifizien so etwas wie "Leben" zuzusprechen.




Constantin
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So 14. Jan 2018, 23:47

Segler hat geschrieben :
So 14. Jan 2018, 20:08
Trotzdem bin ich in der Lage, lebendes von nicht lebendem zu unterscheiden. Kunstwerke leben nicht. Sie sind Artefakte, vom Menschen geschaffene leblose Gegenstände.


Sätze, die Kunstwerken Leben, eine Seele oder dergleichen zusprechen, sind bestenfalls Analogien oder vielleicht auch Metaphern, schlimmstensfalls einfach nur falsch.
Im Anschluss frage ich mich, wozu es gut sein soll, so zu tun oder so zu reden, als würden Kunstwerke leben?




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Jörn Budesheim
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Mo 15. Jan 2018, 06:26

Alethos hat geschrieben :
So 14. Jan 2018, 00:21
Es ist doch denkbar, das beides, Mensch und Kunstobjekt, in der Relationalität zueinander neue Bedeutungsstrukturen ausbilden, in denen ihr ursprüngliches Sein metamorphosiert zu einem jeweils neuen Sein. Es ist nicht undenkbar, dass sich Kunstobjekt und Mensch in dieser Beziehung zueinander in ein neues Sein heben, das nicht mehr das unterscheidbar objektive und subjektive ist.
Cee hat geschrieben :
So 14. Jan 2018, 19:59
Mal zurückgefragt: Warum sollen (verkörperte) Kunstwerke denn keine tote Materie sein? Was wären sie denn, wenn sie keine tote Materie sind?

Dein Argument oben ist übrigens nicht zwingend: eine Zustandsbeschreibung ('x ist tote Materie') muss gar nichts erklären und: ja, gleiche Dinge können unterschiedliche abstrakte Zuschreibungen haben, zB Eigentum (mein Urinal, Dein Urinal).
Ich bezweifle nicht, dass das Urinal Marcel Duchamps auch physische Aspekte hat. Aber dieser Aspekt für sich genommen erklärt nicht, dass ein baugleiches Urinal kein Kunstwerk ist, wie oben bereits erwähnt. Was ich jedoch bezweifle ist, dass dieser Gegenstand dort (das Urinal, das x) bereits das Kunstwerk ist. Es gibt eine Bemerkung von Graham Harman, die für diesen Kontext interessant ist. Harman schreibt, "jede Relationen erzeugt ein neues Objekt". Der Betrachter und das physische Objekt zusammen bilden dementsprechend ein neues Objekt im Sinne Harmans. Und diese Relation ist in viele andere Relationen eingebettet, wie ich oben in dem Text angedeutet habe.

Das Kunstwerk ist also nicht einfach dieses Objekt dort, sondern dieses Objekt dort eingebettet in ein komplexes Set von Relationen. Mit anderen Worten bestreite ich, dass das x für sich genommen überhaupt das Kunstwerk ist.

Das materielle x gehört zwar notwendig dazu, aber es ist nicht hinreichend für das Sein dieses Kunstwerks (Fontaine). Dazu gehört, dass x ursprünglich ein industrielles Produkt ist, Marcel Duchamps Wahl, die entsprechende Kunstgeschichte inklusive der Institutionen, die Betrachter und ihre Erlebnisse und sicherlich einiges mehr. Von diesem Set zu sagen, es sei tote Materie, ergibt nach meinem Dafürhalten einfach keinen Sinn.




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iselilja
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Mo 15. Jan 2018, 08:00

Allein darstellende Kunst geht ja bereits über das hinaus, was wir mit "toter Materie" assoziieren.

Interessant ist bei Kunstwerken nun tatsächlich der Aspekt, auf den @Jörn hinweist, nämlich dass allein das Objekt noch nicht das Kunstwerk ausmacht. Und die Frage nach der Relation von Werk und Betrachter scheint mir auch plausibel genug, denn eine objektive Eigenschaft des Künstlerischen (welche irgendwie am Objekt haften würde) scheint sich selbst irgendwie zu widersprechen. Vielleicht ist das Kunstwerk der Präzedenzfall für die Auffassung, dass der Betrachter das Objekt allein durch sein Betrachtung verändert. Dummerweise versucht man auch oftmals diese Relation in die Physik einfließen zu lassen, wo sie meines Erachtens fehl am Platze ist.




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Jörn Budesheim
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Mo 15. Jan 2018, 09:02

iselilja hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 08:00
Und die Frage nach der Relation von Werk und Betrachter scheint mir auch plausibel genug, denn eine objektive Eigenschaft des Künstlerischen (welche irgendwie am Objekt haften würde) scheint sich selbst irgendwie zu widersprechen.
Die Relation von Betrachter und Kunstwerk ist ein objektives Faktum.




Cee
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Mo 15. Jan 2018, 09:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 06:26

Das Kunstwerk ist also nicht einfach dieses Objekt dort, sondern dieses Objekt dort eingebettet in ein komplexes Set von Relationen.
Genau, fachkundiger Diskurs, die Institutionen, Publikum, Markt, das sind die Relationen, die nach dem modernen Kunstbegriff (Danto, Dickie) aus x ein Kunstwerk machen.

Tot ist's deswegen trotzdem; selbst die Aura (Echtheit, Unnahbarkeit, Einmaligkeit) gibt es heute ja kaum noch. Wie auch, wenn doch zB Sol LeWitt einfach von Connecticut aus in Paris anruft und durchgibt, wie die Handwerker die Gitter an die Wände des Centre Pompidou zu malen haben. Oder wenn die Warhol Foundation, entnervt wegen der vielen Fälschungen und teuren Prozesse, 2011 den Echtheitsstempel einmottet...:-)

Ich kann prima damit leben, dass Kunst tot ist. Dass Kunst aber ein bisserl mehr braucht als Institutionen und Diskurs, das will ich schon annehmen. Vielleicht ist ja der Wunsch, dass ein Kunstwerk nicht tot sei, in Wirklichkeit der Wunsch nach dem Sinnlichen, der Transzendenz in der Kunst. Diesen Wunsch teile ich.

Cee




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Jörn Budesheim
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Mo 15. Jan 2018, 09:55

Allerdings ist "trotzdem" kein Argument, was mich überzeugt :-) Wenn etwas aus vielen Relata besteht, von denen einige fraglos lebendig sind, andere "tote Materie", dann kann das Gesamt nicht einfach eins von beiden sein. Ich schreibe ja nicht, dass Kunst lebendig ist (1), ich schreibe, dass sie nicht tote Materie ist (2). Aus (2) folgt meines Erachtens nicht einfach (1).




Cee
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Mo 15. Jan 2018, 10:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 09:55
Allerdings ist "trotzdem" kein Argument, was mich überzeugt :-)
Nein, kein Argument, sondern eine nach aktuellem Stand der Wissenschaft und Kunsttheorie zutreffende Zustandsbeschreibung.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 09:55
Wenn etwas aus vielen Relata besteht, von denen einige fraglos lebendig sind, andere "tote Materie", dann kann das Gesamt nicht einfach eins von beiden sein.
Doch; wenn ich mich in ein Auto setze, bleibt dieses tot, auch wenn fraglos etwas Lebendiges sogar *im* Objekt sitzt. Auch wenn das Auto sich kurz nach meinem Einsteigen wie von selbst bewegt, bleibt es tote Materie...

Aber solange Du 'tot' nicht definierst, andererseits aber auch 'lebendig' nicht als Gegensatz dazu akzeptierst, ist das ein sprachliches Spiel. Wie Segler oben schrieb: "Sätze, die Kunstwerken Leben, eine Seele oder dergleichen zusprechen, sind bestenfalls Analogien oder vielleicht auch Metaphern, schlimmstenfalls einfach nur falsch."

Cee




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Mo 15. Jan 2018, 12:16

Cee hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 10:37
Doch; wenn ich mich in ein Auto setze, bleibt dieses tot, auch wenn fraglos etwas Lebendiges sogar *im* Objekt sitzt. Auch wenn das Auto sich kurz nach meinem Einsteigen wie von selbst bewegt, bleibt es tote Materie...

Aber solange Du 'tot' nicht definierst, andererseits aber auch 'lebendig' nicht als Gegensatz dazu akzeptierst, ist das ein sprachliches Spiel.
Ich akzeptiere 'lebendig' als Gegensatz von 'tot'. Aber Kunst und Kunstwerke stehen, wie ich finde, quer zu dieser Unterscheidung.

Dein Autobeispiel passt durchaus, meine ich. Wir können gerne sagen das 'Auto' als physischer Gegenstand sei tot und der Fahrer sei lebendig. Und wenn sich der Fahrer in das Auto setzt, dann bleibt das Auto so tot als wie zuvor. Auch wenn das Auto sich kurz nach seinem Einsteigen wie von selbst bewegt, bleibt es tote Materie... Damit bin ich einverstanden*. Das Problem ist: Es geht an meinem Punkt vorbei. Denn ich frage ja nach der Relation und du kaprizierst dich auf die Relata. Schließlich meine ich weiter oben ja selbst, dass einige der Relata in einem Alltagssinn 'lebendig' und andere 'tot' sind. Wie kommen wir mit dem Auto-Beispiel weiter? Wir sind uns (grob) einig: Das Auto ist tot, der Fahrer ist lebendig ... aber zu sagen, dass eine Autofahrt nach München tote Materie ist, ist im Regelfall sinnlos. Die Unterscheidung tot/lebendig passt hier nicht. Das ist meines Erachtens auch nicht bloß ein sprachliches Spiel.

Btw: Nun ist ein Aspekt eines Autos zwar physisch zu sein. Aber darauf beschränkt es sich nicht, wie ich meine. Denn wir verstehen nicht wirklich, was ein Auto ist, wenn er es nicht in Bezug setzen zu unserem Körper unserem Leben und vielen verschieden Praxen.


*wobei man bedenken muss, dass die Rede von toter Materie eher metaphorisch ist. Denn nur, was gelebt hat, kann tot sein. Materie im fraglichen Sinne ist eher unbelebt, würde ich meinen.




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Jörn Budesheim
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Mo 15. Jan 2018, 12:42

Zu der "Autofrage" hab ich vor längerer Zeit mal eine Zeichnung gemacht. Aus dem Web: Die eigenwillige Form des Kabinenrollers bescherte dem Fahrzeug auch seine Spitznamen wie "Menschen in Aspik", "Schneewittchensarg" (wie auch der Volvo P1800) oder "Käseglocke". Wobei ich gleich hinzufügen will, dass ich kein Latourianer bin :-)

Bild




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Jörn Budesheim
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Mo 15. Jan 2018, 12:56

Cee hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 09:37
Ich kann prima damit leben, dass Kunst tot ist. Dass Kunst aber ein bisserl mehr braucht als Institutionen und Diskurs, das will ich schon annehmen. Vielleicht ist ja der Wunsch, dass ein Kunstwerk nicht tot sei, in Wirklichkeit der Wunsch nach dem Sinnlichen, der Transzendenz in der Kunst. Diesen Wunsch teile ich.
Welcher Wunsch steckt dahinter? Ich hab eine gewisser Allergie dagegen, dass manche Formen von Selbstverleugnung als Aufklärung verkauft werden. Und dann wünsche ich dagegen einzuschreiten :-)




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Alethos
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Mo 15. Jan 2018, 13:26

Es gibt doch die Stofflichkeit, nennen wir sie die Materialität des Gegenstandes, und dann vielleicht eine Substanzialität. Wahrscheinlich ist das mit Blick auf einen Kunstgegenstand nicht dasselbe.

Ob der Gegenstand aus Holz oder Metall besteht, mit rauher oder glatter Oberfläche ausgestattet ist etc, ob es diese und jene materialen Eigenschaften hat, das sei einmal seine Stofflichkeit. Aber darüber hinaus hat ja der Gegenstand weitere Eigenschaften, die nicht so sehr seinem Stoff zugeschrieben werden können, sondern eher dem Charakter des Gegenstands, vielleicht auch seiner Bedeutungssubstanz, seiner Sinnhaftigkeit, seiner ästhetischen Wirkung und seinem emotionalen Widerhall in Betrachtern etc. Es gibt auch das Wechselspiel von Licht (das mit dem Objekt interagiert, und manchmal zufällig oder gewollt, mit ihm eine spannungsreiche Bezüglichkeit eingeht.) Cee hat auch von Aura gesprochen, das gehört, finde ich, zur Substanz des Gegenstands als seinem Wesen.

Ich vermute, wir haben es dabei nicht mit einer Anthropomorphisierung zu tun, d.h. es liegt hier nicht nur ein Bedeutungstransfer von Mensch zu Objekt in der Art einer projizierten Bedeutsamkeit, sondern das Objekt selbst hat eine substanzielle Wesentlichkeit, die über sein Materielles hinausgeht. Es ist dieses Gesamt des Objekts, das mit seinen Betrachtern relationale Strukturen ausbildet?



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Jörn Budesheim
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Mo 15. Jan 2018, 14:32

Alethos hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 13:26
Ob der Gegenstand aus Holz oder Metall besteht, mit rauher oder glatter Oberfläche ausgestattet ist etc, ob es diese und jene materialen Eigenschaften hat, das sei einmal seine Stofflichkeit.
Bild

Nehmen wir dazu ein Beispiel: Olaf Holzapfel: Trassen, 550 x 380x 805 cm, Holz Douglasie, 2017; Standort in der Parkaue Kassel > http://olafholzapfel.de/

Hier wäre die Rede von dem "Kunstwerk als toter Materie" auch unabhängig von meiner Argumentation schon fragwürdig, oder? Natürlich hat Holz auch den schieren physischen Aspekt. Eine desengagierte Betrachtung - sagen wir mit Labormethoden - ergäbe zwar interessante Aspekte, aber dabei würde der Bezug auf unser Leben aus dem Blick geraten und dieser Bezug (auch) auf uns selbst, sollte hier durchaus eine Rolle spielen, denke ich. Die Trassen konnte man übrigens tatsächlich oder Gedanken auch "erklettern".




Segler
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Di 16. Jan 2018, 07:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 12:16
... aber zu sagen, dass eine Autofahrt nach München tote Materie ist, ist im Regelfall sinnlos.

Richtig, das ist sinnlos. Der Grund dafür ist allerdings nicht das Wort "tot", sondern das Wort "Materie". Eine Veränderung der Position in der Raumzeit ist keine Materie.




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Jörn Budesheim
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Di 16. Jan 2018, 08:44

Segler hat geschrieben :
Sa 13. Jan 2018, 20:33
Die Merkmale eines Lebewesens sind ein vollständiges Genom und Stoffwechsel. Beides konnte ich bei Kunstwerken bisher nicht beobachten. Also sind Kunstwerke tote Materie.
Segler hat geschrieben :
Di 16. Jan 2018, 07:28
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Jan 2018, 12:16
... aber zu sagen, dass eine Autofahrt nach München tote Materie ist, ist im Regelfall sinnlos.

Richtig, das ist sinnlos. Der Grund dafür ist allerdings nicht das Wort "tot", sondern das Wort "Materie". Eine Veränderung der Position in der Raumzeit ist keine Materie.
Mit anderen Worten: Wer der Ansicht ist, es sei falsch, X das Prädikat "tote Materie" zuzuschreiben, sagt damit nicht zugleich, dass wir bei X "Merkmale eines Lebewesens sind ein vollständiges Genom und Stoffwechsel vermuten" müssen. Ein Gespräch zum Beispiel ist keine "tote Materie", was nicht heißt, dass wir bei dem Gespräch (und nicht bei den Gesprächsteilnehmern) ein vollständiges Genom und Stoffwechsel vermuten dürfen.

Und das heißt, dein Einwand gegen meinen Text basiert auf einem Fehlschluss. Das, was du kritisierst, kommt in meinem Text nämlich gar nicht vor. Es gibt dort keine einzige Stelle, wo ich sage Kunstwerke seien Lebewesen. Und es gibt dort auch nichts, aus dem das folgt.




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Herr K.
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Di 16. Jan 2018, 10:26

Ich denke, der im Ausgangsbeitrag zitierte User auf Facebook will mit seiner Aussage "Schliesslich sind Kunstwerke tote Materie und keine Lebewesen" (den Kontext berücksichtigt) dies sagen: "Kunstwerke sind keine Lebewesen". Wenn man seine Aussage so verkürzt: "Kunstwerke sind tote Materie", dann redet man an seinem Punkt vorbei.

Segler bezog sich wohl auf diese im Ausgangsbeitrag zitierte Aussage.




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Jörn Budesheim
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Di 16. Jan 2018, 10:59

Herr K. hat geschrieben :
Di 16. Jan 2018, 10:26
den Kontext berücksichtigt
Diese vielfältigen Versuche,
die Malerei zu anthropomorphisieren ( was für ein schöner Begriff ),
könnte jetzt mit Fug & Recht als Wiederkehr von Aberglauben, Animismus oder Magie abgetan werden
Man hätte vermutlich gar nicht so Unrecht damit
Schliesslich sind Kunstwerke tote Materie und keine Lebewesen
Ich hab noch mal das Ausgangszitat des Threads gepostet. Ich interpretiere das ungefähr so: Ein typisches Beispiel (neben vielen) für so eine "Anthropomorphisierung" ist die Redeweise, dass uns Kunstwerke "etwas sagen". Kunstwerke werden mit einer solchen Redeweise fälschlicherweise Eigenschaften zu gesprochen - zum Beispiel: "etwas sagen zu können" - die nur Menschen zugesprochen werden können (="Anthropomorphisierung"), während die Bilder in Wahrheit doch bloß "tote Materie" sind. Das leitende Bild dabei ist folgendes: Wir haben "da draußen" ein totes Stück Materie, welches jeder einzelne in seinem Kopf zu einem Kunstwerk macht.

Das Beispiel ("Bilder sagen uns etwas") habe ich dem Zusammenhang entnommen, ich schätze jeder kennt die diversen Redeweisen, die damit gemeint sind. Das leitende Bild, das Paradigma (da draußen ein Stück tote Materie, welche im Kopf zu Kunst wird) hat die Userin auf meine Rückfrage so bestätigt, wobei ich meinen exakten Wortlaut in dem Facebook-Durcheinander nicht mehr finde.
Herr K. hat geschrieben :
Di 16. Jan 2018, 10:26
Ich denke, der im Ausgangsbeitrag zitierte User auf Facebook will mit seiner Aussage "Schliesslich sind Kunstwerke tote Materie und keine Lebewesen" (den Kontext berücksichtigt) dies sagen: "Kunstwerke sind keine Lebewesen".
Die Userin will ein bisschen etwas anderes sagen, schätze ich. Ungefähr so: Wer behauptet, dass Kunstwerke sehr gefühlvoll sind, uns etwas sagen, lebendig sind etc. der antropomorhisiert die Kunst und redet über sie so, als seien sie Lebewesen, wo sie doch in Wahrheit tote Materie sind. Der Startbeitrag ist ein unverändertes Zitat aus FB. Das Gespräch umfasst sehr viele Beiträge. Falls mich meine Erinnerung nicht komplett trügt, hat sich die Userin nie dahingehend geäußert, dass ich sie in meiner Antwort (Du schreibst "Kunstwerke sind tote Materie") verkürzend oder verfälschend zitiert habe. Die Userin hat sich am Ende bei mir für den lebendigen Dialog bedankt - das könnte ein Indiz dafür sein, dass ich sie nicht durchgängig gegen ihre Ansichten, falsch oder verkürzend interpretiert habe :-)
Segler hat geschrieben :
Sa 13. Jan 2018, 20:33
Die Merkmale eines Lebewesens sind ein vollständiges Genom und Stoffwechsel. Beides konnte ich bei Kunstwerken bisher nicht beobachten. Also sind Kunstwerke tote Materie.
Worauf auch immer Segler sich bezieht, ich habe zu seinem Argument Stellung bezogen. Meines Erachtens ist sein Schluss ziemlich offensichtlich falsch. Wäre es zwingend, dann müsste nach meiner Einschätzung auch folgendes gelten: Die Merkmale eines Lebewesens sind ein vollständiges Genom und Stoffwechsel. Beides konnte ich bei Gesprächen bisher nicht beobachten. Also sind Gespräche tote Materie.




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Herr K.
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Di 16. Jan 2018, 11:45

Mit "Kontext" meinte ich nur das Zitat aus dem Ausgangsbeitrag - die Diskussion dort auf Facebook kenne ich nicht. Nun hatte ich wohl "Anthropomorphisierung" anders interpretiert als Du - nämlich, dass man z.B. Kunstwerken eine Seele oder Leben oder dergleichen zuspricht.

Hingegen würde ich Redeweisen wie "diese Skulptur sagt mir etwas", "jenes Bild ist mit sehr lebendigen Farben gemalt", "das ist ein gefühlvolles Musikstück" etc. nicht als Anthropomorphisierung ansehen - das sind mE Metaphern. Dabei werden nicht fälschlich Eigenschaften zugesprochen, denn das ist nicht wörtlich, sondern in einem übertragenen Sinne gemeint.




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Jörn Budesheim
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Di 16. Jan 2018, 12:32

Herr K. hat geschrieben :
Di 16. Jan 2018, 11:45
Dabei werden nicht fälschlich Eigenschaften zugesprochen, denn das ist nicht wörtlich, sondern in einem übertragenen Sinne gemeint.
Das würde ich jedoch in der selben Weise (mit vergleichbaren Argumenten) für falsch erachten.




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Alethos
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Di 16. Jan 2018, 13:20

'Im übertragenen Sinne gemeint' würde ja heissen, dass man eine Bedeutung hineinlegt. Das ist sicherlich oft der Fall, aber z.B. die Schönheit liegt ja nicht im Auge des Betrachters allein. Das ist die These.



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