Philosophische Reflexionen der Gefühle

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
Tosa Inu
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Mi 26. Sep 2018, 18:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 15:36
Kausalität, Intentionalität - das erinnert an eine gängige Unterscheidung in der Philosophie: Nämlich an den Unterschied von Erklären und Verstehen. Die Philosophie versucht Gefühle zu verstehen, die Naturwissenschaften wollen sie erklären.
Das führt auf eine falsche Fährte.
Was ich vorhin darstellte, ist ja aus der Affektforschung die sehr nahe an der Psychoanalyse parkt und die ist nur zu einem geringen Teil Naturwissenschaft. Schon die Psychologie ist das ausdrücklich nicht, die -analyse noch weniger. In der Objektbeziehungstheorie bspw. geht es ja nicht nur um die Erklärung von Gefühle. sondern ganz klar um Bedeutung, Funktion, im Rahmen der Konstituion von Ich und anderen.

Der ganze Ansatz aufdeckender Therapie dreht sich einzig und allein darum Gefühle zu verstehen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Mi 26. Sep 2018, 19:34

Das ist meines Erachtens nicht die falsche Fährte, sondern das ist die Art und Weise wie du selbst das Thema angehst und darstellst.

Deine Erläuterungen sind nahezu durchgängig auf der “Erklären-Seite”. Du bietest zum Beispiel evolutionstheoretische Herleitungen der Gefühle in Form von Kosten-Nutzen-Kalkülen. Dabei sind wenige Nachkommen entsprechend dieses Kalküls biologisch kostbar. Die Affekte der Nachkommen werden den Gen-Multiplikatoren wie auf einer Anzeigetafel in gut und schlecht dargeboten. Die Verstehen-Seite, die auch die Teilnehmer-Perspektive in den Blick nimmt, kommt hier einfach nicht vor. So etwas wie "in ein Gesicht schauen" und "ein Antlitz sehen", gibt es in dieser Perspektive nicht.

Bei Gefühlen hast Du entsprechend ihren evolutionären oder kommunikativen Nutzen im Blick und die Grundbausteine der Gefühle versuchst du “natürlich” herzuleiten, die Affektprogramme erweisen sich dabei einfach ein altes Kommunikations- und Motivationssystem, der höheren Säugetiere. In dieser kausalen Erklärungsstrategie hängen dann natürlich die Gefühle von der individuellen Neurobiologie ab und werden nicht etwa aus einer personalen Perspektive heraus verstanden, indem man Menschen in den Blick nimmt, die ihr eigenes Leben führen und dieses an Wertmaßstäben orientieren, der sich z.b. daraus ergibt, dass auch andere Wesen ein Leben führen können.

Du schreibst also überwiegend aus der Position des Beobachters und nur selten aus der Position des Teilnehmers. Warum auch? Der Teilnehmer weiß ja sowieso nicht was Sache ist, denn hinter seinem Rücken wirken durchgängig Mächte, die er nicht durchschaut: “Unter Umgehung des Bewusstseins wird das, was man eigentlich ausdrücken wollte in eine sozial akzeptierte Version umgeschrieben, Freud nannte das Reaktionsbildung.”




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Stefanie
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Mi 26. Sep 2018, 19:52

Hmm, ich glaube ich weiß jetzt, wo ich gedanklich falsch abgebogen bin, bei der Unterscheidung Intentionalität und Kausalität, dabei habe ich mich wohl verfahren, muss ich noch mal zurück.

Vor ein paar Tagen habe ich folgenden Satz gelesen:
Zittern wir, weil wir Angst haben, oder haben wir Angst, weil wir zittern.



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Alethos
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Mi 26. Sep 2018, 20:33

Dann ergibt aber der Begriff 'subjektiv' nun überhaupt keinen Sinn mehr.



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Jörn Budesheim
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Mi 26. Sep 2018, 20:48

In diesen Zusammenhang zumindest nicht als simpler Gegenbegriff zum Objektiven. Allerdings brauchen wir dazu das Subjekt zwingend, denn nur durch es kommt der Irrtum in die Welt :)




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Stefanie
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Mi 26. Sep 2018, 21:28

Hmm, der Satz lautet wie folgt.
Charakteristisches Merkmal eines Sinnes ist die Objektivität. Objektivität ist dasjenige Merkmal einer Einstellung, dass darin besteht, dass wir uns in dieser Einstellung täuschen oder richtig liegen können.

Ich kann es noch nicht genau begründen, aber das ist doch was anderes, als zu sagen, eine Einstellung ist dann objektiv, wenn man sich täuschen oder richtig liegen kann.
Die Objektivität ist ein Merkmal, und zwar dasjenige Merkmal...das interpretiere ich so, dass es nicht das einzige Merkmal ist.
Er sagt auch "uns in dieser Einstellung", nicht die Einstellung.

Zumal es ja wieder um den Zusammenhang geht, in denen subjektiv und objektiv eine Rolle spielen,



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novon
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Mi 26. Sep 2018, 21:43

Friederike hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 13:32
Tosa Inu hat geschrieben : Demnächst: Die Bedeutung der konkordanten Gegenübertragung in der Objektbeziehungstheorie. (Scherz)
Die "konkordante" Gegenübertragung ist nicht, wie ich dachte, ebenfalls ein Scherz. Es gibt sie tatsächlich. :lol:
Unter "Scherz" lief wahrscheinlich "demnächst"... :)




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Jörn Budesheim
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Mi 26. Sep 2018, 21:43

Stefanie hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 21:28
Ich kann es noch nicht genau begründen
Dann muss ich wohl noch etwas abwarten :) ich bin gespannt!




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Alethos
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Mi 26. Sep 2018, 22:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 17:15
Eine Einstellung ist dann objektiv, wenn man sich täuschen oder richtig liegen kann. Das würde ich so verstehen, dass Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle allesamt objektiv sind, weil sie richtig oder falsch sein können.
Nun kann man sich aber über alles täuschen und bei allem richtig liegen, auch bei dem noch so Subjektiven. Dadurch definiert sich Subjektivität einfach über die Sache. Sie ist es, an der sich entscheidet, ob unsere Einstellungen, Gefühle etc. richtig oder falsch sind. Das Subjektive ist das, was Einstellungen haben kann, die richtig oder falsch sind und die Richtigkeit und Falschheit dieser Einstellungen entscheidet sich an der Objektivität. Nun aber ist es doch nicht korrekt zu sagen, ein Gefühl sei objektiv gegeben durch die Entscheidbarkeit in richtig und falsch? Ein Gefühl kann als dieses Gefühl gar nicht falsch sein, denn es ist dieses Gefühlte immer. Es ist unmittelbar subjektiv eine Empfindung, die ich habe oder nicht habe, aber indem ich sie habe, weist sie eine Realität und Objektivität auf, die nicht falsch sein kann. Sie weist sich nicht als diese Objektivität aus, weil man sich darin täuschen kann, sondern als Gefühl ist es ein Objekt meiner realen Empfindungen, und deshalb immer richtig in einem ontologischen Sinne mit Bezug auf dessen Objektivität. Es kann ein unangemessenes Gefühl sein, ein falsch interpretiertes oder analysiertes, aber es ist nie objektiv falsch. Darum können für das Subjektive auch nicht dieselben Kriterien gelten wie für das Objektive. Das Kriterium für Subjektivität ist nicht, dass es Mass gibt für die Frage, ob dieses richtig oder falsch sei. Das Kriterium für Subjektivität ist, dass es frei sei.

Was Gabriel meint, so schätze ich, ist also eher der Gedanke, dass Objektivität das Mass der Entscheidbarkeit gibt. Weil etwas objektiv so und so ist, kann man entscheiden, ob man sich irrt, nämlich dann, wenn man glaubt, dass es nicht so und so ist. Dann aber steht der Glaube als etwas Subjektives dem Objektiven als die falsche Einstellung darüber entgegen. Darum aber gehört doch das Subjektive und das Objektive als Paar zusammen, nicht als entgegengesetztes, aber als tanzendes Paar. :)

Jedenfalls würde ich das Objektive nicht vom subjektiven Irren her ableiten, das wäre eindeutig ein konstruktivistisches Moment, das ich nicht mitmachen möchte :)



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Do 27. Sep 2018, 12:43

Tommy hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 20:06
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 13:42
Körperempfindungen nennt man durchaus auch Gefühle und ich hatte gehofft, dass der Zusammenhang klar macht, was gemeint ist.
Deswegen war meine Frage zu Anfang schon, ob man nicht Gefühle und Emotionen unterscheiden sollte.
Emotionen wie Liebe, Hass usw. sind ja was anderes als der Wind auf unserer Haut und dergleichen, obwohl in beiden Fällen gefühlt wird.
Ein Vorschlag zur Güte: Emotionen haben eine körperliche Dimension und eine gefühlsmäßige Dimension. Für "gefühlsmäßig" könnte man auch sagen, eine "affektive" Dimension.




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Do 27. Sep 2018, 12:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 14:01
Ich hatte weiter oben drei ineinander spielende Aspekte hervorgehoben: 1) Gefühle haben ein Objekt, 2) Gefühle haben ein Subjekt, 3) Gefühle fühlen sich irgendwie an, es ist irgendwie, sie zu haben. Mit Gefühle, die die Angst begleiten, ist 3) gemeint.
Dennoch ist der Ausdruck "Gefühle" für die leibliche Dimension eines Gefühles nicht glücklich, weil er aus meiner Sicht nur verunklart, was wir hier zu klären versuchen: Den Begriff "Gefühl" und den Sachverhalt "wie es ist, ein Gefühl zu haben."




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Do 27. Sep 2018, 16:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 19:53
Genau. Die Frage des threads lautet, ob alle Gefühle (und wenn nein, welche nicht) einen solchen Gegenstand haben, wie z.b. Angst vor, Freude auf, Neid auf, Wut auf, verliebt sein in, Trauer um ...
Definieren wir oder definiert man (die Philosophie) als "Gefühl" dasjenige, was intentional ist, oder nehmen wir die Begriffe, die wir üblicherweise als "Gefühl" bezeichnen und schauen dann, ob sie intentional sind oder nicht? Haben wir die Frage eigentlich beantwortet? Mir ist diese Frage erst gestern eingefallen, obwohl wir nun schon ein paar Tage über das Thema reden. Sinnvoller wäre es mE, man würde die Intentionalität als Kriterium heranziehen, um "Gefühlswörter" zu Gefühlen oder Stimmungen oder Gemütszuständen zu zählen. Der letztgenannte Ausdruck ist nur ein Notbehelf, weil mir für beispsielsweise "Hoffnung", "Ausweglosigkeit", "Ohnmacht", "Optimismus" nichts Besseres einfällt.




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Do 27. Sep 2018, 17:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 19:34
In dieser kausalen Erklärungsstrategie hängen dann natürlich die Gefühle von der individuellen Neurobiologie ab und werden nicht etwa aus einer personalen Perspektive heraus verstanden, indem man Menschen in den Blick nimmt, die ihr eigenes Leben führen und dieses an Wertmaßstäben orientieren, der sich z.b. daraus ergibt, dass auch andere Wesen ein Leben führen können.
Mir fällt dazu z.B. der Begriff "Gerechtigkeit" ein, der überhaupt nur funktioniert, weil wir Gefühle haben. Ohne ein Gefühl wie Empathie wäre "alles" gleich gültig. Es träten gegebenenfalls lediglich Instinkte zutage.




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Jörn Budesheim
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Do 27. Sep 2018, 18:17

Friederike hat geschrieben :
Do 27. Sep 2018, 16:52
Definieren wir oder definiert man (die Philosophie) als "Gefühl" dasjenige, was intentional ist, oder nehmen wir die Begriffe, die wir üblicherweise als "Gefühl" bezeichnen und schauen dann, ob sie intentional sind oder nicht?
Nach meinem Kenntnisstand nennt man Gefühle, die ein Gegenstand haben Emotionen. Das Fachgebiet selber nennt sich Philosophie der Gefühle.




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Fr 28. Sep 2018, 10:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 19:34
Du schreibst also überwiegend aus der Position des Beobachters und nur selten aus der Position des Teilnehmers. Warum auch? Der Teilnehmer weiß ja sowieso nicht was Sache ist, denn hinter seinem Rücken wirken durchgängig Mächte, die er nicht durchschaut: “Unter Umgehung des Bewusstseins wird das, was man eigentlich ausdrücken wollte in eine sozial akzeptierte Version umgeschrieben, Freud nannte das Reaktionsbildung.”
Nein, ich schreibe weitaus öfter aus der Teilnehmerposition, wenn ich mein Schaffen reflektiere. Mit dem zu ‚glänzen‘, was man weiß, finde ich tendenziell eher unangemessen und oft aufdringlich, manchmal bis ins Peinliche, es sei denn, es handelt sich um reine Wissensfragen, die als solche auch gestellt wurden. Fragen rund um die Psyche haben mit der Philosophie gemeinsam, dass sie sehr schnell in einen reflexiven Bereich hineingehen. Da greifen Beobachten und Teilnehmen, Fragen und Wissen, Erklären und Tasten dann ohnehin ineinander.

Wenn wir in einen Dialog eintreten und einander auf etwas hinweisen, wie: „Du hast vergessen einen Grund anzugeben“ oder „Das ist eine petitio principii“, dann ist das zugleich ein technischer Hinweis (da ist ein Fehler), als auch Reflexionsangebot (schau mal hin) und Behauptung und damit Dialogangebot (es könnte sein, dass das Entdecken des Fehlers ein Irrtum ist, sofern dieser begründet entkräftet werden kann).

„Unbewusst“ hat zwei grundlegend verschiedene Bedeutungen: Zum einen meint unbewusst etwas ganz einfach nicht zu wissen, im Sinne eines Faktenwissens. Wenn man nicht weiß, wie man eine Torte macht, wie eine Waschmaschine oder die Bandscheibe funktioniert, ist man hinsichtlich dessen unbewusst. Durch Fakten- oder Funktionswissen, kann man diese Lücke füllen. Die Grenze ist das Verstehen, aber in einem Sinn, dass man sagt, bis hier hin komme ist mit, der Rest ist mir zu hoch, zu kompliziert.

Die andere Bedeutung meinen wir häufiger, unbewusst im Sinne des Schattens, des blinden Flecks. Das Problem ist hier nicht, dass man kognitiv nicht versteht, was da gesagt wird. Wenn man sagt, dies und das weise auf eine sexuelle Hemmung hin, d.h. man findet etwas sexuell verlockend und anziehend, kann sich dies aber nicht eingestehen, dann ist hier keine große Intellektuelle Hürde zu überspringen, in dem Sinne, dass man sagt: „Wie, sexuell verlockend, das verstehe ich nicht. Was soll das denn sein?“ Man weiß genau, was das heißt, findet nur die Deutung maximal unangemessen und irgendwo zwischen unverschämt und dämlich. Emotional sperrt sich hier alles. Hier geht es um ein allmähliches, schrittweises Dämmern und Aufdecken, das ganz elementar ein Verstehen von Gefühlen, nämlich den eigenen und deren innerem Zusammenhang impliziert. Diese Differenz zwischen den beiden Auffassungen des Unbewussten spiegelt sich bis in die psychotherapeutische Praxis hinein. Wenn jemand mit irgendwas zum Psychotherapeuten geht, kommt er mit einem Problem, sonst geht man da nicht hin. Dann gibt es zwei grundlegend verschiedene Ansätze (die sich heute näher kommen), wie darauf reagiert wird:

1. Dominant verhaltenstherapeutisch unterwegs könnte ein Therapeut überspitzt sagen: „Verstehe. Da haben Sie was Falsches gelernt. Das ist aber kein Problem, das kann man umtrainieren. Ich werde Ihnen Techniken zeigen, mit denen das geht, das üben wir hier erst zusammen und in ein paar Wochen, können Sie das auch alleine.“ Oft erklärt man noch, was Angst ist, wie sie funktioniert oder wie und warum man sich Falsches antrainiert hat.

2. Aus dem aufdeckenden, psychoanalytischen, -dynamischen oder tiefenpsychologischen Spektrum kommend, geht es um etwas anderes, denn wenn der Therapeut einfach sagte: „Verstehe. Wissen Sie, es gibt das Unbewusste und es ist einfach so, dass Sie viel egozentrischer und aggressiver sind, als Sie es selbst glauben, dass müssen Sie mir jetzt glauben, ich habe das Jahre studiert und viel Erfahrung, alles andere wäre Deutungswiderstand.“, dann kann man das vielleicht noch so eben glauben, aber würde sich was ändern?

Unbewusste Mechanismen müssen bewusst gemacht werden, man muss sie verstehen, d.h. sehen und innerlich nachvollziehen können, sonst bewirken sie, als reine Behauptungen gar nichts. Sie müssen sogar deutlich überzeugender wirken, als das, was man bis dahin glaubte und lebte. Da ist ne Herausforderung. Man bietet dem anderen eine alternative Geschichte an, in und für so ziemlich alle
Lebensbereiche, anhand von kurzen, konkreten Szenen des Alltags, dem Beziehungsstress, dem Ärger im Büro oder sonst wo, die gedeutet werden.

Eine Deutung heißt immer, ein Angebot zu machen. „Schauen Sie mal, ob meine Geschichte Ihres Lebens, Ihrer Beziehungen usw. nicht mehr erklärt, als Ihre eigene Geschichte.“ Verwirrend, denn wer sollte das eigene Leben besser kennen, als man selbst? Sich darauf einzulassen, dass man im Grunde viel weniger von sich selbst weiß, als man dachte, ist schon kein Zuckerschlecken. Das ist eine gewisse Differenz zwischen Philosophie und aufdeckender Psychologie. Als Philosoph ist man schnell bereit darüber zu diskutieren, dass es das Ich ja eigentlich gar nicht gibt, dass das zumindest alles sehr vage und unsicher ist, wenn der Psychologe dann allerdings sagt: „Prima, dann schauen wir ihr Leben doch mal unter einem etwas anderen Blickwinkel an“, ist die Bereitschaft oft nicht mehr so ausgeprägt. Ein, wie ich finde, sehr interessantes Spiel, bei dem Philosophen ja durchaus gute Gründe anführen können. Dass die aufdeckende Psychologie ja auch nur ein Konzept und vielen verfolge und gar nicht klar ist, warum man ausgerechnet dem jetzt folgen sollte, dass sie im Kern unwissenschaftlich und zirkulär sei oder dass sie einfach gesellschaftlich tradierte Muster als Normalität verkaufe, von denen gar nicht klar ist, ob und warum sie überhaupt normal und gewünscht sein sollten.
Gute Psychologen können das metapsychologisch beantworten und tun das auch, was ein hochinteressanter Dialog ist. Innerhalb der Therapie ist es gut die weiten Ausflügen abzuwürgen und im Konkreten zu bleiben: Bei den Ängsten, bei den Beziehungsproblemen, bei dem, was einen immer wieder auf die Palme bringt.

Denn die eigene Version des Lebens, die ungeheuer wichtig ist, hat noch einen Haken oder Zusatz, den der Patient nicht versteht: seine Symptome. Er deutet sie, wie gewohnt: „Ich habe sicher hier und da ein paar kleinere Macken, kann sein, wer hat die nicht, aber alles in allem bin ich ein prima Kerl. Doch doch, mit mir kann man auskommen und wer das nicht kann, der muss schon etwas schräg sein, weil Menschliches, Allzumenschliches abgezogen, bin ich schon ziemlich in Ordnung.“ Nur die anderen, die spielen da irgendwie nicht mit.

Eigene Deutung plus oder inklusive der Symptome oder typischen Konflikte, ergeben oft recht schnell ein rundes Bild, aber der letzte, der dieses Bild ebenfalls rund findet, ist der Patient. Das Angebot ist: „Schauen Sie mal einen Moment durch meine Brille, ob diese Sicht nicht besser passt, nämlich erklärt, warum genau immer dann, immer das passiert.“ Überzeugungsarbeit, durch die Deutungen in der geschützten Therapiesituation, von kleinen Alltagserlebnissen, Phantasien, die man als Angebot gedeutet bekommt und sogar nachher noch auf das ganze Leben und eventuelle praktische Konsequenzen umlegen muss, in Eigenregie. Ohne tiefes Verstehen, dazu noch einer Sache, die einem fundamental gegen den Strich geht – Projektionen zu erkennen oder Schatten aufzudecken, was dasselbe meint, ist immer ein Schock, ein Blick in den Abgrund – ist das völlig aussichtslos, denn mit „Na gut, ich tue mal ne Woche so als ob“, ist rein gar nichts gewonnen.

Freuds Erkenntnis der Reaktionsbildung, ist eine Essenz vieler solcher Erfahrungen. Es gibt viele weitere: Projektionen, Verdrängungen, Verleugnungen, Rationalisierungen, Somatisierungen u.v.m., die man in der Regel sehr schnell bei anderen erkennt, nur bei sich nicht, da steht dann das Gefühl der fundamentalen Unangemessenheit der Deutung im Weg. In der Philosophie ist das ähnlich, sie arbeitet sozusagen mit Deutungskontexten, die gegen Deutungskontexte stehen und philosophieren heißt ja immer auch, sich ein Stück weit auf die Sicht eines anderen einzulassen, empathisch in dem Sinne zu sein, dass man versucht, die Welt durch die Augen eines Kant, Popper, Aristoteles zu betrachten. Irgendwann steht dann nicht Faktum gegen Faktum, Konzept gegen Konzept, sondern ein oft sehr komplexes theoretisches Gebäude gegen ein anderes ohne dass diese aufeinander zu reduzieren wären. Das wirft dann noch einmal ganz andere Fragen auf, z.B. die, nach der praktischen Bedeutung einer theoretischen Erkenntnis, bzw. ob und ggf. wann die Forderung nach praktischen Konsequenzen überhaupt angemessen ist.

Oder eben nach der Intentionalität von Gefühlen. Der Sinn von Angst ist sicher ein anderer als der des Wiederholungszwangs. Der steht ja fundamental quer zu unseren Mythen über uns selbst, die lauten, dass man aus Fehlern lernt. Hat man eigene Erfahrungen gemacht, weiß man, wie es ist, wie sich das anfühlt und wir darum aus Erfahrung klug. Der Wiederholungszwang zeigt uns jedoch, das wir bestimmte Fehler immer wieder machen und uns mit einer Treffsicherheit ist in den Sumpf reiten, die verblüffend ist. Will man aufdecken, was der Sinn dahinter sein könnte, muss man dies verstehend nachvollziehen. Wie, wenn man gesagt bekommt, die eigene These sei eine petito principii: Wenn man diese rhetorische Figur erkennt und vielleicht sogar, dass sie auf das eigene Argument passt, steht man immer noch mit seinem Gefühl von vorher da, dass man überzeugt ist, mit einer Deutung Recht zu haben. Bleibe ich bei dem, was ich glaube und ignoriere die Philosophie? (Das entspräche dem Deutungswiderstand bei Freud.) Akzeptiere ich den logischen Fehler und was wie gehe ich nun mit meiner Überzeugung um? Denn ich bin ja immer noch überzeugt. Deute ich den Hinweis eines anderen auf einen Fehler als Geschenk oder als Angriff? Sehr spannend, das alles.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 13:24
Und nebenbei, mich würde noch interessieren, besonders von Dir @T.I., ob Du die Panik als eigenständiges Gefühl bezeichnen würdest - und immer die Frage, ob es sich überhaupt um ein Gefühl handelt. Vielleicht ist sie eher sowas wie ein Reflex, Trieb, Affekt (je nachdem, welches Modell man zugrundelegt).
Friederike hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 13:34
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Sep 2018, 13:32
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 14:16
Die Gefühle, die die diversen Ängste begleiten [Anspannung, Zittern - man denke dabei an Stefanies Schlüsselbund, Beklemmung, Unruhe, etc] ...
Das sind für mich keine Gefühle, sondern Körperempfindungen.
Das erinnert an William James, en großer Gelehrter, der doch nicht davor geschützt war, gelegentlich Unsinn zu schreiben, bei allem Respekt, den man vor James haben kann. In dem Fall behauptete er, wir würden nicht weinen, weil wir traurig seien, sondern feststellen, dass wir traurig sind, weil wir weinen.
Sicher geht das fließend ineinander über, so wie man ja durch die Simulation von Gefühlen, durch körperliche Merkmale die betreffende Emotion hervorrufen kann, aber ich glaube, hier kommt man schnell drauf, dass da was nicht stimmt und was das ist.

Bezogen auf die Panik ist mir zumindest nicht klar, wie man Körper(reaktion) und Gefühl von einander trennen sollte. Eine Flucht in Panik, geht mit einem intensiven inneren Erleben (Qualia) einher. M.E. ist dieses Erleben sehr wenig kognitiv und mehr als sehr emotional bleibt da eigentlich nicht. Beim Zittern ist ja nicht das Zittern das Problem, sondern eben die Angst, respektive Panik. Wenn einem kalt ist, ist man ja auch nicht bis ins Mark erschüttert, obwohl man zittert.



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Jörn Budesheim
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Fr 28. Sep 2018, 12:59

Oder eben nach der Intentionalität von Gefühlen. Der Sinn von Angst ist...
Verstehst du unter Intentionalität den Sinn von..?




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Stefanie
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Fr 28. Sep 2018, 21:15

Was meint Gabriel mit Einstellung?
Die Thematik proportionale Einstellung?



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Friederike
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Sa 29. Sep 2018, 09:48

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 28. Sep 2018, 10:37
Das erinnert an William James, en großer Gelehrter, der doch nicht davor geschützt war, gelegentlich Unsinn zu schreiben, bei allem Respekt, den man vor James haben kann. In dem Fall behauptete er, wir würden nicht weinen, weil wir traurig seien, sondern feststellen, dass wir traurig sind, weil wir weinen. Sicher geht das fließend ineinander über, so wie man ja durch die Simulation von Gefühlen, durch körperliche Merkmale die betreffende Emotion hervorrufen kann, aber ich glaube, hier kommt man schnell drauf, dass da was nicht stimmt und was das ist.
Bezogen auf die Panik ist mir zumindest nicht klar, wie man Körper(reaktion) und Gefühl von einander trennen sollte. Eine Flucht in Panik, geht mit einem intensiven inneren Erleben (Qualia) einher. M.E. ist dieses Erleben sehr wenig kognitiv und mehr als sehr emotional bleibt da eigentlich nicht. Beim Zittern ist ja nicht das Zittern das Problem, sondern eben die Angst, respektive Panik. Wenn einem kalt ist, ist man ja auch nicht bis ins Mark erschüttert, obwohl man zittert.
Ich habe über die Panik und das körperliche Empfinden allgemein im Zusammenhang mit Gefühlen auch noch weiter nachgedacht und meine nun, daß die Panik eine Form der Angst ist, die durch den "Nur weg"- Impuls charakterisiert ist (also Fluchtreflex). Und ja, außer diesem "weg" gibt es nichts Kognitives, falls man "weg" noch zum Kognitiven zählt. Hm, Reflex und Kognition schließen einander eigentlich aus. Nein, doch nicht. Es ist ja nicht gefordert, daß in dem Moment des reflexhaften Reagierens (und auch des nicht reflexhaften Reagierens) bewußt reflektiert werden muß, was der Gegenstand der panischen Angst oder auch der nicht panischen Angst ist.

Was die Gefühle allgemein angeht, so scheinen sie mir am besten erfaßbar, wenn man die körperliche und die gedankliche Komponente beschreibt. Wenn ich mich nicht ganz täusche, dann ist es doch so, daß das Zittern in den Beinen vor Wut ein anderes Zittern ist als das aus Angst? Ob es das "ist", ist schlecht ausgedrückt, ich meine, man erlebt dieses Zittern unterschiedlich, man kann es unterscheiden, je nachdem ob man wütend oder ängstlich ist. Und eben so ist es mit dem laut und schnell klopfenden Herzen, je nachdem, ob man sich riesig freut oder ob man ängstlich ist.




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Sa 29. Sep 2018, 12:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 28. Sep 2018, 12:59
Oder eben nach der Intentionalität von Gefühlen. Der Sinn von Angst ist...
Verstehst du unter Intentionalität den Sinn von..?
Unabhängig davon, was T.I. antworten würde oder wird - Gefühle lassen, indem sie auf "etwas" gerichtet sind, Sachverhalte erkennen, und insofern könnte man ihre Intentionalität auch als ihren Sinn bezeichnen. Ich hoffe, ich habe Deine Frage richtig verstanden, @Jörn.




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