Philosophische Reflexionen der Gefühle

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
scilla
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Sa 13. Okt 2018, 13:42

MARKUS GABRIEL
"Objektivität ist dasjenige Merkmal einer Einstellung, das darin besteht, dass wir uns täuschen oder auch richtigliegen können. Man beachte, dass Objektivität nicht bedeutet, dass wir einen Blick von Nirgendwo einnehmen und die Wirklichkeit völlig neutral erfassen. Ganz im Gegenteil ist es das Wesen der Objektivität, dass ihr eine Subjektivität zugeordnet ist. Subjektivität besteht in der Art und Weise, in der wir uns täuschen können. Wann und wie ich mich täusche, sagt etwas über mich aus. Ohne Subjektivität gibt es keine Objektivität und umgekehrt. Da Objektivität und Fehleranfälligkeit zusammenhängen, gibt es keine a-subjektive Objektivität."
MARKUS GABRIEL fehlt die Kenntnis
des (Gesprächs)Gegenstandes, der (Rechts)Sache oder des Dinges (thing = germanische Gerichtsversammlung)




scilla
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Sa 13. Okt 2018, 14:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Okt 2018, 09:21

Wenn wir nach einem Grund fragen, dann fragen wir (in den philosophischen Verwendung des Begriffes) nach Rechtfertigung und Verantwortung. Gründe für eine Handlung oder eine Ansicht machen beide rational nachvollziehbar. Wenn wir uns im "Raum der Gründe" bewegen, dann können Ansichten und Handlungen angemessen oder unangemessen, richtig oder falsch sein. Gründe verursachen Handlungen auch nicht einfach, jemand mag gute Gründe haben, etwas Bestimmtes zu tun und dennoch darauf verzichten.

Wenn wir nach einer Ursache fragen, dann sind wir nicht in einem "Rechtfertigungs-Raum", sondern im "Raum der Ursachen", dort werden Ursache- und Wirkungszusammenhänge erklärt. Es werden keine Geltungsansprüche erhoben oder betrachtet, sondern (grob gesagt) "mechanische Erklärungen" geliefert. Wenn die Straßenbahn heftig bremst und ich daher auf meinen Vordermann falle, dann werde ich für diese Bewegung (in der Regel) nicht verantwortlich gemacht. Es sei denn, man kann mich dafür verantwortlich machen, dass ich entsprechende Sicherheitsmaßnahmen, die möglich waren, nicht ergriffen habe.
es geht um die Unterscheidung von

(1) causa materialis (Materialauswahl)
(2) causa efficiens (künstlerischer Prozess)
(3) causa formalis (Höhe der Kunst)
(4) causa finalis (Verwendungszweck)

(4) ist die Kausalkette (der Grund im obigen Sinne)
nexus finalis (Endursache ~ aufwärts oder abwärts)
nexus effectivus (mechanische Kausalkette ~ abwärts)
Kausalreihe
"Die Kausalverbindung, sofern sie bloß durch den Verstand gedacht wird, ist eine Verknüpfung, die eine Reihe (von Ursachen und Wirkungen) ausmacht, welche immer abwärts geht; und die Dinge selbst, welche als Wirkungen andere als Ursachen voraussetzen, können von diesen nicht gegenseitig zugleich Ursache sein. Diese Kausalverbindung nennt man die der wirkenden Ursachen (nexus effectivus). Dagegen aber kann doch auch eine Kausalverbindung nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken) gedacht werden, welche, wenn man sie als Reihe betrachtete, sowohl abwärts als aufwärts Abhängigkeit bei sich führen würde, in der das Ding, weiches einmal als Wirkung bezeichnet ist, dennoch aufwärts den Namen einer Ursache desjenigen Dinges verdient, wovon es die Wirkung ist. Im Praktischen (nämlich der Kunst) findet man leicht dergleichen Verknüpfung, wie z. B. das Haus zwar die Ursache der Gelder ist, die für Miete eingenommen werden, aber doch auch umgekehrt die Vorstellung von diesem möglichen Einkommen die Ursache der Erbauung des Hauses war. Eine solche Kausalverknüpfung wird die der Endursachen (nexus finalis) genannt. Man könnte die erstere vielleicht schicklicher die Verknüpfung der realen, die zweite der idealen Ursachen nennen, weil bei dieser Benennung zugleich begriffen wird, daß es nicht mehr als diese zwei Arten der Kausalität geben könne", KU § 65 (II 235); vgl. Zweckmäßigkeit.

https://www.textlog.de/32946.html
(1) bis (3) ist das Systemverhalten

(1) actio - keine reactio
(2) actio - reactio
(3) actio - Katastrophe




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Alethos
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Sa 13. Okt 2018, 17:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 13:03
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 01:47
Angemessenheit dieses Wollens
Liegen unserem Wollen und Wünschen nicht auch Gründe zugrunde? ...
Ich denke, dass ein Wollen ohne Grund gar nicht denkbar ist, auch wenn diese oft dunkel bleiben. Aber mit dem Wollen ist es wie mit den Einstellungen und Ansichten, sie haben ein Entstehen in Gründen.



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Sa 13. Okt 2018, 18:00

Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 17:16
Denn es geht mir ja nicht darum, dass es einen Grund gibt, sondern um den propositionalen Gehalt des Grundes.
Dass ich keine Möwen mag ist doch keine objektive, von jedem anzuerkennende Wahrheit. Wie sollte das gehen? Es ist meine persönliche, subjektive, innere Einstellung, die andere teilen können, aber nicht müssen. Du magst Möwen vielleicht sehr.
Natürlich ist es eine objektiv anzuerkennende Wahrheit, dass du keine Möwen magst. Oder soll ich nächstes Mal hinterfragen, dass du deine Freundin liebst oder dass du der Meinung bist, die AfD sei eine verabscheuungswürdige politische Erscheinung? Es gilt objektiv, dass du so und so fühlst, denkst, eingestellt bist,

Dass nur du eine Einstellung hast, ein Gefühl hast, eine Ansicht vertrittst, macht sie vielleicht zu etwas Persönlichem, aber doch nicht apriori zu etwas rein Subjektivem.

Nun ist der Knackpunkt vielleicht ein anderer: die Verbindlichkeit des von dir Gefühlten, Gemeinten etc. im Sinne einer allgemeingültigen Aufforderung an alle anderen, es dir gleichzutun. Denn das ist ja Normativität, eine Aufforderung zu einem bestimmten Wollen in der Form eines Sollens. Es ist nicht evident, warum sich aus deinem Dafürhalten eine solche Verbindlichkeit für alle ergeben sollte. Und tatsächlich stellt sich diese Verbindlichkeit nun nicht ohne Weiteres ein.

Es gibt also hier zwei Arten von Objektivität, wie ich meine: die empirisch-sinnliche, die die Sachen betreffende Ebene der stofflichen Tatsachen, und die Objektivität der argumentativ verfassten Wirklichkeit. Letztere ist nun doch aber nicht menschengemacht (subjektiv, intersubjektiv) bloss, weil sie für Menschen relevant ist (da nur wir diese reflexive Fähigkeit zu argumentieren aufweisen) resp. nicht allein deshalb, weil es Menschen sind, die sich diese Gründe geben. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass Gründe im Geflecht von Tatsachen begründet liegen und sie sich aus ihnen ergeben, so dass sich aus ihnen und ihrer gegenseitigen Abgewogenheit das Ansichsein ihrer Wahrheit einstellt. Gründe haben demnach immer objektiven Charakter, weil sie auf dem gründen, was Tatsache ist.

Aber wenn die Objektivität der empirisch-sinnlichen, sagen wir einmal, naturwissenschaftlichen Wahrheit dem Wahrheitssuchenden den Weg weist: "Hier lang sollst du denken!", so wird dem Wahrheitssuchenden auch die argumentative Wahrheit den Weg weisen.

Die normative Kraft von Gründen kommt aber nicht von den Tatsachen, sondern von der Frage, was richtig oder falsch sei mit Bezug auf Moralität. Diese Frage ist das Apriori aller Normativität, denn von den Dingen her wird uns diese Frage nicht gestellt, sie stellt sich uns nur als soziale Wesen. Erst, wenn wir unsere Handlungen im Licht dieser Frage untersuchen, werden aus schieren Tatsachen Handlungsoptionen, die wir abwägen und erst diese sind normativ aufgeladen. Denn wenn ich mich für eine Handlungsoption entscheide, erst dann bin ich (und ist jeder in dieser Situation) aufgefordert sich zu fragen, ob es richtig oder falsch sei, so zu handeln. Dann aber bewegen wir uns nicht mehr in der subjektiven Sphäre, denn die Objektivität argumentativer Strukturen ist für die Vernunft, egal wer sie nun anwendet, verbindlich.
Zuletzt geändert von Alethos am Sa 13. Okt 2018, 18:08, insgesamt 1-mal geändert.



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Sa 13. Okt 2018, 18:09

Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 18:08
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 18:00
Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 17:16
Denn es geht mir ja nicht darum, dass es einen Grund gibt, sondern um den propositionalen Gehalt des Grundes.
Dass ich keine Möwen mag ist doch keine objektive, von jedem anzuerkennende Wahrheit. Wie sollte das gehen? Es ist meine persönliche, subjektive, innere Einstellung, die andere teilen können, aber nicht müssen. Du magst Möwen vielleicht sehr.
Natürlich ist es eine objektiv anzuerkennende Wahrheit, dass du keine Möwen magst. Oder soll ich nächstes Mal hinterfragen, dass du deine Freundin liebst oder dass du der Meinung bist, die AfD sei eine verabscheuungswürdige politische Erscheinung? Es gilt objektiv, dass du so und so fühlst, denkst, eingestellt bist,
Es gilt aber nicht objektiv, dass Möwen zu hassen sind, weil dass eine subjektive Einstellung ist. Verstehst Du das?
Ich hasse Möwen kann keine objektive Wahrheit sein.
Es kann aber ein rein subjektiver Grund sein.
Und darum geht's.
Dazu habe ich weiter unten in meinem Beitrag Bezug genommen, sie unter 'Knackpunkt'.



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Jörn Budesheim
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Sa 13. Okt 2018, 18:50

Alethos hat geschrieben : Gründe haben demnach immer objektiven Charakter, weil sie auf dem gründen, was Tatsache ist.
Gründe sind aus mindestens zwei Gründen objektiv. Erstens, weil sie uns von Tatsachen gegeben werden. Zweitens: Solche Tatsachen sprechen dann objektiv für dieses oder jenes.

Ich mag Harzer und ich hasse Schokoladeneis. An dieser Stelle geht es natürlich nicht darum, dass alle Menschen Harzer lieben und Schokoladeneis hassen sollen. An dieser Stelle geht es einfach darum, dass diese Umstände z.b. dafür sprechen, dass ich mir Harzer im Laden in den Warenkorb lege oder dagegen, dass ich mir in der Eisdiele Schokoladeneis bestelle. Falls jemand glaubt, dass der Umstand, dass er Schokoladeneis hasst, dafür spricht, dass er eine Bank überfallen soll, muss man wohl in der Regel sagen, dass er ein bisschen gaga ist. (Wer meint, er müsse jetzt hier ein Gegenbeispiel konstruieren... geschenkt.)

Wofür Tatsachen sprechen, das steht nicht einfach in unserem Belieben. Sie sprechen nämlich tatsächlich für etwas oder gegen etwas und sind somit objektiv.

Vielleicht noch einmal das Beispiel mit der Schlange. Die Person, die die Schlange aufgescheucht hat, meint, dass Flucht die Wahl des Moments ist. Aber die Tatsache, dass diese Schlange ihn bedroht, spricht nicht dafür zu fliehen, sie spricht dafür stehenzubleiben. Hier sieht man noch einmal die beiden objektiven Momente: Gründe werden von Tatsachen geliefert und sie sprechen wirklich, objektiv für oder gegen etwas.

Die Person, die die Gründe erwägt, ist daher aus zwei verschiedenen Gründen fallibel: sie kann sich in den Tatsachen täuschen und sie kann sich darin täuschen, dass die Tatsachen die Gründe liefern, von denen sie glaubt, dass die Tatsachen sie liefern. Beides ist objektiv, also unabhängig davon der Fall, was die Person glaubt.




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Alethos
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Sa 13. Okt 2018, 19:51

Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 19:24
Die Waldorfschule will ein Sommerfest ausrichten und das Komitee muss noch einen letzten Punkt klären, nämlich die Frage welches Eis man am Eistand servieren will.
Der Vorsitzende stellt die Frage in die Runde.

Leherer A meldet sich zu Wort und möchte dass Schokoladeneis angeboten wird.
Der Vorsitzende fragt nach einem Grund und bekommt als Antwort: "Weil Schokoladeneis gut schmeckt und Erbeereis und Zitroneneis nicht".

Jetzt meldet sich Lehrer B und sagt er möchte lieber Erdbeereis haben mit der Begründung dass Erdbeereis gut schmeckt, Schokoladeneis und Zitroneneis aber nicht.
Lehrerin C präferiert Zitroneneis und schliesst die anderen Eissorten aus mit der selben Begründung.

Der Vorsitzende hat nun eine Reihe von Gründen gehört und soll nun entscheiden welches Eis angeboten wird.
Er stellt fest, dass nach seinem Berater Jörn Budesheim jeder der Lehrer einen "objektiven Grund" für seine Eissorte genannt hat.
Das heißt jede Eissorte ist "objektiv" lecker und nicht lecker.
Wie entscheidet der Vorsitzende nun?
Das sollte ihm ja nicht schwerfallen bei soviel "objektiven" Gründen.
Dieses Beispiel ist so konstruiert, dass eine Entscheidung nötig wird. Das ist sympathisch. Nun ist es so, dass 3 gleichwertige Optionen auf dem Tisch liegen, und falls sich, wie hier gezeigt, anhand dieser drei objektiven Kriterien nicht entscheiden lässt, welches Eis nun serviert werden soll, spricht einiges für den Losentscheid oder eine Umfrage bei den Schülern.

Denn eben, wie wir sagten, Gründe können nur im Verbund Auskunft geben, indem man sie gegebeinander abwägt und hier fehlt offenbar dasjenige Kriterium, welches ein Ausschlagen der Waage in die eine Richtung möglich macht.



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Jörn Budesheim
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Sa 13. Okt 2018, 20:13

Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 19:51
Nun ist es so, dass 3 gleichwertige Optionen auf dem Tisch liegen ...
Genau genommen liegt keine Option auf den Tisch, weil die Lehrer schließlich keine ernstzunehmenden Antworten gegeben haben. Aber ich schätze das müssen wir an dieser Stelle nicht unbedingt vertiefen... :mrgreen:




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Jörn Budesheim
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Sa 13. Okt 2018, 20:31

Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 20:27
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 20:13
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 19:51
Nun ist es so, dass 3 gleichwertige Optionen auf dem Tisch liegen ...
Genau genommen liegt keine Option auf den Tisch, weil die Lehrer schließlich keine ernstzunehmenden Antworten gegeben haben.
Aber wieso denn nicht? Sie haben doch - wenn ich dir glauben soll - alle objektive Gründe genannt.
Nach meiner Darstellung haben sie entweder die Frage nicht verstanden oder sich schlicht geirrt. (Wobei diese Option extrem unwahrscheinlich ist, denn so blöd kann man ja kaum sein.) Sie liegen objektiv daneben.




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Jörn Budesheim
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Sa 13. Okt 2018, 20:38

Das habe ich weiter oben mehrmals erklärt - allein heute ungefähr dreimal.




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Alethos
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Sa 13. Okt 2018, 20:48

Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 20:25
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 19:51
Nun ist es so, dass 3 gleichwertige Optionen auf dem Tisch liegen
Warum sind sie denn gleichwertig?
Wie kann denn zum Beispiel "objektiv" ein Schokoladeneis gleichzeitig lecker und nicht lecker sein?
Schliesst sich das nicht logisch aus?

Hm?
Das schliesst sich doch nicht aus.

A hat gern Schokoeis, B hat nicht gern Schokoeis. Sollten A und B dieselbe Person und das Eis dasselbe Eis sein, dann wäre es kontradiktorisch und dann hätten wir ein unlösbares Problem. :)



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novon
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Sa 13. Okt 2018, 23:28

Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 01:47
novon hat geschrieben :
Fr 12. Okt 2018, 23:36
[Potentielle Begründungen aufgezählt, mit dem Zweck, zu zeigen, dass "Sollen" beim Begründen gar keine Rolle spielen kann, ansonsten z. B. Eichmann's Versuch seinerzeit, sein Handeln durch mutmaßliches Sollen zu rechtfertigen, irgendwie rechtfertigend zum Tragen hätte kommen müssen... Jedenfalls schonmal gut, dass nicht.]
Kommen wir zurück auf die Situation in der Strassenbahn. Die These lautete, dass die Frage nach der Verantwortung fürs Anrempeln einer anderen Person bei Vollbremsung sinnvoll nur gestellt werden kann vor dem Gründehorizont.
Es ergibt schlicht keinen Sinn sich zu fragen, ob etwas ursächlich Bewirkendes verantwortlich sein kann, denn hier spielen ja Gründe keine Rolle. Es findet keine Abwägung statt und es gibt die Frage nicht, ob es moralisch sei, dass es geschehe.
Versteh ich gerade nicht. "Der Busfahrer hat scharf gebremst" stellt eine Begründung dar. Du wolltest da nun irgendwie ein "Sollen" einflechten (ordentlich festhalten)... Wo stehen wir nun mit welchem Anspruch deinerseits...?
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 01:47
Wenn wir aber nach der Verantwortung fragen, fragen wir zugleich nach der möglichen Einflussnahme durch ein Tun auf das Wirken. Das bedeutet ja gerade Autonomie, dass man Einfluss nehmen kann.
Autonomie bedeutet für mich, das eigene Handeln zu bestimmen. "Sollen" impliziert Heteronomie, negiert Autonomie quasi implizit.
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 01:47
Und das ist auch der Kern der praktischen Philosophie, dass sie nach den wünschbaren Wirkungen fragt und nicht nach den ohnehin eintretenden. D.h. wir fragen zugleich nach der Angemessenheit einer Handlung mit Bezug auf die Herstellung eines gewünschten (und damit auch gewollten) Zustands.
Sehe ich nicht. Aber z. B. Marxisten argumentieren in die Richtung. Ich würde Philosophie zunächst mal dahingehend in die Pflicht nehmen wollen, die richtigen Fragen zu finden und im weiteren auch zu stellen. Nicht, dass sie bei deren Beantwortung nicht auch mitreden könnte, nur schiene mir das eher sekundär.
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 01:47
Wenn ich mir nun unter diesem Aspekt deine Auflistung von Gründen im Zitat anschaue, dann sind das alles Kandidaten für die Beantwortung eben dieser Fragen nach der Angemessenheit dieses Wollens mit Bezug auf die Verantwortlichkeit durch dich als Handelnder.
Wie das...?!? Wo in der (locker flockigen) Auflistung wäre irgendwie "Wollen" involviert...?
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 01:47
'..., weil ich kann.' ist eines der Gründe, weshalb du tust, was du tust, aber tun tust du ja das, was du willst und wollen tust du immer einen bestimmten Zustand. Ist dieser nun gesollt oder nicht, das ist nun die Frage, die man an deine Gründe stellen kann. Man kann sie nur den Gründen stellen, nicht den Ursachen.
Das war keine Auflistung von Gründen, sondern von potentiellen Begründungen. Aber vielleicht verdeutlicht dies ja zunächst mal, inwiefern diesbezüglich zu unterscheiden sein könnte.
Alethos hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 01:47
Die Frage ist, etwas weiter gedacht dann die: Kann ich wollen, was immer ich will (und damit auch tun, was ich immer ich will) oder soll ich wollen, was richtig ist?
Na ja, also ich bin ja der Ansicht, dass du (jeder) wollen kann, aber das mit dem wollen wollen setzt dem Bullshit letzlich nur das güldene Krönchen auf.
Wir wollen dies oder jenes aus verschiedensten Gründen. Wunderbar, wenn das gute Gründe sind, wenn da aber ein wie auch immer geartetes "Sollen" hinter diesem "Wollen" sein Unwesen treiben sollte, ist es mir suspekt, denn dann hätte z. B. Eichmann seine (Un)Taten hinreichend damit gerechtfertigt gehabt, was ich nichts und niemandem je zugestehen werde.




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novon
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Sa 13. Okt 2018, 23:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 10:33
novon hat geschrieben :
Fr 12. Okt 2018, 23:43
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 12. Okt 2018, 08:53
Wenn kein Sollen vorliegt, dann liegen auch keine Gründe vor. Das ist ein notwendiger begrifflicher Zusammenhang. Gründe ohne normativen Aspekt gibt es nicht.
Bist du irgendwie Feldwebel der Reserve oder so...? Klingt so... Ähm... Sorry, quasi... *g
Sich am Sollen orientieren zu können, ist gerade nicht das selbe wie Befehle empfangen oder verteilen.
Du siehst den performativen Selbstwiderspruch? Was bleibt vom "Sollen", wenn man sich daran "orientieren könnte"...? Nix vielleicht? Hohle Phrase?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 10:33
Der Raum des Sollens ist der Raum der Freiheit, der Verantwortung für das eigene Tun, weil wir dort frei abwägen und entscheiden.
Ich bin mit Kants Pflichtbegriff unterwegs, demnach stellt sich Pflicht (Sollen) immer und ausschließlich als Selbstverpflichtung dar. Kannst du dein/euer "Sollen" irgendwie damit synchronisieren? Falls ja, hätte ich kein Problem mit deiner Aussage hier, außer, dass sie quasi unendlich missverständlich daherkommt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 10:33
Das heißt gerade nicht, dass wir fremdbestimmt sind. Dass wir auch dort fallibel sind, heißt zugleich, dass wir auch objektiv richtig liegen können. Eure Angst vor der Wahrheit kann ich nicht nachvollziehen.
Wie, "Angst"...?!?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 10:33
Wenn ich hingegen Befehle empfange (eines Vorgesetzten oder des eigenen Willens)
oO
Du empfängst Befehle deines Willens, wie du Befehle eines Vorgesetzten empfangen würdest...?!? Das ist ja völlig aus der Welt...
Wie würdest du "Wille" bestimmen?




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novon
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So 14. Okt 2018, 00:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 12:56
Damit diese Tatsache (falls sie besteht) ein Grund für uns ist, muss noch etwas dazu kommen. Nämlich das, wofür (oder wogegen) die Tatsache spricht oder was sie rechtfertigen soll.
Nochmal: Das sich keine Gründe, sondern (potentielle) Begründungen. Sie könnten als Gründe herhalten, sofern sie Handlungen (Agieren aus Motivation heraus) vorausgehen, könnten aber ebenso schlicht irgendwelche Geschehnisse (wie z. B. das Anrempeln bei Alethos oben) zu rechtfertigen versuchen. Und ich glaub ja, dass es wichtig wäre, zu erkennen, dass "ich soll das", "ich muss das" oder "das wurde mir befohlen" sich nur recht bedingt bzw. auch nur in bestimmten Kontexten hier irgendwie synonym mitführen ließe.




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So 14. Okt 2018, 02:15

Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 20:57
Wenn man annimmt, dass A, B, C jeweils objektive Gründe genannt haben, dann schliesst sich das aus, weil "Lecker" das Gegenteil von "nicht lecker" ist und ein Schokoladeneis folglich nicht gleichzeitig objektiv lecker und nicht lecker sein kann.
Nun ist das aber so, dass das Leckere oder Nichtleckere am Eis in der Relation besteht zwischen Eis und A, Eis und B und Eis und C. Es ist nicht widersprüchlich, dass dem Eis konträre Bestimmungen zukommen kann, das sind dann nicht zwangsläufig kontradiktorische Bestimmungen,.

Es ist Eigenschaft des Eises, von B gemocht zu werden und von C nicht, etwas quer ausgedrückt. Und das ist ebenso wenig ein Widerspruch, wie zu sagen: 'X steht sowohl rechts wie nicht-rechts, einmal bezüglich y, einmal bezüglich z.'



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So 14. Okt 2018, 02:25

Tommy hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 20:57
Ich will mir jeden Tag Schokoeis kaufen. Begründung: Weil ich Schokoeis lecker finde.
Das ist ein Grund der für die Handlung spricht.
Also, da haben wir ja den Grund, der für etwas spricht. Wir sind uns nur nicht einig darin, ob er objektiv oder subjektiv ist. Ich würde dafür plädieren, dass er objektiv ist. Denn wenn man Schokoladeneis mag, dann sollte man es essen. So wie wenn man an eine Demo in Berlin gehen sollte, wenn man gewisse Ansichten unterstützen will.
Dass 250'000 Menschen in Berlin für etwas eingestanden sind, das kann nicht Zeugnis von 250'000 subjektiven Ansichten sein, sondern von der objektiven Richtigkeit der Sache.

Du wirst jetzt erwidern, dass ich dasselbe nicht von einer 250'000-Mann/Frau starken rechtsradikalen Versammlung behaupten würde. Und da hast du vollkommen recht, denn deren Ansichten sind (aus bestimmten Gründen) objektiv falsch.
Zuletzt geändert von Alethos am So 14. Okt 2018, 02:37, insgesamt 1-mal geändert.



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So 14. Okt 2018, 02:34

novon hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 23:28
Versteh ich gerade nicht. "Der Busfahrer hat scharf gebremst" stellt eine Begründung dar. Du wolltest da nun irgendwie ein "Sollen" einflechten (ordentlich festhalten)... Wo stehen wir nun mit welchem Anspruch deinerseits...?
Dass der Busfahrer scharf bremst, ist nun kein Grund, sondern eine Ursache. Sie ist das Bewirkende, also jenes kausale Moment, das mich als Biomasse den Fliehkräften aussetzt. Aber die Frage, ob ich es hätte verhindern können sollen, ist eine Frage der Gründe: 1. Hätte ich es verhindern sollen und, wenn ja oder nein, warum? 2. Was hätte ich tun sollen, um es zu verhindern?

Das sind Fragen, die wir als in die kausalverketteren Ereignisse eingewobene Biomasse stellen können, weshalb wir ja nicht einfach Biomasse sind, also nicht nur Reagierende, sondern Handelnde.



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So 14. Okt 2018, 09:57

Mir fällt zunächst spontan ein: Wir sollten die 'Kritik der praktischen Vernunft' lesen.



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So 14. Okt 2018, 12:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Okt 2018, 10:52
Das Gefühl des Frierens sagt etwas über meine Umgebungstemperatur.
... Kälte also? Ich weiß nicht, ob es hier paßt, weil ich ohne Kenntnis des Gesprächsverlaufes reinspringe ... wie verhält es sich mit dem Schüttelfrost, der krankheitsbedingt auch bei hohen Umgebungstemperaturen auftritt oder dem Frieren, das Angst begleitet und ebenfalls bei hohen Umgebungstemperaturen auftreten kann?

Ich kann in beiden Situationen auf das Thermometer schauen und daran feststellen, daß mein Frieren eher nicht durch die Temperatur bedingt ist, an meinem Gefühl des Frierens ändert das jedoch nichts. Darin kann ich mich nicht täuschen.




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Friederike
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So 14. Okt 2018, 12:56

scilla hat geschrieben :
Sa 13. Okt 2018, 13:42
MARKUS GABRIEL fehlt die Kenntnis
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Ich kann den Zusammenhang zu dem Zitat von Gabriel, das ich weggelassen habe, überhaupt nicht erkennen.




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