Philosophische Reflexionen der Gefühle
- Jörn Budesheim
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Ich glaube übrigens auch nicht, dass es überhaupt so etwas wie ein Ich gäbe, wenn unsere Gefühle grundsätzlich innen wären. Ich glaube nicht, dass es ein Ich, was in sich selbst eingeschlossen ist, also ein Ich ohne Beziehung zu Wirklichkeit geben könnte.
Es gäbe keine Augen, wenn wir sie nicht öffnen könnten.
Es gäbe keine Augen, wenn wir sie nicht öffnen könnten.
Ich verstehe dich.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:15Wäre die Wahrnehmung innen, was ja viele glauben, dann würde sie mich jedoch ausschließen vom Gros der Wirklichkeit, ich wäre innen eingeschlossen.
Aber wie erklärst du dir, dass dein Gefühl der Freude über irgendetwas „nicht innen“ sein soll, aber zugleich in dieser Form nur von dir gehabt werden kann? Das ist nicht unbedeutend, dass du du bist, ich ich und jeder andere sich selbst. Das macht uns zu diesen Selbsten, dass wir eigene Gefühle haben.
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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Vielleicht sind innen und außen wirklich nicht die passende Bezeichnung. Ich versuche es mal anders.Alethos hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:06
Aber, nwdm und Jovis und Friederike haben alle einen Punkt: Ich bin es, der fühlt. In mir ist dieses Gefühl und niemand anderes kann es fühlen, wie ich. Dieser Umstand macht, dass ich unterscheiden kann zwischen dem, was fühlen macht und jenem, das fühlt. Zwischen mir und anderen. Zwischen mir und dem Wellengang, der so vergnüglich ist. Auch wenn das Vergnügen jedem offensteht, so ist mein Vergnügen in jenem Sinn exklusiv, als es alle anderen vom Haben deselben Gefühls ausschliesst.
In mir ist ein Gefühl und niemand kann es so fühlen wie ich. Das "so" ist von mir ergänzt. Die Angst gehört zu mir, und zu meinen Körper. Es ist mein Gefühl.
Weil es zu mir gehört, ist es innen.
Sagt man jetzt, nein es ist nicht innen, wird es wohl ausgelegt, dass es dann woanders sein muss, also nicht mehr zu mir bzw. nicht mehr dem Mensch, der das Gefühl gerade hat, mehr gehört.
Mein Behagengefühl in der Badewanne ist mein exklusives Gefühl, meins, es gehört zu mir.
Und das mit dem Leib...Sorry, aber allein schon das Wort Leib, oder Leibesgefühl, und das mit dem Auflösen über die Hautgrenze hinaus...
Das hier von Alethos geschrieben...
"Du meinst, man kann das vergleichen mit dem Wohlgefühl in der Badewanne, das ja nicht an den Hautgrenzen aufhört, sondern sich darüber hinaus auflöst im Ganzen des Wassers, der Wärme, des leichten Schaukelns, der Ruhe?"
Kann ich so nicht nachvollziehen. Das Wasser mit seinen physikalischen Eigenschaften und der für mich passenden Temperatur bewirkt, dass ich mich wohlfühle. Und doch nicht umgekehrt, dass mein Wohlbefinden, durch meine Hautgrenze sich im Wasser auflöst, und dann auch noch das Schaukeln auslöst.
Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe
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- Jörn Budesheim
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Ich verstehe nicht, warum das mit dem Gedanken, dass Gefühle nicht innen (natürlich auch nicht außen) sind, kollidieren sollte? Außerdem finde ich es gar nicht richtig, dass wir Gefühle nicht teilen können, das kommt doch andauernd vor. Wir fühlen mit und wir können uns in andere hineinversetzen, wir können gemeinsam in einer Stimmung sein und so weiter und so fort. Also es wäre gar nicht möglich, wenn Gefühle etwas grundsätzlich Inneres wären. Gefühle haben oft auch einen sozialen Aspekt. Wenn andere sehen, dass ich mich ekele, fürchte oder freue, dann erfahren Sie dadurch ggf. etwas belangvolles über die Wirklichkeit. Das ist sicherlich ein großer evolutionärer Vorteil. Das wäre nicht möglich, wenn Gefühle irgendwo in mir eingesperrt wären.Alethos hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:27Aber wie erklärst du dir, dass dein Gefühl der Freude über irgendetwas „nicht innen“ sein soll, aber zugleich in dieser Form nur von dir gehabt werden kann? Das ist nicht unbedeutend, dass du du bist, ich ich und jeder andere sich selbst. Das macht uns zu diesen Selbsten, dass wir eigene Gefühle haben.
Ich mag deine zarte Empörung.Stefanie hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:37Und das mit dem Leib...Sorry, aber allein schon das Wort Leib, oder Leibesgefühl, und das mit dem Auflösen über die Hautgrenze hinaus...
Das hier von Alethos geschrieben...
"Du meinst, man kann das vergleichen mit dem Wohlgefühl in der Badewanne, das ja nicht an den Hautgrenzen aufhört, sondern sich darüber hinaus auflöst im Ganzen des Wassers, der Wärme, des leichten Schaukelns, der Ruhe?"
Kann ich so nicht nachvollziehen. Das Wasser mit seinen physikalischen Eigenschaften und der für mich passenden Temperatur bewirkt, dass ich mich wohlfühle. Und doch nicht umgekehrt, dass mein Wohlbefinden, durch meine Hautgrenze sich im Wasser auflöst, und dann auch noch das Schaukeln auslöst.
Deinen Vorschlag, nicht von innen/aussen zu sprechen, sondern von „zu mir gehörend“ / „nicht zu mir gehörend“ (ich habe das einmal
so zusammengefasst) finde ich interessant, vermute aber, dass es das Problem noch klarer zutage treten lässt. Wie soll denn das zu mir gehörende Gefühl, das der Wellengang produziert, wenn ich genüsslich badend im Meer schaukle, nicht auch „im“ Wellengang selbst liegen, das dieses Gefühl auslöst? Es ist doch unmöglich, dieses Gefühl zu haben ohne die Wellen, aber wie kann es dann „zu mir gehören“?
Ja, das feeling habe nur ich, es gehört so gesehen zu mir, aber nicht ich allein stelle es her, da es doch vielmehr hergestellt wird im Zusammenspiel zwischen meinem Körper und den Wellen.
Das Problem ist verzwickt, aber vermutlich nicht unlösbar.
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Wenn weder aussen noch innen wirklich passt, sollten wir vielleich neue Begriffe finden, die diese „Ortsangaben“ vermeiden.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:42Gefühle nicht innen (natürlich auch nicht außen)Alethos hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:27Aber wie erklärst du dir, dass dein Gefühl der Freude über irgendetwas „nicht innen“ sein soll, aber zugleich in dieser Form nur von dir gehabt werden kann? Das ist nicht unbedeutend, dass du du bist, ich ich und jeder andere sich selbst. Das macht uns zu diesen Selbsten, dass wir eigene Gefühle haben.
Übrigens: Ja, natürlich können wir mitfühlen, aber nie genau das, was der andere fühlt (Qualia-Thematik). Mein feeling will absolutely never be dein feeling. Das ist logisch absolut impossible. Woraus folgt, dass es private Bereiche gibt, zu denen andere, so sehr sie sich empathisch bemühen, einfach nicht durchdringen können. Das, vielleicht, nannten wir „innen“ und nennen es heute wie?
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Das ist jetzt ja gerade nicht anders, sondern wieder dasselbe. Oder?
Ich könnte mir vorstellen, dass das Problem ggf. darin besteht, dass wir das Wort "Gefühl" hier oft als Substantiv verwenden. Das führt dann gerne zu einer Art Verdinglichung im Denken. Gefühle sind aber keine Dinge, bei denen die Frage nach dem Ort schon irgendwie einen Sinn ergeben kann. Nehmen wir Freude. Mit diesem Begriff wirkt es leicht so, als würde die Frage nach dem Ort der Freude in irgendeiner Form einen Sinn ergeben. Wenn ich aber stattdessen sage, ich freue mich über den netten Artikel in der Zeitung, dann liegen die Dinge gleich anders.
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Das ist meines Erachtens gerade logisch total possible. Ich kann zwar (so wie die Welt im Moment beschaffen ist) nicht dein feeling haben, sondern nur mein eigenes, daraus folgt aber nicht, dass mein feeling von der Qualität von deinem unterschieden sein muss. Es wäre logisch möglich, dass wir komplett baugleich sind und exakt dieselbe Perspektive auf etwas einnehmen. Warum sollte es gerade logisch unmöglich sein, dass ich exakt dieselbe Relation zu einem Gegenstand einnehme wie du?
De facto ist es wahrscheinlich anders ... wir wissen es ja nicht so genau.
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Das ist exakt das Ergebnis, zu dem E. Tugendhat in seiner sprachanalytischen Philosophie kommt. Die Frage nach dem Ort eines Gefühls ist sinnlos. Deswegen besteht seine Lösung, der ich mich übrigens auch anschließe, darin, die 1. Person Sing. + einem entsprechenden Gefühlsverb in Aussagen über das Haben eines Gefühls bzw. das Fühlen zu wählen (das geht selbstverständlich auch mit der 2. + 3. Person).Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:58Nehmen wir Freude. Mit diesem Begriff wirkt es leicht so, als würde die Frage nach dem Ort der Freude in irgendeiner Form einen Sinn ergeben. Wenn ich aber stattdessen sage, ich freue mich über den netten Artikel in der Zeitung, dann liegen die Dinge gleich anders.
Es ist doch selbst dann so, wenn wir absolut tupfgenau gleich gebaut wären, dass wir nie zur selben Zeit am selben Ort sein könnten, was nicht unwesentlich die Relation mitbestimmt, in welcher wir uns fühlend zu den Dingen verhalten. Um dasselbe zu fühlen, müssten wir derselbe sein, und, da wir das jetzt nicht sind, können wir es auch niemals werden und folglich auch nie dasselbe (nicht: das Gleiche) fühlen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 18:08Es wäre logisch möglich, dass wir komplett baugleich sind und exakt dieselbe Perspektive auf etwas einnehmen. Warum sollte es gerade logisch unmöglich sein, dass ich exakt dieselbe Relation zu einem Gegenstand einnehme wie du?
Ausser, wir hätten einmal alle dasselbe Bewusstsein, dann wären wir aber eine Megaidentität Das ist nicht logisch unmöglich, stimmt.
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Einzigartig vielleicht?Alethos hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 17:56Übrigens: Ja, natürlich können wir mitfühlen, aber nie genau das, was der andere fühlt (Qualia-Thematik). Mein feeling will absolutely never be dein feeling. Das ist logisch absolut impossible. Woraus folgt, dass es private Bereiche gibt, zu denen andere, so sehr sie sich empathisch bemühen, einfach nicht durchdringen können. Das, vielleicht, nannten wir „innen“ und nennen es heute wie?
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Vielleicht brauchen wir auch weitere Raumbegriffe, die unserem Erleben angemessen sind. Ich vermute, das war eines der Projekte von Hermann Schmitz, aber ich kann mich hier auch irren.
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Wieso?
Wir können uns zwar nicht zur selben Zeit am selben Ort sein, aber ich sehe nicht, warum es logisch ausgeschlossen sein soll, dass wir zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten dieselbe Relationen erleben und/oder erkennen. Denn es ist denkbar dass, die Relation entsprechend abstrakt ist, um unabhängig von dem Zeit und dem Ort, an dem ich mich befinde, zu bestehen.
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Ich dachte, es wäre nur eine logische Spielerei, aber vielleicht ist es ein wichtiger Punkt.
Nehmen wir an, wir sitzen uns am Tisch gegenüber. In der Mitte steht eine Flasche. Wir haben beide, das ist wohl sicher, qualitativ ganz verschiedene Seherlebnisse. Ich sehe die Flasche von der einen, du von der anderen Seite. Aber es ist meines Erachtens Teil meiner Wahrnehmung, dass ich weiß, dass du dieselbe Flasche siehst wie ich! Denn sowohl ich als auch du, wir sehen ja nicht unser Seherlebniss, sondern die Flasche. Und ich sehe, dass du sie siehst! Selbst mit qualitativ ganz verschiedenen Wahrnehmungen können wir uns also auf das selbe beziehen!
Ähnlich dürfte die Situation bei einer Gefahr, aber auch bei einem erfreulichen Ereignis sein.
Nehmen wir an, wir sitzen uns am Tisch gegenüber. In der Mitte steht eine Flasche. Wir haben beide, das ist wohl sicher, qualitativ ganz verschiedene Seherlebnisse. Ich sehe die Flasche von der einen, du von der anderen Seite. Aber es ist meines Erachtens Teil meiner Wahrnehmung, dass ich weiß, dass du dieselbe Flasche siehst wie ich! Denn sowohl ich als auch du, wir sehen ja nicht unser Seherlebniss, sondern die Flasche. Und ich sehe, dass du sie siehst! Selbst mit qualitativ ganz verschiedenen Wahrnehmungen können wir uns also auf das selbe beziehen!
Ähnlich dürfte die Situation bei einer Gefahr, aber auch bei einem erfreulichen Ereignis sein.
Auf dasselbe, ja, aber auch in derselben Weise im Sinne eines qualitativ identischen Erlebnisses? Das scheint mir aber das Gefühl massgeblich zu sein: Nicht nur die Wahrnehmung des Wahrgenommenen, sondern die Empfindung der fühlenden Wahrnehmung selbst als qualitatives Erleben.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 7. Aug 2021, 19:48sowohl ich als auch du, wir sehen ja nicht unser Seherlebniss, sondern die Flasche. Und ich sehe, dass du sie siehst! Selbst mit qualitativ ganz verschiedenen Wahrnehmungen können wir uns also auf das selbe beziehen!
Wir sehen dieselbe Flasche, ja, aber doch nie gleich. Sie mag dir schön erscheinen und mir auch, aber das Empfinden dieser Schönheit ist doch kein abstraktes x, das wir teilen, da die Empfindung eine konkrete Bezugnahme von uns zweien je auf sie ist. Es mag sein, dass ich deine Empfindungen nachvollziehen kann, nur auf einer abstrakten Ebene kann ich aber sagen, dass wir die Schönheit in derselben Weise sehen.
Ich kann mich auch täuschen, aber geht das nicht auf Kosten der Individualität, wenn wir behaupteten, wir fühlten dasselbe? Wir sprechen vielleicht so, wenn wir ähnliche Empfindungen haben zum selben, aber sie bleiben doch unterschiedlich.
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Die Antwort von mir ist jetzt nicht direkt auf deinen Beitrag bezogen, sondern generell: mir geht es bei dem Thema immer darum, unsere Individualität und unsere Subjektivität hochzuhalten, stark zum machen. Denn diese Einhegung unserer Subjektivität in irgendeinem Inneren geht auf Kosten ihrer Fülle. Das ist für mich nur eine Schrumpformform von Subjektivität. Die zudem unsere Gefühle tendenziell sinnlos und klein macht und uns von der Welt abschneidet.
Ja, klingt einleuchtend. Sehr sogar.
Wollen wir zudem verdeutlichen, dass ein Gefühl nicht bloss subjektiv ist, also nur von mir produziert wird, sondern objektiviert wird durch den Gegenstand, der es auslöst, könnten wir auch sagen: echt.
Im Gegensatz zur unechten Freude hat die echte Freude vollen Grund zu sein. Wir können uns freuen, wenn jemand etwas Schlimmes passiert (Schadenfreude), aber das ist keine echte Freude, weil sie keinen Grund hat in dem,
worüber wir uns freuen. Dasselbe mit der Trauer: Unechte Trauer ist jene, die gar nicht trauert über das vermeintlich Traurige, sondern über etwas anderes, das man gar nicht als Gegenstand der Trauer wahrnimmt. Ich kann bswp. Trauer empfinden, dass mein Vater verstorben ist, oder aber, dass er nicht da ist. Die echte Trauer gilt nicht dem
Umstand, dass er verstarb (denn das könnte ja auch für ihn eine Erlösung gewesen sein), sondern dem Umstand, dass er mir fehlt. Das Sterben impliziert zwar das nicht mehr da Sein, aber der Gegenstand der Trauer ist nicht, dass er nicht mehr da ist, sondern, dass er mir fehlt (ich könnte ihn ja auch gar nicht vermissen, wenn er weg wäre).
Es ist vielleicht trivial, aber mir scheint, dass wir unsere Gefühle ernst nehmen sollten auch betreffend ihre Gründe.
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Vermittlung könnte man auch so verstehen, dass die Gefühle gewissermassen zwischen uns und der Wirklichkeit stehen. Deswegen schreibe ich stattdessen, dass uns die Gefühle mit der Welt verbinden. Der paradigmatischer Fall dafür ist in meiner Sichtweise die Berührung. Wenn man so will, der direkte Kontakt mit der Wirklichkeit.
Wenn ich mich aber irre, z.B. einen Busch in der Nacht für einen Menschen halte, und mich erschrecke, da war meine Wahrnehmung falsch. Könnte man da nicht sagen, dass meine Sinne (der emotionale wie auch der Sehsinn) zwischen der Wirklichkeit stand? In diesem Fall wäre mein Urteil falsch, dass es sich um einen Menschen gehandelt hätte und es wäre auch mein Gefühlsurteil der Angst falsch. Dann stand mein Gefühl wenigstens insofern zwischen der Wirklichkeit und mir, als ich eine falsche Wahrnehmung hatte (von einem Menschen statt von einem Busch). Die „Illusion“ war zwar real, denn ich hatte den Eindruck wirklich, dass da eine Person lauert, aber doch habe ich die Wirklichkeit des Busches nicht unvermittelt gesehen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 8. Aug 2021, 08:53Vermittlung könnte man auch so verstehen, dass die Gefühle gewissermassen zwischen uns und der Wirklichkeit stehen. Deswegen schreibe ich stattdessen, dass uns die Gefühle mit der Welt verbinden. Der paradigmatischer Fall dafür ist in meiner Sichtweise die Berührung. Wenn man so will, der direkte Kontakt mit der Wirklichkeit.
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Das ist Genugtuung.
Ich würde gerne ganz genau verstehen, was Du meinst. Das formale Objekt des Trauerns ist der Verlust? So? Damit ist doch aber der Gegenstand des Trauerns eigentlich festgelegt, daß es um die unleidliche Abwesenheit ("fehlen") von "etwas"/einem Menschen geht, den man liebt. Hm, wir haben mehr Spielraum - ist es das, worauf Du hinauswillst? Aber vielleicht wäre es ein anderes Gefühl, wenn der "Gegenstand" der Mensch ist, der gestorben ist? Ich weiß nicht recht, "Schmerz" oder "Fassungslosigkeit" ... ?Alethos hat geschrieben : Dasselbe mit der Trauer: Unechte Trauer ist jene, die gar nicht trauert über das vermeintlich Traurige, sondern über etwas anderes, das man gar nicht als Gegenstand der Trauer wahrnimmt. Ich kann bswp. Trauer empfinden, dass mein Vater verstorben ist, oder aber, dass er nicht da ist. Die echte Trauer gilt nicht dem
Umstand, dass er verstarb (denn das könnte ja auch für ihn eine Erlösung gewesen sein), sondern dem Umstand, dass er mir fehlt. Das Sterben impliziert zwar das nicht mehr da Sein, aber der Gegenstand der Trauer ist nicht, dass er nicht mehr da ist, sondern, dass er mir fehlt (ich könnte ihn ja auch gar nicht vermissen, wenn er weg wäre). Es ist vielleicht trivial, aber mir scheint, dass wir unsere Gefühle ernst nehmen sollten auch betreffend ihre Gründe.