Leben als Fragment

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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Alethos
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Di 30. Mär 2021, 00:34

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 29. Mär 2021, 23:59
Alethos hat geschrieben :
Mo 29. Mär 2021, 23:47
Konkret: Wenn du dein Leben lebst, wie du es willst und kannst und vermagst, dann ist das voll und ganz selbstberechrigt. Es beaucht keine höhere Instanz, in die sich dein indviduelles Leben einfügen müsste. Es ist durch sich selbst Teil eines Gesamten, aber nicht eines Ganzen. Und darum ist es auch nicht ein Fragment, kein Teil, sondern in sich ein Ganzes, das sich selbst trägt.
Aber wenn es Teil eines Gesamten ist, dann ist es doch (mindestens) ein Fragment (Teil) eines Gesamten, auch wenn es (Deiner Meinung nach) nicht Fragment (Teil) eines Ganzen ist.
Ausserdem kann das ja auch der pers. Lebensentwurf sein, das eigene Leben als Teil eines Ganzen aufzufassen. Sprich: Ein Leben so zu leben, als sei es Teil eines Ganzen.

Also: Ich weiß immer noch nicht, was Du eigentlich aussagen willst.
Meine Aussage war: Wir können (und wollen mitunter auch) nicht jedes (mögliche ) Leben leben. Das Leben das wir führen wird immer nur ein Teil diese Möglichkeiten beinhalten.
Daran ändern Spitzfindigkeiten in Bezug auf Gesamtheit , Ganzheit, Ganzes und Gesamtbild doch nichts.
Teile eines Gesamten sind nicht Teile eines Ganzen, aber das ist Nebensache.

Mein ursprünglicher Beitrag an dich war eigentlich als Untermauerung dessen gedacht, was du geschrieben hattest: Dass wir uns für ein Leben entscheiden müssen und nicht mehrere Versionen leben können. Wir müssen, indem wir dieses Leben wählen, auf ein anderes verzichten, aber das müssen wir nicht notwendig bedauern. Im Gegenteil, wir sollten
es als Ergebnis unserer Entscheidungen akzeptieren und begrüssen, weil wir damit jene Lücke schliessen, die niemand anders füllen kann. Weil wir damit unser Leben leben, und damit leben überhaupt. Wir sind dazu verdammt, mit jeder Entscheidung aus der Fülle von Möglichkeiten eine zu wählen, die wir realisieren, aber das ist auch unser Glück, dass wir aus dem vollen Potenzial eine Wahl treffen dürfen, weil das uns zu autonomen Wesen macht. Zu selbstbestimmten, wenigstens handlungsfähigen Individuen.
Individuum sein heisst dann eben nicht, sich als Fragment zu begreifen, als realisierte Teilmenge aller Möglichkeiten, sondern als etwas eigenständiges, das sich nicht durch die Zuordnung zum Ganzen definiert. Das Leben ist kein Fragment, es ist Totalität des Selbstentwurfs.



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NaWennDuMeinst
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Di 30. Mär 2021, 00:55

Alethos hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 00:34
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 29. Mär 2021, 23:59
Alethos hat geschrieben :
Mo 29. Mär 2021, 23:47
Konkret: Wenn du dein Leben lebst, wie du es willst und kannst und vermagst, dann ist das voll und ganz selbstberechrigt. Es beaucht keine höhere Instanz, in die sich dein indviduelles Leben einfügen müsste. Es ist durch sich selbst Teil eines Gesamten, aber nicht eines Ganzen. Und darum ist es auch nicht ein Fragment, kein Teil, sondern in sich ein Ganzes, das sich selbst trägt.
Aber wenn es Teil eines Gesamten ist, dann ist es doch (mindestens) ein Fragment (Teil) eines Gesamten, auch wenn es (Deiner Meinung nach) nicht Fragment (Teil) eines Ganzen ist.
Ausserdem kann das ja auch der pers. Lebensentwurf sein, das eigene Leben als Teil eines Ganzen aufzufassen. Sprich: Ein Leben so zu leben, als sei es Teil eines Ganzen.

Also: Ich weiß immer noch nicht, was Du eigentlich aussagen willst.
Meine Aussage war: Wir können (und wollen mitunter auch) nicht jedes (mögliche ) Leben leben. Das Leben das wir führen wird immer nur ein Teil diese Möglichkeiten beinhalten.
Daran ändern Spitzfindigkeiten in Bezug auf Gesamtheit , Ganzheit, Ganzes und Gesamtbild doch nichts.
Teile eines Gesamten sind nicht Teile eines Ganzen, aber das ist Nebensache.
Nein, das ist nicht Nebensache.
Du sagt nämlich als Fazit aus deinem Geschwurbel, dass "Wir" kein Fragment sind. (Das ist übrigens von Dir schon völlig falsch widergegeben. Ich habe nie geschrieben, dass "Wir" - was soll das sein? - Fragmente sind).
Aus dieser Optik sind wir keine Fragmente, weil es gar kein übergeordnetes Ganzes gibt, zu dem wir uns als Teile verhalten.
Ok. Aber was ist jetzt mit dem Gesamten? Weil (falls) das pers. Leben kein Fragment ist, weil es kein übergeordnetes Ganzes gibt, ist es deshalb gar kein Fragment mehr, von nichts? Aber das schreibst Du ja anders.
Gleichzeitig sagst Du nämlich, dass es (das Leben) ja mindestens einmal Fragment ist, nämlich als Teil (Fragment) eines Gesamten.
Es ist durch sich selbst Teil eines Gesamten
Also ist es nun doch (durch sich selbst?) ein Fragement von irgendwas und doch nicht gar keines?
Und weil das ein Widerspruch ist, in den ich mich an deiner Stelle auch verheddert hätte, wenn ich so daherschwurbeln würde wie Du, kommst Du mir hier mit deinen Lateinkenntnissen, um das Ganze (oder die Gesamtheit, die Ganzheit oder was weiß ich) irgendwie zu retten. Soll ich Dir was sagen: Sowas passiert, wenn man seine eigenen Gedanken nicht mehr versteht, weil man sie unnötig verkompliziert um schlau(er) zu wirken.
Mein ursprünglicher Beitrag an dich war eigentlich eine Untermauerung dessen, was du sagtest: Dass wir uns für ein Leben entscheiden müssen und nicht mehrere Versionen leben können. Wir müssen, indem wir dieses Leben wählen, auf ein anders verzichten, aber das müssen wir nicht notwendig bedauern. Im Gegenteil, wir sollten
es als Reaultat unserer Entscheidungen akzeptieren und begrüssen, dass wir damit jene Lücke schliessen, die niemand anders füllen kann. Wir sind dazu verdammt, mit jeder Entscheidung aus der Fülle von Möglichkeiten eine zu wählen, die wir realisieren, aber das ist auch unser Glück, dass wir aus dem vollen Potenzial eine Wahl treffen dürfen, weil das uns zu autonomen Wesen macht. Zu selbstbestimmten, wenigstens handlungsfähigen Individuen.
Bis hierhin erkenne ich meinen Text wieder.
Individuum sein heisst dann eben nicht, sich als Fragment zu begreifen, als realisierte Teilmenge aller Möglichkeiten, sondern als etwas eigenständiges, das sich nicht durch die Zuordnung zum Ganzen definiert. Das Leben ist kein Fragment, es ist Totalität des Selbstentwurfs.
Verstehe ich Dich hier richtig, dass Du dem Individuum jetzt vorschreiben willst, als wessen Teil (oder nicht) es sich begreifen soll?
Nochmal: Es kann auch ein Lebensentwurf sein Teil eines (auch irgendeines) Ganzen sein zu wollen.
Du stimmst mir eben nicht einfach nur zu, sondern Du gehst über das was ich schrieb weit hinaus.
Das hat mit dem was ich schrieb eigentlich nur die Grundanahmen (wir können nicht jedes denkbare Leben leben) gemeinsam.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 30. Mär 2021, 01:04, insgesamt 1-mal geändert.



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Alethos
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Di 30. Mär 2021, 01:02

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 00:17
Wenn man schon mit seinem Begriffsverständnis angeben will, dann muss man das auch können.
Du meinst, ich soll von dir lernen, wie man komplexe Dinge einfach sagt? Na, wenn du meinst, dass gerade du mir das beibringen kannst, dann nur zu. Ich werde auch grosszügig über deine Angeberei hinwegsehen :)



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Alethos
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Di 30. Mär 2021, 01:08

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 00:55
Fazit aus deinem Geschwurbel
Meine Güte: Was für ein armseliger Geist...
Viel Spass am Stammtisch.

Au revoir!



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NaWennDuMeinst
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Di 30. Mär 2021, 01:12

Alethos hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 01:02
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 00:17
Wenn man schon mit seinem Begriffsverständnis angeben will, dann muss man das auch können.
Du meinst, ich soll von dir lernen, wie man komplexe Dinge einfach sagt? Na, wenn du meinst, dass gerade du mir das beibringen kannst, dann nur zu. Ich werde auch grosszügig über deine Angeberei hinwegsehen :)
Ich meine das gar nicht. Ich stelle nur fest, dass Du offensichtlich unnötig kompliziertes Geschwurbel mit Tiefe verwechselst.
Das klappt bei vielen Menschen auch. Wenn die Dich nicht verstehen, halten sie dich für klug und sich selbst für dumm.
Das klappt aber nur so lange, bis einer versteht, dass sich hinter dem Geschwurbel nur heiße Luft verbirgt.

(Das ist nicht immer so bei dir. Manchmal steckt hinter deinen "Ausfällen" auch was Kluges. Aber oft habe zumindest ich den Eindruck, dass Du einfach nur schlau wirken willst, was leider oft zur Folge hast, dass Du über Dein eigenes Geschwafel stolperst. Oder um es anders zu formulieren: Es wirkt aufgesetzt und gekünstelt und gerade nicht authentisch..)



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NaWennDuMeinst
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Di 30. Mär 2021, 01:13

Alethos hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 01:08
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 00:55
Fazit aus deinem Geschwurbel
Meine Güte: Was für ein armseliger Geist...
Viel Spass am Stammtisch.

Au revoir!
Nur schnell zitiert, bevor Du es wieder löschst.

Das ist übrigens kein Argument.
Ich würde immer noch gerne wissen, ob Du dem Individuum nun vorzuschreiben gedenkst, dass es sein Leben nicht führen kann im Bewusstsein damit Teil eines Ganzen zu sein?
Und auch würde ich gerne festhalten, was das mit dem was ich ursprünglich schrieb zu tun hat. Nämlich nichts.



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iselilja
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Di 30. Mär 2021, 05:25

Möglicherweise kann hier ein Sinnbild zu etwas Klärung verhelfen, welches ich an anderer Stelle schon genutzt hatte.

Ein Haufen Puzzleteile mag vollzählig und damit vollständig sein als Gesamtheit, aber es ist eben noch nicht ganz im Sinne von heile. Im Sinne von sinnvoll?




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Jovis
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Di 30. Mär 2021, 12:37

Durch die nächtliche Diskussion zwischen Alethos und NaWennDuMeinst ist es mir noch einmal klarer geworden: Der eigentliche Knackpunkt bei unserem Thema ist offenbar nicht der Fragmentgedanke - der wird ja von erstaunlich vielen akzeptiert, in den unterschiedlichsten Facetten, mit den unterschiedlichsten Bewertungen, aber meistens nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Nein, das eigentliche Problem ist ganz offenbar das Ganze, auf das sich das Fragment bezieht.

Alethos stellt nun dieses Ganze in Frage (nicht die abstrakte Summe aller Lebensentwürfe, aber ein Gesamtbild, von dem wir jeweils nur ein Fragment realisieren), womit der Fragmentgedanke hinfällig wird. Darüber muss ich noch nachdenken.




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Friederike
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Di 30. Mär 2021, 17:39

Alethos hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 00:34
[...] Wir sind dazu verdammt, mit jeder Entscheidung aus der Fülle von Möglichkeiten eine zu wählen, die wir realisieren, aber das ist auch unser Glück, dass wir aus dem vollen Potenzial eine Wahl treffen dürfen, weil das uns zu autonomen Wesen macht. Zu selbstbestimmten, wenigstens handlungsfähigen Individuen. Individuum sein heisst dann eben nicht, sich als Fragment zu begreifen, als realisierte Teilmenge aller Möglichkeiten, sondern als etwas eigenständiges, das sich nicht durch die Zuordnung zum Ganzen definiert. Das Leben ist kein Fragment, es ist Totalität des Selbstentwurfs.
Wir können aber doch denken bzw. wir wissen um die Möglichkeit(en), die wir nicht realisieren oder realisiert haben. Dies würde in dem von Dir beschriebenen Verständnis des Lebens/des Individuums (ich verstehe Dich so, daß Du hier NWDM's Äußerungen darlegst) unberücksichtigt bleiben. Zeigt nicht schon jeder Wunsch, den wir haben, daß die realisierte Möglichkeit überschritten wird auf eine zumindest im Horizont der Möglichkeiten liegende Möglichkeit hin?




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Jörn Budesheim
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Di 30. Mär 2021, 19:22

Alethos hat geschrieben :
Mo 29. Mär 2021, 23:47
Die Ganzheit besteht aus Teilen (Fragmenten), die durch die Ganzheit in ihrer Totalität zusammengefassr sind. Die Teile bilden eine Totalität, die wiederum ein Ganzes sind - Eines sind. Die Gesamtheit besteht aus der Summe lauter Einen, ohne dass diese Gesamheit diese Einen als Teile eines Ganzen auszeichnete. Sie sind disparat, wenn auch miteinander verbunden in der Gesamtheit, so bilder letztere doch kein System der Einigkeit (Ganzheit).

Konkret: Wenn du dein Leben lebst, wie du es willst und kannst und vermagst, dann ist das voll und ganz selbstberechrigt. Es beaucht keine höhere Instanz, in die sich dein indviduelles Leben einfügen müsste. Es ist durch sich selbst Teil eines Gesamten, aber nicht eines Ganzen. Und darum ist es auch nicht ein Fragment, kein Teil, sondern in sich ein Ganzes, das sich selbst trägt.
Wenn wir eine Vase auf dem Boden pfeffern und sie zerschellt, dann haben wir es wortwörtlich mit Fragmenten einer Ganzheit im Sinne des Zitates zu tun, oder? Haben wir es stattdessen mit einem ungeordneten Haufen zu tun, kann es vielleicht eine Gesamtheit der Teile geben, aber sie sind nicht Teile einer Ganzheit. So ungefähr würde ich mir diese Unterscheidung ausmalen. Die Scherben sind Fragmente, die Teile des Haufens nicht. Unser Leben wäre in dieser Logik nicht fragmentiert, weil es kein Ganzes gibt zu dem sich die Teilen fügen könnten.




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Jörn Budesheim
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Di 30. Mär 2021, 20:28

Welche Bedeutung hat der Zufall für unsere Diskussion? Für unsere Leben spielt das wohl eine nicht zu unterschätzende Rolle - wir sind immer auch die Zufälle, die uns zugestoßen sind.




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iselilja
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Di 30. Mär 2021, 21:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 19:22
Alethos hat geschrieben :
Mo 29. Mär 2021, 23:47
Die Ganzheit besteht aus Teilen (Fragmenten), die durch die Ganzheit in ihrer Totalität zusammengefassr sind. Die Teile bilden eine Totalität, die wiederum ein Ganzes sind - Eines sind. Die Gesamtheit besteht aus der Summe lauter Einen, ohne dass diese Gesamheit diese Einen als Teile eines Ganzen auszeichnete. Sie sind disparat, wenn auch miteinander verbunden in der Gesamtheit, so bilder letztere doch kein System der Einigkeit (Ganzheit).

Konkret: Wenn du dein Leben lebst, wie du es willst und kannst und vermagst, dann ist das voll und ganz selbstberechrigt. Es beaucht keine höhere Instanz, in die sich dein indviduelles Leben einfügen müsste. Es ist durch sich selbst Teil eines Gesamten, aber nicht eines Ganzen. Und darum ist es auch nicht ein Fragment, kein Teil, sondern in sich ein Ganzes, das sich selbst trägt.
Wenn wir eine Vase auf dem Boden pfeffern und sie zerschellt, dann haben wir es wortwörtlich mit Fragmenten einer Ganzheit im Sinne des Zitates zu tun, oder? Haben wir es stattdessen mit einem ungeordneten Haufen zu tun, kann es vielleicht eine Gesamtheit der Teile geben, aber sie sind nicht Teile einer Ganzheit. So ungefähr würde ich mir diese Unterscheidung ausmalen. Die Scherben sind Fragmente, die Teile des Haufens nicht. Unser Leben wäre in dieser Logik nicht fragmentiert, weil es kein Ganzes gibt zu dem sich die Teilen fügen könnten.
Mjain. :-)Wenn wir unser Leben in der Erinnerung betrachten - also an uns verüberziiehen lassen - dann sind doch all die einzelnen Momente, ob nun glücklich oder nicht, Teile eine nicht wahllos zusammengeworfenen Haufens, sondern haben irgendwo auch eine sinnhafte Struktur... das alles war mein Leben könnte man bspw. mit Fug und Recht sagen.




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Alethos
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Di 30. Mär 2021, 23:06

Friederike hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 17:39
Alethos hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 00:34
[...] Wir sind dazu verdammt, mit jeder Entscheidung aus der Fülle von Möglichkeiten eine zu wählen, die wir realisieren, aber das ist auch unser Glück, dass wir aus dem vollen Potenzial eine Wahl treffen dürfen, weil das uns zu autonomen Wesen macht. Zu selbstbestimmten, wenigstens handlungsfähigen Individuen. Individuum sein heisst dann eben nicht, sich als Fragment zu begreifen, als realisierte Teilmenge aller Möglichkeiten, sondern als etwas eigenständiges, das sich nicht durch die Zuordnung zum Ganzen definiert. Das Leben ist kein Fragment, es ist Totalität des Selbstentwurfs.
Wir können aber doch denken bzw. wir wissen um die Möglichkeit(en), die wir nicht realisieren oder realisiert haben. Dies würde in dem von Dir beschriebenen Verständnis des Lebens/des Individuums (ich verstehe Dich so, daß Du hier NWDM's Äußerungen darlegst) unberücksichtigt bleiben. Zeigt nicht schon jeder Wunsch, den wir haben, daß die realisierte Möglichkeit überschritten wird auf eine zumindest im Horizont der Möglichkeiten liegende Möglichkeit hin?
Ja, Entscheidungen für Möglichkeiten können einhergehen mit dem Bewusstsein für die entgangenen Optionen. Es gehört zu uns, dass wir Entscheidungen auch in der Schwebe halten, dass wir abwägen, dass wir über die realisierten Möglichkeiten hinaus über andere Möglichkeiten nachdenken. Das steht in keinem Widerspruch zum Individuumsein, sondern macht es ja aus.

Aber wenn wir über Möglichkeiten nachdenken, dann schöpfen wir ja nicht aus dem Ganzen, sondern aus allem Möglichen. Das ist ein Unterschied, weil alles nicht zwingend ein Ganzes sein muss. Ein Ganzes, nach meinem Verständnis, ist ein aus Teilen zusammengesetztes Eine. Alles muss aber nicht Eines sein, sondern kann unendlich Vieles sein. Und das macht uns als Individuen doch aus, dass wir nicht „vereinheitlicht“ sind, sondern grundsätzlich verschieden. Wir haben zwar sehr vieles gemeinsam, aber als Individuen sind wir den Anderen gegenüber andere. In diesem Anderssein ist das Besonderssein enthalten (was ich etwas unglücklich als Nische bezeichnete), aber aus der Perspektive dieses grundsätzlichen Andersseins kann es nach meinem Dafürhalten auch kein Ganzes geben, das dieses Anderssein aufheben würde in grundsätzlicher Gleichheit (Gleichheit vor dem Ganzen).

Darum, ja, wir bedenken auch entgangene oder alternative Möglichkeiten, wir denken über diese nach, sie existieren wirklich (als Möglichkeiten), aber indem wir nachdenken, schöpfen wir nicht aus dem Ganzen resp. aus dem Vollen, sondern schlicht aus allen Möglichkeiten, die es gibt. Wenn aber nun „alles das, was es gibt“ ein Gesamt ist und kein Ganzes, dann gibt es auch keine Notwendigkeit, uns als Fragmente in diesem Sinn als zur Vollkommenheit (des Ganzen) Strebende zu verstehen (oder aus der Vollkommenheit Kommende). Wir sind, so will ich sagen, auch im Lichte unserer nicht realisierten Möglichkeiten, über die wir nachdenken, nicht unvollkommene, sondern gar nicht vom Gedanken der Vollkommenheit her zu denkende Selbste, die sich hineinentwerfen in das Leben kraft ihrer Möglichkeiten. Und indem wir das tun, indem wir sind, besetzen wir keine Teilmenge des Ganzen, sondern den Umfang des Möglichen, das alles Mögliche ist. Auch unsere Gedanken gehören zu diesem Möglichen.


PS: Anlässlich der verschiedenen Diskussionen gestern ziehe ich mich für ein paar Wochen aus dem Forum zurück. Frohes Philosophieren



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NaWennDuMeinst
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Mi 31. Mär 2021, 01:57

Alethos hat geschrieben :
Di 30. Mär 2021, 23:06
PS: Anlässlich der verschiedenen Diskussionen gestern ziehe ich mich für ein paar Wochen aus dem Forum zurück. Frohes Philosophieren
Wenn das wegen mir sein sollte, so kann ich Dir sagen, dass das nicht nötig ist.
Ich nehme Dir das ab und verziehe mich, weil ich festgestellt habe, dass ich die Themenauswahl und auch die Qualität vieler Beiträge aktuell ziemlich mäßig bis schlecht finde.
Ich komme wieder, wenn es hier wieder was Interessantes für mich zu entdecken gibt.



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Jörn Budesheim
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Do 1. Apr 2021, 06:41

Nadine Heinkel, Suizid als philosophisches Problem hat geschrieben hat geschrieben : Ebenso preist auch Aristoteles im neunten Buch seiner Nikomachischen Ethik den Wert des Lebens als ein Gut für den Tugendhaften und Tüchtigen. Dieser lebt in innerem Einklang mit sich selbst und begehrt und tut nach außen das Rechte.
Wir haben hier bereits so viele Aspekte diskutiert, dass ich etwas den Überblick verloren habe. Das Zitat hat mich, auch wenn es aus einem anderen Zusammenhang kommt, sofort an diesen Faden hier erinnert. Der Begriff des Einklangs bzw der Harmonie und der Begriff des Fragmentarischen bzw des Brüchigen scheinen nicht ganz zusammen zu fassen, oder? Ich bin mir nicht sicher, ob wir diesen Punkt bereits erörtert haben. (Ein Gegenbild wären die Fugen Bach, die hier schon erwähnt wurden...)




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Friederike
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Do 1. Apr 2021, 18:17

Lieber Alethos, mehr als ein "Gefällt mir" kann ich im Augenblick nicht als Antwort geben. Jetzt habe ich zwar endlich begriffen, was Du mit der "Totalität des Selbstentwurfes" gemeint hast, und ich finde Deine Konzeption vom Leben des Individuums faszinierend, aber ich weiß einfach nicht, wie bzw. wozu ich mich entscheiden möchte. Das ist seltsam, es kommt mir vor, als sei die Entscheidung nicht nur eine des Verstandes (richtig oder falsch), sondern mehr noch eine des Lebens-Gefühls.




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Jovis
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Do 1. Apr 2021, 19:45

Friederike nimmt mir fast das Wort aus dem Mund. Abgesehen von Zeitmangel fühle ich mich auch ein wenig durch mich selbst gelähmt, denn ich hatte geschrieben, ich müsste über Alethos' Ansatz erst mal nachdenken, und nun ist es mir fast peinlich, dass bis jetzt nichts bei diesem Nachdenken herausgekommen ist. Herausgekommen im Sinne einer größeren Klarheit, wie ich dazu stehe. Auch ich finde den Gedanken, uns als Individuen zu sehen (Individuum = das Ungeteilte, Unteilbare, womit das Fragment ja quasi schon vom Wort her ausgeschlossen wäre), die sich nicht als Teilmenge eines Ganzen verstehen, sondern als Realisierungen von Möglichkeiten, die durch ihr Leben und ihre Entscheidungen diesen Möglichkeitsraum erst gemeinsam erschaffen, sehr bestechend. Trotzdem widerstrebt es mir, den Fragmentgedanken ganz aufzugeben. Diese selbstmächtige "Totalität des Selbstentwurfes" will mir nicht so recht zusammenpassen mit unseren tatsächlichen Lebensweisen. Allzu oft scheitern wir, allzu oft werden unsere Entwürfe vereitelt, allzu oft beutelt uns das Leben. Jörn erwähnte den Zufall, der auch eine große Rolle dabei spielt, wie unsere Entwürfe sich entwickeln, oft sogar, welche Entwürfe wir überhaupt ins Auge fassen. Das Zerbrechliche, Fragile, das im Begriff des Fragments steckt, deckt sich mit der Lebenswirklichkeit der meisten vermutlich mehr als die Autonomie des Selbstentwurfes.

Trotzdem würde ich gern den Gedanken übernehmen, auf ein heteronomes Ganzes zu verzichten. Jörns Leinölkanister weist vielleicht in die Richtung, in die das gehen könnte?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 29. Mär 2021, 19:00
Noch mal ein Wort zu Ganzes und Teil: von hier aus sehe ich die Rückseite des kleinen Kanisters Leinöl. Der Gegenstand meiner Wahrnehmung ist der Kanister selbst und zwar natürlich der ganze Kanister, auch wenn in meinem Gesichtsfeld nur die Rückseite erscheint. Gewissermaßen habe ich hier beides, also wenn man so will: two in one. Das sind also nicht sich ausschließende "Gegensätze", ich kann einen Teil und das Ganze in eins haben. Kann man das auf die Wahrnehmung des eigenen Lebens übertragen? Erlebe ich mein Leben in jedem Ausschnitt als Ganzes?
Auch die Harmonie wäre vielleicht eine solche mögliche immanente Ganzheit?




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Jörn Budesheim
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Sa 3. Apr 2021, 08:12

Noch mal ein Gedanke zum Begriffsverhältnis Fragment und Ganzes, wieder aus der Ästhetik heraus gedacht. Es gibt in der Kunst immer mal wieder Versuche, den Werkbegriff (in einer bestimmten Dimension des Begriffs) in Frage zu stellen. Dabei wird der Begriff des Werkes (jetzt etwas übertrieben dargestellt) verstanden als das Vollkommene, dem man nichts mehr hinzufügen kann, dem man nichts abziehen darf, das so wie es ist, eben ein harmonisches Ganzes darstellt.

Demgegenüber stehen Versuche, das Verschiedene als verschieden gelten zu lassen und es eben nicht zu einem harmonischen Ganzen "zusammen zu zwingen". Etwas paradox formuliert wäre dann das Ganze das Defizitäre, weil es die Verschiedenheit des "Partikularen" einzieht und leugnet. Das Unversöhnliche, das Verschiedene, das ganz Andere darf als es selbst bestehen bleiben und muss nicht zu einem Ganzen synthetisiert werden. In einer bekannten Wendung wäre das Ganze dann das Unwahre.

Das Leben als Fragment wäre dann das authentische - nicht mithilfe einer letztlich verfälschen den Narration zusammengefügte.




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Sa 3. Apr 2021, 09:07

Ich bin noch einen Schritt hinterher @Jörn und berücksichtige Deinen Vorschlag also heute nicht. An Dich @Jovis, anknüpfend, habe ich mir gedacht, daß man die Widerfahrnisse des Lebens eigentlich gut in das "Alethos-Modell" einordnen kann. Es sind Möglichkeiten, die weggenommen oder hinzugefügt werden. Die Möglichkeiten, die im Horizont eines menschlichen Lebens liegen, sind also nicht Festes, sondern bewegen sich.

Das ändert allerdings nichts daran, daß ich vom Fragment-Gedanken auch nicht lassen möchte. Nur komme ich immer wieder dahin, daß dieses zu bestimmende Ganze ohne den göttlichen Blick nicht auskommt (den wir gerne ausgeschlossen hätten aus unseren Überlegungen). Das Leinölkanisterbild gefällt mir zur Veranschaulichung ebenfalls gut, aber das Ganze immanent zu bestimmen - ich krieg's nicht hin.




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Jörn Budesheim
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Sa 3. Apr 2021, 11:13

Nehmen wir Corona. Für viele bedeutete das einen harten Einschnitt in verschiedensten Arten und Weisen. Heißt das nicht, dass wir den Fokus viel weniger beim Subjekt haben müssten und viel stärker auf den äußeren Umständen?




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