Re: Was ist Kunst, wie entsteht Kunst
Verfasst: Do 14. Mai 2020, 20:11
Ohne Bild hätte es dieses Staunen nicht gegeben, daraus folgt jedoch nicht, dass das Staunen über das Bild war.
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Nicola Gess hat geschrieben : [Prinz bestimmt] als formales Objekt des STAUNENS das Außergewöhnliche
Prinz spricht vom Außergewöhnlichen, du vom Unerwarteten, das liegt nicht so weit auseinander. Aber wie soll etwas zugleich langweilig und unerwartet bzw außergewöhnlich sein? Das ist ausgeschlossen.Stefanie hat geschrieben : Es kam nur nicht die begehrte Emotion zustande, von der Prinz schreibt. Es wird auch gestaunt bei etwas unerwarteten.
Vielleicht haben die Kunst und die Philosophie das gemeinsam, dass sie in der Lage sind, das Irritierende und Außergewöhnliche im anscheinend Gewöhnlichen und Alltäglichen sichtbar zu machen.augustinus hat geschrieben : Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht.
In dem Interview sagt sie auf die Frage 4Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 22. Mai 2020, 09:27Die Interview-Serie des Kunstbalkons geht weiter. Diesmal wurde die Kasseler Künstlerin Anna Hoffmann befragt > https://kunstbalkon.de/sieben-fragen-an-anna-hoffmann/
Das geht in Richtung Staunen. Es beschreibt eine Art von Staunen. Hochgefühl, Schauer. Nur, wie bei Prinz auch, eine positives, begeisterndes Staunen4. Hat Kunst einen Auftrag, einen Zweck, ein Ziel? Zum Beispiel gesellschaftlicher oder politischer Art?
Kunst hat den Auftrag den Geist zu beflügeln, zu kicken, die Gedanken expandieren zu lassen, das Innen brennen zu lassen, ein Hochgefühl entstehen zu lassen, einen geschmeidigen Schauer zu verbreiten….
Ich verstehe das als eine unvollständige Aufzählung - daher auch die drei Pünktchen. Vielleicht eine Anregung, die Reihe selbst weiterzuführen. Eine Aufzählung, die also nicht den Anspruch erhebt, die Aufgabe der Kunst vollständig zu erfassen, noch glaube ich, dass Anna das streng allgemein verstanden wissen will.Kunst hat den Auftrag den Geist zu beflügeln, zu kicken, die Gedanken expandieren zu lassen, das Innen brennen zu lassen, ein Hochgefühl entstehen zu lassen, einen geschmeidigen Schauer zu verbreiten….
Ich halte den Subjektivismus für falsch. Daraus folgt allerdings nicht, dass ich das Gegenteil des Subjektivismus annehme!itse hat geschrieben : Franz von Kutschera [erläutert den Begriff Subjektivismus folgendermaßen]: „Alle rein wertenden ästhetischen Aussagen lassen sich in solche über subjektive Präferenzen übersetzen". Der Subjektivismus ist also eine naturalistische Position." Die naturalistische/materialistische Einstellung besagt, dass wir von nichts anderem als inneren Einstellungen sprechen, wenn wir von Schönheit sprechen...
Sehr schön!Alethos hat geschrieben : ↑Sa 23. Mai 2020, 13:23Vielleicht ist es die Aufgabe von Kunst, die Wirklichkeit in ihren vielen Perspektiven zu zeigen. Das Dreidimensionale aufzubrechen und dort etwas entstehen zu lassen, wo es dem gewöhnlichen Blick nicht zugänglich sein kann. Als öffnete man eine Tür hinein in ein Mehr an Wirklichkeit, oder als pflanzte man einen Baum, wo nur Wiese war. Oder als malte man ein zusätzliches Auge auf der Würfelseite mit 6 Augen. Das siebte Auge stellt so ein Aufbrechen dar, ein Aufbrechen des Gewöhnlichen, ein Ungewöhnlichmachen der Wirklichkeit sozusagen.
Da passt aber der Begriff "Aufgabe" nicht, mit ihr wird ja in der Regel ein Ziel bestimmt, dies und das zu erreichen. Aber so verstehe ich Kunst nicht: Sie hat keinen Auftrag, sie hat keine Teleologie: Sie zeigt vielmehr die Wirklichkeit in der Erweiterung des Möglichen und schafft so Räume, Sinnräume, wo vielleicht nur Leere war oder Atome oder Theorien über dies und das. Sie verstehe ich aber nicht als Theorie oder Praxis mit Erklärungsauftrag, sondern sie wirkt. Das ist ihr Wesentliches als Wirkliches, dass sie wirkt. Wie alles andere wirkt sie, wie ein Baum, der nicht die Aufgabe hat, Baum zu sein oder ein Blüte, die nicht deshalb strahlt, weil es ihr Auftrag wäre, sondern sie wirkt, wie alles andere, auf alles andere ein, das mit ihr in wie auch immer gearteter Berührung steht. Ihr eigentümlich ist lediglich, dass sie mit Bedeutung spielt, dass sie solche schafft, wo keine wäre, wenn sie nicht ist. Das ist ihr kreatives Selbstverständnis: Dass sie Bedeutung erschafft, wo nichts wäre ohne sie.
Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 2. Feb 2018, 08:01...Danto (1924 - 2013) war ein renommierter amerikanischer Philosoph und Kunstkritiker. Er hat sich folgendes Gedankenexperiment erdacht. Wir sehen uns konfrontiert mit acht (materiell) völlig identischen roten Quadraten, das heißt bei allen Objekten handelt es sich de facto ununterscheidbare rote Quadrate. Was jedoch jeweils variiert ist der Titel und mit ihm unsere Interpretation der Kunstwerke. Sind auch Nummer 7 und 8 Kunstwerke?
Hier ist seine sehr humorvolle Liste. Viel Spaß :-)
01: "Die Israeliten durchqueren das Rote Meer."
(Israeliten sind laut Künstler schon vorbeigezogen, und die Ägypter sind ertrunken)
02: "Kierkegaards Stimmung."
(Bild der Stimmung Kierkegaards beim Anblick von Objekt 1)
03: "Red Square."
(ein geistreiches Stück Moskauer Landschaft)
"Red Square."
04: (minimalistisches Musterbeispiel geometrischer Kunst)
05: "Nirwana."
(beruht auf dem Wissen des Künstlers, dass die Ordnung des Nirwana und des Samsara identisch sind, und dass die Samsara-Welt von ihren Verächtern "rote Wüste" genannt wird)
06: "rotes Tischtuch."
(gemalt von einem verbitterten Matisse-Schüler)
07: (von Giorgione bleirot grundierte Leinwand, Giorgione starb leider bevor er das Werk vollenden konnte)
08: (irgendeine rote Flache)
Man kann es aber auch umdrehen und die Kunstgegenstände in den Supermarkt bringen. Ein Kollege von mir hat das gemacht. Ein Kunstwerk in einem Supermarkt hin Changzhou in China ausgestellt. Was den charmanten Nebeneffekt hat, dass ich von mir behaupten kann, ich habe schon mal in China ausgestellt. Die Arbeiten auf dem Bild sind allerdings nicht von mir, sondern von ortsansässigen Künstler, wenn ich mich richtig und das Konzept entsinne.Alethos hat geschrieben : ↑Mo 15. Jun 2020, 08:14Wir würden ja allgemein nicht behaupten, dass die im Regal stehenden Fertigsuppen-Tütchen Kunstgegenstände sind (wenn sie auch Artefakte sind), aber wir würden von Ihnen in einem anderen Kontext, vielleicht in einer Ausstellung, sagen, dass sie es sind.
Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 15. Jun 2020, 08:48Interessant, von diesem Teil wusste ich bisher nichts.
Arthur C. Danto in "Die Verklärung des Gewöhnlichen" hat geschrieben : Wir wollen ein Gemälde betrachten, das einst von der dänischen Geistesgröße Sören Kierkegaard beschrieben wurde. Es ist ein Gemälde der Israeliten, die das Rote Meer durchquerten. Bei seiner Betrachtung sieht man etwas ganz anderes als das, was man bei einem Gemälde mit diesem Sujet erwarten würde, etwa wenn man sich vorstellt, was ein Künstler wie Poussin oder Altdorfer gemalt hätte: Scharen von Menschen, in verschiedenen Haltungen der Panik, von der Last ihres entwurzelten Lebens gebeugt, in der Ferne die berittene Streitmacht der ägyptischen Armee im Anmarsch. Statt dessen gibt es hier ein Viereck aus roter Farbe, zu dem der Künstler erklärte: "Israeliten waren schon vorbeigezogen, und die Ägypter waren ertrunken." Kierkegaard sagt dazu, das Ergebnis seines Lebens gleiche diesem Gemälde. Die ganze geistige Unruhe - der Vater, auf der Heide Gott verfluchend, der Bruch mit Regine Olsen, die innere Suche nach christlichem Sinn, die fortwährende Polemik einer gequälten Seele -, sie mischen sich am Ende wie im Echo der Marabar-Höhlen zu "einer Stimmung, einer einzigen Farbe".
Stellen wir uns nun neben das von Kierkegaard beschriebene Gemälde ein anderes, genau gleiches, von dem wir annehmen, es sei von einem dänischen Porträtisten gemalt worden, der mit ungeheurem psychologischen Einfühlungsvermögen ein Werk mit dem Titel "Kierkegaards Stimmung" geschaffen hat. Und in diesem Sinne wollen wir uns nun eine ganze Reihe von roten Rechtecken vorstellen, eines neben dem anderen. Neben diese beiden stellen wir den "Roten Platz" ["Red Square"], ein geistreiches Stück Moskauer Landschaft, das den ersten beiden ebenso ähnlich ist, wie sie ihrerseits einander genau gleichen. Unser nächstes Werk ist ein minimalistisches Musterbeispiel geometrischer Kunst, das zufällig denselben Titel trägt, "Roter Platz" ["Red Square"]. Dann folgt "Nirwana", ein metaphysisches Gemälde, das auf dem Wissen des Künstlers beruht, dass die Ordnungen des Nirwana und des Samsara identisch sind und dass die Samsara-Welt von ihren Verächtern die Rote Wüste genannt wird. Als nächstes brauchen wir ein Stilleben, von einem verbitterten Matisse-Schüler gemalt, mit dem Titel "Rotes Tischtuch"; in diesem Fall können wir es zulassen, dass die Farbe etwas dünner aufgetragen wurde. Unser nächstes Objekt ist nicht wirklich ein Kunstwerk, sondern lediglich eine mit Bleirot grundierte Leinwand, auf die, wenn er für die Ausführung nur lange genug gelebt hätte, Giorgione sein unrealisiertes Meisterwerk "Sacra Conversazione" gemalt hätte. Es ist eine rote Fläche, die zwar kaum ein Kunstwerk ist, aber nicht ohne kunsthistorisches Interesse, das Giorgione die Grundierung selbst aufgetragen hat. Schliesslich werde ich eine in Bleirot nicht grundierte , sondern gemalte Fläche aufstellen: ein reiner Artefakt, den ich ausstelle als etwas, dessen philosophisches Interesse allein darin besteht, dass es kein Kunstwerk ist, und sein einziges kunstgeschichtliches Interesse darin, dass wir es überhaupt betrachten: es ist einfach ein Ding mit Farbe darauf.
Damit ist meine Ausstellung vollständig. Der Katalog dazu, in Farbe, wäre monoton, da eine Abbildung der anderen genau gleicht, obwohl die Reproduktionen von Gemälden stammen, die so verschiedenen Gattungen angehören wie der Historienmalerei, dem psychologischen Porträt, der Landschaftsmalerei, der geometrischen Abstraktion, der religiösen Kunst und dem Stilleben. Ferner enthält er Bilder von etwas aus der Werkstatt Giorgiones sowie von einem blossen Ding, das keinerlei Anspruch auf den gehobenen Status der Kunst stellt.
Ein Besucher, ein düsterer junger Künstler mit egalitärerer Einstellung, den ich J. nennen werde, ist empört. Er nennt es ein "übles Unrecht", dass den meisten Objekten meiner Ausstellung der wichtigtuerische Ausdruck Kunstwerk verliehen wurde, während diese Zuordnung einem Objekt verweigert wird, das ihnen in allen sichtbaren Einzelheiten gleicht. Von einer Art politischer Wut in Aufruhr versetzt, malt J. ein Werk, das meinem einfachen Viereck aus roter Farbe gleicht, und er verlangt von mir, indem er darauf insistiert, sein Werk sei ein Kunstwerk, ich solle es in meine Ausstellung aufnehmen, was ich auch recht gerne mache. Es ist keine von J.s grossartigen Leistungen, aber ich hänge es trotzdem auf. Ich sage ihm, dass es eher leer ist, was auch stimmt, wenn man es vergleicht mit dem erzählerischen Reichtum vom "Die Israeliten durchqueren das Rote Meer" oder mit der eindrucksvollen Tiefe von "Nirwana", ganz zu schweigen von den "Szenen aus der Legende des Heiligen Kreuzes" von Piero della Francesca oder von Giorgiones "Gewitter". Fast das gleiche Attribut würde ein weiteres von J.s Werken charakterisieren, das er als ein Stück Skulptur betrachtet und das nach meiner Erinnerung aus einer Kiste von mittelmässiger Schreinerarbeit besteht, überzogen mit einer beigen, flüchtig mit der Rolle aufgetragenen Latexfarbe. Doch das Gemälde ist nicht in irgendeinem Sinne leer wie die blosse Fläche einer rot bemalten Leinwand, die nicht einmal so leer ist wie eine leere Seite, weil nicht klar ist, ob sie auf eine Inschrift wartet, ebensowenig wie es eine von meinen Wänden wäre, wenn ich sie rot anmalen würde. Ebensowenig ist seine Skulptur in dem Sinne leer, wie es eine Lattenkiste wäre, nachdem ihr Inhalt entfernt oder ausgeladen worden ist. Denn "leer", wie es auf diese Werke angewandt wird, stellt ein kritisches Urteil und eine kritische Einschätzung dar und setzt voraus, dass das, worauf es angewandt wird, bereits ein Kunstwerk ist, so unmessbar die Unterschiede zwischen ihm und reinen Objekten, die logisch solchen Prädikationen als Klasse unzugänglich sind, auch sein mögen. Seine Werke sind buchstäblich leer, wie es die Werke in meiner restlichen Ausstellung sind: Buchstäblichkeit ist jedoch nicht das, was ich im Sinne habe, wenn ich praktisch sage, dass J.s Leistungen die Fülle fehlt.
Ich frage J. nach dem Titel seines neuen Werkes, und wie vorauszusehen war, sagt er mir, "Ohne Titel" erfülle seinen Zweck genauso gut wie irgend etwas anderes. Das ist so etwas wie ein Titel und keine blosse Tatsachenbehauptung, wie manchmal dann, wenn ein Künstler seinem Werk einen Titel zu geben versäumt, oder wenn wir aus Zufall nicht wissen, welchen Titel er ihm gegeben hat oder hätte geben können. Zwar kann ich festhalten, dass dem blossen Ding, in dessen politischem Namen J. sein Werk schuf, ebenfalls der Titel fehlt, doch fehlt er hier kraft einer ontologischen Klassifikation: reine Dinge haben nicht den Titel, um Anspruch auf Titel zu haben.
...
J. ist etwas weniger ausgefallen: sein Titel ist zumindest in dem Sinn richtungsweisend, dass das Ding, dem er gegeben wird, gerade nicht der Interpretation ausgesetzt werden soll. Deshalb gibt J. auf die Frage, worüber sein Werk denn sei, wie vorauszusehen war, die Antwort, es sei über nichts. Ich bin sicher, dass dies keine Beschreibung seines Inhalts ist (das zweite Kapitel von L'être et le néant [Das Sein und das Nichts] ist über nichts, über Abwesenheit). In dieser Hinsicht kann man von "Nirwana" sagen, es sei insofern über nichts, als es nichts gibt, worüber es ist; ein Bild der Leere. Wie J. betont, ist sein Werk bildleer; weniger ein Fall von Mimesis der Leere als von Leere der Mimesis, deshalb über nichts, wie er wiederholt. Wie ich jedoch hervorhebe, ist auch die rote Fläche, zu deren Verteidigung er "Ohne Titel" malte, ebensowenig über etwas, und zwar deshalb, weil es ein Ding ist; und Dingen als Klasse fehlt Bezogenheit [aboutness: das Über].
Ich korrigiere mich: J. Ist nicht ein Nichtkünstler, sondern ein Künstler.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 15. Jun 2020, 08:48Interessant, von diesem Teil wusste ich bisher nichts. Cool. Ich kenne die Story nur von einer Vorlesung und später aus der Sekundärliteratur, aber nicht als Primärtext.