Re: Leben als Fragment
Verfasst: So 11. Apr 2021, 08:11
Das Leben ist fragil, also zart und zerbrechlich. Vielleicht gibt es sogar Sollbruchstellen. Und jedes einzelne Leben ist ein Fragment aus der Folge aller Leben.
Meinst Du mit der "Folge aller Leben" die blutsverwandtschaftliche Ahnenreihe auszudehnen bzw. auszuweiten auf alle Menschen, die einmal (vor mir) gelebt haben?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 11. Apr 2021, 08:11Das Leben ist fragil, also zart und zerbrechlich. Vielleicht gibt es sogar Sollbruchstellen. Und jedes einzelne Leben ist ein Fragment aus der Folge aller Leben.
Ich habe heute ein paar schöne Gedichte darin gefunden!Friederike hat geschrieben : ↑So 18. Apr 2021, 17:50Das ist sooo schön, da genügt ein "gefällt mir" -mir- nicht. "Laufe auf Spitzenschuhen ...".
Skizzenhaft formuliert: ich spiele mit der Idee, dass wir hier die Merologie von Fragment und Ganzem umkehren müssen. Normalerweise ist das Ganze natürlich logisch, meistens auch zeitlich primär. Unser Leben ist jedoch etwas, was wir nicht sinnvoll allein mit dem Blick von nirgendwo erfassen können. Dazu gehört auch stets der Blick, den wir selbst darauf werfen. Und dazu zähltt, dass wir die vielen Fragmente im Blick auf unser Leben zu einem Ganzen packen, indem wir uns selbst unser Leben erzählen. Primär wären dann die vielen Fragmente, die keineswegs wie Puzzle-Stücke sind und die oftmals überhaupt nicht zu einem Ganzen zusammen gehen könnten, die wir aber dennoch aus der Ich-perspektive als zu uns selbst gehörig erleben, als unser Leben erleben und dementsprechend erzählen.transfinitum hat geschrieben : ↑So 11. Jul 2021, 10:23Ich persönlich denke, dass das Leben nicht als Ganzes und daher auch nicht als Fragment davon angesehen werden kann, denn ein Fragment impliziert, dass es etwas wie eine Ganzheit gibt.
Ich gehe von meinem Wunsch aus, mein Leben zusammen-sehen zu können, als Eines zu sehen; daß es also so etwas wie eine Form bekommt. Deine Beschreibung, wenn ich sie in einem Bild versuche zu erfassen, läßt mich Löcheriges und Zerfranstes sehen. Oder ein noch passenderes Bild: es ist so, als sähe ich in einen Abgrund, der mir einen Schwindel macht. Da ist überhaupt kein Halt. Dein letzter Satz ist natürlich sooo klug ... dennoch will ich fest-halten.transfinitum hat geschrieben : ↑So 11. Jul 2021, 10:23[...] Ich persönlich denke, dass das Leben nicht als Ganzes und daher auch nicht als Fragment davon angesehen werden kann, denn ein Fragment impliziert, dass es etwas wie eine Ganzheit gibt. Das Leben ist ein wandelnder Prozess oder ein sich "bewegenden" Strom in jedem Augenblick und es ist so wie es ist. Und nur dann kann man es auch Leben nennen, wenn es frei ist und nicht an irgendwelche Bedingungen oder (Lebens-)Aufgaben geknüpft sind, die eine Vollendung kennzeichnen oder vorgeben, dass das Leben nur dann ganz ist, wenn man irgendwas erfüllt hat ... Sobald man den Lebensprozess (oder zum Beispiel einen Augenblick) einschliessen, festmachen, verewigen oder sesshaft machen will, dann verliert man das Leben oder die Lebendigkeit darin.
Irgendwie eine inspirierende Idee - nur, wie könnte man sie aufs "Leben" anwenden? Man denkt sich einen (Zeit)-Punkt, heute und hier, das ist der Startpunkt, der "Unabgeschlossenes" heißt ... hm, und nun sehe ich einen riesigen Raum vor mir, mit und in dem ich tun und lassen kann, was und wie ich will. Jetzt muß ich gestalten. Das überfordert meine Spekulationsfähigkeit. Welches Problem müßte ich unter diesen Umständen zuerst lösen? Nein, ich will nicht anfangen zu veralbern, aber so gehts nicht. Falls jemand einen besseren Vorschlag hat ...transfinitum hat geschrieben : ↑So 11. Jul 2021, 10:23[...] Mir kam nun in dieser Hinsicht noch ein weiterer Gedanke: das Unabgeschlossene (z. B. in der Literatur oder auch Kunst) eröffnet dem Leser sehr viel Kreativität und eigene Phantasien, wie die Geschichte weiter gehen könnte. Gerade aus dem japanischen Manga-Bereich kenne ich es auch, dass gerade unabgeschlossene Serien sehr viel Raum zur Spekulation eröffnen und somit die Potentialität des Lösungsraums exponentiell steigt. [...]
das ist ein guter Gedanke. Nun will ich ein sehr extremes Beispiel nehmen, welches vielleicht verdeutlicht, was ich meine:Friederike hat geschrieben : ↑Mo 12. Jul 2021, 16:44
Ich gehe von meinem Wunsch aus, mein Leben zusammen-sehen zu können, als Eines zu sehen; daß es also so etwas wie eine Form bekommt. Deine Beschreibung, wenn ich sie in einem Bild versuche zu erfassen, läßt mich Löcheriges und Zerfranstes sehen. Oder ein noch passenderes Bild: es ist so, als sähe ich in einen Abgrund, der mir einen Schwindel macht. Da ist überhaupt kein Halt. Dein letzter Satz ist natürlich sooo klug ... dennoch will ich fest-halten.
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Irgendwie eine inspirierende Idee - nur, wie könnte man sie aufs "Leben" anwenden? Man denkt sich einen (Zeit)-Punkt, heute und hier, das ist der Startpunkt, der "Unabgeschlossenes" heißt ... hm, und nun sehe ich einen riesigen Raum vor mir, mit und in dem ich tun und lassen kann, was und wie ich will. Jetzt muß ich gestalten. Das überfordert meine Spekulationsfähigkeit. Welches Problem müßte ich unter diesen Umständen zuerst lösen? Nein, ich will nicht anfangen zu veralbern, aber so gehts nicht. Falls jemand einen besseren Vorschlag hat ...
@transfinitum, ich hoffe, meine Frage ist ohne ausführlichen Rückgriff auf ein umfassendes Konzept zu beantworten. "Lösungsraum", sind damit überhaupt "Probleme" gemeint (wovon ich, als sei es selbstverständlich ausgegangen bin). Es könnte sich ja auch z.B. um Lösungen von zuvor Zusammengefügtem handeln.
wie könnte man diese Idee umkehren?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 11. Jul 2021, 10:53Skizzenhaft formuliert: ich spiele mit der Idee, dass wir hier die Merologie von Fragment und Ganzem umkehren müssen. Normalerweise ist das Ganze natürlich logisch, meistens auch zeitlich primär. Unser Leben ist jedoch etwas, was wir nicht sinnvoll allein mit dem Blick von nirgendwo erfassen können. Dazu gehört auch stets der Blick, den wir selbst darauf werfen. Und dazu zähltt, dass wir die vielen Fragmente im Blick auf unser Leben zu einem Ganzen packen, indem wir uns selbst unser Leben erzählen. Primär wären dann die vielen Fragmente, die keineswegs wie Puzzle-Stücke sind und die oftmals überhaupt nicht zu einem Ganzen zusammen gehen könnten, die wir aber dennoch aus der Ich-perspektive als zu uns selbst gehörig erleben, als unser Leben erleben und dementsprechend erzählen.transfinitum hat geschrieben : ↑So 11. Jul 2021, 10:23Ich persönlich denke, dass das Leben nicht als Ganzes und daher auch nicht als Fragment davon angesehen werden kann, denn ein Fragment impliziert, dass es etwas wie eine Ganzheit gibt.
Gefällt mir. Aber ich würde dabei als Nichtautofahrer vielleicht eher an etwas anderes denken, z.b. eine Lieblingstasse mit einem kleinen Sprung :) fragmentiert, wenn man so will ...Friederike hat geschrieben : ↑Di 19. Okt 2021, 17:35"Beschädigt" klingt in meinen Ohren "schön", weil tröstlich, so wie ein Auto zwar eine Delle bekommt, aber das ist etwas anderes als ein "Totalschaden"...
Es gibt einen Paragraphen in den "MM", in dem sich Adorno mit der Auto-Mobilität befaßt (kulturkritisch, versteht sich ) -ich möchte den Abschnitt jetzt nicht suchen-. Als mir vorhin das Auto-Beispiel in den Sinn kam, wußte ich sofort, daß es nur mit dem Lesen dieses Textteils zu tun haben kann, denn für gewöhnlich liegt mir ans Auto zu denken oder zu assoziieren auch nicht nahe.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 19. Okt 2021, 18:46Gefällt mir. Aber ich würde dabei als Nichtautofahrer vielleicht eher an etwas anderes denken, z.b. eine Lieblingstasse mit einem kleinen Sprung fragmentiert, wenn man so will ...