Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ So 21. Okt 2018, 08:16
Mir geht es darum, uns als Subjekte und unsere Lebenswelt ernst zu nehmen und stark zu machen. Unsere Gefühle und das, wovon sie uns unterrichten, gibt es wirklich. Mir geht es um die Wirklichkeit unserer Gefühle. [...] Uns und unsere Subjektivität gibt es ganz im Ernst und unsere Gefühle sind nicht bloß ein manchmal nettes, manchmal unangenehmes Epiphänomen ohne wahrheitsfähigen Gehalt. Im Gegenteil sie unterrichten uns oft zuverlässig über die Wirklichkeiten, so wie sie tatsächlich sind. Das ist vielleicht der Grund, warum manche Kulturen Gefühle als etwas erlebt und verstanden haben, was "von außen" kommt. Und da Gefühle uns oft die Wahrheit sagen, können sie auch irren über die Bereiche, mit denen sie uns in Kontakt setzen und verbinden ('sollten'). [...] Wenn jemand das "Gesicht verzieht" und Ihhhh! ruft, dann halten wir Ausschau, wovor er oder sie sich ekelt. Wir glauben dann nicht, dass er oder sie sich vor dem blauen Himmel oder völlig Beliebigen ekelt, sondern vor dem verschimmelten Stück Fleisch vor ihm. Diese "Sozialität" und Triangulations-Fähigkeit der Gefühle war übrigens ein großer evolutionärer Vorteil. Sie schützt nicht nur jeden Einzelnen vor Dingen, die für uns und unsere Gemeinschaft abträglich sind, sondern "informiert" zugleich anwesende Unseresgleichen über die vorliegenden Tatsachen: "Eklig - bitte meiden!" Gefühle erlauben in solchen Fällen eben eine "kommunikative" Triangulation. Das funktioniert aber nur, wenn die eine Spitze des Dreiecks nicht einfach bloß im Kopf der Kommunikationspartner ist. Dass es hier von Person zu Person individuelle Variationen gibt, macht das Ganze jedoch nicht bloß subjektiv, denn es muss dabei schließlich ein Kern bleiben, der variiert wird, damit die Triangultion überhaupt funktionieren kann.
Die Zusammenlegung der Threads hat den Nachteil, das ich lange suchen mußte, bis ich den Beitrag, nach dem ich suchte, endlich fand. An den "Wirklichkeiten, so wie sie tatsächlich sind", daran arbeite ich mich ab, seit Du diesen Satz geschrieben hast. Das ist die These von Dir, die ich "stark" nenne. In Verbindung mit 1. der Vermutung, Kulturen hätten aus diesem Grunde evtl. Gefühle "außen" verortet und 2. dem angeführten Ekel-Beispiel scheinen Emotionen ein hauptsächlich anthropologisches Erkenntniswerkzeug zu sein, d.h. Emotionen sind
richtige Antworten auf vorgefundene Wirklichkeiten, wie sie tatsächlich sind. Vor diesem Hintergrund lese ich Deine Beiträge. Sicher, Du hast nicht behauptet, ausnahmslos alle Emotionen und immer, und individuelle Variationen schließt Du ebenfalls nicht aus, aber dennoch kommt es mir so vor, als gäbe es ein ziemliches Übergewicht der Wirklichkeitsseite. Wobei ... wenn Du schriebest, die Wirklichkeit (oder die Welt), dann wäre ich einverstanden. Wie aber sollen wir denn unterscheiden, was die Wirklichkeit, wie sie tatsächlich ist und was die Wirklichkeit, wie sie nicht ist, ist - das folgt doch aus Deiner Formulierung, oder nicht?