Ja, und weiter gefragt, ist nicht jede Krise auch ein Wende- und Scheidepunkt sanfter oder weniger sanfter Art, bei dem wir uns entscheiden sollen für und gegen dieses? Um auch Neuem Platz zu machen? Ich meine, der Begriff Krise (
krinein) legt nahe zu denken, dass wir uns immer wieder, ja, täglich in Situationen wiederfinden, in denen wir uns neu und abgeändert zusammensetzen, z.B. indem wir lernen, indem wir überwinden, indem wir auch Überkommenes hinter uns lassen, sodass wir uns auch in diesem Sinne als Werdende, nie Vollendete verstehen müssen.
Wir, die wir uns in dieser Art als Lernende verstehen, als Reifende, kommen gar nicht darum herum, uns aus dieser Perspektive des Werdens als aus wegfallenden und dazukommenden Fragmenten Zusammengesetzte zu begreifen. Sich selbst zu erkennen hiesse, so gesehen, durch den Wandel hindurch krisenresistent zu bleiben
Wir müssen es gar nicht zu dramatisch meinen und jede Krise als katastrophales Ereignis verstehen, denn im Grunde kann jeder kleinste Moment, in welchem wir uns für diesen anstatt für den anderen Weg entscheiden, als moderate Krise verstanden werden, durch die wir uns in leicht gewandelten Konfigurationen immer wieder neu entwerfen. Nicht ganz neu, sondern so neu wie eine Ruine eben sein kann: Denn unsere Leben sind Ruinen. Sie sind es, weil wir Vergangenheit anhäufen, sobald wir fortschreiten. Auch das sind Krisen: Dass wir uns entwickeln und dabei Vergangenheit schaffend ein Jetzt erzeugen. Ein Jetzt, das in einer Dauerkrise steckt.
Aber unsere Lebensruinen stimmen hoffnungsvoll im günstigen Fall, wenn wir sie als Renovationsprojekte angehen, an denen wir als Bauherren und -frauen beteiligt sind. Unsere Leben sind Ruinen in einem guten Sinn dann, wenn wir durch unsere getroffenen und unterlassenen Entscheidungen, aktiv beteiligt sind an deren Erhalt und Nutzung. Manchem von uns gelingt auf den Mauern und mit den Elementen (Fragmenten) ihrer Lebensruinen eine fantastische Renovation, eine clevere Umnutzung. Andere wiederum betätigen sich an der ruinösen Substanz als Archäologen und Archäologinnen und bergen Schätze. Andere wiederum legen sich zu ihren Lebenssteinen ins Grab und sterben ruhig.
Gleichgültig, wie wir das Leben angehen, es zeigt sich uns immer in Bruchstücken, allein schon deshalb, weil das Jetzt die Ewigkeit bricht in Vergangenes und Künftiges, in Erinnertes und in Ingeniöses, in Ruinöses und Konservierendes etc. In diesen Spannungsfeldern bewegen wir uns, hin und her gerissen von gleichberechtigten Kräften, immerzu angehalten, nicht stehen zu bleiben, sondern diese unsere jeweiligen Wege tapfer weiterzugehen. Schritt für Schritt. Auch das ist fragmentarisch: Dass ein Schritt auf den nächsten folgt als Teilmomente eines Gehens. Ganz und vollendet ist dann nur die Hoffnung, dass diese Wege uns zum Glück führen.