Philosophische Reflexionen der Gefühle

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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NaWennDuMeinst
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Di 10. Aug 2021, 19:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 18:50
So ist nicht mein Erleben dabei.
Aber mein Erleben ist so. Und nun?
Die Sängerin vermag es mit ihrem Gesang in mir Emotionen auszulösen. Genau deshalb bewundere ich sie und deshalb liebe ich Musik.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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(William Butler Yeats)

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Jörn Budesheim
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Di 10. Aug 2021, 19:52

Jovis hat geschrieben :
Mo 9. Aug 2021, 19:26
Ich versuchte nur darzustellen, warum man ein Gefühl auch als "innerlich" empfinden kann - weil es eben oft mit dem Körperlichen zusammenspielt.
Dazu wollte ich noch was schreiben, das hatte ich ganz vergessen. Gefühle spielen oft (oder immer?) mit dem Körperlichen zusammen, mit dem Leiblich/Körperlichen würde ich vielleicht sagen. Auch hier würde ich das eher als Argument dafür nehmen, dass Gefühle nicht innen oder innerlich sind. Freude und Stolz heben, du selbst hast den Trauerklos gebracht, Müdigkeit kann schwer machen. Zu nichts davon passt nach meiner Vorstellung das Prädikat "innen".

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NaWennDuMeinst
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Di 10. Aug 2021, 20:37

Ich habe heute einen Aplelbaum gegessen. Wie ich das gemacht habe? Ich bin in einen Laden gegangen und habe einen Apfel gekauft. Den habe ich dann gegessen. Und weil der Apfel vom Baum kam, kann man mit Fug und Recht sagen ich hätte einen Apfelbaum gegessen. Das ist nämlich das Gleiche, weil es ja irgendwie kausal zusammenhängt (der Apfel kommt vom Apfelbaum).
Morgen gibt es Thunfisch. Ich weiß noch gar nicht wie ich einen ganzen Ozean runterbekommen soll. Der Fisch kommt schliesslich aus dem Ozean.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 10. Aug 2021, 20:43, insgesamt 1-mal geändert.



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Jörn Budesheim
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Di 10. Aug 2021, 20:38

Alethos hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 14:51
Gefühle strahlen zudem auch aus. Man erkennt in aller Regel, ob jemand traurig ist, auch wenn diese Person es vielleicht sehr gur kaschieren kann. Es wirkt sich aus, straglt aus. Das Gefühl ist also nicht nur mit äusseren Sachverhalten verknüpft, sondern auch mit unserem Verhalten, durch die sich Gefühle entfalten. In der Regel ist es ja so, dass wir weinen, vor Freude schreien, grinsen, die Augen zukneifen etc., wenn wir etwas Entsprechendes fühlen. Ich meine, dass wir diese Äusserungsformen (allgemeiner: diese Instantiierungen) zum Gefühl dazuzählen dürfen, da es ja überhaupt keinen Sinn ergibt, Gefühle zu haben ohne Leib, der sie verwirklicht. Aber wie verwirklichen sie sich? Doch ganz bestimmt nicht nur in mir, sondern ebenso in der Weise, in der sie sich ausdrücken.
Im Wesentlichen stimme ich dir zu.

Es gibt dazu auch empirische Experimente. Leute mussten einen Bleistift in den Mund nehmen, das gibt mit etwas Fantasie betrachtet, ein Lachgesicht und tatsächlich fanden diese Leute mit dem Bleistift im Mund Witze, die erzählt wurden, deutlich lustiger als die Vergleichsgruppe.

Das kann ja jeder selbst testen, wenn man ein Lächeln aufsetzt, dann ist auch das Feeling gleich ein anderes.




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Alethos
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Di 10. Aug 2021, 20:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 20:38
Es gibt dazu auch empirische Experimente. Leute mussten einen Bleistift in den Mund nehmen, das gibt mit etwas Fantasie betrachtet, ein Lachgesicht und tatsächlich fanden diese Leute mit dem Bleistift im Mund Witze, die gezählt wurden, deutlich lustiger als die Vergleichsgruppe.
Das wirkt bei mir 100% auch ohne Bleistift :)



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Di 10. Aug 2021, 20:50

Alethos hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 20:43
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 20:38
Es gibt dazu auch empirische Experimente. Leute mussten einen Bleistift in den Mund nehmen, das gibt mit etwas Fantasie betrachtet, ein Lachgesicht und tatsächlich fanden diese Leute mit dem Bleistift im Mund Witze, die gezählt wurden, deutlich lustiger als die Vergleichsgruppe.
Das wirkt bei mir 100% auch ohne Bleistift :)
Leute finden Dinge die lustiger sind als andere tatsächlich lustiger. Pänomenal.
Ich glaube ich gebe mich geschlagen. Gegen solche "Beweise" kommt man einfach nicht an.
:-D
(Ich esse lieber noch einen Apfelbaum. Habe ich mehr von):



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Alethos
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Di 10. Aug 2021, 21:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 20:38
Experimente
Wie wäre es mit einem Experiment zur Gegenthese?

Blenden wir alle Geräusche aus (TV, Radio abschalten, Balkontüre schliessen etc.). Zur Unterstützung kann man auch Kopfhörer überstülpen. Setzen wir uns auf einen bequemen Stuhl oder legen wir uns aufs Bett oder Sofa. Bequem solllte es jedenfalls sein. Schliessen wir nun (bitte erst nach dem Lesen dieses Textes) die Augen.

Lassen wir uns Zeit. Wir hören nichts ausser das Rauschen der Stille. Wir sehen nichts ausser vielleicht eine ruhige Dunkelheit. Verweilen wir einen Moment so. Entspannen wir uns. Versucht an nichts zu denken. Konzentriert euch auf euren Körper allein.

Was fühlt ihr in der Bauchgegend? Ist das bei euch auch ein warmes Gefühl? Es dürfte in der Gegend des Solarplexus sein, dass ich eine ganz angenehme Geborgenheit fühle. Sie kommt nicht von aussen, sie ist in mir. Ist sie auch in euch?

Ich meine, wenigstens gilt das für mich, dass sich dieses „Gefühlswasser“ nicht nach aussen richtet, sondern viel eher in sich selbst ruht wie ein Sonnenmeer. Dieses Gefühl, auch wenn ihr es auch habt und an euch wahrnehmt, ist meins. Es gehört zu mir, wie euer Gefühl zu euch gehört. Es macht mein emotionales Wesen aus. Diesem Gefühl kann man einen Stich versetzen (Enttäuschung, Verletzung, Eifersucht), es in Wallung versetzen (Musik, Gelächter, gute Stimmung, Wut), es begeistern. etc. Diese Gefühlskraft ist darauf ausgelegt, auf etwas zu reagieren, beeindruckt zu werden. Sie ist dazu gemacht, mit der Welt zu interagieren. Und doch ist es eine Kraft in mir, weshalb ich es „mein Gefühl“ nenne.

Ein Gefühl mag zwar angeregt werden durch etwas da draussen, sodass wir von einer Relation AB sprechen können. Aber ich als A bin genauso notwendig für AB wie B.

Dass ich dieses fühlende Wesen bin und kein anderes, ist der Grund, warum ich sagen kann: „Ich fühle“ und dabei „meine Gefühle“ meine. Dieses Fühlen meiner Gefühle ist zugleich mein Zugang zur Welt. Zwar ist es kein Zugang zur Aussenwelt, weil Innen/Aussen irrelevante Bezugsgrössen geworden sind, aber doch ist es ein Zugang zur Wirklichkeit des Lebendigseins überhaupt.



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Jörn Budesheim
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Mi 11. Aug 2021, 05:44

Ich mache solche Übungen ja jeden Tag. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich selbst in mir bin.
Alethos hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 21:24
Und doch ist es eine Kraft in mir, weshalb ich es „mein Gefühl“ nenne.
Ich nenne meine Gefühle nicht meine Gefühle, "weil" sie in mir sind, sondern, weil "ich etwas fühle". Wenn ich aus irgendwelchen Gründen (m)einen dementsprechenden Ort angeben will oder soll, dann bin ich nicht "innen", sondern "hier".

Wenn man Literatur zu Meditationen oder ähnlichem liest, dann ist natürlich oft von "innen und außen" die Rede. Aber das lässt sich in der Regel übersetzen in "ich und nicht-ich".

Wenn ich das Heben und Senken meiner Brust spüre und dabei zugleich die Bewegungen meines Bauches, dann sind die Begriffe innen und außen in aller Regel überflüssig, insbesondere, wenn ich die Augen geschlossen habe und dadurch die Unterscheidung zwischen Körper und Leib besonders offenkundig wird. Wenn ich meinen Körper jedoch als Körper betrachte (am einfachsten mit geöffneten Augen), dann ist er Teil des relationalen Raumes, wo alle Dinge ihren Platz in Relationen zueinander haben. Und dann ist innen das, was diesseits der Grenze der Haut ist. Im leiblichen Spüren liegen die Dinge jedoch anders. Dann bin ich hier, ich und jetzt. Das ist dann die primäre Erfahrung, finde ich.

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Noch mal zu deinem Experiment, Alethos: es geht mir eigentlich nicht darum, alle möglichen Verwendungen von innen und außen in Bezug auf unseren Körper, Leib, Geist, die Psyche oder was auch immer außer Kraft zu setzen. Es geht mir eher darum, dass Grundbild, wenn man so will das Haupt-Paradigma der Selbstbetrachtung in Frage zu stellen. Es wird sicherlich auch unverfängliche Verwendung der Begriffe geben, die nicht das Paradigma "befördern".




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Jovis
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Mi 11. Aug 2021, 08:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 11. Aug 2021, 05:44

Wenn ich aus irgendwelchen Gründen (m)einen dementsprechenden Ort angeben will oder soll, dann bin ich nicht "innen", sondern "hier".
Zum ersten Mal verstehe ich! :idea:




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AndreaH
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Alethos hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 21:24
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Aug 2021, 20:38
Experimente
Wie wäre es mit einem Experiment zur Gegenthese?

Blenden wir alle Geräusche aus (TV, Radio abschalten, Balkontüre schliessen etc.). Zur Unterstützung kann man auch Kopfhörer überstülpen. Setzen wir uns auf einen bequemen Stuhl oder legen wir uns aufs Bett oder Sofa. Bequem solllte es jedenfalls sein. Schliessen wir nun (bitte erst nach dem Lesen dieses Textes) die Augen.

Lassen wir uns Zeit. Wir hören nichts ausser das Rauschen der Stille. Wir sehen nichts ausser vielleicht eine ruhige Dunkelheit. Verweilen wir einen Moment so. Entspannen wir uns. Versucht an nichts zu denken. Konzentriert euch auf euren Körper allein.

Was fühlt ihr in der Bauchgegend? Ist das bei euch auch ein warmes Gefühl? Es dürfte in der Gegend des Solarplexus sein, dass ich eine ganz angenehme Geborgenheit fühle. Sie kommt nicht von aussen, sie ist in mir. Ist sie auch in euch?
Ganz genau, dies spricht sehr dafür, dass dieses Gefühl  im Inneren zu finden ist. Ich lege auch sehr oft, die Konzentration auf meine Gefühle. Ein kleines Experiment zusätzlich, (schon einmal versucht?) In diesem Gefühlszustand den du beschrieben hast, kann man versuchen sich selbst, ein Lächeln zu schenken. Also, so wie man mit ganzem Herzen anderen oft ein freudiges Lächeln schenkt, kann man sich selbst auch in den Solarplexus hinein lächeln.
Jedoch ist man nicht immer gleichermaßen offen, diese Gefühle wahrzunehmen und zu spüren. Es scheint bei jedem einzelnen auch noch eine Art innere Regelung zu geben, die es ermöglicht sich unterschiedlich intensiv auf ein Gefühl einzulassen. Dies denke ich, ist gedanklich beeinflussbar.
Eine grundlegende Lebensfreude könnte einer Einstellung zur Akzeptanz des Lebens mit all seinen positiven und negativen Seiten vorausgehehen.




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Jörn Budesheim
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Mi 11. Aug 2021, 18:43

Gernot Böhme hat geschrieben : In unserer Zeit ist unser Selbstverständnis bezüglich der eigenen physischen Existenz wesentlich als Körperbewusstsein geprägt. Das liegt nicht nur an der Dominanz von Naturwissenschaft und Medizin, sondern auch an der extravertierten Einstellung, in der der Blick des Anderen, der Spiegel, das eigene Aussehen und die Fitness das Interesse an der eigenen Natur bestimmen. Dem gegenüber muss das Leibbewusstsein – so dumpf und unterschwellig es immer vorhanden sein mag – überhaupt erst entdeckt und entwickelt werden.




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Jörn Budesheim
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Mi 11. Aug 2021, 19:46

Hermann Schmitz hat geschrieben : Die abendländische Kultur hat, angeführt von den Philosophen, Theologen und Naturwissenschaftlern, von den beiden Zugängen [gemeint sind Leib und Körper] des Menschen zu sich als hier und jetzt befindlich, räumlich und zeitlich zugleich, nur den des Sehens und Tastens zum materiellen Körper gewählt und den spürbaren Leib allenfalls in einer dunklen Ecke der Seele, einem asylum ignorantiae, unter Titeln wie „Organempfindung", „Zoenästhesie", „Propriozeption" untergebracht. Nach meiner Überzeugung ist die Seele nichts Vorfindbares, sondern ein ideologisches Konstrukt, von den Griechen ausgedacht, um das gesamte Erleben eines Menschen in einer privaten Innenwelt unterzubringen, damit er als Vernunft Herr im eigenen Hause über die unwillkürlichen Regungen, namentlich die leiblichen und die durch sie eingreifenden Gefühle, werden kann. Diese Abspaltung des Erlebens zerreißt den dynamischen Zusammenhang der Persönlichkeit und ersetzt ihn durch eine Verknüpfung zweier Wesenheiten, die nie in einer irgend jemand (außer vielleicht Spinoza) befriedigenden Weise expliziert worden ist. Wie der ganze Mensch hier und jetzt sein kann, wird ohne den spürbaren Leib unverständlich. Durch dessen Verkennung entgehen dem abendländischen Denken die wichtigen Perspektiven auf den Menschen ...




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Jörn Budesheim
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Do 12. Aug 2021, 06:37

AndreaH hat geschrieben :
Mi 11. Aug 2021, 14:56
ein freudiges Lächeln
Ich mache abends oft eine geführte Meditationsübung. Gestern habe ich mir - wenn man so will: als kleines philosophisches Experiment - eine Meditation zum Thema: Atmen, Gelassenheit und Lächeln ausgewählt. Ich mache alle Übungen grundsätzlich mit "sanft geschlossenen Augen", wie es im entsprechenden Jargon heißt. Setze ich ein Lächeln auf, ergreift es gewissermaßen sofort von mir Besitz. Die Stimmung hellt sich instantan auf. Wenn man partout einen Ort des Geschehens angeben wollte - es fällt mir nicht leicht - dann würde ich sagen: vordere "Leibes-Inseln" ab der Bauchgegend aufwärts. Lächeln hebt! :) Interessanterweise, aber das mag eine Idiosynkrasie sein, habe ich beim Lächeln ein ganz vages visuelles Bild meines eigenen Gesichtes "vor" mir. Insbesondere lächelnde Augen, sehr schwer zu beschreiben ...

Eine angenehme Erfahrung, sehr schwierig in Worte zu fassen ... Aber das Wort "innen" ist hier nach meinem Gefühl ganz überflüssig. Ich wüsste gar nicht, wo ich es einsetzen sollte.




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Jörn Budesheim
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Do 12. Aug 2021, 09:12

Woher kommt der Ausdruck Innen? Die Antwort ist weit davon entfernt erschöpfend zu sein. Es ist nur ein kleiner Vorschlag.

Man kennt das aus der Apotheke: Schaubilder, die einen Schmerz darstellen sollen, zum Beispiel in der Schulter. Das sieht oft so aus: Zeichnung des Körperschemas, manchmal klare schwarze Linien auf weißem Grund als "Outline-Zeichnung". Und dann die "Schmerzstelle", die strahlend (oftmals in abgestuften Rottönen) in der Regel etwas über die Grenze hinausgehend dargestellt wird. Das entspricht meines Erachtens ganz gut dem Unterschied zwischen Körper und Leib. Der Körper ist das, was der Fremderfahrung zugänglich ist, der nur in der Selbsterfahrung. Der Körper ist relativ klar umrissen, weshalb sich dafür eine Linienzeichnung anbietet. Der Leib ist eher wolkig, Schmerzen haben relativ selten scharfe Grenzen. Sie sind eher unscharf. Deshalb ist die unscharfe Darstellung dafür angemessen. Körper und Leib sind auch nicht "getrennt". Auch das Körperschema ist oft Teil der Selbsterfahrung. Bei Schmerzen in der Schulter kann man wie gesagt oft beides erfahren. Das Strahlen des Schmerzes und die Schulter schier als Körper betrachtet. Die Leiberfahrung ist in der "Gegend" (in der Terminologie von Schmitz gesagt) der Schulter, aber sie hält sich - metaphorisch gesprochen - nicht streng an das Körperschema, sie strahlt, sie ist vage. Diese "Strahlen" sind nur im Erleben gegeben. Aber dort sind sie real und unbezweifelbar. Von der Seite - im naturwissenschaftlichen Zugriff zum Beispiel - kann man allenfalls die körperlichen Korrelate erfassen.

Wenn man die Selbsterfahrung im Wesentlichen am Körperschema misst, dann nennt man vielleicht Dinge innen, die einem im leiblichen Gegegebensein gar nicht innen erscheinen. Denkbar ist auch, dass man einfach "Innen" als generelle Überschrift für das leibliche Fühlen wählt - ganz unabhängig davon, ob es dem gefühlten Gegegebensein entspricht.

"Innen und Außen" können ggf. auch abkürzende Redeweisen sein für "von innen" und "von außen". Oder auch für: Perspektive der ersten Person, bzw. der dritten Person. Wobei den Ausdrücken "Innen und Außen" gegenüber den beiden anderen Ausdrücken das "Perspektivische", "Richtungshafte" fehlt.




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Friederike
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Do 12. Aug 2021, 09:17

Die These von H. Schmitz:
[...] Nach meiner Überzeugung ist die Seele nichts Vorfindbares, sondern ein ideologisches Konstrukt, von den Griechen ausgedacht, um das gesamte Erleben eines Menschen in einer privaten Innenwelt unterzubringen, damit er als Vernunft Herr im eigenen Hause über die unwillkürlichen Regungen, namentlich die leiblichen und die durch sie eingreifenden Gefühle, werden kann. [...]

finde ich faszinierend, auf so einen Einfall muß man doch erst einmal kommen!




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Do 12. Aug 2021, 09:54

Sehr schönes Zitat.

Besagtes Konstrukt kann aber eine Menge "ausrichten", nebenbei gesagt...




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NaWennDuMeinst
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Do 12. Aug 2021, 09:57

Wenn wir mit uns selber ringen, dann sagt man wir durchleben einen "inneren Konflikt". Das Ich ringt mit sich selbst (zum Beispiel wenn die Bedürfnisbefriedigung dem Gewissen gegenüber steht).
Psychologisch interessant kann das werden, wenn der innere Konflikt nach Außen getragen wird. Dann wird "innen" geschossen und "außen" sieht man die Einschläge.



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Friederike
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Do 12. Aug 2021, 10:13

Jörn hat geschrieben : Es geht mir eher darum, dass Grundbild, wenn man so will das Haupt-Paradigma der Selbstbetrachtung in Frage zu stellen. Es wird sicherlich auch unverfängliche Verwendung der Begriffe geben, die nicht das Paradigma "befördern".
Nun ist mir Dein Anliegen endlich deutlich, und in Verbindung mit der Schmitz'schen These gewinnt die Infragestellung auch für mich noch an Bedeutung. Wenn die Verlagerung der Gefühle in eine Innenwelt ihrer Kontrollierbarkeit dienen - welch' ein ablehnendes Verhalten sich selbst gegenüber.

Für mich schließt sich der Kreis zum Anfang unseres Gesprächs. Die befreiende, angenehme Wirkung, die Ch. Kochs Perspektive auf unsere "innere Empfindungen" auf mich ausgeübt hat, war überhaupt nur möglich, weil ich Gefühle als eher lästig, störend, unangenehm bewertet hatte. Die griechische Vernunftverehrung ist nicht aus der Welt verschwunden.




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Jörn Budesheim
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Do 12. Aug 2021, 10:41

Friederike hat geschrieben :
Do 12. Aug 2021, 10:13
Die griechische Vernunftverehrung ist nicht aus der Welt verschwunden.
Ja, mehr oder weniger. Gefühle und Vernunft gelten oft als Gegensätze. So viel ist geblieben. Oft wird dabei eine Sphäre bevorzugt. Und das kann wechseln :-) Auch aus diesen Gründen hab ich eingangs geltend gemacht, dass Gefühle eine Form der erlebten Vernunft sind.




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Jörn Budesheim
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Do 12. Aug 2021, 11:13

1+1=3 hat geschrieben :
Do 12. Aug 2021, 09:54
Besagtes Konstrukt kann aber eine Menge "ausrichten", nebenbei gesagt...
Ja, ohne Zweifel. Denn, was man zu sein glaubt, hat stets seinen Einfluss auf das, was man ist.




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