Emotionen und Emotionsregulation

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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AufDerSonne
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Sa 7. Jan 2023, 17:31

Mässigkeit ist eine Tugend oder jedenfalls etwas sehr Wichtiges.
Aber es geht darum, wie sich Emotionen regulieren. Ich sehe den Zusammenhang noch nicht ganz.
Man kann zu wütend sein oder zu wenig wütend oder gar nicht wütend. Jeder reagiert auf eine Situation anders.
Die Wut muss irgendwie abgebaut oder umgewandelt werden.

Ich denke, ich selbst kann oft negative Emotionen in positive verwandeln. Das habe ich ein wenig gelernt.



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Jörn Budesheim
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Sa 7. Jan 2023, 17:39

Mir ist nicht klar, worauf Du in diesem Beitrag hinaus willst? Wofür oder wogegen möchtest du argumentieren?




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AufDerSonne
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Sa 7. Jan 2023, 17:40

Ich versuche mir vorzustellen, was Emotionsregulation bedeuten könnte. Das ist alles.
Nicht ich bin es, der vom Thema abweicht.



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Jörn Budesheim
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Sa 7. Jan 2023, 17:55

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 7. Jan 2023, 17:31
Mässigkeit ist eine Tugend oder jedenfalls etwas sehr Wichtiges.
Aber es geht darum, wie sich Emotionen regulieren. Ich sehe den Zusammenhang noch nicht ganz.
Der Ausdruck Regulation stammt von lat. regula Maßstab, Regel. Wenn ich also (mit Aristoteles) vom Maß spreche, spreche ich Prinzip vom selben. Das ist also kein anderes Thema, sondern das gleiche nur statt in lateinischen in deutschen Ausdrücken :)




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AufDerSonne
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Sa 7. Jan 2023, 18:25

Von mir aus. Aber es geht doch darum, wie sich unsere Emotionen regulieren können, wenn wir nicht "im Mass" sind.
Wenn es ein Zuviel oder ein Zuwenig an Emotionen gibt, aus was für einem Grund auch immer. Was passiert dann?

Und ich habe gesagt, eine Möglichkeit ist es, dass man negative Emotionen umwandelt in positive. Das ist manchmal möglich.
Das ist eigentlich noch besser, als die negativen Emotionen nur abzubauen und ins Gleichmass zu kommen.



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Jörn Budesheim
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Sa 7. Jan 2023, 18:32

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 7. Jan 2023, 18:25
... ich habe gesagt, eine Möglichkeit ist es, dass man negative Emotionen umwandelt in positive. Das ist manchmal möglich.
Das ist eigentlich noch besser, als die negativen Emotionen nur abzubauen und ins Gleichmass zu kommen.
Ich könnte vielleicht besser darauf antworten, wenn du die Stellen zitieren würdest, auf die du dich beziehst. (Wo findest du z.b "Gleichmaß" bei mir?) So hängt es für mich im Moment etwas in der Luft und ich weiß überhaupt nicht, worauf du dich genau beziehst.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Jan 2023, 18:50

Vielleicht noch eine kleine Bemerkung zur "Unterdrückung" der Gefühle, von der weiter oben die Rede war. Ich denke vielmehr, Emotionsregulation ist (als Teil unserer Selbstregulation) ein wichtiger Aspekt unserer Freiheit und unsere Identität.




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AufDerSonne
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Sa 7. Jan 2023, 19:26

Melissos hat geschrieben :
So 25. Dez 2022, 17:27
Mit Emotionsregulation ist dabei aber nicht alleine das gemeint, was sich explizit im Bewusstsein vollzieht und scheinbar durch bewusste, introspektive Steuerung oder gar Analyse (nicht) kontrollieren lässt. Nein.
Hilfreich ist hier die Entwicklungsgeschichte des Lernens eines Klavierstückes oder eines Tanzes oder vielleicht noch besser: des Zähneputzens. Das 2-5 jährige Kind muss 1000 Male üben, bis das Zähneputzen endlich routiniert ablaufen kann. Dann benötigt es fast keine Steuerung mehr, sondern - im Vergleich zu früher - eher der Überwachung, während nun parallel ganz andere Inhalte behandelt werden können.
Der Vorgang läuft nun nahezu "automatisch" ab. Das "Problem", das früher als unüberwindlich schien und ständig Unterstützung erforderlich machte, wird nun pragmatisch behandelt und täglich gelöst - jahrelange Übung war hierfür notwendig.
Gute Frage, auf was ich mich beziehe. Ich beziehe mich auf das, was ich unter Emotionsregulation verstehe.
Ich habe hier das Beispiel aus dem Einleitungspost gebracht und festgestellt, dass es, von mir aus gesehen, überhaupt nichts mit Emotionsregulation zu tun hat.
@Melissos
Du beschreibst hier einen Lernprozess. Das Thema, wie sich unsere Emotionen regulieren, sprichst du gar nicht an.
Lernen und Emotionen sind nun wirklich zwei Paar Schuhe. Ausser dass Lust und Unlust beim Lernen eine grosse Rolle spielen.
Das ist meine Meinung, dass Lust und Unlust wichtig sind beim Lernen.

Kurz: Emotionsregulation wird gar nicht angesprochen. :?



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Burkart
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Sa 7. Jan 2023, 23:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 7. Jan 2023, 17:21
Ich hatte weiter oben ein paar Beispiele gegeben. Ist es das richtige Maß, dass ein Leben in dauernder Angst ist? Ich würde sagen, ziemlich offensichtlich nicht. Du widersprichst aber (oder?), mich würde interessieren, warum?
Bei negativen Dingen gibt es viel eher ein richtiges Maß als bei positiven, die wöglich unbegrenzt gewünscht werden können.
Angst ist eher etwas Negatives (wenn sie auch begrenzt mal ein Nutzen haben kann) und deshalb möchte man sie sicherlich nicht dauernd erleben.
Zu Beginn wurde auch erwähnt, dass das Thema Emotionsregulation nicht nur in der Psychologie und in der Philosophie ein Thema ist sondern auch in der psychologischen Praxis und der Beratungsliteratur. Wenn es so etwas, wie das richtige Maß gar nicht gibt warum haben dann die entsprechenden Praxen und Bücher überhaupt ein Publikum?
Die Idee des richtigen Maßes ist ja nicht schlecht, z.B. als Idee, dass es zwischen Extremen oft besser ist als in einem der Extremen. Man sollte richtiges Maß nur nicht als zu absolut bzw. eindeutig bestimmbar ansehen.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Timberlake
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Sa 7. Jan 2023, 23:31

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 7. Jan 2023, 18:25


Und ich habe gesagt, eine Möglichkeit ist es, dass man negative Emotionen umwandelt in positive. Das ist manchmal möglich.
Keine Frage, das ist möglich .
  • "Die großen Eroberer haben immer die pathetische Sprache der Tugend im Munde geführt: sie hatten immer Massen um sich, welche sich im Zustande der Erhebung befanden und nur die erhobenste Sprache hören wollten. Wunderliche Tollheit der moralischen Urteile!"
    Nietzsche .. Von der großen Politik
.. insbesondere , wenn es gilt "groß zu Erobern" . Dann werden schon mal gerne negative Emotionen , die man mit einem Krieg verknüpft , in positive Emotion , die man Tugend verknpüft , umgewandelt.
Burkart hat geschrieben :
Sa 7. Jan 2023, 23:23

Angst ist eher etwas Negatives (wenn sie auch begrenzt mal ein Nutzen haben kann) und deshalb möchte man sie sicherlich nicht dauernd erleben.
Die Angst , in einer Folge einer solcher großen Eroberung , als Sodat zu sterben , wären für die großen Eroberer sicherlich was Negatives. Nur wann wäre der Nutzen dieser Angst jemals so groß gewesen , dass die großen Eroberer von ihrer großen Eroberung hätten Abstand nehmen müssen?
Melissos hat geschrieben :
So 25. Dez 2022, 17:27

Hilfreich ist hier die Entwicklungsgeschichte des Lernens eines Klavierstückes oder eines Tanzes oder vielleicht noch besser: des Zähneputzens. Das 2-5 jährige Kind muss 1000 Male üben, bis das Zähneputzen endlich routiniert ablaufen kann. Dann benötigt es fast keine Steuerung mehr, sondern - im Vergleich zu früher - eher der Überwachung, während nun parallel ganz andere Inhalte behandelt werden können.
Der Vorgang läuft nun nahezu "automatisch" ab. Das "Problem", das früher als unüberwindlich schien und ständig Unterstützung erforderlich machte, wird nun pragmatisch behandelt und täglich gelöst - jahrelange Übung war hierfür notwendig.

.. vielleicht verhält sich damit , wie beim Lernens eines Klavierstückes oder eines Tanzes oder vielleicht noch besser: des Zähneputzens . Das Töten und das Getötetwerden "1000 Male geübt" , kann endlich routiniert ablaufen. Es benötigt fast keine Steuerung mehr . Der Vorgang läuft nun nahezu "automatisch" ab .Das "Problem", das früher als unüberwindlich schien und ständig Unterstützung erforderlich machte, wird nun pragmatisch behandelt und täglich gelöst - jahrelange Übung war hierfür notwendig.




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Jörn Budesheim
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So 8. Jan 2023, 07:52

Bei den meisten letzten Beiträgen fällt es mir schwer, den Zusammenhang zum Thema zu erkennen. Deswegen möchte ich hier noch einmal kurz skizzieren, wie ich es verstehe.

Was ist Emotionsregulation? Im Netz findet man etliche Erläuterungen, was unter Emotionsregulation zu verstehen ist. Es geht - ganz allgemein gesagt - darum, Einfluss darauf zu nehmen, welche Emotionen man hat, wann man diese hat und wie man diese Emotionen erlebt und ausdrückt. Oft findet man bei der Recherche psychologische Ratgeber, die dabei helfen sollen, die eigenen Emotionen so zu regulieren, dass unerwünschte/problematische Zustände, wie zum Beispiel dauernde Angespanntheit oder ähnliches, vermieden bzw. wieder reguliert werden.

Das ist allerdings nicht der einzige Aspekt: "Mit Emotionsregulation ist dabei aber nicht alleine das gemeint, was sich explizit im Bewusstsein vollzieht und scheinbar durch bewusste, introspektive Steuerung oder gar Analyse (nicht) kontrollieren lässt." (Melissos) Gemeint ist also nicht allein Emotionsregulation, wie sie (ganz bewusst) in entsprechenden Problem-Fällen z.b bei Therapien eingesetzt wird.

Gemeint sind darüber hinaus jene "Emotionsregulationen, die wir als Kinder lernten, und die uns heute noch begleiten". Dabei wird der Umgang mit Emotionen genauso gelernt wie beispielsweise der Umgang mit einem Instrument oder das Zähneputzen oder ähnliches, so dass es am Ende der Lernphase mehr oder weniger automatisch (wenn man so will: nicht mehr explizit, sondern implizit, sprich "unbewusst") ablaufen kann.

Dieses Lernen vollzieht sich gemäß Melissos jedoch nicht gemäß einem anthropologischen Programm. Denn der Umgang mit Emotionen ist schließlich von Kultur zu Kultur unterschiedlich: "Jungens weinen nicht!" In einem anderen Faden hat Melissos dementsprechend von "sozialkulturellen Ausdrucksregeln" gesprochen. "Der soziale Umgang [in der Lernphase der Kinder] ist kulturell bedingt. Und genau das zeigt ja, dass die Emotionsregulation nicht automatisch, anthropo-logisch reguliert wird, sondern dass sich Regulation als sozialkulturelle Aufgabe stellt."

In der Philosophie versteht man unter Emotionen (auch wenn es natürlich andere Sichtweisen gibt) in der Regel körperliche Empfindungen, die (intentional) auf etwas gerichtet sind und uns die Welt qualitativ in einer bestimmten Weise präsentieren, zum Beispiel als gefährlich. Diese Sichtweise ist laut Melissos zwar nicht falsch, jedoch zu statisch. Ziel des Fadens ist, wenn ich richtig sehe, den Begriff Emotion entsprechend "zu dynamisieren", indem man den Aspekt der (kulturell gefärbten) Emotionsregulation je mitdenkt.




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AufDerSonne
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So 8. Jan 2023, 12:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 8. Jan 2023, 07:52
Es geht - ganz allgemein gesagt - darum, Einfluss darauf zu nehmen, welche Emotionen man hat, wann man diese hat und wie man diese Emotionen erlebt und ausdrückt.
Ja, aber darüber haben Timberlake und ich diskutiert. Und du zum Teil auch.
Mir ist aber noch etwas anderes wichtig. Wenn man es so formuliert wie du oben, dann könnte man meinen, wir können unsere Emotionen immer bewusst beeinflussen.
Ich sehe es ein wenig anders. Emotionsregulation passiert sowieso. Wenn jemand aggressiv ist, dann wird sich das irgendwie regulieren.

Was wir lernen können, ist es, unsere Emotionen besser in den Griff zu bekommen. Also bewusst Einfluss zu nehmen auf unsere Emotionen.
Aber die Regulation der Emotionen passiert ganz sicher, auch wenn wir sie nicht beeinflussen können.

Weiter denke ich, wir können nur begrenzt lernen auf unsere Gefühle Einfluss zu nehmen. Wenn ich als Kind gelernt haben, mit Zorn umzugehen, heisst das nicht, dass das dreissig Jahre später immer noch gleich funktioniert.
Emotionen sind zu komplex. Es gibt Einflüsse, die sich im Verlauf des Lebens ändern. Und sogar solche, die sich täglich ändern. Also so richtig kann man nicht lernen mit allen Emotionen umzugehen.



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Timberlake
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Fr 20. Okt 2023, 17:14

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Di 17. Okt 2023, 04:19
Lisa Feldman Barrett Siebeneinhalb, Lektionen über das Gehirn hat geschrieben : Welche Aspekte des Menschseins sind angeboren, und welche erwerben wir erst im Kontakt mit unserer Kultur? (....)
Unser emotionales System ist angeboren, somit auch die Fähigkeit, Gewinn und Gefahr zu unterscheiden. Es ist sehr alt und auch sehr viel älter, als unsere Spezies.
. und weil sehr alt und auch sehr viel älter, als unsere Spezies , so muss muss sich dieses emotionale System , als solches auch irgendwie bewehrt haben. Zumindest gemäß der Evolutionstheorie!
Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Di 17. Okt 2023, 01:23

Der Zweck KANN ein moralischer sein, muss aber nicht. Insofern sind moralische Zwecke eine Teilmenge der Gesamtmenge möglicher Zwecke. Wenn es allgemein um die Zwecke menschlichen Handelns geht, überwiegen nach meiner Beobachtung die ökonomischen Zwecke. Jedenfalls, was unsere westliche Gesellschaft betrifft.

In punkto moralische Beurteilung: Erst der moralische Zweck verleiht der askriptiven Beurteilung einen präskriptiven Charakter. Alle anderen Zwecke gegenüber den moralischen als nachrangig zu behandeln und im Zweifel zugunsten der moralischen aufzugeben, ist die allgemeine Forderung. Der im Allgemeinen niemand folgt. Was allgemein für ein hohes Maß an Amoral und die Dominanz ökonomischer Zwecke in der westlichen Gesellschaft spricht.

Ich bin mir sicher: Das muss nicht so sein. Aber ich bin ebenso sicher: Hier ist es so. Kant war meines Erachtens Idealist.
Wenn nun nach deiner Beobachtung die ökonomischen Zwecke "emotional" überwiegen, so möglicherweise auch deshalb , weil eine solche "Emotionsregulation" sehr alt und auch sehr viel älter, als unsere Spezies ist. Von daher bin ich mir sicher: Das muss so sein. Weil von "Hier ist es so" die Rede, wo und wann wäre denn dergleichen jemals nicht so gewesen? Der s.g. realexistierende Sozialismus scheidet schon mal aus. Der hat sich ganz sicher nicht bewehrt. Weil dieses emotionale System ignorierend, war Marx meines Erachtens Idealist. Ganz anders Kant ..
  • "Dieses Problem ist zugleich das schwerste und das, welches von der Menschengattung am spätesten aufgelöset wird. Die Schwierigkeit, welche auch die bloße Idee dieser Aufgabe schon vor Augen legt, ist diese: der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter andern seiner Gattung lebt, einen Herrn nöthig hat. Denn er mißbraucht gewiß seine Freiheit in Ansehung anderer Seinesgleichen; und ob er gleich als vernünftiges Geschöpf ein Gesetz wünscht, welches der Freiheit Aller Schranken setze: so verleitet ihn doch seine selbstsüchtige thierische Neigung, wo er darf, sich selbst auszunehmen. Er bedarf also einen Herrn, der ihm den eigenen Willen breche und ihn nötige, einem allgemeingültigen Willen, dabei jeder frei sein kann, zu gehorchen. Wo nimmt er aber diesen Herrn her? Nirgend anders als aus der Menschengattung. Aber dieser ist eben so wohl ein Thier, das einen Herrn nöthig hat. Er mag es also anfangen, wie er will; so ist nicht abzusehen, wie er sich ein Oberhaupt der öffentlichen Gerechtigkeit verschaffen könne, das selbst gerecht sei; er mag dieses nun in einer einzelnen Person, oder in einer Gesellschaft vieler dazu auserlesener Personen suchen. Denn jeder derselben wird immer seine Freiheit mißbrauchen, wenn er keinen über sich hat, der nach den Gesetzen über ihn Gewalt ausübt. Das höchste Oberhaupt soll aber gerecht für sich selbst und doch ein Mensch sein. Diese Aufgabe ist daher die schwerste unter allen; ja ihre vollkommene Auflösung ist unmöglich; aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Nur die Annäherung zu dieser Idee ist uns von der Natur auferlegt"
    Immanuel Kant .. Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht
Kant war sich diesem Problem, mit unserem sehr altem und auch sehr viel älteren .. "tierischen" .. emotionalen System , sehr wohl bewust. So jedenfalls sehe ich das.
Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 16:51
Auf das Individuum wirken diverse Gewalten ein: Naturgewalt, Staatsgewalt, Beziehungsgewalt, etc. Das Ziel könnte ganz allgemein darin bestehen, die Gewalt in jenen Bereichen, die wir beeinflussen können, zu minimieren. Es wäre denkbar, dass die Philosophie adäquate Methoden erarbeitet, um dieses Ziel zu erreichen.
. und wenn man Nietzsche glauben schenken darf , wäre so ein Ziel sogar machbar. Setzt er doch , meiner Meinung nach , mit seiner Philosophie genau dort an , was sehr alt und auch sehr viel älter, als unsere Spezies ist.
  • "Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?
    Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehn, als den Menschen überwinden?
    Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham."
    Friedrich Nietzsche .. Also sprach Zarathustra




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Jörn Budesheim
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Fr 20. Okt 2023, 18:44

Welche Belege gibt es eigentlich für die Behauptung, unsere Emotionen seien angeboren? Und was genau ist damit überhaupt gemeint? Ich erinnere noch einmal an die Hirnforscherin Feldman Barrett, die die Unterscheidung zwischen angeborenen und erworbenen Eigenschaften für illusorisch hält. Wir können die Gene nicht als alleinige Ursache einer Eigenschaft betrachten, ebenso wenig wie die Umwelt. Beide sind wie zwei Liebende beim Tangotanzen - so eng miteinander verwoben, dass es nicht einmal Sinn macht, ihnen unterschiedliche Namen wie «Anlage» und «Umwelt» zu geben.

Einige sogenannte basale Emotionen sind schon bei sehr kleinen Kindern zu beobachten, das ist wohl wahr. Daraus folgt aber nicht, dass sich unsere Emotionen, also z.B. die der hier an der Diskussion Beteiligten, allein daraus erklären ließen. Sie sind sicher auch historisch, ästhetisch, sozial, individuell und wie auch immer geformt. Außerdem beginnt soziale Interaktion schon vor der Geburt.




Timberlake
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Fr 20. Okt 2023, 20:15

Um einmal bei dieser Metapher , von den "zwei Liebende beim Tangotanzen" zu bleiben. Ich denke , wenn es um Emotionen und Emotionsregulation geht , dass die menschliche Spezies gewissermaßen auf den Tango festgelegt. Wollten zwei Liebende beispielsweise einen Walzer tanzen , dann käme sie in Anbetracht dessen gar nicht umhin , ihren Tanz unter der Musik eines Tangos auf zu führen.
Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Di 17. Okt 2023, 04:19


Ich habe mich vor über 10 Jahren mal mit Emotionstheorie beschäftigt. ...

Was ich dabei unter anderem heraus gefunden habe: Emotionen (über-) kompensieren sich gegenseitig. So entscheidet das relative Verhältnis von Glück und Angst über Denken und Handeln. Solange die Angst überwiegt, denken wir. Sobald das Glück überwiegt, handeln wir.
Während man beim "Tango" denkt , solbald die Angst überwiegt , so denkt man beim "Walzer", sobald das Glück überwiegt. Da reden wir von völlig verschiedenen "Emotionsregulationen" .




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Fr 20. Okt 2023, 22:10

Nur um einmal an dieser Stelle @Marcus Breitmeyers These "Solange die Angst überwiegt, denken wir. Sobald das Glück überwiegt, handeln wir" in Frage zu stellen ...
deutschlandfunkkultur.de hat geschrieben :
Gehirne aus der Steinzeit

Ein Gehirn in Angst will bloß überleben

Haben wir Angst, schaltet unser Steinzeitgehirn automatisch in den Überlebensmodus. Der besteht aus genau zwei möglichen Reaktionen: kämpfen oder rennen. . .....

Getrieben von Angst treffen wir also vor allem Entscheidungen mit kurzfristiger und damit kurzsichtiger Perspektive. Im Hinblick auf die Frage nach dem besten Verhalten bei akuten Gefahren ist das durchaus ein sinnvoller Mechanismus. Denn im Angesicht von Bär oder Löwe über den beruflichen oder privaten Zehn-Jahres-Plan nachzudenken, wäre wenig sinnvoll.
Doch um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, brauchen wir vor allem eins: Eine Lang- oder mindestens mittelfristige Perspektive beziehungsweise Gehirne, die weiter als bis zur nächsten sicheren Höhle, dem nächsten Wahlsieg oder dem nächsten Shareholder-Meeting denken.
Hiernach dürfte es nach meiner Einschätzung genau umgekehrt sein "Solange die Angst überwiegt, handeln wir. Sobald das Glück überwiegt, denken wir"
Melissos hat geschrieben :
So 25. Dez 2022, 17:27

Emotionen und Emotionsregulation

.
Wenn ein Mensch sagte, "ich habe Angst", schien zumindest intersubjektiv klar zu sein, wovon geredet wird -
....
Wie halten es die Philosophen mit der Emotionsregulation?
...
u.a. : "Wichtig ist hier, dass Emotionen als regulierbare Prozesse verstanden werden".
Wenn Emotionen als regulierbare Prozesse verstanden werden und Angst zu diesen Emotionen zählt, so kommt man wohl als Philosoph nicht um hin , zwischen kurzsichtigen und Lang- oder mindestens mittelfristige Perspektiven zu unterscheiden. Um so fataler , wenn das Denken ausbleibt, für den Fall, dass das Glück überwiegt. Sollte uns doch das "überwiegende" Glück, was uns der wissenschaftlich technische Fortschritt ermöglicht hat, eigentlich dazu befähigen über Lang- oder mindestens mittelfristige Perspektiven nach zu denken. Wohlgemerkt ein Nachdenken , das mittelbar zu jener Handlung führt, die von einer "überwiegenden" Angst angestoßen wird. Beispiel : Fridays for Future!

Insofern Angst und Glück besser .. "im Takt eines Walzers tanzen" .. sollten.

( Natürlich nur wenn @Marcus Breitmeyers, nach meiner nach meiner Einschätzung , mit seiner These "Solange die Angst überwiegt, denken wir. Sobald das Glück überwiegt, handeln wir" tatsächlich einem Irrtum aufgesessen ist)




Marcus Breitmeyer
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Sa 21. Okt 2023, 00:57

Moin Timberlake,

erstmal herzlichen Dank, dass Du meine Gedanken aufgreifst und mich hier zitierst!
Timberlake hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 17:14
. und weil sehr alt und auch sehr viel älter, als unsere Spezies , so muss muss sich dieses emotionale System , als solches auch irgendwie bewehrt haben. Zumindest gemäß der Evolutionstheorie!
Ja, so sehe ich das auch.
Timberlake hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 17:14
Wenn nun nach deiner Beobachtung die ökonomischen Zwecke "emotional" überwiegen (...)
An der Stelle liegt ein Missverständnis vor. Die Abwägung der Zwecke erfolgt rational und bewusst. Das betrifft die Planung der Motorik insgesamt. Emotional erfolgt nur die Entscheidung zu handeln (Serotonin: Glück) oder nicht (Noradrenalin: Angst). Im Gehirn werden alle Vorgänge dezentral erledigt. Das kann man im Extremfall bis auf einzelne Neurone runterbrechen. Jede Hirnstruktur ist jeweils spezialisiert.

Zu Kant und Nietzsche antworte ich Dir später noch separat.

Viele Grüße, Marcus




Timberlake
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Sa 21. Okt 2023, 01:40

Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2023, 00:57
Timberlake hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2023, 17:14
Wenn nun nach deiner Beobachtung die ökonomischen Zwecke "emotional" überwiegen (...)
An der Stelle liegt ein Missverständnis vor. Die Abwägung der Zwecke erfolgt rational und bewusst.

Viele Grüße, Marcus
Moin Marcus Marcus Breitmeyer

In dem so Kant ... ich zitiere ..
  • "Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objektiv-notwendig vorstellte"
  • "Der hypothetische Imperativ sagt also nur, daß die Handlung zu irgend einer möglichen oder wirklichen Absicht gut sei"
.. so könnte man tatsächlich meinen , dass die Abwägung der Zwecke rational und bewusst erfolgt . Nur besteht bei einem Zweck und infolge dessen einer Absicht , weil zu einem nicht (un-) wesentlichem Teil emotional, nicht auch immer zugleich die Gefahr , im Verlauf einer "Emotionsregulation" , unbewusst und damit irrational zu werden?

Beispiel
  • Overkill

    Um das Ausmaß der nuklearen Bedrohung zu veranschaulichen, stellte die Theologin Uta Ranke-Heinemann in einer Rede im Oktober 1981 die Frage, woher man denn die 100 Milliarden Menschen bekommen würde, die durch die Sprengkraft vernichtet werden könnten. Es bestehe ja kein Mangel an Waffen mehr, vielmehr reichten die Menschen, die durch Atomwaffen vernichtet werden könnten, nicht mehr aus. Statistisch gesprochen klaffe die Schere zwischen aktivem und passivem Vernichtungspotential immer weiter auseinander, so Ranke-Heinemann.
Befinden wir uns bei dieser Irrationalität nicht zu hundert Prozent in Kants "Reich der Zwecke" ? Zugegebenermaßen als Zweck , im Bezug auf den jeweiligen Gegner. Nur macht das einen Unterschied?
Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2023, 00:57

Zu Kant und Nietzsche antworte ich Dir später noch separat.
.. bin darauf auch schon sehr gespannt .

Viele Grüße, Timberlake




Marcus Breitmeyer
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Sa 21. Okt 2023, 03:39

Timberlake hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2023, 01:40
.. so könnte man tatsächlich meinen , dass die Abwägung der Zwecke rational und bewusst erfolgt . Nur besteht bei einem Zweck und infolge dessen einer Absicht , weil zu einem nicht (un-) wesentlichem Teil emotional, nicht auch immer zugleich die Gefahr , im Verlauf einer "Emotionsregulation" , unbewusst und damit irrational zu werden?
Marcus Breitmeyer hat geschrieben :
Di 17. Okt 2023, 02:23
Stefanie hat geschrieben :
Mo 16. Okt 2023, 15:36
Jetzt hat aber Marcus Breitmeyer in seiner Beschreibung das Wörtchen "Beurteilung" stehen und lässt dies nicht darauf schließen, dass er sowohl die Handlung wie das Handlungsziel bewertet, also ethisch unterwegs und nicht logisch?
Beurteilung: richtig & falsch
zweckmäßig vs unzweckmäßig
rational

Bewertung: gut & schlecht
Gewinn vs Gefahr
emotional

Also, ich bin schon logisch unterwegs. 😉

Ethik ist eine komplexe Angelegenheit, weil sie die emotionale Bewertung in die rationale Beurteilung einbezieht.
An diesem Punkt sind wir jetzt. Indem wir die Annahme zugrunde legen, dass Individuen derselben Spezies aufgrund der gleichen biologischen Grundausstattung auf die gleiche Weise emotional bewerten (Glück vs Angst => gut & schlecht), kommen wir zur Goldenen Regel bzw zum Universalitätsprinzip des kategorischen Imperativs nach Immanuel Kant. Nur unter dieser Annahme macht das Prinzip Sinn.




Marcus Breitmeyer
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Sa 21. Okt 2023, 06:35

Melissos hat geschrieben :
So 25. Dez 2022, 17:27
Wie halten es die Philosophen mit der Emotionsregulation?

Eine Möglichkeit der Verbindung mit der gegenwärtigen Philosophie eröffnet:

Joerg Fingerhut und Rebekka Hufendiek:
Philosophie des Geistes: Philosophie der Verkörperung. Die Embodied Cognition-Debatte

www.information-philosophie.de

u.a. : "Wichtig ist hier, dass Emotionen als regulierbare Prozesse verstanden werden".
Antithese: Nicht wir steuern unsere Emotionen. Die Emotionen steuern uns.

Angst: negative Anspannung
Freude: positive Anspannung
Glück: Entspannung

Angst: negatives Lernen
Freude: positives Lernen
Glück: Konsolidierung

Angst und Freude: Konzentration

Angst: Denken
Glück: Handeln

Angst und Glück: Organregulation

Wut: Verstärkung der Motorik
Hass: Verstärkung der Problemlösung
Anregung, Aufregung, Erregung

Lust und Liebe: Erinnerung

Wer möchte all diese Aufgaben rational und bewusst kontrollieren? Und wie?
Ohne Emotionen wären wir in kürzester Zeit tot. Wir wären nicht lebensfähig.




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