Philosophische Reflexionen der Gefühle

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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Stefanie
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Di 12. Mär 2019, 19:15

Ein unterdrücktes Gefühl ist was anderes als ein nicht gezeigtes Gefühl.
Z.b. wenn man sich bei einer Unterhaltung, in einer Sitzung über jemanden ärgert, wird der Ärger oft nicht gezeigt, ist aber vorhanden und wird doch nicht unterdrückt.
Freude kann auch still empfunden werden.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Friederike
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Mi 13. Mär 2019, 08:32

Stefanie hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 19:15
Ein unterdrücktes Gefühl ist was anderes als ein nicht gezeigtes Gefühl. Z.b. wenn man sich bei einer Unterhaltung, in einer Sitzung über jemanden ärgert, wird der Ärger oft nicht gezeigt, ist aber vorhanden und wird doch nicht unterdrückt. Freude kann auch still empfunden werden.
Ja, ich glaube, mit "unterdrücken" meinen wir üblicherweise, daß ein Gefühl zu empfinden schon vor seinem Bewußtwerden gestoppt wird. Also eigentlich etwas, das "hinter unserem Rücken" geschieht, etwas, dessen wir uns nicht bewußt sind, daß wir es tun. Wie das näherhin möglich ist, aktiv zu handeln, ohne daß wir dies mitkriegen, gehört wohl zur Psychologie. Dazu muß man die Person, die Psyche in verschiedene Teile aufteilen, sonst funktioniert es nicht.




szimmer
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Sa 16. Mär 2019, 10:18

Das ist wirklich ein weites Feld. Zu Psychoanalyse kann man sich bei Wikipedia durchhangeln.
"Psychoanalyse (von altgriechisch ψυχή psychḗ ‚Atem, Hauch, Seele' und ἀνάλυσις analysis ‚Zerlegung', im Sinne von „Untersuchung, Enträtselung der Seele“)"
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Psychoanalyse

Philosophische Vorläufer waren Schopenhauer, Nietzsche.
In der Literatur z.b. Dostojewski, Poe...Malerei fällt mit Goya ein...Musik Beethoven...die Romantiker z.b. Schumann...nur mal angetippt 😉

Anekdote: Schopenhauer nannte seinen Hund Atma. Nach den indischen Upanishaden: "Atma, genauer Atman, bedeutet in etwa Einzelseele. Dazu fassen die Upanishaden ihre tiefste Erkenntnis in die Worte: > Tat twam asi – Das bist Du – Die Einzelseele ( Atman ) ist identisch mit der Weltseele ( Brahman )! Das gilt für den Menschen, für den Hund, ja für jedes Lebewesen. "
https://schopenhauerphilosophie.wordpre ... -11081892/



P.S. Wer den Fehler findet darf ihn behalten ;)

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Alethos
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Fr 26. Jul 2019, 21:33

Der Thread ist ja schon älter, aber ich habe ihn erst jetzt durchgelesen, für mich ist er also noch ganz frisch. Leider ist er abgeebbt, als es um die Unterdrückung von Gefühlen ging. Symptomatisch? :)

Dabei wäre es spannend gewesen, die zentralen Fragen, die ihr über Gefühle/Emotionen erörtert hattet, weiter zu stellen: Was ist die Struktur einer Emotion? Was genau sind die 'formalen Objekte' (allgemeine, intentionale Adäquationskriterien) der jeweiligen Emotionen? Was ist die Struktur der Angst, was macht sie angemessen? Was diejenige der Trauer oder des Neids? Wir haben in diesem Thread ansatz-, aber nur annäherungsweise strukturelle Fortschritte gemacht :)

Wenn wir davon ausgehen, dass Emotionen so real sind wie Tische, Neuronen und Galaxien, dann haben sie eine ganz eindeutige Seinssignatur: Sie sind, was sie sind, gegeben die Eigenschaften, die sie haben und dann gehören sie zu den Beständen des Menschseins wie die Zweibeinigkeit oder das Sprechenkönnen. Und so wie wir einander erkennen anhand solcher Merkmale, so erkennen wir einander auch als fühlende Wesen durch das Band des Miteinanderfühlens. Zu fühlen heisst demnach, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, ein gemeinsames Vokabular zu haben für unsere unbestreitbare Existenz als Menschen. Das klingt sehr hochgegriffen, aber ich meine es weniger pathetisch. Ich meine, dass wir nur verstehen (und denken) können, uns selbst, aber alles andere überhaupt, wenn wir uns in die Sache einfühlen, das heisst uns so mit der Sache auseinandersetzen, wie es uns ganz eigen ist: sensibel, die Differenzen achtend und erfühlend. Alles andere, weniger Mitgefühl und weniger Differenziertheit, bedeutete einen noch grösseren Irrtum.

So gesehen stellt sich die Frage nicht, ob dieses oder jenes Gefühl in mir stattfinde, sozusagen privat sei oder nicht, denn das ist eine viel zu kleinräumige Erörterung vor dem Hintergrund der Bedeutungsweite des Gefühlehabens als Konstitutiv für unser Menschsein. Gefühle sind eine Art der Hinwendung hin zur Welt und alles in ihr Befindliche, das integraler Bestandteil dieser Hinwendung ist. Das ist nicht nichts, sondern etwas sehr Bedeutendes. Durch das Fühlen wendet sich Welt zur Welt hin, aus der Optik des objektiven Ichseins, also des Wirseins im Allgmeinen. Da lohnt sich das Gespräch.


(Sorry für die Schwülstigkeit: Zu lange nicht in Foren philosophiert :))



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Jörn Budesheim
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Sa 27. Jul 2019, 13:52

Alethos hat geschrieben :
Fr 26. Jul 2019, 21:33
So gesehen stellt sich die Frage nicht, ob dieses oder jenes Gefühl in mir stattfinde, sozusagen privat sei oder nicht, denn das ist eine viel zu kleinräumige Erörterung vor dem Hintergrund der Bedeutungsweite des Gefühlehabens als Konstitutiv für unser Menschsein. Gefühle sind eine Art der Hinwendung hin zur Welt und alles in ihr Befindliche
Einverstanden! So sieht es auch Susanne Moser oder sagen wir: die aktuelle philosophische Forschung :-)
Susanne Moser hat geschrieben : Emotionen sind eben nicht, wie Freud annahm einfach biologische Triebe, sondern Beteiligungen an der
Welt.




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Sa 27. Jul 2019, 14:00

Alethos hat geschrieben :
Fr 26. Jul 2019, 21:33
Dabei wäre es spannend gewesen, die zentralen Fragen, die ihr über Gefühle/Emotionen erörtert hattet, weiter zu stellen: Was ist die Struktur einer Emotion? Was genau sind die 'formalen Objekte' (allgemeine, intentionale Adäquationskriterien) der jeweiligen Emotionen? Was ist die Struktur der Angst, was macht sie angemessen? Was diejenige der Trauer oder des Neids? Wir haben in diesem Thread ansatz-, aber nur annäherungsweise strukturelle Fortschritte gemacht :)
Das formale Objekt der Angst ist (Pi Mal Daumen) das Gefährliche. Das Objekt der Angst ist das, was als gefährlich erlebt/eingeschätzt wird, etwa die Ente. Angemessen ist diese Emotion dann, wenn das Objekt der Angst (die Ente) gefährlich ist, wenn man ihm (dem Objekt) das formale Objekt richtigerweise "zuschreiben" kann.




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Jörn Budesheim
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[Nachtrag: was ist in der obigen Darstellung das Objekt der Angst? Der Wandel! Ist diese Angst angemessen? Nein!]




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Alethos hat geschrieben :
Fr 26. Jul 2019, 21:33
Und so wie wir einander erkennen anhand solcher Merkmale, so erkennen wir einander auch als fühlende Wesen durch das Band des Miteinanderfühlens.
So ähnlich sehe ich das auch, jedoch ist dieses Band oftmals leider auch rissig :-( hier fehlt noch ein Moment des Sollens.

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Alethos
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Sa 27. Jul 2019, 21:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 27. Jul 2019, 14:00
Das formale Objekt der Angst ist (Pi Mal Daumen) das Gefährliche. Das Objekt der Angst ist das, was als gefährlich erlebt/eingeschätzt wird, etwa die Ente. Angemessen ist diese Emotion dann, wenn das Objekt der Angst (die Ente) gefährlich ist, wenn man ihm (dem Objekt) das formale Objekt richtigerweise "zuschreiben" kann.
Wichtig bei der Attribuierung des formalen Objekts an das (emotionale) Objekt ist die Wahrnehmung, die Empfindung der objektiven Merkmale und dann die Prüfung, ob sie unter den entsprechenden Begriff fallen. Erst so können wir die Angemessenheit oder Unangemessenheit beurteilen. Eine Ente ist nur dann gefährlich, wenn sie in einer Situation objektiv feststellbare Ursachen/Gründe für Furcht gibt. Da das Subjekt hier Teil der Situation ist, so gilt für die Erfassung der emotionalen Struktur jedoch auch die Merkmale einzubeziehen, die das Subjekt in diese Situation hineinbringt. Das Subjekt ist Teil, nicht wegzudenkender Teil der Struktur. Das macht es für Individualisten so verlockend zu behaupten, dass die Emotion vom Subjekt abhängig sei. Angst oder welche Emotion auch immer, das sei eine individuelle, subjektive Empfindung, etwas ganz Privates. Dies deshalb, weil das persönlich-individuelle Moment des Angsthabens, das feeling, ohne das persönlich-individuelle Moment des Ichseins in dieser Begegnung nicht wäre. Aber ich denke, hier liegt ein emphatischer Fehlschluss vor :). Man ist nicht der Urheber der Angst, man ist auch nicht je ein exklusiver Gast im emotiven Moment. Der Fehlschluss rührt daher, dass man ausblendet, dass jeder andere in dieser Situation (zu der das Subjektive ja zählt), genau gleich reagieren würde. Jeder hat Angst, wenn es die Situation berechtigt, und wenn nicht jeder in derselben Situation Angst hat, dann weil die Situation nicht gleich resp. zu unähnlich ist.

Nun sagt man aber deshalb gar vorschnell: "Du brauchst vor Enten keine Angst zu haben, die sind ja nicht gefährlich. Du irrst dich, wenn du Angst hast. Schau sie dir an; Sie haben keine Zähne, die dich verletzen könnten, sie essen kein Fleisch, sie werden dich nicht angreifen und, falls doch, bist du die/der Überlegene. Kein Grund zur Angst.' Aber wenn die Angst real ist, also jemand tatsächlich Angst vor Enten hat, dann muss nicht zwangsläufig, oder notwendigerweise ein Irrtum vorliegen. Es kann sein, dass die Person z.B. allergisch ist, ganz dolle sogar. Dann wäre die Angst wiederum rationalisierbar. Rational nachvollziehbar heisst dann nicht nur, dass man die situative Angststruktur begründen kann, dass man sie versteht, sondern zum Verstehen gehört das Einfühlen mit dazu. Wir müssen ein Mitgefühl in Kenntnis der individuellen Situation einer angsthabenden Person entwickeln können. Es ist ein emphatisches Apriori notwendig, damit wir unser Verstehen auf ein Gegenüber richten als eben dieses emotionale Wesen, damit wir die Struktur überhaupt verstehen können.

Und das ist, finde ich, der Anknüpfungspunkt an die Moral. Denn obwohl es universelle Werte gibt, objektives Sollen, darin subjektive Relativismen keinen Platz haben, so gilt es doch immer auch zu bedenken, dass es Menschen sind, die Betroffene sind. Es ist undenkbar eine Moral zu entwickeln, die sich nicht einfühlt.



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So 28. Jul 2019, 07:12

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Ich weiß natürlich nicht, ob Frösche Angst haben. Aber sicher sind Enten für manche Frösche gefährlich :)

Bei der Anatidaephobie geht es im übrigen auch nicht um die Angst vor Enten schlechthin, sondern um die Angst von Enten betrachtet zu werden, oder die Angst vor neugierigen Enten. Die Blicke der Enten dürften wirklich in den seltensten Fällen gefährlich sein. Dass man sich immer Ausnahmen ausmalen kann, ändert daran ja nicht viel, oder? Es geht im Grunde einfach um ein handliches Beispiel dafür, dass Ängste unbegründet sein können.

(Geht gleich weiter)




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Jörn Budesheim
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So 28. Jul 2019, 13:10

(weiter geht's)

Bei solchen Themen geht es nach meiner Ansicht stets (oder zumindest zuerst) um unsere eigene lebensweltliche Praxis. Das heißt in der Philosophie der Gefühle geht es (zumeist) um die Gefühle der Menschen. Wenn wir also über Trauer, Zorn, Überraschung, Angst, Ekel, Verachtung und Freude sprechen, dann in Bezug auf den Menschen, zumindest im ersten Schritt und falls es nicht explizit auf andere Lebewesen ausgeweitet wird.
Alethos hat geschrieben : Das Subjekt ist Teil, nicht wegzudenkender Teil der Struktur.
Ja, natürlich sind wir selbst "Teil" dieser Praxis, sogar der für uns wichtigste Teil :-) Und die Begriffe, um die es dabei geht, lassen sich nicht unabhängig von dieser Praxis begreifen. Das macht sie aber nicht zu subjektiven Begriffen - ein aggressiver Bär, der auf uns zu rennt, ist objektiv gefährlich. Da sind wir uns einig denke ich, oder?




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So 28. Jul 2019, 15:27

Alethos hat geschrieben : Und wenn ich auch so überzeugend den Anschein mache zu denken, so weiss ich im Grunde sicher nur, dass ich fühle. Darum bin ich ein Lebewesen, weil ich fühle.
Es ist - glaube ich - bei jeder Form der Erkenntnis riskant, primär vom Ego auszugehen :)




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Friederike
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So 28. Jul 2019, 17:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 28. Jul 2019, 15:27
Es ist - glaube ich - bei jeder Form der Erkenntnis riskant, primär vom Ego auszugehen :)
Wovon auszugehen ist denn weniger riskant?




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Friederike
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So 28. Jul 2019, 18:09

Der Hintergrund meiner nicht ganz unernst gemeinten, dennoch mehr rhetorischen Frage, ist die Erinnerung an die Hegel-Vorlesungen. Man müsse beobachten, was in uns vorgeht, wenn wir "ich denke" denken. Das "Ich" bringt sich selbst hervor in der Reflexion, die eine Tätigkeit ist. Das heißt: Dieses "Ich" ist keine Tatsache, kein Ding, sondern ein Ereignis. Eine Bewegung. Und so ist auch die Begegnung mit den Dingen keine statische Angelegenheit, sondern eher nach Art eines Ereignisses zu denken.




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Jörn Budesheim
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So 28. Jul 2019, 19:07

Friederike hat geschrieben :
So 28. Jul 2019, 17:28
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 28. Jul 2019, 15:27
Es ist - glaube ich - bei jeder Form der Erkenntnis riskant, primär vom Ego auszugehen :)
Wovon auszugehen ist denn weniger riskant?
In diesem Zitat hat Alethos selbst die meines Erachtens notwendigen Begriffe genannt:
Alethos hat geschrieben : So gesehen stellt sich die Frage nicht, ob dieses oder jenes Gefühl in mir stattfinde, sozusagen privat sei oder nicht, denn das ist eine viel zu kleinräumige Erörterung vor dem Hintergrund der Bedeutungsweite des Gefühlehabens als Konstitutiv für unser Menschsein. Gefühle sind eine Art der Hinwendung hin zur Welt und alles in ihr Befindliche, das integraler Bestandteil dieser Hinwendung ist. Das ist nicht nichts, sondern etwas sehr Bedeutendes. Durch das Fühlen wendet sich Welt zur Welt hin, aus der Optik des objektiven Ichseins, also des Wirseins im Allgmeinen. Da lohnt sich das Gespräch.




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Alethos
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Mo 29. Jul 2019, 12:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 28. Jul 2019, 15:27
Alethos hat geschrieben : Und wenn ich auch so überzeugend den Anschein mache zu denken, so weiss ich im Grunde sicher nur, dass ich fühle. Darum bin ich ein Lebewesen, weil ich fühle.
Es ist - glaube ich - bei jeder Form der Erkenntnis riskant, primär vom Ego auszugehen :)
Stimmt, das hätte man kürzer haben können: sentio ergo sum, z.B. :)

Wenn wir Gefühle als atmosphärische Klangwelten betrachten (das Atmosphärische ist ja schon erwähnt worden), dann fällt es wirklich schwer zu glauben, dass es beim Subjekt anfangen soll und dieser quasi als singulärer Fluchtpunkt für alles fühlende (und anderes) Erkennen dient. Das Subjektive erscheint nicht als Urheber seiner selbst, es entsteht vielmehr, indem wir in einem Gegenüber auf uns selbst als das Andere zurückgespiegelt werden. Die scheinbar exklusive Ich-Perspektive ist immer schon eine entlehnte.



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Alethos
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Mo 29. Jul 2019, 12:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 28. Jul 2019, 13:10
Alethos hat geschrieben : Das Subjekt ist Teil, nicht wegzudenkender Teil der Struktur.
Ja, natürlich sind wir selbst "Teil" dieser Praxis, sogar der für uns wichtigste Teil :-) Und die Begriffe, um die es dabei geht, lassen sich nicht unabhängig von dieser Praxis begreifen. Das macht sie aber nicht zu subjektiven Begriffen - ein aggressiver Bär, der auf uns zu rennt, ist objektiv gefährlich. Da sind wir uns einig denke ich, oder?

Ja, da sind wir uns sicherlich einig. Es gibt eine Vielzahl von eindeutigen Situationen, die gerade wegen der Eindeutigkeit nicht zweideutig sind :) Vor auf dich zu rennenden Bären ist es richtig, Angst zu haben.

Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob kede Situation mit Bezug auf Gefühle mit strenger Eindeutigkeit bemessen ist und ob sich allgemeine Begriffe (emotionale Objektivitätsbegriffe) so telquel übertragen lassen. Das jeweils empfindende Subjekt ist ja kein allgemeines, sondern ein ganz konkretes Einzelnes, und wie wir feststellten, spielt es in der Struktur der emotionalen Situation eine nicht wegzudenkende Rolle. Das macht die Emotionsbegriffe nicht zu subjektiven, aber auch nicht zu eindeutigen.

Selbstverständlich wäre es unangemessen, vor kleinen Küken Angst zu haben. Es gibt schlicht keinen driftigen Grund dazu. Aber dürfen wir denn jemandem sagen, der nun einmal Angst vor Küken hat, dass er sich irre? Es gibt ja einen Grund (ein Gedanke, ein Erlebnis vielleicht), der diese Angst hervorbringt, wodurch sich diese Angst rationalisieren lässt. Das muss nicht nur eine Ausnahme sein, dass jemand anders fühlt, als man es gegeben die Fakten für verständlich hielte und diesen Punkt müssen wir machen, wenn wir den Bogen zu den objektiven Werten schlagen wollen.

Wir stellen fest, dass, sofern Gründe (oder Ursachen) vorliegen, diese Gefühle objektiv vorhanden sind. Sie sind es gegeben die sie strukturierenden Umstände. Es sind objektive Gefühle nicht nur, weil sie da sind, sondern weil sie einen Gegenstand haben. Das ist ja wohl gemeint mit dem formalen Objekt der Emotion. Wenn ich z.B zornig bin, dann weil es hier etwas gibt, dessen Unrechtmässigkeit ich energisch bekämpfe. Nun fragt sich, was die Struktur dieses Unrechts ist, das mich so zornig macht, so wie man sich auch fragen muss, was die Struktur der Gefährlichkeit von Enten- oder Kükenaugen ist. Wenn die Gefährlichkeit, wie wir sagten, nicht im Auge des Betrachters liegt, sondern am Objekt selbst, so muss auch das Unrecht, das meinem Zorn Antrieb gibt, nicht durch mich selbst als solches bestehen, sondern durch sich selbst bestehen. Aber was sind diese objektiven Strukturen des Rechts und Unrechts, des Gefährlichen, des Ärgerlichen, der Scham etc?



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Alethos hat geschrieben :
Mo 29. Jul 2019, 12:44
Es sind objektive Gefühle nicht nur, weil sie da sind, sondern weil sie einen Gegenstand haben. Das ist ja wohl gemeint mit dem formalen Objekt der Emotion.
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Ich hab Mal aufgezeichnet, wie ich die (engere) Struktur verstehe. Sie hat drei Elemente:
  • (s) Die Person oder das Subjekt.
  • (o) das Objekt bzw. den Gegenstand der Angst (hier die Schlange)
  • (fo) und das formale Objekt, hier das Beängstigende, bzw das Gefährliche.
... später mehr




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TsukiHana
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Mo 29. Jul 2019, 23:56

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 29. Jul 2019, 19:18
...(o) das Objekt bzw. den Gegenstand der Angst (hier die Schlange) [*]
Die Schlange ist das Symbol für Sexualität... nur so ganz nebenbei erwähnt...
könnte vielleicht nicht ganz unwichtig bei der Interpretation sein? ;)



Wozu die Tage zählen!?
(Ф.М. Достоевский)

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Jörn Budesheim
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Di 30. Jul 2019, 05:40

Alethos hat geschrieben :
Mo 29. Jul 2019, 12:44
... wäre es unangemessen, vor kleinen Küken Angst zu haben. Es gibt schlicht keinen driftigen Grund dazu. Aber dürfen wir denn jemandem sagen, der nun einmal Angst vor Küken hat, dass er sich irre? Es gibt ja einen Grund (ein Gedanke, ein Erlebnis vielleicht), der diese Angst hervorbringt, wodurch sich diese Angst rationalisieren lässt.
Ja, dürfen* wir. Das dürfen wir genauso, wie wenn er glaubt, dass Küken sei blau. Immer gibt es Ursachen oder Gründe für eine verfehlte Wahrnehmung, aber das ändert nichts daran, dass sie verfehlt ist, das heißt, dass sie die uns die Wirklichkeiten anders präsentiert, als sie sind.

*In vielen Fällen sollten wir sogar. Denn die fragliche Person hat nicht wirklich im Wortsinne Angst, sondern sie leidet unter einer Phobie. Und hier muss man sehen, wie man helfen kann.




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