Philosophische Reflexionen der Gefühle

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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NaWennDuMeinst
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Mo 9. Aug 2021, 18:49

Friederike hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 17:52
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 17:38
[...] Aber im strengen Sinne WISSEN was in einem Anderen vorgeht (wie sich für ihn die Gefühle die wir kennen anfühlen) kann ich nicht.
NWDM hat geschrieben : Irren (oder im Unklaren sein) können wir uns über unsere Gefühle nur in sofern, als das wir nicht genau wissen welches Gefühl da gerade in uns vorhanden ist: "Ich dachte das war Wut, aber eigentlich war es Neid". Dann hat aber nicht das Gefühl gewechselt und es gab auch kein "falsches Gefühl".
Das ist, wie ich finde, ein Phänomen (=erstaunlich). Wie lernen wir Gefühle? Das geht nur über "Verhalten" und "Sprechen"
Jein, ich denke ein Teil ist auch schon in uns angelegt. Von Geburt an. Also nicht die sprachlichen Bezeichnungen (die lernen wir ja erst wenn wir sprechen können), aber bestimmte Gesten interpretieren wir von Geburt an auf eine bestimmte Weise. Also auf einer instinktiven Ebene. Tiere, die ja gar keine Sprache kennen (also jedenfalls keine die nötig wäre um sowas zu vermitteln), machen das auch, nur anders. Ein Kind weiß ziemlich früh, was von einem Lächeln der Eltern zu halten ist. Tiere wissen das auch, nur bedeutet das Zähnezeigen bei ihnen nicht Wohlgesonnenheit und Freude sondern Aggression. Da hat halt jede Art ihre eigenen instinktiven Verhaltensweisen.

.
So und so sieht ein Mensch aus, wenn er erbost ist (die Eltern); Gestik, Mimik, Ton und dazu gibt es die entsprechenden Erklärungen ("weil du x oder y getan hast, deswegen ist deine Mutter verärgert"). In der Art etwa. Wie identifiziert man jetzt dieses Gefühl für sich, wenn man es hat? Wie geht der Sprung vom Verhalten und Wissen zum "feeling"? Oder auch umgekehrt?
Ich würde sagen das ist ein lebenslanger Prozess bei dem im besten Fall die Interpretationsleistung immer besser wird.
Wir beobachten und vergleichen. Dafür ist soziale Interaktion nötig. Deshalb soll man Kinder mit ihren Gefühlen auch nicht alleine lassen. Auch wenn sie gerade einen Wutausbruch durchmachen. Besser ist es bei dem Kind zu sein und ihm zu erklären was es gerade durchmacht und was der Auslöser dafür war ("Du bist gerade wütend, weil du die Schokolade nicht bekommen hast"). Später sehen wir dann auch wie Menschen in bestimmten Situation reagieren. Im realen Leben, aber auch in Filmen usw. Auf die Weise ordnen wir dann unsere inneren Gefühle dem gesellschaftlichen Verständnis davon welches welches Gefühl ist zu.
Und dann spielt auch die Selbstbeobachtung eine Rolle. Wie sehe ich denn aus wenn ich sehr traurig bin?
"Im Spiegel schaut mich ein verheultes Gesicht an. Das kenn ich von anderen Menschen. Sie sagen das ist Traurigkeit." Kein schönes Gefühl. ;-)
Oder auch: "Ella sagst dass sie sich wunderbar fühlt wenn sie beschenkt wird. Sie hat sich gefreut. Heute wurde ich beschenkt. Ich hatte ein tolles Gefühl dabei. Das muss wohl das Gefühl der Freude sein, das Ella meinte".
Natürlich sprechen wir innerlich nicht so zu uns. Diese Verknüpfung machen wir wohl automatisch und teilweise unbewusst.
Bei dem zweiten Zitat weiß ich nicht genau, ob Du nur mißverständlich formulierst oder ob Du meinst, man könne das Gefühl traurig sein verwechseln mit zornig sein?
Nein. Es könnte aber sein, dass mit der Traurigkeit auch eine Wut einhergeht.
Wenn Dein bester Freund sich umgebracht hat bist Du traurig. Gleichzeitig aber vielleicht auch wütend darüber, dass er sich "aus dem Staub gemacht" und dich im Stich gelassen hat. Manchmal treten einfach viele Gefühle gleichzeitig auf. Dann ist es mitunter schwer zu sagen, was gerade im Inneren genau los ist.
Das ist wie eine große Halle in der alle gleichzeitig durcheinander schreien. Man versteht nichts.



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Jovis
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Mo 9. Aug 2021, 19:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 18:39
Wenn wir sagen, dass Geistiges und Körperliches aufeinander aufbauen, einander beeinflussen, ineinander verschränkt sein können, dann unterscheiden wir sie doch, oder? Unterscheiden ist ja nicht trennen!
Ja natürlich, sie sind als Unterschiedene aufeinander bezogen. Mit meinen Beispielen wollte ich nicht darauf hinaus, dass das alles irgendwie eins ist. Ich versuchte nur darzustellen, warum man ein Gefühl auch als "innerlich" empfinden kann - weil es eben oft mit dem Körperlichen zusammenspielt. Wenn du darauf bestehst, dass Gefühle überhaupt nicht innerlich sind, dann fällt nach meinem Verständnis dieser körperliche Aspekt weg.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 18:39
Und "innen" als Raumangabe - "zwei Fingerbreit neben dem Herzen" und "innen" als Innenwelt, das sind schon zwei verschiedene Bedeutungen, finde ich.
Ja, das sind zwei verschiedene Bedeutungen. Ich sehe aber nicht, warum das ein Problem sein sollte. Begriffe mit Doppelbedeutung sind ja nicht eben selten. Dann muss man halt präzisieren, was man meint. Oder bist du der Meinung, dass wir generell so etwas wie eine Innenwelt nicht haben, der Begriff fürs Mentale also gar nicht passt?




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Jörn Budesheim
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Mo 9. Aug 2021, 19:54

Jovis hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 19:26
Ich versuchte nur darzustellen, warum man ein Gefühl auch als "innerlich" empfinden kann - weil es eben oft mit dem Körperlichen zusammenspielt.
Was wäre ein Beispiel?




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Jovis
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Mo 9. Aug 2021, 20:21

Zu Gefühl und Irrtum: Vielleicht könnte oder sollte man hier unterscheiden zwischen: a) sich in einem Gefühl irren und b) sich mit einem Gefühl irren?

Mit a) meine ich das, was Friederike und NWDM so vehement verteidigen: Wenn ich Angst habe, habe ich Angst. In der Regel irre ich mich nicht in der Identifizierung eines Gefühls. Diese Sichtweise geht ganz ins Innere, die äußeren Ursachen spielen dafür keine Rolle. (Womit nicht gesagt werden soll, dass das Gefühl nicht gleichzeitig auch aufs Außen gerichtet ist. Nur für den Irrtumsaspekt spielt das keine Rolle.)
Mit b) meine ich das, was Jörn hier vertritt: Ich habe Angst, aber diese Angst kann grundlos sein. Meine Angst kann mich täuschen, sodass ich eine harmlose Situation als bedrohlich empfinde. (Man sagt doch manchmal auch: "Da hat mich mein Gefühl getrogen.")

b) geht auf den Gedanken, den Jörn irgendwo geäußert hat: dass Gefühlen Erkenntniswert zukommt - und wir uns insofern, genau wie in unseren Urteilen, irren können. (Mir ist noch nicht ganz klar, ob die Innen-Außen-Problematik dafür eine größere Rolle spielt oder ob das jetzt eher ein Nebenschauplatz ist.)




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Jovis
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Mo 9. Aug 2021, 20:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 19:54
Jovis hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 19:26
Ich versuchte nur darzustellen, warum man ein Gefühl auch als "innerlich" empfinden kann - weil es eben oft mit dem Körperlichen zusammenspielt.
Was wäre ein Beispiel?
Bei Angst krampft sich das Herz zusammen. Bei Scham kriegt man einen Schweißausbruch, wird rot. Bei Trauer wird der Körper schlaff ("Trauerkloß"). Bei Unsicherheit zieht man den Kopf ein oder zeigt ein "schiefes" Lächeln.




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NaWennDuMeinst
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Mo 9. Aug 2021, 20:35

Jovis hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 20:21
Zu Gefühl und Irrtum: Vielleicht könnte oder sollte man hier unterscheiden zwischen: a) sich in einem Gefühl irren und b) sich mit einem Gefühl irren?

Mit a) meine ich das, was Friederike und NWDM so vehement verteidigen: Wenn ich Angst habe, habe ich Angst. In der Regel irre ich mich nicht in der Identifizierung eines Gefühls. Diese Sichtweise geht ganz ins Innere, die äußeren Ursachen spielen dafür keine Rolle. (Womit nicht gesagt werden soll, dass das Gefühl nicht gleichzeitig auch aufs Außen gerichtet ist. Nur für den Irrtumsaspekt spielt das keine Rolle.)
Mit b) meine ich das, was Jörn hier vertritt: Ich habe Angst, aber diese Angst kann grundlos sein. Meine Angst kann mich täuschen, sodass ich eine harmlose Situation als bedrohlich empfinde. (Man sagt doch manchmal auch: "Da hat mich mein Gefühl getrogen.")

b) geht auf den Gedanken, den Jörn irgendwo geäußert hat: dass Gefühlen Erkenntniswert zukommt - und wir uns insofern, genau wie in unseren Urteilen, irren können. (Mir ist noch nicht ganz klar, ob die Innen-Außen-Problematik dafür eine größere Rolle spielt oder ob das jetzt eher ein Nebenschauplatz ist.)
Zu b) Naja, aber genau dieses "grundlos" ist ja nicht richtig. Es gibt keine grundlose Angst.
Wäre dem so würde das ja bedeuten, dass Gefühle vollkommen beliebig auftreten können. Und das - meine ich - tun sie nicht.
Sie haben immer einen Grund. Zum Beispiel eine Vorstellung. Diese Vorstellung kann falsch sein ("Spinnen in Europa sind gefährlich"), aber auch ein falscher Grund ist ein Grund.
Eine Spinnenphobie kann in einer falschen Annahme wurzeln, nämlich dass von den Krabblern Gefahr ausgeht.
Aber wenn man annimmt (auch fälschlich) dass eine Gefahr droht, dann ist die absolute normale emotionale Reaktion Angst.
Das heißt man setzt dann nicht bei den Gefühlen an (wir therapieren deine "falschen Gefühle" weg) sondern man widmet sich den Gründen für die Angst.
Wenn Gefühle grundlos auftreten würden wäre das ja gar nicht möglich, weil es keinen Grund gäbe an dessen Beseitigung man arbeiten kann.
(Vielleicht gibt es Menschen, die eine psychische Störung haben, und bei denen Gefühle wahllos und grundlos auftreten. Das weiß ich nicht. Aber das ist ja nicht der Normalfall)



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Jörn Budesheim
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Di 10. Aug 2021, 06:30

Jovis hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 20:27
Bei Angst krampft sich das Herz zusammen. Bei Scham kriegt man einen Schweißausbruch, wird rot. Bei Trauer wird der Körper schlaff ("Trauerkloß"). Bei Unsicherheit zieht man den Kopf ein oder zeigt ein "schiefes" Lächeln.
Wenn man mich nach Beispielen dafür gefragt hätte, inwiefern Gefühle nichts Innerliches sind, hätte ich kaum bessere finden können :) mit anderen Worten: ich brauche irgendeine Erklärung, die mir plausibel und verständlich macht, inwiefern man hier etwas Innerliches vorfindet. Ein schiefes Lächeln ist doch nichts innerliches - da komme ich nicht mit!

Nehmen wir die Scham. Man schämt sich ja für etwas, beispielsweise eine Lüge. Und wenn man ertappt wurde und zur Rede gestellt, dann kommt der Schweißausbruch, man errötet, senkt den Kopf, weicht den Blicken aus und möchte am liebsten im Boden versinken. Ich finde hier nichts innerliches. Der Form nach ist die Scham auf etwas gerichtet, nämlich ein Vergehen, welches man begangen hat (und in der Regel selbst als Vergehen anerkennt). In dem Beispiel die Lüge. Man schämt sich ja immer für etwas. Oder z.b.: das Senken des Kopfes und das Ausweichen vor den Blicken. Das spielt sich doch nicht in einem innerlichen Raum ab, sondern ist (neben anderen) etwas "zwischen" Personen ...

Zwei Nachträge:

An anderer Stelle wurde gesagt, man käme ohne die Begriffe "innen und außen" beim Reden über Gefühle gar nicht aus. Aber nach meinem Gefühl ist das überhaupt nicht richtig, man kann das in der Philosophie oft so genannte "Innenweltdogma" einfach verabschieden ohne Verlust...

Weiter oben wurde der Ausdruck In-der-Welt-Sein ins Spiel gebracht, das kann man auch als Versuch lesen, das Innenwelt Dogma hinter sich zu lassen.




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Jovis
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Di 10. Aug 2021, 09:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 06:30
Wenn man mich nach Beispielen dafür gefragt hätte, inwiefern Gefühle nichts Innerliches sind, hätte ich kaum bessere finden können :)
:-)
All diese Gefühle zeigen sich auch nach außen, wenn du darauf hinauswillst. Das bestreite ich ja auch gar nicht. Mir geht es nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Für mich, aus der Erste-Person-Perspektive, zeigen sich Gefühle oft zuerst durch eine körperliche Veränderung. Beispiel Scham: Ich schäme mich nicht für ein Vergehen, sondern weil ich schüchtern bin. Und wenn ich in einer Situation rot werde, dann steigen das Blut und das Schamgefühl mir sozusagen gleichzeitig in den Kopf. Und dann ärgere ich mich und denke: Mist, jetzt sieht der andere, was in meinem Inneren vor sich geht.

Dadurch, dass sich Gefühle oft so deutlich nach außen zeigen, haben sie ja den großen Vorteil, dass sie von anderen ohne Worte verstanden werden. Aber was genau versteht der andere, wenn nicht, wie es um meinen inneren Zustand bestellt ist?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 06:30
[...] das Innenwelt Dogma hinter sich zu lassen.
Was genau ist es eigentlich, was das "Innenwelt-Dogma" verhindert, falsch darstellt, wo es in die Irre führt oder was auch immer? Das ist mir noch nicht klargeworden.




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Jovis
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Di 10. Aug 2021, 10:09

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 20:35
Zu b) Naja, aber genau dieses "grundlos" ist ja nicht richtig. Es gibt keine grundlose Angst.
Wäre dem so würde das ja bedeuten, dass Gefühle vollkommen beliebig auftreten können. Und das - meine ich - tun sie nicht.
Sie haben immer einen Grund. Zum Beispiel eine Vorstellung. Diese Vorstellung kann falsch sein ("Spinnen in Europa sind gefährlich"), aber auch ein falscher Grund ist ein Grund.
Eine Spinnenphobie kann in einer falschen Annahme wurzeln, nämlich dass von den Krabblern Gefahr ausgeht.
Aber wenn man annimmt (auch fälschlich) dass eine Gefahr droht, dann ist die absolute normale emotionale Reaktion Angst.
Das heißt man setzt dann nicht bei den Gefühlen an (wir therapieren deine "falschen Gefühle" weg) sondern man widmet sich den Gründen für die Angst.
Wenn Gefühle grundlos auftreten würden wäre das ja gar nicht möglich, weil es keinen Grund gäbe an dessen Beseitigung man arbeiten kann.
(Vielleicht gibt es Menschen, die eine psychische Störung haben, und bei denen Gefühle wahllos und grundlos auftreten. Das weiß ich nicht. Aber das ist ja nicht der Normalfall)
Ja, du hast recht, grundlos sind die Gefühle nicht. Aber wenn man mal annimmt, dass Gefühle u. a. auch den Sinn haben, uns etwas über die Welt zu sagen - diese Knolle löst in mir Ekel aus, die sollte ich lieber nicht essen; dieser Mensch ist mir unheimlich, den sollte ich besser meiden -, dann enthalten Gefühle ja nicht nur ein inneres Moment, sondern auch ein äußeres. Die Sichtweise, dass sich Gefühle nur im Inneren abspielen, erscheint mir genauso falsch wie die, dass sie es überhaupt nicht tun.

Tut mir leid, das ist jetzt nur ein angefangener Gedanke, aber ich muss jetzt zur Arbeit.




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NaWennDuMeinst
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Di 10. Aug 2021, 14:11

Jovis hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 10:09
Aber wenn man mal annimmt, dass Gefühle u. a. auch den Sinn haben, uns etwas über die Welt zu sagen - diese Knolle löst in mir Ekel aus, die sollte ich lieber nicht essen; dieser Mensch ist mir unheimlich, den sollte ich besser meiden -, dann enthalten Gefühle ja nicht nur ein inneres Moment, sondern auch ein äußeres.
Gefühle liefern uns zusätzliche Informationen unter anderem auch über äußere Gegebenheiten (Gegenstände, Situationen usw).
Deshalb sind die Gefühle aber nicht aussen oder etwas was in der Aussenwelt vorkommt. Jeder Mensch fühlt für sich allein.
Wir können Gefühle teilen (zum Beispiel wenn wir uns gemeinsam freuen). Wir können uns auch über Gefühle austauschen ("Du, findest Du den Film auch so traurig?").
Aber letztlich fühlt Jeder für sich.
Die Sichtweise, dass sich Gefühle nur im Inneren abspielen, erscheint mir genauso falsch
Die Frage ist hier halt, was man alles zum Vorgang des Fühlens zählen will. Spricht man allein von dem Gefühl, würde ich sagen da ist nichts was außen ist.
Betrachtet man einen gesamten Ablauf (Ich sehe die Paprika, die riecht komisch, ich empfinde Ekel, ich muss würgen) dann kann (muss aber nicht) ein Teil des Ablaufs außen sein.
Ich würde deshalb unterscheiden zwischen dem "Vorgang des Fühlens" und "ein Gefühl haben". Der Vorgang des Fühlens kann teilweise außen lokalisiert sein, wenn die Ursache oder der Grund, bzw der Auslöse des Gefühls außen ist, das Gefühl selbst aber (das Gefühl haben) ist mMn niemals außen, das ist rein innerlich.
Und so liegt unser Dissens vielleicht auch darin, dass wir unterschiedliche Dinge betrachten. Ich rede von dem Gefühl allein, und wo es sich befindet, Du betrachtest den Ablauf des Fühlens, vom der Entstehung durch einen (u.U. äußeren) Auslöser, bis hin zur körperlichen Reaktion.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 10. Aug 2021, 14:54, insgesamt 1-mal geändert.



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Alethos
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Di 10. Aug 2021, 14:51

Aber wieso weiss ich denn, dass Angst Angst ist? Der Begriff ist mir unmöglich durch mich selbst gegeben, also kann das Gefühl, das ich als Angst beschreibe, allein schon deshalb nichts rein Inneres sein, weil es mir vermittelt ist.

Ich würde wirklich gerne auf dieser von Jovis eingeworfenen Unterscheidung bestehen wollen, dass es ein Fühlen gibt im Sinne eines feeling. Das ist das, was ich im Bauch fühle und sich im Körper generell ausbreiten kann. Das geschieht in mir, ohne Zweifel. Diese unmittelbare Sensation der Leiblichkeit ist an meinen Körper gebunden und niemand anders kann es so fühlen.

Aber dieses feeling richtet sich auch auf Gegenstände ausser mir (Gegebenheiten, Ereignisse, Personen etc.). Es hat eine Richtung (wie Jörn sagte). Sie gehen auf etwas, sie werden ausgelöst durch etwas oder jemanden. Diese Richtung ist nicht unbedingt eine von innen nach aussen oder von aussen nach innen verlaufende, als vielmehr ohne Ort. Überhaupt ist die Innenwelt, die wir so nennen, eine Welt der Gedanken, des Bewusstseins, der Gefühle etc., die keinen Ort hat. Es ist nicjts Räumliches. Warum sollten wir diesen Wirklichkeitsbereich denn mit Begriffen beschreiben, mit denen wir räumliche Verhältnisse beschreiben? (Innen/Aussen sind Begriffe, die nur Sinn ergeben in der Räumlichkeit).


Gefühle strahlen zudem auch aus. Man erkennt in aller Regel, ob jemand traurig ist, auch wenn diese Person es vielleicht sehr gur kaschieren kann. Es wirkt sich aus, straglt aus. Das Gefühl ist also nicht nur mit äusseren Sachverhalten verknüpft, sondern auch mit unserem Verhalten, durch die sich Gefühle entfalten. In der Regel ist es ja so, dass wir weinen, vor Freude schreien, grinsen, die Augen zukneifen etc., wenn wir etwas Entsprechendes fühlen. Ich meine, dass wir diese Äusserungsformen (allgemeiner: diese Instantiierungen) zum Gefühl dazuzählen dürfen, da es ja überhaupt keinen Sinn ergibt, Gefühle zu haben ohne Leib, der sie verwirklicht. Aber wie verwirklichen sie sich? Doch ganz bestimmt nicht nur in mir, sondern ebenso in der Weise, in der sie sich ausdrücken.
Zuletzt geändert von Alethos am Di 10. Aug 2021, 15:00, insgesamt 1-mal geändert.



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Friederike
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Di 10. Aug 2021, 14:53

Gefühle sind ortlos, aber beziehungsreich.

(Ist das alles? Für den Moment schon :lol: ).




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NaWennDuMeinst
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Di 10. Aug 2021, 15:00

Alethos hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 14:51
Aber wieso weiss ich denn, dass Angst Angst ist? Der Begriff ist mir unmöglich durch mich selbst gegeben
Was hat der Begriff "Angst" mit dem Gefühl der Angst zu tun? Wenn Du jetzt keine Sprache beherrschen würdest, spürtest Du dann auch keine Angst (also das Gefühl das wir als Angst bezeichnen) mehr?
Dann sind alle Wesen die keinen Begriff für Angst kennen angstfrei? Ganz sicher nicht.
Aber dieses feeling richtet sich auch
auf Gegenstände ausser mir (Gegebenheiten, Ereignisse, Personen etc.). Es hat eine Richtung (wie Jörn sagte). Sie gehen auf etwas, sie werden ausgelöst durch etqas oder jemanden. Diese Beziehung ist nicht unbedingt eine von innen nach aussen oder von aussen nach innen, als vielmehr ohne Ort.

Gefühle strahlen zudem auch aus. Man erkennt in aller Regel, ob jemand traurig ist, auch wenn diese Person es vielleicht sehr gur kaschieren kann. Es wirkt sich aus. Das Gefühl ist also nicht nur mit äusseren Sachverhalten verknüpft, sondern auch mit unserem Verhalten, durch die sich Gefühle Raum schaffen. In der Regel ist es ja so, dass wir weinen, vor Freude schreien, grinsen, die Augen zukneifen etc., wenn wir etwas entsprechendes fühlen. Ich meine, dass wir diese Äusserungsformen (allgemeiner: diese Instantiierungen) zum Gefühl dazuzählen dürfen, da es ja überhaupt keinen Sinn hat, Gefühle zu haben ohne Leib, der sie verwirklicht. Aber wie verwirklichen sie sich? Doch ganz bestimmt nicht nur in mir, sondern ebenso in der Weise, in der sie sich ausdrücken.
Meiner Ansicht nach wirfst Du hier einfach alles in einen Topf. Wieso unterscheidest Du nicht zwischen dem Gefühl und dem wodurch es ausgelöst ist oder dem was darauf folgt?
Es ist zwar alles so halbwegs richtig was Du sagst. Gefühle entstehen nicht grundlos. Aber daraus folgt doch nicht logisch, dass wenn der Grund aussen ist, dass dann auch das Gefühl aussen ist. Wenn ich im Haus bin und die Sonne durch mein offenes Fenster scheint, und ich deshalb einen Sonnenbrand bekomme, dann bin ich ausserhalb des Hauses, weil der Auslöser für den Sonnenbrand (die Sonne) draussen ist? Hä?
Es gibt keinen zwingenden Grund das so zu betrachten. Und deshalb betrachte ich das auch nicht so. Das Gefühl ist ganz klar innen, auch wenn der Auslöser aussen ist. (was er übrigens auch nicht zwingend sein muss. Es gibt auch innere Auslöser).



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Di 10. Aug 2021, 15:32

Also da wird kein Schuh draus. Weil Emotionen äußere Auslöser haben folgt daraus nicht, dass die Emotionen selbst auch außen sind.
Ich denke es wäre noch halbwegs nachvollziehbar wenn man sagt, dass Gefühle auch eine Schnittstelle nach aussen haben. Aber selbst das halte ich eigentlich für falsch. Die Schnittstellen sind die Sinnesorgane (Augen, Ohren, Nase usw) die die Informationen sammeln. Und diese Informationen lösen dann eben u.U. innerlich die Emotionen aus. Umgekehrt (von innen nach außen) ist die Schnittstelle der Körper, der auf die Emotionen reagiert (wir verziehen das Gesicht oder was auch immer).
Aber wie gesagt: Wenn man den Vorgang des Fühlens (anstatt allein die Emotion) betrachtet, dann kann u.U. ein Teil dieses Vorgangs außen lokalisiert sein. Aber eben nur ein Teil des Vorgangs. Der Teil um den es mir geht, also das Gefühl selbst, ist innen.



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Alethos hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 14:51
vielmehr ohne Ort
Friederike hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 14:53
Gefühle sind ortlos, aber beziehungsreich.
Dürfte was dran sein :-) [Von Ortlosigkeit spricht übrigens auch der von Stefanie so geschätzte Herman Schmitz :-)] Gefühle sind ja stets semantisch aufgeladen und die Frage nach dem Ort von Bedeutungen ist ja schon mal seltsam :-)




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Di 10. Aug 2021, 16:35

Alethos hat geschrieben : Warum sollten wir diesen Wirklichkeitsbereich denn mit Begriffen beschreiben, mit denen wir räumliche Verhältnisse beschreiben? (Innen/Aussen sind Begriffe, die nur Sinn ergeben in der Räumlichkeit.
Ist es eine Grundorientierung, so wie oben und unten, rechts und links?
Hat es kulturhistorische Gründe? (Descartes, die Subjektphilosophie, die "Entdeckung des Subjektes"; die Frauen im Haus, im Privatbereich, die gefühlsbetont sind, die Männer draußen in der Welt, im öffentlichen Bereich, der von der "ratio" geleitet wird).

Was mir nur an Euren Beiträgen (@Alethos, @Jörn und @Jovis - alphabetische Reihenfolge) so deutlich geworden ist, daß Gefühle eine starke Macht haben (eine Person beschämen können) und zugleich, die andere Seite, daß unsere Gefühle die verletzlichste Stelle (schon wieder der Raum) sind. Beschämt werden. Hat es eine Schutzfunktion, wenn wir Gefühle nach innen verlagern? Unsere Sprache jedenfalls ist voll davon (nach außen hin blieb ich gelassen, aber innen drin war ich unglaublich wütend).




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Di 10. Aug 2021, 18:11

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 15:32
Aber wie gesagt: Wenn man den Vorgang des Fühlens (anstatt allein die Emotion) betrachtet, dann kann u.U. ein Teil dieses Vorgangs außen lokalisiert sein. Aber eben nur ein Teil des Vorgangs. Der Teil um den es mir geht, also das Gefühl selbst, ist innen.
"Das Gefühl selbst" wie Du es nennst (wie es sich anfühlt) wird im sogenannten "feeling"-Aspekt berücksichtigt (ich weiß nicht, welcher Gefühlstheorie das Wort angehört, es scheint aber inzwischen Allgemeingut). Und s o fühlen kannst nur Du).
NWDM hat geschrieben : Das Gefühl ist ganz klar innen, auch wenn der Auslöser aussen ist. (was er übrigens auch nicht zwingend sein muss. Es gibt auch innere Auslöser).
Ja, Du hast mehrfach darauf hingewiesen ("Imagination" war einer Deiner Begriffe), aber die Imaginationen oder Träume bedienen sich des Materials der Welt.




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Di 10. Aug 2021, 18:39

Friederike hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 18:11
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 15:32
Aber wie gesagt: Wenn man den Vorgang des Fühlens (anstatt allein die Emotion) betrachtet, dann kann u.U. ein Teil dieses Vorgangs außen lokalisiert sein. Aber eben nur ein Teil des Vorgangs. Der Teil um den es mir geht, also das Gefühl selbst, ist innen.
"Das Gefühl selbst" wie Du es nennst (wie es sich anfühlt) wird im sogenannten "feeling"-Aspekt berücksichtigt (ich weiß nicht, welcher Gefühlstheorie das Wort angehört, es scheint aber inzwischen Allgemeingut). Und s o fühlen kannst nur Du).
Man differenziert da auch noch weiter. Emotionen (zum Beispiel Angst) sind auch nicht gleich Gefühle (z.B. ein taktiles Gefühl). Die Begriffe werden hier aber (auch von mir) teilweise synonym verwendet.
NWDM hat geschrieben : Das Gefühl ist ganz klar innen, auch wenn der Auslöser aussen ist. (was er übrigens auch nicht zwingend sein muss. Es gibt auch innere Auslöser).
Ja, Du hast mehrfach darauf hingewiesen ("Imagination" war einer Deiner Begriffe), aber die Imaginationen oder Träume bedienen sich des Materials der Welt.
Wie gesagt. Etwas ist nicht draussen nur weil es von draussen beeinflusst wird. Ich sehe überhaupt keinen Grund das so zu betrachten.
Wegen des Ortes: Für mich ist "innen" einfach nur ein anderes Wort für "hat seinen Ursprung bei mir" oder auch "spielt sich bei mir ab".
Natürlich ist das nicht in der selbe Weise zu verstehen wie Koordinaten.
Innen ist nicht x=53, y=128 und z=71.
Ich halte aber auch nichts von der Vorstellung der "Ortlosigkeit". Diese Zuordnung (zu mir oder zu der Welt "aussen") ist wichtig. Welchen Sinn sollte ohne das zum Beispiel noch ein Ich-Begriff haben?
Das ist ja eine Abgrenzung (Ich - mit all meinen Gedanken, Gefühlen, Emotionen - bin nicht Du. Auf diese Abgrenzung bestehe ich. Und Du sicherlich auch.).



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Jörn Budesheim
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Di 10. Aug 2021, 18:50

Alethos hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 14:51
[feeling] ist das, was ich im Bauch fühle und sich im Körper generell ausbreiten kann. Das geschieht in mir, ohne Zweifel.
Ich bezweifle das. Ich gehe in die Oper und höre mir Don Giovanni an. Direkt vor mir - fast in Greifweite - singt eine Sängerin einer Arie. Das begeisternde Erleben dieser Musik, dieses unglaubliche Gefühl ist nicht in mir. So ist nicht mein Erleben dabei.




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Di 10. Aug 2021, 19:02

Friederike hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 16:35
Hat es eine Schutzfunktion, wenn wir Gefühle nach innen verlagern? Unsere Sprache jedenfalls ist voll davon (nach außen hin blieb ich gelassen, aber innen drin war ich unglaublich wütend).
Wenn Du sagst: "Ich bin Friedrike", was genau bedeutet das dann und was meinst Du mit dem Satz?
Bedeutet das dann, dass alles was Friedrike ist überall ist? Was ist denn überhaupt "Friederike"?
Warum glaubst Du überhaupt ein "Ich" zu sein? Wieso bist Du kein "Wir" oder wieso bist Du nicht einfach gar nichts? Ohne Ort und ohne Stimme?
Was bedeuten denn Konzepte wie "Individualität"?

(Es gibt Dinge die mich ausmachen. Sie gehören weder Anderen, noch sind sie "draussen" oder "ortslos". Sie gehören zu mir. Wenn das nicht so wäre, was würde das "Ich" dann überhaupt noch bedeuten?)
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 10. Aug 2021, 19:09, insgesamt 1-mal geändert.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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