Philosophische Reflexionen der Gefühle

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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Friederike
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So 4. Aug 2019, 12:01

Alethos hat geschrieben :
Di 30. Jul 2019, 13:19
[...] Vielmehr möchte ich zum Kern der objektiven Struktur vorstossen und verstehen, warum z.B. jemand Zorn auf etwas empfinden kann und jemand auf das vielleicht genaue Gegenteil. Weil gilt, dass ein Drittes nicht gegeben ist, entweder der eine oder der andere also irrt, so fragt sich doch, welches die objektiven Kriterien sind, nach denen sich die Richtigkeit des einen resp. die Unrichtigkeit des Anderen messe liesse. Warum ist ein Unrecht, anders gefragt, das für mich eindeutig eines ist, für andere keines oder kein so grosses, dass sie darüber zornig werden? Konkretes Beispiel: Migration über das Mittelmeer. Wie könnte das Argument der Sache entlang aufgebaut sein, dass es uns allen, die wir mit der gleichen Situation konfrontiert sind ('Menschen sterben wegen restriktiver Migrationsgesetze im Mittelmeer'), gleichermassen emotional motiviert? Es tut es offenbar nicht, aber es muss auch hier eine konsequente Haltung geben, die richtig ist und die zur Einsicht zwingen kann, dass nach ihr zu handeln gesollt ist - dass es eine Pflicht ist, diesen Menschen zu helfen und sie nicht im Stich zu lassen.
Ich greife auf dieses Beispiel von Dir zurück, weil ich es besser geeignet finde als das Beispiel um das gestohlene Brötchen und die fristlose Kündigung, bei dem es allzu naheliegend ist, den juristischen Aspekt mit einzubeziehen. Das würde, wie ich meine, von der Frage nach Deinem "warum" nur ablenken.

Warum also werden die einen zornig über das Unrechtgeschehen und die anderen werden nicht zornig, weil sie gar kein Unrechtgeschehen erkennen? Weil wir keinen Instinkt für Unrecht haben, würde ich sagen. Noch nicht einmal eine Intuition für Unrecht (ja, ich weiß, darüber kann man streiten). Übrigens nebenbei bemerkt, ich glaube, man kann durchaus eine Unrechtssituation erkennen ohne begleitenden Zorn. Nur andersherum bedingt eines das andere (Zorn/Unrecht).

Mir fällt gerade auf, daß Deine Überlegung doch genaugenommen gar nicht auf die Gefühle ausgerichtet ist, sondern auf das Handeln und die Ethik?




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Alethos
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So 4. Aug 2019, 14:12

Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 12:01
Warum also werden die einen zornig über das Unrechtgeschehen und die anderen werden nicht zornig, weil sie gar kein Unrechtgeschehen erkennen? Weil wir keinen Instinkt für Unrecht haben, würde ich sagen. Noch nicht einmal eine Intuition für Unrecht (ja, ich weiß, darüber kann man streiten). Übrigens nebenbei bemerkt, ich glaube, man kann durchaus eine Unrechtssituation erkennen ohne begleitenden Zorn. Nur andersherum bedingt eines das andere (Zorn/Unrecht).

Mir fällt gerade auf, daß Deine Überlegung doch genaugenommen gar nicht auf die Gefühle ausgerichtet ist, sondern auf das Handeln und die Ethik?
Danke für deine Erläuterungen, jetzt wird mir klar, dass wir keinen Dissens darüber haben, dass das formale Objekt der Emotion (welches es auch immer sei) objektiv ist, sondern dass wir (vielleicht beide) nicht so recht verstehen, wie die Emotion bei dem Einen eintreten kann und bei dem Anderen nicht. Wenn ich es richtig sehe, dann verstehen wir noch nicht genau, wie ein Gefühl gegeben ein Objekt 'affiziert' wird. Der Eine fühlt Zorn, der Andere nicht, aber wieso?

Du sprichst von Intuition, und ich denke, dass dieser Vorschlag interessant ist und wir vielleicht in diese Richtung weiter denken sollten. Aber ich muss auch zugeben, dass mich der Begriff zum
jetzigen Zeitpunkt nicht so recht befriedigt, weil es mir noch nicht einmal klar ist, was Intuition bedeutet :). Ich habe eine vage Vermutung, aber das nur intuitiv :)
Wenn ich deinen Vorschlag aufnehme und weiter denke, dann finde ich die Annahme naheliegend, dass die Affizierbarkeit eines Gefühls durch ein Objekt mit der Fähigkeit zu fühlen eng verknüpft ist, so dass wir es als ein intuitives Vermögen bezeichnen können, z.B. ein Unrecht empfinden zu können. Es ist ein Vermögen, dass uns befähigt, ein Unrecht als solches zu erkennen und entsprechend ein Unvermögen, es nicht zu tun. Einige haben ein solches Vermögen, andere nicht. Diese Fähigkeit (oder dieses Vermögen) hat dann gewiss auch mit Sensibilität zu tun, vielleicht in einem engeren Sinne mit einem moral sense? Denn wenn ich doch fühlen kann, dass etwas Unrecht ist, dann weil Fühlen zugleich bedeutet, den moralischen Gehalt einer Situation empfindend zu erkennen.

Darum aber, am Beispiel des Unrechts, kann ich Moralität und Emotion gar nicht gesondert voneinander betrachten. Es ist eine (natürliche) Konsequenz, dass ich zu moralischem Handeln angeleitet werde, wenn ich fühle, denn fühlen heisst eben mitfühlen und einfühlen und bedeutet daher apriori verpflichtet Sein einem Gegenüber, das das formale Objekt ist.

Vielleicht ist das beim Zorn besonders naheliegend zu denken, dass es eine enge Verknüpfung von Emotion und Moral gibt, denn das formale Objekt ist ja ein per se moralisches (Recht/Unrecht). Aber ist es nicht auch bei allen anderen Emotionen so, dass sie uns auf eine Ebene des Mitfühlens heben, so dass wir den Anderen als lebendiges Gegenüber erleben können? Durch das Gefühl erkennen wir den Anderen überhaupt als Lebewesen und daraus resultieren vielfältige moralische Implikationen und Präskriptionen. Beispiel: Weil ich Trauer empfinden kann, kann ich nachfühlen, wenn jemand trauert, und dann werde ich mit seiner Trauer in gebührender Weise umzugehen angeleitet, d.h. angeleitet, sie nicht noch zu vergrössern und zu verringern, wo es angezeigt und möglich ist. Und so bei jeder anderen Emotion?



(Ich entschuldige mich für die Verworrenheit meiner Gedanken und hoffe auf gemeinsames Entwirren :))



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Jörn Budesheim
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So 4. Aug 2019, 14:30

Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 12:01
Weil wir keinen Instinkt für Unrecht haben
man geht von eine Reihe von Basisemtotionen aus, die es kulturinvariant überall gibt, sie gehören zu unserer Grundausstattung: Angst/Furcht, Glück/Freude, Wut, Traurigkeit, Neugier/Überraschung, Ekel und Verachtung. Es gibt Experimente mit Affen (und Gurken, sowie Trauben), die zeigen, dass diese bei ungerechter Behandlung zornig werden - und zwar deutlich! Ich bin sicher, wir haben einen Instinkt für Unrecht. Leider scheint es möglich zu sein, diesen zu überformen ...
Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 12:01
begleitenden Zorn
Mir ist nicht ganz klar, was du damit meinst. Ist das "wie es ist", das "Feeling" nur eine Art von Begleitmusik nach deiner Einschätzung?
Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 12:01
Ethik
Emotionen sind irgendwie und darin stellt sich uns die Welt in einer gewissen Weise dar, wir erleben mit den Emotionen Werte - deswegen ist das Thema Ethik hier stets mit im Spiel, schätze ich.




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Friederike
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So 4. Aug 2019, 14:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:30
Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 12:01
begleitenden Zorn
Mir ist nicht ganz klar, was du damit meinst. Ist das "wie es ist", das "Feeling" nur eine Art von Begleitmusik nach deiner Einschätzung?
Nein, ich meinte es so, wie ich es schrieb - man kann in einer Situation ein Unrecht erkennen und muß deswegen aber nicht zwingend ein Zorngefühl empfinden. Man konstatiert das Unrecht also lediglich.




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Jörn Budesheim
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So 4. Aug 2019, 14:46

Das klingt aber immer noch so, als könne der Zorn einfach dazukommen oder eben nicht...




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Friederike
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So 4. Aug 2019, 14:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:46
Das klingt aber immer noch so, als könne der Zorn einfach dazukommen oder eben nicht ...
Ja, das soll doch auch so klingen :lol: - man muß doch nicht zornig werden - oder Angst kriegen, selbst wenn man den Löwen für gefährlich hält. Oder spinne ich, irgendwie?




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Alethos
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So 4. Aug 2019, 14:57

Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:45
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:30
Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 12:01
begleitenden Zorn
Mir ist nicht ganz klar, was du damit meinst. Ist das "wie es ist", das "Feeling" nur eine Art von Begleitmusik nach deiner Einschätzung?
Nein, ich meinte es so, wie ich es schrieb - man kann in einer Situation ein Unrecht erkennen und muß deswegen aber nicht zwingend ein Zorngefühl empfinden. Man konstatiert das Unrecht also lediglich.
Ich sehe es auch so, dass wir ein Unrecht erkennen können, ohne zornig zu werden. Ich denke aber, wir sind immer emotional involviert, d.h. nie unberührt. Das kann gar nicht anders sein, weil Ethik immer emotional konnotiert ist (wenn es denn stimmt, was wir herleiteten). Vielleicht mehr als konnotiert, ist Ethik vielleicht sogar emotional konstituiert. Aber das ist ja eine der Fragen, die wie klären wollen.



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So 4. Aug 2019, 15:00

Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:50
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:46
Das klingt aber immer noch so, als könne der Zorn einfach dazukommen oder eben nicht ...
Ja, das soll doch auch so klingen :lol: - man muß doch nicht zornig werden - oder Angst kriegen, selbst wenn man den Löwen für gefährlich hält. Oder spinne ich, irgendwie?
Haha, nein, du spinnst nicht. :) Ich denke, ein Raubtierdompteur würde uns ganz sicherlich die verschiedenen Gefühlsschattierungen beim Umgang mit Löwen erläutern können. Angst ist dabei bestimmt keine erstrangige Emotion.



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So 4. Aug 2019, 15:05

Ein Raubtierdompteur, dem keine Gefahr oder nur geringe Gefahr droht, weil er mit der Situation richtig umgehen kann, braucht natürlich auch keine oder nur in geringerem Maß Angst zu haben. Ich dachte wir hätten uns schon darauf geeinigt, dass es immer darum geht, welche Gefahr tatsächlich vorliegt.

Wenn das Feeling zur Einschätzung der Situation hin zu kommen könnte oder wegbleiben könnte, ohne dass es einen Unterschied machte, dann wären wir von der Evolution sicherlich schon ausgesiebt worden.




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So 4. Aug 2019, 15:11

Ohne Gefühle kämen wir überhaupt nicht durchs Leben, sie können nicht irgendwie einfach dazukommen oder bleib weg bleiben und es ändert sich ansonsten nichts.




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Friederike
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So 4. Aug 2019, 15:19

Alethos hat geschrieben : Ich sehe es auch so, dass wir ein Unrecht erkennen können, ohne zornig zu werden. Ich denke aber, wir sind immer emotional involviert, d.h. nie unberührt. Das kann gar nicht anders sein, weil Ethik immer emotional konnotiert ist (wenn es denn stimmt, was wir herleiteten). Vielleicht mehr als konnotiert, ist Ethik vielleicht sogar emotional konstituiert. Aber das ist ja eine der Fragen, die wie klären wollen.
Wenn wir immer emotional involviert sind -übrigens vertrete ich diese Auffassung auch-, dann könnte das Unrecht erkennen, falls nicht mit Zorn, dann aber z.B. mit Mitgefühl oder Traurigkeit evtl. einhergehen. In diesen beiden Fällen wäre das Unrecht dann allerdings nicht das formale Objekt.




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So 4. Aug 2019, 15:21

Alethos hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:57
Ich sehe es auch so, dass wir ein Unrecht erkennen können, ohne zornig zu werden.
Aber was ist damit gemeint? Wir sehen den Tatbestand X und werden beim selben Tatbestand einmal zornig und einmal nicht zornig - einfach so? Oder ist gemeint, dass ein kleineres Unrecht noch nicht zu Zorn führt, während erst ein größeres Unrecht wirklich zornig macht.

Dann jedoch haben wir es nicht mit einem "Hinzukommen" von Zorn zu tun sondern mit zwei völlig verschiedene Situationen.




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So 4. Aug 2019, 15:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:11
Ohne Gefühle kämen wir überhaupt nicht durchs Leben, sie können nicht irgendwie einfach dazukommen oder weg bleiben und es ändert sich ansonsten nichts.
Das sehe ich auch so und meinte ich gesagt zu haben. Wir können gar nie nicht involviert sein.



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So 4. Aug 2019, 15:29

Wieso erkennen manche nicht das Unrecht einer Situation und werden nicht zornig? Die Fähigkeit zu fühlen ist uns zwar mitgegeben, dennoch müssen wir erst lernen, auch in komplexen Situationen Gut und Böse zu unterscheiden. Eine Grund Intuition mag zwar da sein, aber das reicht sicherlich nicht aus, um in den komplexen Situationen, die unsere Welt zu bieten hat, zurechtzukommen. Auch Fühlen will gelernt sein.




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So 4. Aug 2019, 15:32

Alethos hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:27
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:11
Ohne Gefühle kämen wir überhaupt nicht durchs Leben, sie können nicht irgendwie einfach dazukommen oder weg bleiben und es ändert sich ansonsten nichts.
Das sehe ich auch so und meinte ich gesagt zu haben. Wir können gar nie nicht involviert sein.
Friederike hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 12:01
Übrigens nebenbei bemerkt, ich glaube, man kann durchaus eine Unrechtssituation erkennen ohne begleitenden Zorn.
Dann verstehe ich diesen Satz nicht. Der Zorn ist meines Erachtens ein Teil des Erkennens der Unrechtssituation und nicht etwas was einfach noch hinzu kommt als Begleitung. Denn das hieße schließlich, dass es auch einfach wegbleiben könnte.




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So 4. Aug 2019, 15:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:21
Alethos hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 14:57
Ich sehe es auch so, dass wir ein Unrecht erkennen können, ohne zornig zu werden.
Aber was ist damit gemeint? Wir sehen den Tatbestand X und werden beim selben Tatbestand einmal zornig und einmal nicht zornig - einfach so? Oder ist gemeint, dass ein kleineres Unrecht noch nicht zu Zorn führt, während erst ein größeres Unrecht wirklich zornig macht.

Dann jedoch haben wir es nicht mit einem "Hinzukommen" von Zorn zu tun sondern mit zwei völlig verschiedene Situationen.
Gute Frage, Jörn. So auf Anhieb stösst bei mir die Formulierung 'kleineres' (und grösseres) Unrecht auf Widerstand. Ich weiss noch nicht genau, warum, aber das werde ich noch herausfinden.

Ich denke, dass Gefühle grundsätzlich immer im Spiel sind und emotionale Anteilnahmslosigkeit nur möglich ist im Sinne einer Pathologie (z.B. liest man ja gelegentlich, dass Profi-Killer eiskalt agieren sollen, also völlig ohne Reue, Empathie oder innere Erregung what so ever). Aber es kann sein, denke ich, dass wir uns auch im Zuge einer Theoretisierung von einem emotionalen Tatbestand distanzieren können. Nicht, dass wir ihn gar nicht empfinden würden, aber dass wir ihn im Rahmen der gedanklichen Verarbeitung eher als neutrales Datum nehmen können, denn als stark affizierendes Moment des Fühlens. Wäre es nicht so, würden wir ja ständig in Trauer versinken, in Zorn brennen, in Freude schwelgen usw., wenn wir die Zeitung bloss aufschlagen und darin blättern. Wir würden in ständiger Betroffenheit leben, was ja nicht der Fall ist. Und doch können wir auch ohne diese starke emotionale Involvierung den moralischen Sachverhalt erkennen. Dass wir ihn als moralischen erkennen, spricht dafür, dass wir eine moralische Empfindung (moralischern Sinn) haben, also diese nicht nicht vorhanden sein kann. Das wäre ja auch sonderbar, wenn wir ein Unrecht erkennen könnten, ohne die emotionale Konstituente. Dass wir aber die Emotion nicht unmittelbar spüren, liegt vielleicht an einer anderen 'Positionierung' zum Sachverhalt selbst. Wir gehen zu ihm in produktive Distanz (positiv formuliert).

Also anstatt eines On/Offs, d.h. eines Hinzukommens oder Wegfallens von Emotionen, würde ich eher von einem Ausblenden sprechen wollen von etwas, das latent immer da ist und da sein muss, ohne das wir nämlich blind wären für den Sachverhalt selbst. Ohne Emotion ist der moralische Begriff blind.



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So 4. Aug 2019, 15:55

Alethos hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:52
Wir würden in ständiger Betroffenheit leben...
Ich denke wir leben in ständiger Betroffenheit, was natürlich nicht dasselbe ist, wie in dauernder Aufruhr zu sein :) aber das nur am Rande, später vielleicht genaueres.




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So 4. Aug 2019, 16:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:29
Auch Fühlen will gelernt sein.
Wenn Emotionalität eine Fähigkeit ist, dann müsste sie auch erlern- und lehrbar sein.



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So 4. Aug 2019, 16:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:55
Alethos hat geschrieben :
So 4. Aug 2019, 15:52
Wir würden in ständiger Betroffenheit leben...
Ich denke wir leben in ständiger Betroffenheit, was natürlich nicht dasselbe ist, wie in dauernder Aufruhr zu sein :) aber das nur am Rande, später vielleicht genaueres.
Ja, ich weiss genau, was du meinst :-) Ich hätte besser 'in ständiger Überforderung' geschrieben anstatt Betroffenheit. Denn durch die ständige Betroffenheit sind wir ja in ständiger Verantwortung.

Aber, was ich sagen wollte, und was trotz deines richtigen Einwandes nicht untergehen sollte :), ist, dass wir auch ohne die unmittelbare Empfindung der Emotion einen emotionalen Sachverhalt erkennen können. Und damit möchte ich Friederike sekundieren, die m.E. richtigerweise festhielt, dass wir auch ohne Zorn zu fühlen ein Unrecht erkennen können.



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So 4. Aug 2019, 17:21

Ich lege gerade eine kleine Denkpause ein und möchte diese nutzen um zu sagen, daß Du Wörter gebrauchst, @Alethos, die ich schööön finde: "pardonnieren", "sekundieren". Ich vermute sehr stark, daß sie in der Schweiz zur normalen Ausstattung eines "mittelbegabten (Sprach)-Wesens" gehören, hierzulande indes einfach nicht üblich sind.




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