Tod

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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Jörn Budesheim
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Mi 24. Apr 2024, 18:03

"Der Tod ist nicht nur eines der ältesten Themen der Philosophie. Viele Philosophen haben in ihm auch das wichtigste Motiv für das Philosophieren insgesamt gesehen. „Der Tod ist der eigentlich inspirierende Genius oder der Musaget der Philosophie“, schreibt Schopenhauer im zweiten Band von Welt als Wille und Vorstellung, „schwerlich sogar würde, auch ohne den Tod, philosophirt werden.“ (Schopenhauer 1988, III, 528 f.) Diese Einschätzung ist alles andere als überraschend. Das Phänomen des Todes fordert wie kein anderes das philosophische Thaumazein heraus, das Sich-Wundern und Stellen grundlegender Fragen. Ein Grund ist der auffällige Kontrast zwischen Trivialität und Dramatik des Todes. Auf der einen Seite gehört die Tatsache, dass der Mensch sterblich und die ihm gewährte Zeit endlich ist, zu den bestverbürgten Tatsachen überhaupt. Nichts könnte trivialer sein. Auf der anderen Seite bleibt für den Einzelnen die Unausweichlichkeit seines Todes ein skandalon, eine Quelle von Unruhe und Verstörung. Wir hängen die meiste Zeit über am Leben. Die Gewissheit, sterben zu müssen, steht dazu in einer krassen Dissonanz..."

Dieter Birnbacher




Meller
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Mi 24. Apr 2024, 18:21

Zum Tod kann ich nicht viel sagen, außer dass es nichts wirklich totes im Universum gibt, weshalb der Tod für mich nicht existiert und keine Form der Existenz ist.




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Jörn Budesheim
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Mi 24. Apr 2024, 21:20

Bild

Die Corona-Pandemie hat das Thema Tod in mein Blickfeld gerückt, insbesondere für meine Zeichnungen. Nicht aus distanzierter Beschäftigung, sondern wegen existenzieller Betroffenheit.

Das ist ein Beispiel, das ich ausgewählt habe, um es hier zu zeigen, weil das Museum für Sepulkralkultur hier in Kassel diese Zeichnung neben weiteren, die sich auch mit dem Tod beschäftigt haben, angekauft hat. Das Blatt hat den Titel "Gartenarbeit".

(Das Museum für Sepulkralkultur ist ein kulturgeschichtliches Spezialmuseum an der Weinbergstraße in Kassel. Das 1992 eröffnete Museum für Sepulkralkultur ist dem Themenfeld Sterben, Tod, Bestattung, Trauer und Gedenken gewidmet.)




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Quk
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Do 25. Apr 2024, 02:28

Es grünt und blüht der Tod ... Er wirkt hier recht frisch auf mich. Finde ich gut.

Und wieder fliegt eine Bombe rein :-)




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Do 25. Apr 2024, 02:28
Es grünt und blüht der Tod ... Er wirkt hier recht frisch auf mich. Finde ich gut.
Ja, das Bild ist nicht sehr düster, finde ich auch :-)




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Jörn Budesheim
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Do 25. Apr 2024, 06:53

Vor einigen Jahren habe ich meine Enkelin gefragt, wo sie vor ihrer Geburt war. "In Mamas Bauch." "Und davor?" Kurzes Nachdenken, dann: "tot?!" (mit etwas gezogenem "O", leicht fragend, aber nur leicht.)




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Jörn Budesheim
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Do 25. Apr 2024, 07:00

Ich habe heute morgen in der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit ein paar Zeilen in dem Buch "Tod" von Dieter Birnbacher gelesen, aus dem ich weiter oben zitiert habe. Er sagt dort sinngemäß, dass wahrscheinlich jeder schon einmal versucht hat, sich vorzustellen, wie es ist, tot zu sein. Was unterscheidet das von Thomas Nagels Frage: "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?" Auf beide Fragen gibt es offensichtlich keine sinnvolle Antwort. Aber bei der zweiten Frage sind die Gründe erkenntnistheoretischer Natur: Wir können uns nicht in eine Fledermaus hineinversetzen. Bei der ersten Frage ist die Unmöglichkeit logischer Natur, meint Birnbacher.




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Jörn Budesheim
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Do 25. Apr 2024, 07:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 25. Apr 2024, 06:53
Vor einigen Jahren habe ich meine Enkelin gefragt, wo sie vor ihrer Geburt war. "In Mamas Bauch." "Und davor?" Kurzes Nachdenken, dann: "tot?!" (mit etwas gezogenem "O", leicht fragend, aber nur leicht.)
Es gibt einen bekannten Topos, der ganz ähnlich funktioniert: Bevor wir gelebt haben, haben wir Äonen nicht gelebt. Nach dem Leben ist es genauso. Warum also fürchten sich viele so sehr vor dem zweiten Fall?




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Quk
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Do 25. Apr 2024, 07:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 25. Apr 2024, 07:00
Er sagt dort sinngemäß, dass wahrscheinlich jeder schon einmal versucht hat, sich vorzustellen, wie es ist, tot zu sein.
Ich stelle mir das Totsein so vor wie den Tiefschlaf. Kein Traum, keine Erinnerung, nix. Man wacht auf, erinnert sich an ein paar Minuten Traum, aber die restlichen Stunden war man völlig weg.

Vor dem Tod habe ich keine Angst. Nur das Sterben muss halt flott gehen. Das denken wahrscheinlich die meisten.




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Jörn Budesheim
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Fr 26. Apr 2024, 08:29

Bild

Diese Zeichnung passt ein wenig zu deinem Kommentar, sie heißt "Versuch, sich an einen traumlosen Schlaf zu erinnern"




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Jörn Budesheim
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Fr 26. Apr 2024, 08:47

Verschiedene Perspektiven auf den Tod:
  1. Perspektive der ersten Person: der eigene Tod.
  2. Perspektive der zweiten Person: der Tod einer nahestehenden Person
  3. Perspektive der dritten Person Singular: der Tod von Unbekannten, der sich sekündlich in der ganzen Welt ereignet.
"Im Gegensatz dazu [3] gehört der Tod Nahestehender – aus der Zweite-Person-Perspektive – zu den Ereignissen, die uns am heftigsten und nachhaltigsten erschüttern. Auch diejenigen, die dem eigenen Tod gelassen gegenüberstehen, sind gegen diese Erschütterungen nicht gefeit. Während man sich durch Klarheit des Denkens eine Haltung „stoischen“ Gleichmuts gegenüber dem eigenen Tod aneignen kann, ist es vielfach schwer, sich mit der Kraft des Verstandes gegen die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen zu wappnen. Sie scheint weniger zähmbar als die Todesfurcht und durchbricht mit elementarer Wucht gelegentlich noch die am sorgfältigsten ausgedachten Rationalisierungen." (Dieter Birnbacher)




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Quk
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Fr 26. Apr 2024, 16:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 26. Apr 2024, 08:29
Diese Zeichnung passt ein wenig zu deinem Kommentar, sie heißt "Versuch, sich an einen traumlosen Schlaf zu erinnern"
Interessant. Ist das, was das Bild darstellt, der Versuchende oder das Versuchte?

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 26. Apr 2024, 08:47
"Im Gegensatz dazu [3] gehört der Tod Nahestehender – aus der Zweite-Person-Perspektive – zu den Ereignissen, die uns am heftigsten und nachhaltigsten erschüttern. Auch diejenigen, die dem eigenen Tod gelassen gegenüberstehen, sind gegen diese Erschütterungen nicht gefeit. ..." (Dieter Birnbacher)
Das ist natürlich wahr. Das geht sogar soweit, dass man sich selber opfern würde für das Leben eines geliebten Menschen. Jedenfalls, wenn man kein ausgeprägter Narzisst oder Egotist ist.




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Jörn Budesheim
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Fr 26. Apr 2024, 19:43

Quk hat geschrieben :
Fr 26. Apr 2024, 16:18
Ist das, was das Bild darstellt, der Versuchende oder das Versuchte?
Das überlasse ich denjenigen, die es betrachten :)




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Jörn Budesheim
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Fr 26. Apr 2024, 22:11

Theorien des Todes, Petra Gehring hat geschrieben : ...die traditionellen Formen des Umgangs mit den Toten verlieren um 1900 ihren Raum. Tagelange Aufbahrung, Leichenzüge, Trauerkleidung verschwinden. »Die Gesellschaft legt keine Pause mehr ein«, so Ariès in seiner Studie zur Bestattungskultur. »Das Leben der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe.« (Ariès 1978, 716)




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Fr 26. Apr 2024, 22:20

Bild

Als ich tot in der Wanne lag
Kamen die Koi
Tranken mein Blut
und aßen meinen Leib




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Quk
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Fr 26. Apr 2024, 22:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 26. Apr 2024, 22:20
Als ich tot in der Wanne lag
Kamen die Koi
Tranken mein Blut
und aßen meinen Leib
Aha, das Konzept wird konkreter.

Theorien des Todes, Petra Gehring hat geschrieben : ...die traditionellen Formen des Umgangs mit den Toten verlieren um 1900 ihren Raum. Tagelange Aufbahrung, Leichenzüge, Trauerkleidung verschwinden. »Die Gesellschaft legt keine Pause mehr ein«, so Ariès in seiner Studie zur Bestattungskultur. »Das Leben der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe.« (Ariès 1978, 716)
Ich weiß nicht, wie das früher war, aber ich erinnere mich, als meine Eltern starben; sie wurden während der Tage vor der Beerdigung aufgebahrt, und auf der Beerdigung gab es einen Zug, fast ganz in schwarz, auf der recht langen Strecke von der Friedhofskirche zum Grab. -- In der Großstadt ist halt selten ein Friedhof. Vielleicht haben die Traditionen nicht ganz so arg abgenommen wie es scheint, sondern wurden nur verschoben an den Stadtrand? Bei Berühmtheiten gibts freilich auch Züge in der Stadt ...




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Jörn Budesheim
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Sa 27. Apr 2024, 07:25

Die traditionellen Formen "verlieren an Raum" , das heißt ja nicht, dass es sie nirgendwo mehr gibt, oder?




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Jörn Budesheim
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Sa 27. Apr 2024, 07:55

Der Künstler Gregor Schneider formulierte seine Idee des "Sterberaums" erstmals 2008. Er schlug vor, in einem Museum einen Raum einzurichten, in dem ein Mensch öffentlich sterben oder nach seinem Tod betrachtet werden kann. Schneider ging es dabei auch um die Schönheit des Todes, wie er sich ausdrückte.

Im Jahr 2011 wurde der "Sterberaum" zum ersten Mal gezeigt, allerdings ohne freiwillig Sterbende. 2016 wurde der Raum auch in der Bundeskunsthalle in Bonn gezeigt, wo ich die Arbeit gesehen habe. Dort gab es auch einen Raum mit einem riesigen Metallzylinder. Darin wollten Menschen eingefroren werden, die sich von der Hochleistungsmedizin der Zukunft ein viel längeres Leben erhofften.

Bild

2022 zeigte Gregor Schneider diese Arbeit in Kassel im Hugenottenhaus in der Ausstellung "first aid"; die Skulptur lag in einem Kellergewölbe und war nur von außen durch ein kleines Fenster zu sehen.




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Sa 27. Apr 2024, 08:08

In dieser Ausstellung habe ich damals - neben vielen anderen - die folgende Zeichnung gezeigt:

Bild




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Sa 27. Apr 2024, 08:29

Gregor Schneider wollte in seinem Kunstwerk "Sterberaum" einen Menschen zeigen, der eines "natürlichen Todes" stirbt. Dieter Birnbacher, der Autor des Buches Tod, aus dem ich schon das eine oder andere zitiert habe, ist allerdings der Meinung, dass der Begriff des "natürlichen Todes" immer fragwürdiger wird.

Sinngemäß zusammengefasst: Die Entwicklung der Medizin und der Medizintechnik hat das traditionelle Verständnis des Sterbens stark verändert. Früher galt das Sterben als ein natürlicher, kaum beeinflussbarer Prozess. Durch medizinische Eingriffe ist der Begriff des "natürlichen" Sterbens jedoch immer unklarer geworden. Der Tod kann heute mit medizinischen Mitteln hinausgezögert oder aktiv gesteuert werden, wodurch sich auch die Bedeutung von "natürlich" und "unnatürlich" verändert. Der Zeitpunkt des Todes ist in vielen Fällen nicht mehr allein der Natur überlassen, sondern wird durch menschliche Entscheidungen bestimmt. Dieser Wandel von Kontingenz zu Arrangement, von Heteronomie zu Autonomie hat weitreichende Konsequenzen: Das Sterben wird zunehmend von individuellen Wünschen, medizinischen Einschätzungen, familiären Entscheidungen und gesellschaftlichen Normen bestimmt.

(Vor diesem Hintergrund erscheint eine Definition des Todesbegriffs immer dringlicher.)




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