Was ist Liebe?

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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Jörn Budesheim
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Mo 27. Nov 2023, 06:49

Was ist Liebe? Inspiriert zu dem Thema hat mich dieser Beitrag von Quk:
Quk hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2023, 21:18
... das Thema der Liebe. Das finde ich sehr interessant. Dazu hätte ich auch viele Gedanken beizutragen, zumal ich mich in letzter Zeit tiefer mit dem Thema "Empathie" beschäftige und wie sie zusammenhängen könnte mit der Tatsache, dass das Leben auf der Erde seit Jahrmillionen durchschnittlich recht gut gedeiht und sich nicht schon längst selbst zerfetzt hat.




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Quk
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Mo 27. Nov 2023, 09:17

Nach meiner Ansicht ist Liebe ein lebenswichtiges Mittel gegen die Sterbekrankheit, von der jedes Lebewesen seit seiner Geburt befallen ist. Dieses Mittel ist zwar nicht allmächtig, aber es verzögert den Tod um viele Jahre oder Jahrzehnte. Das Mittel entstand vor Jahrmillionen im Chaos per Zufall und ist selbststabilisierend additiv. Deshalb ist es seither am Wachsen.

Lebewesen bekommen das Mittel, wenn sie etwas bestimmtes wahrnehmen am eigenen Wesen oder an anderen Wesen. Bei der Wahrnehmung am eigenen Wesen ist die Dosis meist niedrig -- von Ausnahmen abgesehen. Bei der Wahrnehmung an anderen Wesen oder Sachen kann die Dosis sehr hoch werden. Wenn Lebewesen das Mittel bekommen, erleben sie ein intensives Wohlgefühl. Das ist die additive Komponente, wodurch sich das Mittel vermehrt. Das Gegenmittel heißt Hass. Dieses ist subtraktiv. Es ist aber nicht groß genug zur Neutralisierung des Additiven, der Liebe, denn sonst wäre die Liebe und das Leben nicht seit Jahrmillionen am Wachsen.

Kein einziges Lebewesen ist autark. Daher muss ein lebenswilliges Wesen -- das sind die meisten -- nicht nur sich selbst, sondern auch andere Lebewesen schützen. Es hat Lust, andere zu schützen. Diese logische Erkenntnis braucht ein Wesen für seine Schutzlust jedoch nicht; es bedarf keiner Rechenmaschine für diese Lust. Die Schutzlust wird angeregt durch jenes Wohlgefühl. Daher sind nicht nur Menschen, sondern alle sinnlichen Tiere schutzlüstern, auch solche, die nicht rechnen können.


(An der Stelle ein Gruß an Quasarkarotte; beim Thema "Additiv und Subtraktiv" sind wir uns sicherlich einig darin, dass die Lebens-Evolution eher additiv als subtraktiv ist. Meine Skepsis gilt nur jener These mit dem Minus-Anfang.)




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Jörn Budesheim
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Mo 27. Nov 2023, 19:10

Du gehst hier ja eigentlich mehr darauf ein, wieso Liebe so wichtig ist o.ä., ich könnte den Titel des Fadens dementsprechend ändern, wenn Du möchtest?




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Quk
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Mo 27. Nov 2023, 20:31

Im ersten Satz steht das Adjektiv "lebenswichtig". Das ist das einzige Wort im Text, das die Wichtigkeit erwähnt, und wofür sie wichtig ist. Der Rest Textes erläutert allerlei weitere Einzelheiten auf die Frage "Was ist Liebe?"

Ich habe noch weitere Gedanken zu dem Thema, zum Beispiel darüber, wie Liebe kommuniziert, und was für Fähigkeiten dabei notwendig sind, -- Empathie und so weiter. Ich denke, Liebe ist sehr komplex; sie bietet vielerlei Aspekte. Sie alle gehören zu dieser Was-Frage.




Quasarkarotte
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Mi 29. Nov 2023, 14:23

Quk hat geschrieben :
Mo 27. Nov 2023, 09:17
...
Das ist eine interessante Sichtweise, Quk, danke fürs Teilen.

In meinen Augen ist Liebe eine hochgradig irrationale und eigenständige Kraft (irrational im Sinne von: keinem Muster folgend, unergründlich, unberechenbar).

Ist Hass das Gegenteil von Liebe? Gibt es überhaupt ein Gegenteil von Liebe?

Stelle ich die Liebe dem Hass gegenüber frage ich mich zunächst, in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen.

(Du hast interessanterweise behauptet, dass das Gegenmittel Hass nicht groß genug sei, um das Mittel Liebe zu neutralisieren. Also besteht hier aus deiner Sicht auch eine Art Ungleichgewicht im Verhältnis von Liebe und Hass.)

Ist die Konstellation vergleichbar mit einem Gegensatzpaar, bei dem die jeweiligen Gegenteile vollkommen voneinander abhängig und gleichberechtigt sind, wie klein und groß oder links und rechts? Ich denke, das trifft in diesem Fall nicht zu, denn das Vorhandensein von Liebe bedeutet nicht zwangsläufig, dass es auch Hass geben muss. Liebe kann in meinen Augen alleinstehen, sie ist eine eigenständige Kraft.

Aber ist Hass auch eine eigenständige Kraft?

Hier scheiden sich die Geister. Ich gehöre zu denen, die z.B. Ausländerfeindlichkeit nicht als Ausländerhass bezeichnen würden, denn ich trenne zwischen einer Anfeindung, die mit Liebe zu tun hat und einer Anfeindung, die nichts mit Liebe zu tun hat. Die Entstehung von Hass wurzelt in meinem Verständnis in der Liebe. Aus dieser Perspektive handelt es sich bei Hass um keine eigenständige, alleinstehende Kraft – sondern es handelt sich um dieselbe Kraft wie Liebe, die nur leider in Hass umgeschlagen ist.

Reine Liebe, was andere auch als wahre Liebe bezeichnen, ist für mich aufopfernd, bedingungslos und gewissermaßen auch grenzenlos. Dass diese reine Form der Liebe tatsächlich existiert, wurde bestimmt schon des Öfteren auch von Menschen unter Beweis gestellt, doch glaube ich, dass wir diese reine Form oftmals nicht erreichen oder umsetzen können. Warum auch immer. Wäre unsere Liebe immer aufopfernd, bedingungslos und grenzenlos, dann könnte Liebe nicht in Hass umschlagen.

Sofern wir also bei Liebe und Hass von Gegenteilen sprechen können, dann handelt es sich hierbei in meinen Augen um eine ganz besondere Konstellation, eine Art menschengemachte Gegensätzlichkeit, die nur durch unser Unvermögen zustande gekommen ist, reine Liebe umzusetzen.




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Jörn Budesheim
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Sa 2. Dez 2023, 21:14

Seit einigen Wochen schaue ich gelegentlich eine Netflix-Serie über die Evolution des Lebens. Spätestens mit den Säugetieren kam die Liebe in Form der elterlichen Fürsorge auf die Welt. Ich glaube, das ist keine allzu weit hergeholte These. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass die Liebe unter Primaten und insbesondere unter Menschen mit dieser frühen Form identisch ist.




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AufDerSonne
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Sa 2. Dez 2023, 21:23

Zwischen Liebe und Hass gibt es viele Grauzonen, also Abstufungen. Ich würde Liebe als ein besonders stark positives Gefühl bezeichnen. Aber nicht als magisch, wie es sonst so gängig ist. Auch wenn sich zwei Menschen lieben, werden sie eine gewisse Distanz zueinander nicht überwinden können. Das liegt einfach daran, dass beides Menschen sind. Man kann noch so verschmelzen mit dem anderen oder was auch immer, noch so viel Nähe spüren, aber man kann nicht der andere sein. Zum Glück. Liebe ist ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit jemandem anderen. Der Rest sind Märchen. Ihr merkt schon, dass ich nur begrenzt, ich würde aber auch sagen realistisch, an die Liebe glaube.



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Timberlake
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Sa 2. Dez 2023, 21:55

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2023, 21:23
Auch wenn sich zwei Menschen lieben, werden sie eine gewisse Distanz zueinander nicht überwinden können. Das liegt einfach daran, dass beides Menschen sind. Man kann noch so verschmelzen mit dem anderen oder was auch immer, noch so viel Nähe spüren, aber man kann nicht der andere sein.

Das sind Erfahrungen, die man in der Alltagswelt häufig macht: ...

systemische-beratung.de hat geschrieben : Das sind Erfahrungen, die man in der Alltagswelt häufig macht: Man teilt jemandem etwas als äußerst wichtig mit; den anderen interessiert dies aber nicht oder er deutet diese Mitteilung sogar ins Gegenteil um. Besonders bei Kindern zeigt es sich oft, daß man ihnen etwas erklärt, sie dem Erklärten aber eine völlig andere Bedeutung geben. Solche Erlebnisse werden in unserer Alltagswelt dann Unverständnis oder Mißverständnis genannt. Im Sinne der Theorie selbstreferentieller Systeme muß dies folgendermaßen beschrieben werden: Im Sinnsystem des zuhörenden psychischen Systems ist nicht die gleiche Anschlußfähigkeit vorhanden wie im mitteilenden System. Das Sinnsystem des Zuhörers prozessiert Sinn durch Selbstreferenz und Autopoiesis, also in einer inneren Geschlossenheit, die offensichtlich stark abweicht von dem, was im Sinnsystem des Erzählenden prozessiert wird.
Zuletzt geändert von Timberlake am Sa 2. Dez 2023, 21:56, insgesamt 1-mal geändert.




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Quk
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Sa 2. Dez 2023, 21:56

Die Gegenteile "Liebe" und "Hass". -- Ich meine das im Sinn von Zu- und Abwendung. Ersteres führt zu einer Ballung, zweiteres zu einer Auflösung. Oder: Annähern versus Entfernen. Es gibt natürlich weitere Bilder.

Ich denke nicht, dass das eine das andere braucht. Was beide brauchen, um sich bemerkbar zu machen, ist Apathie, denke ich. Wenn -6 den Hass symbolisiert, und +6 die Liebe, dann symbolisiert die Null dazwischen die Apathie. An ihr kann das jeweilige Ausmaß in die eine oder andere Richtung beginnen.

Mein Anliegen ist es, bei dieser Thematik romantische Metaphern zu vermeiden, ebenso Adjektive wie "grenzenlos", "bedingungslos" etc. Ich meine, eine bestimmte Liebe bezieht sich auf etwas bestimmtes, somit ist da bereits eine Grenze.

Meiner Ansicht nach umfasst diese Thematik mehrere Blickwinkel: Zum Beispiel den Blick auf die geistigen Qualitäten, die in Liebes-Situationen erlebt und genossen werden. Und den Blick auf gesellschaftliche Mechanismen, die damit einhergehen. Und den Blick auf die Evolution. Und auf die Kreativität. Und auf Geisteswerkzeuge wie Empathie, die die Liebe erst ermöglichen, beziehungsweise, welche durch die Liebe entwickelt werden. Und, und, und. Vieles hängt mit vielem zusammen. -- Wenn mich die Schreiblust wieder packt, werde ich versuchen, diese verschiedenen Blickwinkel nach meiner derzeitigen Auffassung zu erörtern ...




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AufDerSonne
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Sa 2. Dez 2023, 22:08

Timberlake hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2023, 21:55
systemische-beratung.de hat geschrieben : Man teilt jemandem etwas als äußerst wichtig mit; den anderen interessiert dies aber nicht oder er deutet diese Mitteilung sogar ins Gegenteil um. Besonders bei Kindern zeigt es sich oft, daß man ihnen etwas erklärt, sie dem Erklärten aber eine völlig andere Bedeutung geben. Solche Erlebnisse werden in unserer Alltagswelt dann Unverständnis oder Mißverständnis genannt.
Aber Timberlake, ich meine, dass man sich oft viel zu wenig präzise ausdrückt.
Ich glaube mehr oder weniger daran, dass man sich im Problemfall so genau ausdrücken kann, dass klar genug ist um was es geht. Also in einem gewissen Sinne glaube ich, dass man jedes Missverständnis aus dem Weg räumen kann, wenn man bereit ist, sich klar genug auszudrücken und das auch will.

Oft will man ja gar nicht so ganz, dass einen der andere versteht. ;)



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Quk
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So 3. Dez 2023, 02:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2023, 21:14
Spätestens mit den Säugetieren kam die Liebe in Form der elterlichen Fürsorge auf die Welt.
Da Du "spätestens" schreibst, stimmst Du vielleicht meiner Vermutung zu, dass auch in der Ära vor den Säugetieren sich bereits Liebesformen entfalteten, und dass das Liebes-Radar nicht nur die Nachkommen auf dem Schirm hat, sondern auch Mutter und Vater.

Hartgesottene Anthropozentriker werden jetzt mein Beispiel hier wahrscheinlich belächeln:





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So 3. Dez 2023, 11:24

(Säugetiere und deren diversen Vorläufer hat es schon sehr lange vor den Vögeln gegeben. Nur so nebenbei.)




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Quk
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So 3. Dez 2023, 14:12

Interessant. Ich dachte die ersten Säugetiere entstanden in der Kreidezeit, also nach den ersten Vögeln. Mein veraltetes Schulwissen. Egal, jedenfalls wollte ich den Blick auf eierlegende Tiere lenken.




Timberlake
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So 3. Dez 2023, 14:34

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2023, 22:08
Timberlake hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2023, 21:55
systemische-beratung.de hat geschrieben : Man teilt jemandem etwas als äußerst wichtig mit; den anderen interessiert dies aber nicht oder er deutet diese Mitteilung sogar ins Gegenteil um. Besonders bei Kindern zeigt es sich oft, daß man ihnen etwas erklärt, sie dem Erklärten aber eine völlig andere Bedeutung geben. Solche Erlebnisse werden in unserer Alltagswelt dann Unverständnis oder Mißverständnis genannt.
Aber Timberlake, ich meine, dass man sich oft viel zu wenig präzise ausdrückt.
Ich glaube mehr oder weniger daran, dass man sich im Problemfall so genau ausdrücken kann, dass klar genug ist um was es geht. Also in einem gewissen Sinne glaube ich, dass man jedes Missverständnis aus dem Weg räumen kann, wenn man bereit ist, sich klar genug auszudrücken und das auch will.

Oft will man ja gar nicht so ganz, dass einen der andere versteht. ;)
Beispiel

Wenn hier die Frage gestellt wird "Was ist Liebe" und jemand sagt "Ich liebe dich" dann hat man sich doch wohl noch präzise ausgedrückt. Dann weiß man doch wohl noch um was es geht. Wie man übrigens auch davon ausgehen kann, dass man jemanden damit etwas äußerst wichtiges mitteilt. Gleichwohl damit noch lange nicht gesagt ist. dass diese Liebe mit "Ich liebe dich auch " erwidert wird. Auch ein solches Erlebnis wird in unserer Alltagswelt dann übrigens Unverständnis oder Missverständnis genannt.
Was will ich damit sagen? Man kann eben nicht jedes Missverständnis aus dem Weg räumen , wenn man bereit ist, sich klar genug auszudrücken und das auch will. Das mag zwar so auf Seiten desjenigen so sein , der darauf hin "ganz präzise ausgedrückt" erwidert "Ich liebe dich nicht" . Gleichwohl das der Liebe des anderen mitunter keinerlei Abbruch tut. Wir reden hier von Gefühlen und die lassen sich nun mal von dem, wie man sich ausdrückt nur bedingt beeinflussen.

Fazit
Insbesondere dann , wenn (Liebes-) Gefühle im Spiel sind , will man gar nicht so ganz, dass einen der andere versteht.




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Di 5. Dez 2023, 16:58

Timberlake hat geschrieben :
So 3. Dez 2023, 14:34
Wenn hier die Frage gestellt wird "Was ist Liebe" und jemand sagt "Ich liebe dich" dann hat man sich doch wohl noch präzise ausgedrückt.

Fazit
Insbesondere dann , wenn (Liebes-) Gefühle im Spiel sind , will man gar nicht so ganz, dass einen der andere versteht.
Ja, einverstanden. Ich liebe dich, ist eine klare Aussage. Auch Gefühle können sehr klar sein, abgesehen davon.
Wenn der/die andere erwidert, ich liebe dich nicht, sehe ich das aber nicht als Missverständnis. Eher scheint es so, dass einer der beiden sich nicht im klaren ist über seine/ihre Gefühle oder etwas Falsches spürt.



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Di 5. Dez 2023, 18:14

Ist Liebe ein Gefühl?




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Di 5. Dez 2023, 18:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 18:14
Ist Liebe ein Gefühl?
Für mich schon, ja. Was könnte es denn sonst noch sein?



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Stefanie
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Di 5. Dez 2023, 19:35

Ein Zustand?




War so ein spontaner Einfall.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Quk
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Di 5. Dez 2023, 20:21

Ein paar Gedanken zur Fadenüberschrift.

Kommunikation nenne ich hier Verständigung; Empathie bezeichne ich als Einfühlung. Warum? Zur Übung will ich den folgenden Beitrag ohne Fremdwörter schreiben. Mal sehen, ob ich das schaffe.

Über Einfühlung möchte ich ein anderes Mal schreiben. Hier befasse ich mich zunächst mit der Sache namens Verständigung, weil auch sie teilweise mit Einfühlung arbeitet. Einfühlung und Verständigung gehören inhaltlich zusammen, meine ich. Über die Einfühlung komme ich irgendwann schließlich zu den Liebes-Angelegenheiten.

Manche Leute sind der Ansicht, Verständigung zwischen Lebewesen sei grundsätzlich nicht oder nur schwer möglich. Ich denke, dieser Zweifel ist übertrieben. Es gibt da eine erstaunlich erfolgreiche Lösung: Das Lernen von Wahrscheinlichkeiten. Beispiel:

Eine junge Ziege, ohne viel Lebenserfahrung, tritt versehentlich auf den Schwanz eines Hundes. Der Hund piept, weil sein Schwanz weh tut. Das Piepen ist ein Mittel der Verständigung. Die Ziege hört das Piepen jedoch zum ersten Mal und versteht aufgrund dieser Erstmaligkeit noch keinen Zusammenhang mit dem Schmerz. Am nächsten Tag tut sie es wieder. Der Hund jault. Die Ziege erinnert sich an das gestrige Erlebnis und vergleicht es mit dem heutigen. Sie lernt jetzt einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Schwanztreten und Tönehören. Ich schreibe "wahrscheinlich", nicht "gewiss", denn der Zusammenhang könnte Zufall sein. Außerdem enthält das Gelernte nur die Reihenfolge "Schwanztreten", dann "Tönehören"; es enthält noch nicht die Auskunft "Schmerz".

Diese Fehltritte der lernenden Ziege werden sich noch tausende Male ereignen. In dieser Ereignisschleife werden bestimmte Zusammenhänge zwischen ihren Fehltritten und den Antwortweisen anderer Tiere häufiger erscheinen als manch andere Zusammenhänge. Diese Häufigkeit wiederum bestärkt dann bestimmte Erwartungen der Ziege. "Wenn ich das tue, geschieht häufig dies und selten jenes." Auch wenn immer noch Irrtümer möglich sind, so kann man doch behaupten, die Ziege versteht nun die Sprache der Schmerzzeichen sehr gut, denn die Schmerzzeichen tauchen nicht mehr auf. Die Ziege will die Schmerzzeichen nicht mehr hören, deshalb vermeidet sie zukünftig solche Tritte.

Auch die Ziege selbst wird im Verlauf ihres Lebens ab und an Schmerzen erleiden und dabei Töne ausstoßen. Vielleicht wird sie dadurch zusätzlich einen Zusammenhang lernen zu jenem Hund, aus dessen Maul Töne kamen während die Ziege etwas an ihm quetschte.

Die Gefahr des Irrtums gibt es, aber sie ist unterschiedlich hoch. Nur wegen der Gefahr an sich muss man nicht auf jeglichen Verständigungsversuch grundsätzlich verzichten. Wenn die Ziege versucht, sich mit einem Tiger zu verständigen, wird sie wahrscheinlich sterben. Da wird sie nicht mehr viel lernen können. Aber im Zusammenleben mit Nichtfeinden kann sie sich viele Irrtümer leisten und dadurch viele Verständigungszeichen lernen -- indem sie Häufigkeiten erkennt.

Das war nun ein sehr einfaches Beispiel. Aber dieser Leitfaden lässt sich auch durch weitaus verflochtenere Verständigungsversuche ziehen. Die entsprechenden Ereignisschleifen müssen nur häufiger durchlaufen werden.

Soviel zum Lernen während des Lebens. Das Gelernte wird gespeichert in Gehirnzellen und dergleichen; Teile dieses gespeicherten Wissens wird wahrscheinlich auch weitergegeben an die Nachkommen. So werden die Nachkommen, schon bevor sie irgendetwas aus ihrer Umwelt gelernt haben werden, bestimmte Verständigungszeichen auf Anhieb erkennen. Wobei auch da, wie gesagt, Irrtümer geschehen können. Aber wenn lebenswichtige Ziele häufig genug erreicht werden -- sagen wir, in acht von zehn Fällen -- dann ist diese leicht fehlerbehaftete Verständigung dennoch sehr erfolgreich.




Timberlake
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Do 7. Dez 2023, 01:17

Quk hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 20:21

Eine junge Ziege, ohne viel Lebenserfahrung, tritt versehentlich auf den Schwanz eines Hundes. Der Hund piept, weil sein Schwanz weh tut. Das Piepen ist ein Mittel der Verständigung. Die Ziege hört das Piepen jedoch zum ersten Mal und versteht aufgrund dieser Erstmaligkeit noch keinen Zusammenhang mit dem Schmerz. Am nächsten Tag tut sie es wieder. Der Hund jault. Die Ziege erinnert sich an das gestrige Erlebnis und vergleicht es mit dem heutigen. Sie lernt jetzt einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Schwanztreten und Tönehören. Ich schreibe "wahrscheinlich", nicht "gewiss", denn der Zusammenhang könnte Zufall sein.

Um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen "Was ist Liebe" erlaube ich mir mal an dieser Stelle eine Übersetzung ...
  • "Ein junger Mann macht "versehentlich" einer jungen Frau Avancen. Die junge Frau gibt ihm eine Abfuhr , weil sie an ihm nicht interessiert ist. Diese Abfuhr ist ein Mittel der Verständigung. Der junge Mann "erfuhr" zum ersten mal eine Abfuhr und und versteht aufgrund dieser Erstmaligkeit noch keinen Zusammenhang mit dem "Schmerz". Am nächsten Tag tut der junge Mann es wieder. Die junge Frau , erteilt ihm wieder eine Abfuhr . Die junge Mann erinnert sich an das gestrige Erlebnis und vergleicht es mit dem heutigen. Er lernt jetzt einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen seinen Avancen und der Abfuhr . Auch ich schreibe mal "wahrscheinlich", nicht "gewiss", denn auch hier könnte der Zusammenhang Zufall sein."
Quk hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 20:21


Diese Fehltritte der lernenden Ziege werden sich noch tausende Male ereignen. In dieser Ereignisschleife werden bestimmte Zusammenhänge zwischen ihren Fehltritten und den Antwortweisen anderer Tiere häufiger erscheinen als manch andere Zusammenhänge. Diese Häufigkeit wiederum bestärkt dann bestimmte Erwartungen der Ziege. "Wenn ich das tue, geschieht häufig dies und selten jenes." Auch wenn immer noch Irrtümer möglich sind, so kann man doch behaupten, die Ziege versteht nun die Sprache der Schmerzzeichen sehr gut, denn die Schmerzzeichen tauchen nicht mehr auf. Die Ziege will die Schmerzzeichen nicht mehr hören, deshalb vermeidet sie zukünftig solche Tritte.

  • "Diese Abfuhren des lernenden jungen Mannes werden sich noch tausende Male ereignen. In dieser Ereignisschleife werden bestimmte Zusammenhänge zwischen seinen Bemühungen und den Antwortweisen anderer jungen Frauen häufiger erscheinen als manch andere Zusammenhänge. Diese Häufigkeit wiederum bestärkt dann bestimmte Erwartungen des jungen Mannes. . "Wenn ich das tue, geschieht häufig dies und selten jenes." Auch wenn immer noch Irrtümer möglich sind, so kann man doch behaupten, der junge Mann versteht nun die Sprache der jungen Frauen sehr gut, denn die Abfuhren tauchen nicht mehr auf."
Quk hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 20:21


Auch die Ziege selbst wird im Verlauf ihres Lebens ab und an Schmerzen erleiden und dabei Töne ausstoßen. Vielleicht wird sie dadurch zusätzlich einen Zusammenhang lernen zu jenem Hund, aus dessen Maul Töne kamen während die Ziege etwas an ihm quetschte.
  • "Auch der junge Mann selbst wird im Verlauf seines Lebens jungen Frauen eine Korb geben und sich dementsprechend artikulieren . Vielleicht wird er dadurch zusätzlich einen Zusammenhang lernen zu jener jungen Frau , die ihn hat im Regen stehen lassen."
Quk hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 20:21

Die Gefahr des Irrtums gibt es, aber sie ist unterschiedlich hoch. Nur wegen der Gefahr an sich muss man nicht auf jeglichen Verständigungsversuch grundsätzlich verzichten. Wenn die Ziege versucht, sich mit einem Tiger zu verständigen, wird sie wahrscheinlich sterben. Da wird sie nicht mehr viel lernen können. Aber im Zusammenleben mit Nichtfeinden kann sie sich viele Irrtümer leisten und dadurch viele Verständigungszeichen lernen -- indem sie Häufigkeiten erkennt.
  • "Die Gefahr des Irrtums gibt es, aber sie ist unterschiedlich hoch. Nur wegen der Gefahr an sich muss man nicht auf jeglichen Verständigungsversuch grundsätzlich verzichten. Wenn der Junge Mann versucht, sich mit einer jungen Frau zu verständigen, die schon in festen Händen ist, könnte er sogar sterben. Da wird er nicht mehr viel lernen können. Aber im Zusammenleben mit Nichtfeinden kann er sich viele Irrtümer leisten und dadurch viele Verständigungszeichen lernen -- indem er Häufigkeiten erkennt."
Quk hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 20:21

Das war nun ein sehr einfaches Beispiel. Aber dieser Leitfaden lässt sich auch durch weitaus verflochtenere Verständigungsversuche ziehen. Die entsprechenden Ereignisschleifen müssen nur häufiger durchlaufen werden.

Soviel zum Lernen während des Lebens. Das Gelernte wird gespeichert in Gehirnzellen und dergleichen; Teile dieses gespeicherten Wissens wird wahrscheinlich auch weitergegeben an die Nachkommen. So werden die Nachkommen, schon bevor sie irgendetwas aus ihrer Umwelt gelernt haben werden, bestimmte Verständigungszeichen auf Anhieb erkennen. Wobei auch da, wie gesagt, Irrtümer geschehen können. Aber wenn lebenswichtige Ziele häufig genug erreicht werden -- sagen wir, in acht von zehn Fällen -- dann ist diese leicht fehlerbehaftete Verständigung dennoch sehr erfolgreich.
Ich denke mal , dass das auch ein sehr einfaches Beispiel war ... ;)

Ich spreche übrigens nicht aus eigener Erfahrung. Weil ich für eine Liebe geschweige denn für eine Ehe eh nicht zu gebrauchen bin, habe ich erst gar nichts mit jungen Frauen angefangen. Möglicherweise erklären sich ja von daher meine "Avancen" zu Nietzsche.
Zuletzt geändert von Timberlake am Do 7. Dez 2023, 01:54, insgesamt 5-mal geändert.




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