Personale Identität

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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Jörn Budesheim
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So 9. Okt 2022, 10:20

Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:14
Ok, aber ist das tatsächlich so, dass man kein Körper sein will, wenn man Identität nicht über den Körper bestimmen will?
Nein, das folgt sicherlich nicht. Allerdings geht es doch gar nicht darum, ob man die Identität über den Körper bestimmen will sondern dass man sie nicht über den Körper bestimmen kann. Jede:r, der schon mal ein paar Jährchen gelebt hat, weiß das.

Die Frage ist überhaupt, ob man so etwas wie einen "Träger" der Identität braucht, also irgendeine "Substanz", an der man die Identität festmacht. Der Körper entfällt aus naheliegenden Gründen. Und an eine unveränderliche und/oder unsterbliche Seele mag ich nicht glauben. Und für die Diskussion taugt sie nicht, weil sie eben religiöse Voraussetzungen mit sich führt, die nicht jeder teilt.




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Lucian Wing
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So 9. Okt 2022, 10:35

Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:49
Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:14
Burkart hat geschrieben :
Sa 8. Okt 2022, 23:34
Wo seht ihr genau das Problem bei "Identität"?
Einerseits ändert sich ein Mensch, bleibt aber immer der Mensch (und tauscht nicht z.B Geist oder Körper mit jemand anderem).
Was verstehst du denn unter "Identität"?
Die Frage ist nicht, was ich darunter verstehe, weil ich mit ihr kein Problem habe. Die Frage ist, warum Leute mit ihr ein Problem haben, was vermutlich an ihrem Verständnis zu ihr liegt.
So mögen sie sie z.B. zu abstrakt sehen, weil sie Menschen halt im Laufe der Zeit verändern und nicht völlig ("atom-")identisch bleiben.
Aus meiner Sicht bleibt ein Mensch im Laufe seines Lebens einfach immer derselbe Mensch (und ist insofern eine eigene Identität).
Deshalb frage ich (mich) ja, was andere Leute für Probleme mit "Identität" haben.
Ich versuch's noch einmal.
Wenn du kein Problem mit "Identität" hast und gleichzeitig sagst, ein Mensch bleibe immer derselbe Mensch und "ist insofern eine eigene Identität", dann liegt mein Problem mit Identität in Folgendem:

Ein Mensch bleibt immer derselbe Mensch und ist insofern eine eigene Identität.

Für mich ist das eine petitio principii, und mit "eine Identität SEIN" führst du einen bisher nicht zur Sprache gekommenen Aspekt von Identität ein.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Lucian Wing
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So 9. Okt 2022, 10:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 10:20
Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:14
Ok, aber ist das tatsächlich so, dass man kein Körper sein will, wenn man Identität nicht über den Körper bestimmen will?
Nein, das folgt sicherlich nicht. Allerdings geht es doch gar nicht darum, ob man die Identität über den Körper bestimmen will sondern dass man sie nicht über den Körper bestimmen kann. Jede:r, der schon mal ein paar Jährchen gelebt hat weiß das.

Die Frage ist überhaupt, ob man so etwas wie einen "Träger" der Identität braucht, also irgendeine "Substanz", an der man die Identität festmacht. Der Körper entfällt aus naheliegenden Gründen. Und an eine unveränderliche und/oder unsterbliche Seele mag ich nicht glauben. Und für die Diskussion taugt sie nicht, weil sie eben religiöse Voraussetzungen mit sich führt, die nicht jeder teilt.
Aber landest du dann nicht bei psychologischen Eigenschaften oder materielle Grundlagen?



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Jörn Budesheim
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So 9. Okt 2022, 10:48

Bisher bin ich bei der Metapher gelandet, die ich weiter oben angeboten habe. Es gibt nicht einen Träger der Identität, sondern einen ganzen Strang verschiedener Dinge, die miteinander verknüpft sind. Bei denen natürlich einige mehr und andere weniger wichtig sind - so dass es ggf. sogar individuelle Gewichtungen geben könnte.

Der Selbsterzählung, die du selbst weiter genannt hast, würde ich auch einen großen Raum einräumen, allerdings gehört zur Identität ja auch das gegenwärtige und zukünftige Ich, das heißt Selbstbilder und Pläne darf man dabei nicht vergessen.

(In einer gewissen Hinsicht streifen wir im übrigen den Beitrag mit dem Doppelbrötchen. Denn auch hier geht es ja um eine angemessene Mereologie. Schließlich sagen wir - ganz zurecht - nicht, dass wir ein Körper sind, sondern dass wir einen Körper haben.)




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So 9. Okt 2022, 10:59

Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 10:35
Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:49
Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:14


Was verstehst du denn unter "Identität"?
Die Frage ist nicht, was ich darunter verstehe, weil ich mit ihr kein Problem habe. Die Frage ist, warum Leute mit ihr ein Problem haben, was vermutlich an ihrem Verständnis zu ihr liegt.
So mögen sie sie z.B. zu abstrakt sehen, weil sie Menschen halt im Laufe der Zeit verändern und nicht völlig ("atom-")identisch bleiben.
Aus meiner Sicht bleibt ein Mensch im Laufe seines Lebens einfach immer derselbe Mensch (und ist insofern eine eigene Identität).
Deshalb frage ich (mich) ja, was andere Leute für Probleme mit "Identität" haben.
Ich versuch's noch einmal.
Wenn du kein Problem mit "Identität" hast und gleichzeitig sagst, ein Mensch bleibe immer derselbe Mensch und "ist insofern eine eigene Identität", dann liegt mein Problem mit Identität in Folgendem:

Ein Mensch bleibt immer derselbe Mensch und ist insofern eine eigene Identität.

Für mich ist das eine petitio principii, und mit "eine Identität SEIN" führst du einen bisher nicht zur Sprache gekommenen Aspekt von Identität ein.
Mir ist nicht klar, wo das Problem sein soll. Ein einzelner Mensch bleibt aus meinen "Menschen-Identitäts-Begriff" heraus immer mit sich identisch; er wird also nicht z.B. zu einem anderen Menschen und ein anderer Mensch nicht zu ihm.
Ist es dieser "Menschen-Identitäts-Begriff", der dir von mir fehlte? (Ok, vielleicht erschien er mir zu naheliegend, um ihn aufzuschreiben.)



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Lucian Wing
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So 9. Okt 2022, 11:24

Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 10:59
Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 10:35
Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:49

Die Frage ist nicht, was ich darunter verstehe, weil ich mit ihr kein Problem habe. Die Frage ist, warum Leute mit ihr ein Problem haben, was vermutlich an ihrem Verständnis zu ihr liegt.
So mögen sie sie z.B. zu abstrakt sehen, weil sie Menschen halt im Laufe der Zeit verändern und nicht völlig ("atom-")identisch bleiben.
Aus meiner Sicht bleibt ein Mensch im Laufe seines Lebens einfach immer derselbe Mensch (und ist insofern eine eigene Identität).
Deshalb frage ich (mich) ja, was andere Leute für Probleme mit "Identität" haben.
Ich versuch's noch einmal.
Wenn du kein Problem mit "Identität" hast und gleichzeitig sagst, ein Mensch bleibe immer derselbe Mensch und "ist insofern eine eigene Identität", dann liegt mein Problem mit Identität in Folgendem:

Ein Mensch bleibt immer derselbe Mensch und ist insofern eine eigene Identität.

Für mich ist das eine petitio principii, und mit "eine Identität SEIN" führst du einen bisher nicht zur Sprache gekommenen Aspekt von Identität ein.
Mir ist nicht klar, wo das Problem sein soll. Ein einzelner Mensch bleibt aus meinen "Menschen-Identitäts-Begriff" heraus immer mit sich identisch; er wird also nicht z.B. zu einem anderen Menschen und ein anderer Mensch nicht zu ihm.
Ist es dieser "Menschen-Identitäts-Begriff", der dir von mir fehlte? (Ok, vielleicht erschien er mir zu naheliegend, um ihn aufzuschreiben.)
Aber was heißt/bedeutet das: Mit sich identisch bleiben? WAS genau ist da WOMIT identisch? Wie lauten die Zuschreibungen, die das Wort "Identität" auf den Begriff bringen?

"Er ist nicht mehr er selbst", "Ich erkenne ihn nicht wieder", um nur einmal zwei simple Sätze zu nennen, die von außen oft über andere geäußert werden und ganz offensichtlich auf bestimmte Eigenschaften oder auf bestimmte Attribute bezogen sind, die für den Begriff der Identität ausschlaggebend zu sein scheinen.

"Derselbe Mensch" - was ist das: das Subjekt, das auf sich selbst blickt oder du, der auf den anderen blickt? Und WEIß man es oder SIEHT man es? Oder weder noch, aber man hört es (an einer Stimme)?

Die Identität ist in der Postmoderne so wenig anerkannt wie bei Buddhisten oder auch Neurowissenschaftlern. Jeder ihrer Vertreter hat dafür eine andere Theorie. Und die meisten anderen haben kaum eine Theorie, was Identität überhaupt sein soll, was konstitutiv für sie ist. Meistens wird sie durch ein Attribut eingegrenzt, wie zum Beispiel "kulturelle Identität".

Man könnte nun auf den Menschen verschiedene weitere Attribute für Identität anwenden: "personale Identität" oder "menschliche Identität". Was dann aber zu unterschiedlichen Antworten führen würde/könnte. Ist derselbe Mensch immer auch dieselbe Person? Ist überhaupt jeder Mensch eine Person? Kann etwas nicht Menschliches eine Person sein? Und ob Ja oder Nein, was bedeutet das für den Identitätsbegriff?



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AufDerSonne
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So 9. Okt 2022, 12:07

Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 11:24

Man könnte nun auf den Menschen verschiedene weitere Attribute für Identität anwenden: "personale Identität" oder "menschliche Identität". Was dann aber zu unterschiedlichen Antworten führen würde/könnte. Ist derselbe Mensch immer auch dieselbe Person? Ist überhaupt jeder Mensch eine Person? Kann etwas nicht Menschliches eine Person sein? Und ob Ja oder Nein, was bedeutet das für den Identitätsbegriff?
Es gibt doch die Idee, dass jeder Mensch einen unveränderlichen Kern in sich hat.
Man ist versucht, intuitiv dieser Idee zuzustimmen. Irgendetwas gibt es in jedem Menschen, das sich nie verändert.
Man sagt auch, dass man besonders an den Augen einen Menschen auch nach vielen Jahren noch erkennt.

Hm, was könnte dieser Kern sein? Biologisch gesehen, könnte er mit den Genen zusammenhängen. Die Gene bestimmen ja am Anfang, wie ein Mensch aufgebaut ist. Und sie verändern sich, soviel ich weiß, nie.
Und der Körper eines Menschen verändert sich zwar, ist aber immer der gleiche Körper im Raum. Der Körper wird kontinuierlich älter. Aber ist er sich nicht immer ähnlich? Nicht gleich, aber ähnlich?



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So 9. Okt 2022, 12:20

Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 11:24
Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 10:59
Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 10:35


Ich versuch's noch einmal.
Wenn du kein Problem mit "Identität" hast und gleichzeitig sagst, ein Mensch bleibe immer derselbe Mensch und "ist insofern eine eigene Identität", dann liegt mein Problem mit Identität in Folgendem:

Ein Mensch bleibt immer derselbe Mensch und ist insofern eine eigene Identität.

Für mich ist das eine petitio principii, und mit "eine Identität SEIN" führst du einen bisher nicht zur Sprache gekommenen Aspekt von Identität ein.
Mir ist nicht klar, wo das Problem sein soll. Ein einzelner Mensch bleibt aus meinen "Menschen-Identitäts-Begriff" heraus immer mit sich identisch; er wird also nicht z.B. zu einem anderen Menschen und ein anderer Mensch nicht zu ihm.
Ist es dieser "Menschen-Identitäts-Begriff", der dir von mir fehlte? (Ok, vielleicht erschien er mir zu naheliegend, um ihn aufzuschreiben.)
Aber was heißt/bedeutet das: Mit sich identisch bleiben? WAS genau ist da WOMIT identisch? Wie lauten die Zuschreibungen, die das Wort "Identität" auf den Begriff bringen?
Wir benutzen "Identität" auf unterschiedlichen Ebenen, es muss natürlich auf die geschaut werden, die gerade bei "mit sich identisch bleiben" u.ä. relevant bzw. gemeint ist bzw. sein soll.
Beim Menschen meine ich IHN mit SICH über die Zeit (und ggf. in seiner zeitlosen Abstraktion, wenn's sein muss); sein (im Großen und Ganzen) vor allem über kurze Zeitphasen erhaltener Körper und Geist, insbesondere mit dem Axiom, dass es nicht einfach verschwinden kann (außer beim Tod).
"Er ist nicht mehr er selbst", "Ich erkenne ihn nicht wieder", um nur einmal zwei simple Sätze zu nennen, die von außen oft über andere geäußert werden und ganz offensichtlich auf bestimmte Eigenschaften oder auf bestimmte Attribute bezogen sind, die für den Begriff der Identität ausschlaggebend zu sein scheinen.
Das sind "nur" unsere Probleme, ihn nicht mehr wieder zu erkennen, z.B. wenn wir ihn länger nicht gesehen haben.
Natürlich kann man sich auch über einzelne Identitäts-Eigenschaften Gedanken machen, aber letztlich ist eine Änderung einer solchen Eigenschaft nur eben diese Änderung und nicht die des ganzen Menschen.
"Derselbe Mensch" - was ist das: das Subjekt, das auf sich selbst blickt oder du, der auf den anderen blickt? Und WEIß man es oder SIEHT man es? Oder weder noch, aber man hört es (an einer Stimme)?
Wie gesagt, ganz pragmatisch ist der Mensch immer "derselbe Mensch", auch wenn es sich in Details ändern mag. Das gilt für das Subjekt selbst und für andere, die es als solches korrekt erkennen (diese Anderen haben ggf. das Problem des Wissens und Sehens wie so oft bei Erkenntnis-Prozessen).
Die Identität ist in der Postmoderne so wenig anerkannt wie bei Buddhisten oder auch Neurowissenschaftlern. Jeder ihrer Vertreter hat dafür eine andere Theorie. Und die meisten anderen haben kaum eine Theorie, was Identität überhaupt sein soll, was konstitutiv für sie ist. Meistens wird sie durch ein Attribut eingegrenzt, wie zum Beispiel "kulturelle Identität".
Keine Ahnung, ob es für sie einfach keine relevante Rolle spielt, was Andere als "Identität" ansehen wollen.
Man könnte nun auf den Menschen verschiedene weitere Attribute für Identität anwenden: "personale Identität" oder "menschliche Identität". Was dann aber zu unterschiedlichen Antworten führen würde/könnte. Ist derselbe Mensch immer auch dieselbe Person? Ist überhaupt jeder Mensch eine Person? Kann etwas nicht Menschliches eine Person sein?
Bei jeder der Detailfragen ist die Frage, was soll "Person" genau bedeuten mit welchen Konsequenzen ggf.
Und ob Ja oder Nein, was bedeutet das für den Identitätsbegriff?
Der Begriff liegt in unseren Händen, wir entscheiden, was das bedeuten soll.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
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Jörn Budesheim
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So 9. Okt 2022, 12:55

Derek Parfit hat geschrieben : Beginnen wir mit einem Science-Fiction-Szenario. Hier auf der Erde betrete ich einen Teletransporter. Wenn ich einen Knopf drücke, zerstört eine Maschine meinen Körper und registriert dabei den genauen Zustand all meiner Zellen. Diese Informationen werden per Funk zum Mars gesendet, wo eine andere Maschine aus organischem Material eine perfekte Kopie meines Körpers herstellt. Die Person, die auf dem Mars aufwacht, scheint sich daran zu erinnern, mein Leben bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich den Knopf drückte, gelebt zu haben, und ist auch in jeder anderen Hinsicht genau wie ich.

Innerhalb der philosophischen Debatte über solche Fälle glauben manche, dass ich es wäre, der auf dem Mars aufwacht. Ihres Erachtens ist Teletransportation lediglich die schnellste Art zu reisen. Andere glauben, dass ich einen schrecklichen Fehler machen würde, wenn ich mich dazu entschlösse, teletransportiert zu werden. Nach ihrem Verständnis wäre die Person, die dort aufwacht, nur eine Kopie von mir.

Es handelt sich hierbei um einen Disput über personale Identität. Um diesen Streit zu verstehen, müssen wir zwischen zwei Arten von Identität [sameness] unterscheiden. Zwei Billardkugeln können qualitativ identisch, das heißt genau gleich sein. Aber numerisch sind sie nicht identisch, sie sind nicht ein und dieselbe Kugel. Wenn ich eine dieser Kugeln umfärbe, ist sie nicht mehr qualitativ identisch mit der Kugel, wie sie früher war, aber sie ist immer noch ein und dieselbe Kugel. Betrachten wir nun eine Aussage wie die folgende: »Seit ihrem Unfall ist sie nicht mehr dieselbe Person.« Hier sind beide Bedeutungen von »Identität« im Spiel. Es heißt, 70dass sie, ein und dieselbe Person, nun nicht mehr die gleiche Person ist. Dies ist kein Widerspruch. Es wird lediglich behauptet, dass der Charakter der Person sich verändert hat. Die numerisch identische Person ist nun qualitativ anders.

Wenn Psychologen über Identität sprechen, geht es ihnen normalerweise darum, was für eine Art von Person jemand ist oder sein möchte. Um diese Frage geht es beispielsweise bei einer Identitätskrise. Aber wenn Philosophen über Identität sprechen, meinen sie numerische Identität. Und auch wenn wir uns über unsere Zukunft Gedanken machen, ist es dies, was wir im Sinn haben. Es mag sein, dass ich glaube, dass ich nach meiner Hochzeit eine andere Person sein werde. Aber das macht eine Hochzeit nicht zum Tod. Egal wie sehr ich mich verändere, ich werde immer noch leben, solange eine Person am Leben ist, die mit mir identisch ist. Ebenso wäre, wenn ich teletransportiert würde, meine Kopie auf dem Mars mit mir qualitativ identisch, aber nach Auffassung des Skeptikers wäre sie nicht ich. Ich würde nicht mehr existieren. Und das, so denken wir verständlicherweise, ist das, was von Bedeutung ist, das, worauf es ankommt [what matters].

Fragen bezüglich unserer numerischen Identität haben alle die folgende Form: Es gibt zwei unterschiedliche Arten, auf eine Person Bezug zu nehmen, und wir fragen danach, ob dies Arten sind, auf dieselbe Person Bezug zu nehmen. So könnten wir beispielsweise fragen, ob Boris Nikolajewitsch und Jelzin dieselbe Person sind. Bei den wichtigsten Fragen dieser Art identifizieren unsere zwei Weisen der Bezugnahme eine Person zu verschiedenen Zeitpunkten. So könnten wir fragen, ob die Person, mit der wir jetzt sprechen, dieselbe ist wie die Person, mit der wir gestern telefoniert haben. Dies sind Fragen der diachronen Identität.

Um solche Fragen zu beantworten, müssen wir das Kriterium der personalen Identität kennen: die Relation zwischen einer Person zu einer Zeit und einer Person zu einer anderen Zeit, die diese zu ein und derselben Person macht.

...

Verschiedene Kriterien sind vorgeschlagen worden. Einer Sichtweise zufolge ist dasjenige, was mich über die Dauer meines Lebens zu ein und derselben Person macht, dass ich denselben Körper habe. Dieses Kriterium erfordert ununterbrochene körperliche Kontinuität. Zwischen meinem Körper auf der Erde und dem Körper meiner Kopie auf dem Mars besteht keine solche körperliche 71Kontinuität; also wäre dieser Position zufolge meine Kopie nicht ich. Andere Autoren berufen sich auf psychologische Kontinuität. So behauptete Locke, dass ich, wenn ich Erinnerungen an ein vergangenes Leben in einem anderen Körper hätte, auch die Person sei, die dieses Leben lebte. Manchen Versionen dieser Position zufolge wäre meine Kopie ich.

...
Alina Singer hat geschrieben :
  • An welchen Kriterien lässt sich personale Identität festmachen?
  • Gibt es Kriterien der personalen Identität, die schlüssiger und richtiger sind als andere?




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So 9. Okt 2022, 13:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 12:55
Derek Parfit hat geschrieben : Beginnen wir mit einem Science-Fiction-Szenario. Hier auf der Erde betrete ich einen Teletransporter. Wenn ich einen Knopf drücke, zerstört eine Maschine meinen Körper und registriert dabei den genauen Zustand all meiner Zellen. Diese Informationen werden per Funk zum Mars gesendet, wo eine andere Maschine aus organischem Material eine perfekte Kopie meines Körpers herstellt. Die Person, die auf dem Mars aufwacht, scheint sich daran zu erinnern, mein Leben bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich den Knopf drückte, gelebt zu haben, und ist auch in jeder anderen Hinsicht genau wie ich.

Innerhalb der philosophischen Debatte über solche Fälle glauben manche, dass ich es wäre, der auf dem Mars aufwacht. Ihres Erachtens ist Teletransportation lediglich die schnellste Art zu reisen. Andere glauben, dass ich einen schrecklichen Fehler machen würde, wenn ich mich dazu entschlösse, teletransportiert zu werden. Nach ihrem Verständnis wäre die Person, die dort aufwacht, nur eine Kopie von mir.

Es handelt sich hierbei um einen Disput über personale Identität. Um diesen Streit zu verstehen, müssen wir zwischen zwei Arten von Identität [sameness] unterscheiden. Zwei Billardkugeln können qualitativ identisch, das heißt genau gleich sein. Aber numerisch sind sie nicht identisch, sie sind nicht ein und dieselbe Kugel. Wenn ich eine dieser Kugeln umfärbe, ist sie nicht mehr qualitativ identisch mit der Kugel, wie sie früher war, aber sie ist immer noch ein und dieselbe Kugel. Betrachten wir nun eine Aussage wie die folgende: »Seit ihrem Unfall ist sie nicht mehr dieselbe Person.« Hier sind beide Bedeutungen von »Identität« im Spiel. Es heißt, 70dass sie, ein und dieselbe Person, nun nicht mehr die gleiche Person ist. Dies ist kein Widerspruch. Es wird lediglich behauptet, dass der Charakter der Person sich verändert hat. Die numerisch identische Person ist nun qualitativ anders.

Wenn Psychologen über Identität sprechen, geht es ihnen normalerweise darum, was für eine Art von Person jemand ist oder sein möchte. Um diese Frage geht es beispielsweise bei einer Identitätskrise. Aber wenn Philosophen über Identität sprechen, meinen sie numerische Identität. Und auch wenn wir uns über unsere Zukunft Gedanken machen, ist es dies, was wir im Sinn haben. Es mag sein, dass ich glaube, dass ich nach meiner Hochzeit eine andere Person sein werde. Aber das macht eine Hochzeit nicht zum Tod. Egal wie sehr ich mich verändere, ich werde immer noch leben, solange eine Person am Leben ist, die mit mir identisch ist. Ebenso wäre, wenn ich teletransportiert würde, meine Kopie auf dem Mars mit mir qualitativ identisch, aber nach Auffassung des Skeptikers wäre sie nicht ich. Ich würde nicht mehr existieren. Und das, so denken wir verständlicherweise, ist das, was von Bedeutung ist, das, worauf es ankommt [what matters].

Fragen bezüglich unserer numerischen Identität haben alle die folgende Form: Es gibt zwei unterschiedliche Arten, auf eine Person Bezug zu nehmen, und wir fragen danach, ob dies Arten sind, auf dieselbe Person Bezug zu nehmen. So könnten wir beispielsweise fragen, ob Boris Nikolajewitsch und Jelzin dieselbe Person sind. Bei den wichtigsten Fragen dieser Art identifizieren unsere zwei Weisen der Bezugnahme eine Person zu verschiedenen Zeitpunkten. So könnten wir fragen, ob die Person, mit der wir jetzt sprechen, dieselbe ist wie die Person, mit der wir gestern telefoniert haben. Dies sind Fragen der diachronen Identität.

Um solche Fragen zu beantworten, müssen wir das Kriterium der personalen Identität kennen: die Relation zwischen einer Person zu einer Zeit und einer Person zu einer anderen Zeit, die diese zu ein und derselben Person macht.

...

Verschiedene Kriterien sind vorgeschlagen worden. Einer Sichtweise zufolge ist dasjenige, was mich über die Dauer meines Lebens zu ein und derselben Person macht, dass ich denselben Körper habe. Dieses Kriterium erfordert ununterbrochene körperliche Kontinuität. Zwischen meinem Körper auf der Erde und dem Körper meiner Kopie auf dem Mars besteht keine solche körperliche 71Kontinuität; also wäre dieser Position zufolge meine Kopie nicht ich. Andere Autoren berufen sich auf psychologische Kontinuität. So behauptete Locke, dass ich, wenn ich Erinnerungen an ein vergangenes Leben in einem anderen Körper hätte, auch die Person sei, die dieses Leben lebte. Manchen Versionen dieser Position zufolge wäre meine Kopie ich.

...
Alina Singer hat geschrieben :
  • An welchen Kriterien lässt sich personale Identität festmachen?
  • Gibt es Kriterien der personalen Identität, die schlüssiger und richtiger sind als andere?
Nach meiner Ansicht spielt bei Menschen hinsichtlich seiner Identität etwas wie ein Teletransporter keine (oder eine nur spielerisch-theoretische) Rolle, solange es keine Möglichkeit zum Kopieren/Portieren eines Menschen gibt.
Ein Mensch ist soweit einfach eindeutig durch seine Person, seinen Körper/Geist u.ä. Ggf. ist es identifizierbar mittels seiner Gene, Irisscan usw.
Das ist natürlich ganz anders als beim Schiff des Theseus o.ä.

In welchem Kontext sind Alina Singers beide Punkte gemeint? Vermutlich nicht beim direkt anfassbaren Menschen, eher im Digitalen oder so?
Zuletzt geändert von Burkart am So 9. Okt 2022, 14:00, insgesamt 1-mal geändert.



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Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 13:33

Nach meiner Ansicht spielt bei Menschen hinsichtlich seiner Identität etwas wie ein Teletransporter keine (oder eine nur spielerisch-theoretische) Rolle, solange es keine Möglichkeit zum Kopieren/Portieren eines Menschen gibt.
Ein Mensch ist soweit einfach eindeutig durch seine Person, seinen Körper/Geist u.ä. Ggf. ist es identifizierbar mittels seiner Gene, Irisscan usw.
Das ist natürlich ganz anders als beim Schiff des Theseus o.ä.
Könnte man vielleicht weiterkommen, wenn man unterscheidet, ob man das eigene Gefühl der Identität spürt oder ob ein anderer beurteilen muss, ob wir immer noch derselbe sind?
Wieso ich identisch bin mit dem, der ich gestern war, könnte ich vielleicht beschreiben.
Aber wie mein Kollege beurteilt, der mich heute sieht, dass ich derselbe wie gestern sein muss, das weiß ich nicht.



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Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 13:33
In welchem Kontext sind Alina Singers beide Punkte gemeint? Vermutlich nicht beim direkt anfassbaren Menschen, eher in Digitalen oder so?
Der Kontext ist derselbe wie in diesem Faden, es geht um personale Identität.

(Damit ist zwar in der Regel, aber keineswegs automatisch der Mensch gemeint, da auch andere Wesen Personen sein könnten, möglicherweise Aliens, aber vielleicht auch einige der hochentwickelten Tiere. Denkbar ist schließlich auch, dass wir in Zukunft künstliche Wesen erschaffen, denen wir Personenstatus zu billigen müssen.)

Ein Wort zu den Gedankenexperimenten. Zwar ist Teleportation nicht möglich, aber solche fiktiven Situationen können uns helfen, uns Klarheit über unsere Intuitionen und Vorstellungen zu verschaffen.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 14:02

Der Kontext ist derselbe wie in diesem Faden, es geht um personale Identität.
Wobei weder klar ist was "personal" bedeutet, noch was "Identität" bedeutet.
Unsere Identität hat wahrscheinlich auch mit den anderen Menschen zu tun.
Wir definieren uns stark über die Reaktionen von anderen Menschen, wenn wir mit ihnen zusammen sind, wenn wir unter Menschen sind.
Also die Frage. Was ist an mir anders als an meinem Kollegen? Wie unterscheide ich mich von meinem Kollegen? So kommen wir zu einem Bild von uns selbst.

Ein Mensch lebt, ist ein Lebewesen. Er verändert sich jeden Tag. Die Frage ist, ob es überhaupt objektive Kriterien geben kann für Identität bei einem Lebewesen.
Das Leben lässt sich nicht berechnen.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 14:02
Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 13:33
In welchem Kontext sind Alina Singers beide Punkte gemeint? Vermutlich nicht beim direkt anfassbaren Menschen, eher in Digitalen oder so?
Der Kontext ist derselbe wie in diesem Faden, es geht um personale Identität.
Grob gesehen ist das schon klar (auch wenn wie AufDerSonne richtig bemerkt hat, beide Begriffe nicht wirklich ganz klar sind).
Ich frag(t)e mich nur, ob man dabei einen Menschen direkt vor Augen hat/haben kann, ihn ganz anders nur digital erfasst betrachtet - halt, ob es irgendeinen genaueren Kontext dazu gibt. Aber anscheinend scheint es keinen genaueren zu geben!?
Ein Wort zu den Gedankenexperimenten. Zwar ist Teleportation nicht möglich, aber solche fiktiven Situationen können uns helfen, uns Klarheit über unsere Intuitionen und Vorstellungen zu verschaffen.
Das ist einerseits eine Idee, andererseits sollte man sich aber auch klar sein, dass unsere Vorstellungen und Begriffe gerade auf der Realität beruhen und bei zu großem Abweichen z.T. keinen großen Sinn mehr haben können.
Wenn wir uns z.B. vorstellen, dass Menschen sie einfach durch einen Gedanken zu einem zweiten identischen klonen könnten, würde die (physisch) eindeutige personale Identität keinen Sinn mehr machen. Die Teleportation wäre eine ähnliche Situation, abhängig davon, was genau bei ihr genau gehen soll (Kopie? Totalverlust/Löschung?) und was nicht.



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Jörn Budesheim
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Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 15:11
Aber anscheinend scheint es keinen genaueren zu geben!?
Der Kontext ist die philosophische Frage nach der personalen Identität. Und die Autorin erklärt in den beiden Sätzen, wonach dabei gefragt wird.




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Jörn Budesheim
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Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 12:20
Der Begriff liegt in unseren Händen, wir entscheiden, was das bedeuten soll.
Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 15:11
... andererseits sollte man sich aber auch klar sein, dass unsere Vorstellungen und Begriffe gerade auf der Realität beruhen.




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So 9. Okt 2022, 16:41

Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 11:24
Aber was heißt/bedeutet das: Mit sich identisch bleiben? WAS genau ist da WOMIT identisch? Wie lauten die Zuschreibungen, die das Wort "Identität" auf den Begriff bringen?
Der Eigenname mit sich selbst.

Der Leib verändert sich, aber als Körper identifiziert man sich in jedem Moment mit sich selbst. Dies, weil der Eigenname nicht "leer" denkbar ist.
Zuletzt geändert von Groot am So 9. Okt 2022, 17:39, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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So 9. Okt 2022, 17:45

Derek Parfit hat geschrieben : Wenn ich einen Knopf drücke, zerstört eine Maschine meinen Körper und registriert dabei den genauen Zustand all meiner Zellen.
Burkart hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 15:11
Die Teleportation wäre eine ähnliche Situation, abhängig davon, was genau bei ihr genau gehen soll (Kopie? Totalverlust/Löschung?) und was nicht.




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Jörn Budesheim
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So 9. Okt 2022, 17:50

Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 11:24
"Er ist nicht mehr er selbst", "Ich erkenne ihn nicht wieder", um nur einmal zwei simple Sätze zu nennen, die von außen oft über andere geäußert werden und ganz offensichtlich auf bestimmte Eigenschaften oder auf bestimmte Attribute bezogen sind, die für den Begriff der Identität ausschlaggebend zu sein scheinen.
Derek Parfit hat geschrieben : Wenn Psychologen über Identität sprechen, geht es ihnen normalerweise darum, was für eine Art von Person jemand ist oder sein möchte. Um diese Frage geht es beispielsweise bei einer Identitätskrise. Aber wenn Philosophen über Identität sprechen, meinen sie numerische Identität.




Körper
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So 9. Okt 2022, 17:51

Lucian Wing hat geschrieben :
So 9. Okt 2022, 09:14
Sicher, sofern man das aus der Perspektive der dritten Person betrachtet. Aber wenn das entsprechende Subjekt zwischen dieser Position keinen Bezug mehr aufbauen kann, weil das Subjekt, als das er sich erinnert, von dem Subjekt abweicht, als das er sich in dieser Position wiederfindet, dann ist ihm ein Stück Identitätsfähigkeit abhanden gekommen.
Bei dieser "Position in Umwelt" geht es (egal wie abstrakt) um zwei Anteile?
1.
Wer nimmt die Position ein?
Das ist letztlich die Frage nach der Subjektivität.
=> Wer drückt sich selbst mit dem Wort "Ich" aus?
Dieser Jemand wechselt nie und geht auch nie verloren, denn er ist es, der "seine Wahrnehmung" durchführt.
"Seine Wahrnehmung" weil er darin seine Zusammenhänge aufbaut.
2.
Über welche Verbindungen (von sich selbst ausgehend) formt dieser Jemand "seine Position in Umwelt"?
Das können Charaktereigenschaften, Vergangenheitsanteile, Ziele, Rollenspiele (was auch immer) sein.
Die konkreteste "Position in Umwelt" ist die Raumposition. Dabei geht es nur ums "Hier und Jetzt" und die aktuelle Umwelt.
Alle anderen Verbindungen können durch Unfall/Krankheit verloren gehen, die Raumposition im "Hier und Jetzt" kann nicht verloren gehen.
Bei der Raumposition geht es sozusagen unmittelbar um "Wer nimmt die Position ein".

Eigentlich ist das sehr unspektakulär.
Für Punkt 1 ist es der Körper und bei Punkt 2 unterliegt die (Wahrnehmungs-)Reaktion des Körpers einer Formung durch die Situationen, in denen sich der Körper befand/befindet.
Punkt 2 ist damit in gewisser Weise ein Entwurf, den der Körper aus der Umwelt ableitet und teilweise auch selbst entwickelt.

Hier mal ein Link zu Dissoziative Identitätsstörung das vermutlich an das herankommt, was du ausdrücken möchtest.
Das sind Personen, die z.T. dramatisch in den Charakterzügen wechseln und (nehmen wir einen drastischen Fall an) selbst nichts von der jeweils anderen Identität wissen.

Diese Effekte würde ich vollständig unter Punkt 2 einordnen.
Egal welche Verbindungen der Mensch in seiner aktuellen Rolle aufbaut (sagen wir "Dämon"), im "Hier und Jetzt" ist er immer der Körper.
Es ist immer der Körper, der handelt und es ist immer der Körper, der sein Handeln versteht - nur halt in unterschiedlichen Kontexten.

Im Link wird angesprochen, dass man hierfür (in früheren Tagen) die Idee der "Besessenheit" eingeführt hat.
Da blitzt wieder die eigenartige Vorstellung auf "der Körper wird von Etwas gesteuert", sprich "das Subjekt soll nicht der Körper sein".
Die Motivation hierfür sehe ich im religiös/philosophischen Umfeld.

(Wer möchte, kann sich dieses Video über Besessenheit und Exorzismus ansehen.
All diese dramatischen Effekte verorte ich bei Punkt 2. Punkt 1 bleibt stabil.)




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