"Morgen früh, wenn Gott will, ...

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
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Friederike
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Di 3. Sep 2019, 16:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 3. Sep 2019, 15:42
Wirklich? Wenn man ein Tief hat oder eine hohe Stimme, sind das dann ein kategoriale Metaphern? Oder sind es einfach Metaphern?
Ich bezog den Ausdruck auf das Frege-Beispiel. Kategoriale oder poetologische oder nur Metapher? Steht alles zur Diskussion.




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Jörn Budesheim
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Di 3. Sep 2019, 16:42

Alles damit man den Vorschlag "Migration" möglichst schnell hinter sich lässt?




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Friederike
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Di 3. Sep 2019, 17:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 3. Sep 2019, 05:15
Geht es dabei um die Frage nach der Bedeutung, also im Grunde um die Frage, was jede einzelne Metapher bedeutet? Oder geht es eher darum, wieso Metaphern überhaupt etwas bedeuten können? Wieso verstehen wir einen Satz, der wortwörtlich genommen falsch oder Unsinn ist, dennoch? Die Wahrheit ist keine Insel und der Mensch ist auch nicht des Menschen Wolf.
Das ist keine Erklärung, aber mir fällt zur Wolfmetapher der Ausdruck "Symbolfähigkeit" ein. Der Wolf symbolisiert eine Eigenschaft des Menschen. Die wölfische Natur. Gierig den Fraß selbst verschlingen. Der Eigennutz des Menschen macht die Menschen untereinander zu Feinden. Diese "Übersetzung" oder eine andere von mir aus, aber die muß geleistet werden.




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Friederike
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Di 3. Sep 2019, 18:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 3. Sep 2019, 06:30
as könnte es heißen, dass Metaphern eine Übertragung sind? Ich habe noch eine sehr vage Erinnerungen aus dem Studium. Dort hieß es, Metaphern seien Migranten. Das bedeutet, dass sie ihre Differenzierungsleistung von einem Feld in ein anderes übertragen können. Das ist selbst eine Metapher und man kann es dir ganz gut ablesen, was sie meint.
Ich bin vom Begriff der Übertragung ausgegangen und habe mir überlegt, welche Wörter ich nicht unter den Begriff "Metapher" fassen würde. Auf der Suche nach einer Art von Definition für die Metapher, damit nicht am Ende "alles" Metapher ist. Die Übertragung war also das Kriterium, mit Hilfe dessen ich meinen Versuch einer Eingrenzung vorgenommen habe.




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Friederike
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Fr 6. Sep 2019, 18:07

Nochmals das Zitat über die Bedeutung der Metapher bei Blumenberg. "Wirklichkeitsvermeidung" ist das Stichwort.
M. Kroß hat geschrieben : Es liegt daher nahe, sie mit Blumenberg als Konstituens nicht nur der menschlichen Sprache zu fassen, sondern zugleich auch das, wofür die Metapher sprachlich steht, als Metapher für das menschliche In-der-Welt-sein selbst zu nehmen. Das Über-tragen wird auf diese Weise zum Absehen von den Fundierungen des menschlichen Weltbezugs, zu einer sprachlich-konzeptionellen Invention zur strategischen Wirklichkeitsvermeidung. Die Metapher wird damit zu einem nachgerade gespenstischen Wesen, nämlich einem Figur des Widergängers, der kraft seiner Anwesenheit die unheimliche Abwesenheit der Wirklichkeit in ständiger Präsenz hält und auf diese Weise den epochalen phänomenologischen Riss des Weltverhältnisses des Menschen nicht zu heilen vermag.

Was ich nun um Himmels wissen nicht verstehe - @Nauplios, ich beziehe mich auf verschiedene Beiträge von Dir - Blumenberg meint, wir seien geradezu metaphorische Wesen; mittels der Metaphern erschließen wir uns die Wirklichkeit; wir stellen mit Metaphern Zusammenhänge und Erklärungszusammenhänge her usw. Und dies tun wir deswegen, weil es uns an Instinkt mangelt. Letzteres sagt Blumenberg in "Anthropologische Annäherungen an die Rhetorik". Das heißt, wir benötigen die Metaphern, um uns in der Welt zurechtzufinden, weil uns der direkte, der Nicht-Umwegige Zugang zur Wirklichkeit versperrt ist. Wenn das so ist bzw. wenn Blumenberg die menschliche Grundverfaßtheit so beschreibt, warum schreibt Kroß oben im Zitat, die Metapher diene der strategischen Wirklichkeitsvermeidung, wenn wir doch lt. Blumenberg von Natur aus sowieso nie in direkten Kontakt mit ihr kommen?

Entweder ich lese Kroß nicht richtig oder Kroß liest Blumenberg nicht richtig, oder mir kommt widersprüchlich vor, was widersprüchlich gar nicht ist.

Kann ich Dich zu einer Antwort bewegen @Nauplios? Aber natürlich adressiere ich an alle von Euch.




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Nauplios
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Fr 6. Sep 2019, 19:19

Liebe Friederike, ich habe mich ein paar Tage in Wirklichkeitsvermeidung geübt, um abzuwarten, wie die von Dir und Jörn angesprochene Definitionsfrage der Metapher gelöst wird. Da nun die Wirklichkeit ihrerseits mich nicht vermeidet, muß ich noch ein wenig um Aufschub bitten; ich denke, daß ich im Laufe des Wochenendes auf die Frage der Wirklichkeitsvermeidung eingehen kann. Bis dahin erst mal ein ruhiges und entspanntes Wochenende für Euch!




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Jörn Budesheim
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Fr 6. Sep 2019, 19:58

Die Definition der Metapher habe ich eigentlich nicht angesprochen :)




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Friederike
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Sa 7. Sep 2019, 08:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 6. Sep 2019, 19:58
Die Definition der Metapher habe ich eigentlich nicht angesprochen :)
"Übertragung", "Migration", "kategoriale" Metapher oder nicht. Das würde ich in den Definitionskontext einordnen.




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Friederike
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Sa 7. Sep 2019, 08:53

Dir auch ein guuutes Wochenende @Nauplios.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Sep 2019, 12:24

Nauplios hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 20:16
... wirst du wieder geweckt."

Ich singe den Text immer etwas ungewandelt,
weil ich es auch makaber finde.
Singe stattdessen einfach "w a n n Gott will"

(Ein BabyCenter Mitglied)
https://www.babycenter.de/p25267/guten-abend-gute-nacht

Daß hier das Ungewandelte ursprünglich umgewandelt werden sollte ...
Friederike hat geschrieben :
Sa 7. Sep 2019, 08:46
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 6. Sep 2019, 19:58
Die Definition der Metapher habe ich eigentlich nicht angesprochen :)
"Übertragung", "Migration", "kategoriale" Metapher oder nicht. Das würde ich in den Definitionskontext einordnen.
Mir geht es jedoch um etwas anderes. Nimm dir dazu das Start-Beispiel.

Nun sind wir keine Computer, von daher meint man natürlich, der folgende Vergleich hinkt. Aber wenn ich an relevanter Stelle einem Computerprogramm "ungewandelt" statt "umgewandelt" eingebe, dann stockt das Programm und wird einfach nicht korrekt ausgeführt. Wir hingegen verstehen solche Abweichungen in der Regel problemlos.

Doch auch für Menschen ist "so etwas" nicht grundsätzlich einfach und nicht selbstverständlich. Auch wir brauchen sehr lang bis wir mit solchen Abweichungen, insbesondere der "Unwahrheit" umgehen können. Die "Unwahrheit" sagen, ist eine besondere Kompetenz, die keineswegs selbstverständlich ist, Kinder müssen das "lernen" und können es erst ab einem bestimmten Alter*.

Manche Menschen haben ihr Leben lang Probleme damit, offenere Formen der Ironie zu verstehen und verstehen sie nur dann, wenn man heftig dabei zwinkert und einfach das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Und so eine simple Form der Ironie ist noch einfach, man kann es schließlich in "einfache Wahrheiten übersetzen", indem man dem Programm folgt "gemeint ist das Gegenteil". Offene Formen sind da noch deutlich anspruchsvoller.

Bei Gedichten, die schließlich oft voll von Metaphern sind, ist es mit dem Verstehen schon so einer Sache. Es ist nicht mal sicher, was man hier unter Verstehen überhaupt verstehen soll. Wie viel muss man da in der Schwebe halten können... Bei all diesen Fragen geht es nicht um die Definition der Poesie, der Ironie oder der Metapher. Es geht um die Frage, wie es überhaupt möglich ist und was es eigentlich bedeutet, das zu verstehen.

________

* Ich habe dazu mal das Video eines psychologischen Versuchs mit einem kleinen Jungen gesehen. Der Versuchsleiter hatte eine kleine Monster Puppe in der Hand. Diese fragte den Jungen, welcher der Sticker, die er gerade geschenkt bekommen hatte, ihm am besten gefiel. Das lief immer so ab, dass der Junge wahrheitsgemäß geantwortet hat und die Monster Puppe ihm den Stecker dann wegnahm. Diese Regel war dem Jungen sogar zuvor bekannt, aber er konnte sich nicht dagegen wehren, weil er nicht fähig war einfach die falsche Antwort zu geben. Das Maximum, was er hinbekommen hat, um sich zu wehren, war sehr leise zu sprechen. Den gleichen Versuch haben sie mit einem Kind gemacht, dass nur wenig älter war, was dieses Problem dann relativ leicht gelöst und das Monster einfach belogen hat.




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Friederike
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So 8. Sep 2019, 15:41

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 7. Sep 2019, 12:24
Doch auch für Menschen ist "so etwas" nicht grundsätzlich einfach und nicht selbstverständlich. Auch wir brauchen sehr lang bis wir mit solchen Abweichungen, insbesondere der "Unwahrheit" umgehen können. Die "Unwahrheit" sagen, ist eine besondere Kompetenz, die keineswegs selbstverständlich ist, Kinder müssen das "lernen" und können es erst ab einem bestimmten Alter*.

Manche Menschen haben ihr Leben lang Probleme damit, offenere Formen der Ironie zu verstehen und verstehen sie nur dann, wenn man heftig dabei zwinkert und einfach das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Und so eine simple Form der Ironie ist noch einfach, man kann es schließlich in "einfache Wahrheiten übersetzen", indem man dem Programm folgt "gemeint ist das Gegenteil". Offene Formen sind da noch deutlich anspruchsvoller.

Bei Gedichten, die schließlich oft voll von Metaphern sind, ist es mit dem Verstehen schon so einer Sache. Es ist nicht mal sicher, was man hier unter Verstehen überhaupt verstehen soll. Wie viel muss man da in der Schwebe halten können... Bei all diesen Fragen geht es nicht um die Definition der Poesie, der Ironie oder der Metapher. Es geht um die Frage, wie es überhaupt möglich ist und was es eigentlich bedeutet, das zu verstehen.


Du hast Dein Anliegen jetzt das zweite Mal erläutert, und ich stehe immer noch wie ein Ochs vorm Berg.

Ist es die Frage nach der Entwicklungsgeschichte der Menschen und der Entwicklung des "Geistes"?

Der Abnahme der instinktiven Fähigkeiten entspricht ungefähr die Zunahme der Symbolisierungs- und der Auslegungsfähigkeiten. Weil wir überleben müssen/wollen (dies ein Restinstinkt) und zum Überleben müssen wir uns auf eine andere Weise als andere Tiere an unserer Umgebung und in der Welt orientieren. Dazu gehört auch die Verständigung der Menschen untereinander. So würde ich die Frage in drei Sätzen beantworten.




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Alethos
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So 8. Sep 2019, 17:55

Friederike hat geschrieben :
So 8. Sep 2019, 15:41
Der Abnahme der instinktiven Fähigkeiten entspricht ungefähr die Zunahme der Symbolisierungs- und der Auslegungsfähigkeiten. Weil wir überleben müssen/wollen (dies ein Restinstinkt) und zum Überleben müssen wir uns auf eine andere Weise als andere Tiere an unserer Umgebung und in der Welt orientieren. Dazu gehört auch die Verständigung der Menschen untereinander.
Aber es ist stets eine Verständigung in Anwendung von Auslegungsfähigkeiten. Denn nichts liegt einfach da, damit man es in seinem schierem Dasein höbe, sondern es will erkundet werden und ausgelegt. Was immer ist, als zu Verstehendes, offenbart sich und ist Mysterium zugleich, es bewegt sich immer in einem Unschärfeverhältnis zwischen verstehen können und nicht verstehen können, zwischen sich zeigen und sich verstecken. Dialektisch ist also das Wesen der Welt, und man möchte gleich nachschieben: metaphorisch.

Metaphern sind eine Form der Orientierung in der Welt und im Miteinander, und eine erfolgreiche dann, wenn sie dem Umstand der Welt als Auslegungsfähiges Rechnung trägt. Und das tut sie, indem sie sich sprachlich so verfasst, dass sie über ihr reines Sprachesein auf das Ungefähre hinausweist, und einen Begriff für das Unbegriffliche bietet.

Verstehen in Bezug auf Metaphern ist nicht ein gleiches Verstehen wie das Verstehen von mathematischen Formeln oder dergleichen, es ist vielmehr ein Herantasten, dem Uneindeutigen, dem Vieldeutigen entlang. Und so ist auch ein Gedicht nicht einfach ein Rätsel, das es zu lösen gilt, oder ein paar Sätze, die man einfach verstehen könnte, indem man sie semantisch erfasst, sondern das man seinem Wesen nach nur nachspürend erfassen kann, indem man es auch umhüllt lässt, wo es nicht enthüllt werden will. Man darf gewisse Dinge nicht entzaubern, wenn man sie verstehen will.



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Nauplios
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Di 10. Sep 2019, 01:11

Friederike hat geschrieben :
Fr 6. Sep 2019, 18:07
Nochmals das Zitat über die Bedeutung der Metapher bei Blumenberg. "Wirklichkeitsvermeidung" ist das Stichwort.
M. Kroß hat geschrieben : Es liegt daher nahe, sie mit Blumenberg als Konstituens nicht nur der menschlichen Sprache zu fassen, sondern zugleich auch das, wofür die Metapher sprachlich steht, als Metapher für das menschliche In-der-Welt-sein selbst zu nehmen. Das Über-tragen wird auf diese Weise zum Absehen von den Fundierungen des menschlichen Weltbezugs, zu einer sprachlich-konzeptionellen Invention zur strategischen Wirklichkeitsvermeidung. Die Metapher wird damit zu einem nachgerade gespenstischen Wesen, nämlich einem Figur des Widergängers, der kraft seiner Anwesenheit die unheimliche Abwesenheit der Wirklichkeit in ständiger Präsenz hält und auf diese Weise den epochalen phänomenologischen Riss des Weltverhältnisses des Menschen nicht zu heilen vermag.

Was ich nun um Himmels wissen nicht verstehe - @Nauplios, ich beziehe mich auf verschiedene Beiträge von Dir - Blumenberg meint, wir seien geradezu metaphorische Wesen; mittels der Metaphern erschließen wir uns die Wirklichkeit; wir stellen mit Metaphern Zusammenhänge und Erklärungszusammenhänge her usw. Und dies tun wir deswegen, weil es uns an Instinkt mangelt. Letzteres sagt Blumenberg in "Anthropologische Annäherungen an die Rhetorik". Das heißt, wir benötigen die Metaphern, um uns in der Welt zurechtzufinden, weil uns der direkte, der Nicht-Umwegige Zugang zur Wirklichkeit versperrt ist. Wenn das so ist bzw. wenn Blumenberg die menschliche Grundverfaßtheit so beschreibt, warum schreibt Kroß oben im Zitat, die Metapher diene der strategischen Wirklichkeitsvermeidung, wenn wir doch lt. Blumenberg von Natur aus sowieso nie in direkten Kontakt mit ihr kommen?

Entweder ich lese Kroß nicht richtig oder Kroß liest Blumenberg nicht richtig, oder mir kommt widersprüchlich vor, was widersprüchlich gar nicht ist.

Kann ich Dich zu einer Antwort bewegen @Nauplios? Aber natürlich adressiere ich an alle von Euch.

Kroß liest Wittgenstein mit Blumenberg. Friederike liest Kroß-liest-Wittgenstein-mit-Blumenberg. Nauplios liest Friederike-liest-Kroß-liest-Wittgenstein-mit-Blumenberg. ;)

Ich habe mir inzwischen den von Dir verlinkten Kroß-Text angeschaut, in dem Matthias Kroß über das "gespenstische Wesen" namens Metapher Überlegungen anstellt, Friederike. - Mir stellt sich dabei zunächst folgende Frage: Welcher Vorteil mag darin liegen, das Verständnis Blumenbergs der Kontrastierung und Konturierung mit der Philosophie Wittgensteins anzuvertrauen, zumal es letztere in zwei Varianten gibt, deren Konstrastierung ihrerseits die Wittgenstein-Forschung bewegt? - (Die Synopsis mit Adorno war ein ähnlicher Fall.) - Wäre für ein mögliches Verständnis nicht mehr gewonnen, den jeweiligen Autor selbst für sein Werk sprechen zu lassen, sprich: sich Originaltexten Blumenbergs bzw. Originaltexten Wittgensteins zuzuwenden? - Daß dies unter Einschluß von hilfreicher Sekundärliteratur geschehen kann, ist dabei selbstverständlich. Doch ist der kurze Text von Kroß weder hilfreich für Blumenberg noch für Wittgenstein (Die pdf-Datei läßt sich bei mir nicht öffnen.)

Wenn Kroß von "Wirklichkeitsvermeidung" spricht, dann ist vermutlich der "Absolutismus der Wirklichkeit" gemeint, ein Grenzwert, antipodisch zur "Lebenswelt". Absolutismus der Wirklichkeit bezeichnet eine Welt von Enttäuschungen und Unerwartetem, von Kontingenzerfahrungen. Beide, Lebenswelt und Absolutismus der Wirklichkeit sind Bewußtseinsphänomene. Die humane Selbstbehauptung ist die (legitime) Antwort auf den Absolutismus der Wirklichkeit. Kultur, Mythos, Wissenschaft, Technik ... sind Strategien dieser Selbstbehauptung gegen die Übermacht der Wirklichkeit.

Wenn es nun um das Verständnis all dieser Zusammenhänge geht, so scheinen mir Besuche an den Originalschauplätzen der Metaphorologie am aussichtsreichsten, ein solches Verständnis zu vertiefen, unter Einbeziehung sekundärer Hilfen.




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Friederike
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Di 10. Sep 2019, 16:50

Nauplios hat geschrieben :
Di 10. Sep 2019, 01:11
[...] Wenn Kroß von "Wirklichkeitsvermeidung" spricht, dann ist vermutlich der "Absolutismus der Wirklichkeit" gemeint, ein Grenzwert, antipodisch zur "Lebenswelt". Absolutismus der Wirklichkeit bezeichnet eine Welt von Enttäuschungen und Unerwartetem, von Kontingenzerfahrungen. Beide, Lebenswelt und Absolutismus der Wirklichkeit sind Bewußtseinsphänomene. Die humane Selbstbehauptung ist die (legitime) Antwort auf den Absolutismus der Wirklichkeit. Kultur, Mythos, Wissenschaft, Technik ... sind Strategien dieser Selbstbehauptung gegen die Übermacht der Wirklichkeit.
Dank Deines Brückenbaues habe ich jetzt die innere Verbindung, die zwischen der Wirklichkeitsvermeidung und dem menschlichen Wirklichkeitsbezug, der von Blumenberg als wesentlich "metaphorisch" bezeichnet wird, verstanden.

Die Wirklichkeit wird unvertraut, fremd und feindlich erlebt; rabiat, wie Blumenberg gelegentlich formuliert, erfährt der Mensch die Wirklichkeit als "tödlich". Die "anthropologische Zentralfrage" ist daher die, wie "dieses Wesen trotz seiner biologischen Indisposition zu existieren vermag". Und das tut das menschliche Wesen, indem es die Wirklichkeit "vertreten" läßt, mittels des metaphorischen Umweges, "etwas durch etwas anderes zu begreifen." Auf diese Weise sieht das menschliche Wesen "weg von dem, was ihm unheimlich ist" und macht die Wirklichkeit für sich bewohnbar.

Zitiert habe ich vom "Originalschauplatz" Blumenberg, "Anthropologische Annäherungen an die Rhetorik", S. 115f.




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Friederike
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Mi 11. Sep 2019, 13:49

Ich zitiere aus dem Abschnitt aus den "Anthropologischen Annäherungen an die Rhetorik", der mir schon gestern als Vorlage diente, ein kleines Stück im Zusammenhang:
Blumenberg hat geschrieben : Wie der Mensch mit dem Übermaß der Anforderungen aus seinem Wirklichkeitsverhältnis fertig wird, ist in der nominalistischen Interpretation des Urteils seit langem vorgeführt worden. Prädikate sind Institutionen; etwas Konkretes wird begriffen, indem es aufgelöst wird in seine Zugehörigkeiten zu diesen Institutionen. Als Konkretes ist es verschwunden, wenn es in Urteilen aufgegangen ist. Aber, etwas als etwas zu begreifen, unterscheidet sich radikal von dem Verfahren, etwas durch etwas zu begreifen. Der metaphorische Umweg, von dem thematischen Gegenstand weg auf einen anderen zu blicken, der vorgreifend als aufschlußreich vermutet wird, nimmt das Gegebene als das Fremde, das Andere als das vertrauter und handlicher Verfügbare. Ist der Grenzwert des Urteils die Identität, so ist der Grenzwert der Metapher das Symbol; hier ist das Andere das ganz Andere, das nichts hergibt als die pure Ersetzbarkeit des Unverfügbaren durch das Verfügbare.

1. Warum meint Blumenberg, der Wirklichkeitsbezug des Menschen sei "vor allem metaphorisch" (ebenfalls S. 115) und nicht vor allem symbolisch? Die Frage bzw. ob wir eine Antwort auf diese Frage finden, interessiert mich. Ob es darin begründet ist, daß die Metaphorisierung die Wort-Sprache einschließt, die Symbolisierung hingegen nicht ... ?

2. Blumenberg gibt im obigen Zitat durchaus so etwas wie eine Definition der Metapher, mit Blick auf das, was sie für den Wirklichkeitsbezug des Menschen leistet. Den Satz, den ich markiert habe, habe ich -noch- nicht begriffen. Zum einen ist es die antizipierende Komponente, die ich mir nicht erhellen kann und zum anderen gelingt es mir nicht, die sich daran anschließende Formulierung auf die sprachliche Metapher anzuwenden. Ich hatte versucht, das Gegebene als das Fremde und das Andere als Vertrautere unter Heranziehung des Übertragungsbegriffes in ein Beispiel überführen zu können, aber das funktioniert nicht.

Es würde mir sehr gefallen, wenn wir zu einem Gesprächs -ich muß durchzählen- Quintett würden. Neineinein, keine Nötigung. :lol:




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Nauplios
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Mi 11. Sep 2019, 18:54

Friederike hat geschrieben :
Mi 11. Sep 2019, 13:49
Ich zitiere aus dem Abschnitt aus den "Anthropologischen Annäherungen an die Rhetorik", der mir schon gestern als Vorlage diente, ein kleines Stück im Zusammenhang:
Blumenberg hat geschrieben : Wie der Mensch mit dem Übermaß der Anforderungen aus seinem Wirklichkeitsverhältnis fertig wird, ist in der nominalistischen Interpretation des Urteils seit langem vorgeführt worden. Prädikate sind Institutionen; etwas Konkretes wird begriffen, indem es aufgelöst wird in seine Zugehörigkeiten zu diesen Institutionen. Als Konkretes ist es verschwunden, wenn es in Urteilen aufgegangen ist. Aber, etwas als etwas zu begreifen, unterscheidet sich radikal von dem Verfahren, etwas durch etwas zu begreifen. Der metaphorische Umweg, von dem thematischen Gegenstand weg auf einen anderen zu blicken, der vorgreifend als aufschlußreich vermutet wird, nimmt das Gegebene als das Fremde, das Andere als das vertrauter und handlicher Verfügbare. Ist der Grenzwert des Urteils die Identität, so ist der Grenzwert der Metapher das Symbol; hier ist das Andere das ganz Andere, das nichts hergibt als die pure Ersetzbarkeit des Unverfügbaren durch das Verfügbare.


1. Warum meint Blumenberg, der Wirklichkeitsbezug des Menschen sei "vor allem metaphorisch" (ebenfalls S. 115) und nicht vor allem symbolisch? Die Frage bzw. ob wir eine Antwort auf diese Frage finden, interessiert mich. Ob es darin begründet ist, daß die Metaphorisierung die Wort-Sprache einschließt, die Symbolisierung hingegen nicht ... ?

2. Blumenberg gibt im obigen Zitat durchaus so etwas wie eine Definition der Metapher, mit Blick auf das, was sie für den Wirklichkeitsbezug des Menschen leistet. Den Satz, den ich markiert habe, habe ich -noch- nicht begriffen. Zum einen ist es die antizipierende Komponente, die ich mir nicht erhellen kann und zum anderen gelingt es mir nicht, die sich daran anschließende Formulierung auf die sprachliche Metapher anzuwenden. Ich hatte versucht, das Gegebene als das Fremde und das Andere als Vertrautere unter Heranziehung des Übertragungsbegriffes in ein Beispiel überführen zu können, aber das funktioniert nicht.

Es würde mir sehr gefallen, wenn wir zu einem Gesprächs -ich muß durchzählen- Quintett würden. Neineinein, keine Nötigung. :lol:

Der "Grenzwert" des Urteils ist die Identität. Das heißt "s" und "p" sind identisch im Urteil "s=p". Was auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens steht ist in allen Einzelheiten identisch mit dem, was auf der linken Seite steht. Diese Vollständigkeit ist im Normalfall nicht gegeben, aber das Urteil ist auf dem Weg zu diesem "Grenzwert". - Bei der Metapher ist der "Grenzwert" das Symbol. Die rote Karte, die der Schiedsrichter dem Fußballspieler nach wiederholtem Foulspiel zeigt ist keine Metapher; sie ist das Zeichen, das Symbol, der Gegenstand, der dem Spieler bedeutet: "Du darfst ab sofort nicht mehr mitspielen." Die rote Karte hat aber keinen Bedeutungsspielraum. Sie bedeutet nicht: "Du darfst zwar auf dem Spielfeld bleiben, aber darfst den Ball nicht mehr berühren." Sie bedeutet nicht: "Du darfst 10 Minuten lang nicht mitspielen." - Sie bedeutet etwas, an dem nicht mehr gedeutelt werden kann. Das Symbol ist häufig ein einfacher Gegenstand - die rote Karte, die Kreuz (als Symbol für das Christentum) usw. - Bei der Metapher liegt eine Übertragungsleistung vor: ein Wort (oder mehrere) wird aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang übertragen in einen uneigentlichen Bedeutungszusammenhang. Die Metapher ist ebenfalls auf einem Weg zu einem "Grenzwert": am Ende des Weges stünde eine Übertragung, die vollständig wäre und keinerlei Mehrdeutigkeit mehr hätte, die ja für die Metapher so typisch ist. Aus der Metapher würde dann ein sprachliches Symbol. Eine Übertragungsleistung würde, da sie vollständig wäre, gar nicht mehr erkennbar sein. Die Metapher würde zum Symbol (mit der oben beschriebenen Funktionalität). -

Die Metapher hat diese Tendenz auf das Symbol wie das Urteil die Tendenz auf Identität (rechts und links des Gleichheitszeichens) hat. - Zu Deinem zweiten Punkt, Friederike, später mehr. -.




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Nauplios
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Mi 11. Sep 2019, 20:30

Friederike hat geschrieben :
Mi 11. Sep 2019, 13:49
Ich zitiere aus dem Abschnitt aus den "Anthropologischen Annäherungen an die Rhetorik", der mir schon gestern als Vorlage diente, ein kleines Stück im Zusammenhang:
Blumenberg hat geschrieben : Wie der Mensch mit dem Übermaß der Anforderungen aus seinem Wirklichkeitsverhältnis fertig wird, ist in der nominalistischen Interpretation des Urteils seit langem vorgeführt worden. Prädikate sind Institutionen; etwas Konkretes wird begriffen, indem es aufgelöst wird in seine Zugehörigkeiten zu diesen Institutionen. Als Konkretes ist es verschwunden, wenn es in Urteilen aufgegangen ist. Aber, etwas als etwas zu begreifen, unterscheidet sich radikal von dem Verfahren, etwas durch etwas zu begreifen. Der metaphorische Umweg, von dem thematischen Gegenstand weg auf einen anderen zu blicken, der vorgreifend als aufschlußreich vermutet wird, nimmt das Gegebene als das Fremde, das Andere als das vertrauter und handlicher Verfügbare. Ist der Grenzwert des Urteils die Identität, so ist der Grenzwert der Metapher das Symbol; hier ist das Andere das ganz Andere, das nichts hergibt als die pure Ersetzbarkeit des Unverfügbaren durch das Verfügbare.



2. Blumenberg gibt im obigen Zitat durchaus so etwas wie eine Definition der Metapher, mit Blick auf das, was sie für den Wirklichkeitsbezug des Menschen leistet. Den Satz, den ich markiert habe, habe ich -noch- nicht begriffen. Zum einen ist es die antizipierende Komponente, die ich mir nicht erhellen kann und zum anderen gelingt es mir nicht, die sich daran anschließende Formulierung auf die sprachliche Metapher anzuwenden. Ich hatte versucht, das Gegebene als das Fremde und das Andere als Vertrautere unter Heranziehung des Übertragungsbegriffes in ein Beispiel überführen zu können, aber das funktioniert nicht.

Die Metapher als Übertragung eines Wortes (oder mehrere) aus einem ursprünglichen (eigentlichen) Bedeutungszusammenhang in einen anderen (uneigentlichen) Bedeutungszusammenhang bringt etwas zur Veranschaulichung, was im Begriff nicht enthalten ist. Sich das Leben als Seefahrt metaphorisch zu veranschaulichen - im Begriff "Leben" gibt es ja keine nautischen Bezüge - eröffnet einen Bedeutungshorizont, in dem es "Schiffbrüche", "Kurs halten", "sichere Häfen" u.ä. gibt. Der "thematische Gegenstand" (Leben) wird "aufgeschlossen" indem die Metapher die Konnotationen, die mit dem eigentlichen Bedeutungszusammenhang (Seefahrt) verbunden sind (Gefährlichkeit, Kurs halten, Häfen usw.) in den uneigentlichen Bedeutungszusammenhang überträgt. Damit ist natürlich mit einem "Umweg" verbunden (es muß ja etwas hinübergetragen werden). Man sieht in der gefahrvollen Seefahrt sozusagen eine Möglichkeit, das Typische am Leben zur Sprache zu bringen. Man vermutet, daß dieses Typische des Lebens durch etwas Anderes zur Darstellung kommt. Das "Gegebene" ist das Leben, das aber "unverfügbar" ist; und man sagt: das Leben ist gleichsam wie eine Seefahrt. Die Seefahrt ist das, was alle kennen, etwas, was jedermann in seiner typischen Gefährlichkeit als Vorstellung vertraut ist. - Man könnte sich das Leben auch als eine Theater-Aufführung vorstellen, bei der man eine "Rolle" spielt, bei der man irgendwann "abtritt" usw. So stellen wir uns die Geschichte vielleicht als einen "Fortschritt" vor, das Bewußtsein als einen "Strom" usw.

Diese Metaphern finden wir in der europäischen Geistesgeschichte vor, in der Philosophie, in der Literatur, in der Kunst ... Wie es im einzelnen gerade zu der "antizipierenden Komponente" kommt, warum gerade Seefahrt, warum gerade Theater, warum gerade Fortschritt ... , dieser Frage geht Blumenberg motivgeschichtlich kaum nach. An einer Stelle heißt es ja, sie sind "Rudimente auf dem Weg vom Mythos zum Logos" ... "Restbestände". Man muß also eigentlich die Frage nach den (absoluten) Metaphern im Zusammenhang mit den Überlegungen zum Mythos aufwerfen. Bleibt man lediglich bei den analytischen Überlegungen (Was ist eine Metapher? - Was ist ein Symbol? - Was wird übertragen bei der Metapher?) stehen, erschließt sich der mitgeführte Sinn bei Blumenbergs Metaphorologie nicht. - Die Metaphorologie erscheint dann als eine Orchideen-Disziplin ganz am Rande von Sprachlogik, Heuristik, Methodologie ... Die Metapher wird ja auch beispielsweise von Davidson u.a. thematisiert, aber dabei handelt es sich nicht um Metaphorologie mit all ihren anthropologischen und mythos-theoretischen Hintergründen, die Blumenberg dort hineinwebt. Man hat dann ein anderes Theorie-Setting, eine andere Fragerichtung.




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Alethos
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Nauplios hat geschrieben :
Mi 11. Sep 2019, 20:30
Die Metapher als Übertragung eines Wortes (oder mehrere) aus einem ursprünglichen (eigentlichen) Bedeutungszusammenhang in einen anderen (uneigentlichen) Bedeutungszusammenhang bringt etwas zur Veranschaulichung, was im Begriff nicht enthalten ist. Sich das Leben als Seefahrt metaphorisch zu veranschaulichen - im Begriff "Leben" gibt es ja keine nautischen Bezüge - eröffnet einen Bedeutungshorizont, in dem es "Schiffbrüche", "Kurs halten", "sichere Häfen" u.ä. gibt. Der "thematische Gegenstand" (Leben) wird "aufgeschlossen" indem die Metapher die Konnotationen, die mit dem eigentlichen Bedeutungszusammenhang (Seefahrt) verbunden sind (Gefährlichkeit, Kurs halten, Häfen usw.) in den uneigentlichen Bedeutungszusammenhang überträgt. Damit ist natürlich mit einem "Umweg" verbunden (es muß ja etwas hinübergetragen werden). Man sieht in der gefahrvollen Seefahrt sozusagen eine Möglichkeit, das Typische am Leben zur Sprache zu bringen. Man vermutet, daß dieses Typische des Lebens durch etwas Anderes zur Darstellung kommt. Das "Gegebene" ist das Leben, das aber "unverfügbar" ist; und man sagt: das Leben ist gleichsam wie eine Seefahrt.
Ich bin ja nur Auskultant in dieser Gesprächssituation, da ich leider nicht viel mehr beitragen kann als meine freudige Neugier an eurem schönen Austausch. Darum ist dies hier nur eine Nachfrage zwecks richtigem Verstehen durch mich (und nicht etwa Belehrung): Müsste man im Zitat die Fett markierte Präposition "durch" nicht mit "als" ersetzen? Dies frage ich, weil Blumenberg 'verstehen durch etwas' und 'verstehen als etwas' als radikal unterschiedliche Operationen beschreibt.

Etwas als etwas zu verstehen, zeigt doch richtiger an, dass eine Übertragung stattgefunden hat. Das zu Verstehende wird bereits aus der Optik des Anderen, als welches es verstanden wird, sozusagen metamorphorisiert, als das Andere verstanden. Es ist immer noch der eigentliche Gegenstand, der verstanden wird, der aber nicht mittels eines vergleichenden Verfahrens durch einen uneigentlichen Gegenstand gedacht wird, sondern durch ein verwandelndes. Die 'Seefahrt' als Metapher z.B. für 'Leben', eröffnet eine ganz neue Wirklichkeit des Begriffs Leben. Es sind plötzlich 'Wellengänge', 'Schiffbrüche', 'über Bord Springende', 'Ertrinkende', 'Steuerfrauen und -männer', 'Inseln', 'unverstellte Horizonte' usw. denkbar. Aber nicht durch diese neuen 'Figuren' werden Gegebenheiten des Lebens gedacht oder verstanden, sondern als solche. Die präpositionale Wirklichkeit der Tatsachen, wie sie uns als 'Prädikationen des Konkreten' gegeben sind, erfährt keine imaginierte, fiktive Erweiterung durch die Metapher, diese hebt das Konkrete vielmehr in eine ganz neue Realität, sodass wir sagen können, es sei ebenso wirklich, 'das Steuer in Händen zu haben und Kurs zu halten auf stürmischer See', wie bspw. festzustellen, dass wir 'selbstbestimmt durch eine chaotische Phase im Beruf gehen'. Das sind zwei Qualitäten ein und derselben Wirklichkeit: einmal metaphorisch und einmal präpositional ausgedrücktes Krisenmanagement. Der 'eigentliche Bedeutungszusammenhang' des konkreten Sachverhalts wird durch den 'uneigentlichen Bedeutungszusammenhang' der Metapher nicht ersetzt und substituiert oder gar fiktionalisiert, sondern er wird im Licht der vielen Grade seiner Wirklichkeit und damit sozusagen um die Uneigentlichkeit erweitert gedacht.

So betrachtet kann die Metaphorologie unmöglich Wirklichkeitsleugnung oder -verzerrung sein, weil sie vielmehr einen (uneigentlichen) Zugang zur Wirklichkeit darstellt, ohne den wir uns selbst gar nie mit vollem Gehalt und voller Präsenz gegeben wären. Und auch keine Tatsachen wären uns in den vielen möglichen Bedeutungszusammenhängen gegeben, in denen sie wirklich sind.

Aber die Frage, die @'Friederike' gestellt hat, bleibt zu klären: Wie kann eine Metapher "vorgreifend als aufschlussreich" (Blumenberg) vermutet werden? Wie darf man die antizipierende Komponente verstehen? Das gelingt vielleicht nur, wenn man sich die Metapher als durch die Hoffnung verfasst denkt, die über das ihr unmittelbar Gegebene hinausgreift in das Mögliche und Kontingente? Es bleibt ja zunächst eine Vermutung, eine blosse Möglichkeit, dass etwas als etwas aufschlussreich sein könnte und die Metapher greift hoffnungsvoll nach dieser Offenheit des Ausgangs. Sie ist immer auch ein Experiment, das scheitern kann?



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Do 12. Sep 2019, 02:33

"Blumenbergs Differenz von 'als' und 'durch' ist semiotisch schwer explikabel." (Philipp Stoellger; Metapher und Lebenswelt; S. 201) Stoellger favorisiert dann wie Du, Alethos, das "als" für die Metapher.

Hans Heinz Holz hingegen schreibt: "Die Metapher geht stattdessen den Weg, Bedeutungszusammenhänge herauszustellen, in denen Eines durch ein Anderes ins Licht gesetzt wird. Insoweit trifft Blumenberg phänomenologisch richtig die Andersartigkeit metaphorischer und definitorischer Bedeutungskonstitution." (Weltentwurf und Reflexion, S. 270; Hervorhebung von mir). Es folgt darauf das von Friederike hervorgehobene Blumenberg-Zitat.

Anselm Haverkamp schreibt: "Sehen wir von dem ungebremsten Pathos des 'Ich sehe' in dieser Grundsatzerklärung zur 'Aktualität der Rhetorik' ab; achten wir stattdessen auf die 'analoge Weise' der unbedingten 'Destruktion' [sic!], den Modus des 'metaphorischen Umwegs', den der Grenzwert Metapher qua Symbol bei Kant erforderte, sofern das 'Verfahren, etwas durch etwas anderes zu begreifen' sich von dem des Urteils (beim selben Kant), nämlich 'etwas als etwas zu begreifen' darin unterscheidet, daß das 'ganz Andere' dieses notwendig metaphorischen Begreifens 'nichts hergibt als die pure Ersetzbarkeit des Unverfügbaren durch das Verfügbare." (Metapher -Mythos -Halbzeug. Metaphorologie nach Blumenberg; S. 161f) -

Also auch Haverkamp liest diese Blumenberg-Stelle so, daß das metaphorische Verfahren etwas durch etwas anderes begreifen läßt, indem das Unverfügbare durch das Verfügbare ersetzt wird, während das Urteil etwas als etwas begreift.

In der Tat ist diese Unterscheidung von "als"/"durch" wie Stoellger schreibt "schwer explikabel". Man kann sagen: Mit der Metapher der gewagten Seefahrt wird das Leben als gefährliche Seefahrt veranschaulicht. Man kann auch sagen: Das Leben wird durch die Metapher der gewagten Seefahrt veranschaulicht. Im ersten Fall wird etwas als etwas begriffen, im zweiten wird etwas durch etwas begriffen. Mir persönlich scheint, daß beim Urteil eher etwas als etwas zur Darstellung kommt, während die Metapher etwas durch ihre spezifische Übertragungsleistung zur Darstellung bringt. Aber wie auch immer, am Ende geht es um die authentische Erfassung von Zusammenhängen mit Hilfe der Metapher.




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Do 12. Sep 2019, 03:07

Friederike hat geschrieben :
So 8. Sep 2019, 15:41
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 7. Sep 2019, 12:24
Doch auch für Menschen ist "so etwas" nicht grundsätzlich einfach und nicht selbstverständlich. Auch wir brauchen sehr lang bis wir mit solchen Abweichungen, insbesondere der "Unwahrheit" umgehen können. Die "Unwahrheit" sagen, ist eine besondere Kompetenz, die keineswegs selbstverständlich ist, Kinder müssen das "lernen" und können es erst ab einem bestimmten Alter*.

Manche Menschen haben ihr Leben lang Probleme damit, offenere Formen der Ironie zu verstehen und verstehen sie nur dann, wenn man heftig dabei zwinkert und einfach das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Und so eine simple Form der Ironie ist noch einfach, man kann es schließlich in "einfache Wahrheiten übersetzen", indem man dem Programm folgt "gemeint ist das Gegenteil". Offene Formen sind da noch deutlich anspruchsvoller.

Bei Gedichten, die schließlich oft voll von Metaphern sind, ist es mit dem Verstehen schon so einer Sache. Es ist nicht mal sicher, was man hier unter Verstehen überhaupt verstehen soll. Wie viel muss man da in der Schwebe halten können... Bei all diesen Fragen geht es nicht um die Definition der Poesie, der Ironie oder der Metapher. Es geht um die Frage, wie es überhaupt möglich ist und was es eigentlich bedeutet, das zu verstehen.


Du hast Dein Anliegen jetzt das zweite Mal erläutert, und ich stehe immer noch wie ein Ochs vorm Berg.

Ist es die Frage nach der Entwicklungsgeschichte der Menschen und der Entwicklung des "Geistes"?

Der Abnahme der instinktiven Fähigkeiten entspricht ungefähr die Zunahme der Symbolisierungs- und der Auslegungsfähigkeiten. Weil wir überleben müssen/wollen (dies ein Restinstinkt) und zum Überleben müssen wir uns auf eine andere Weise als andere Tiere an unserer Umgebung und in der Welt orientieren. Dazu gehört auch die Verständigung der Menschen untereinander. So würde ich die Frage in drei Sätzen beantworten.
Zum "Ochs" geselle ich mich als Esel. Auch ich kann mir auf die Frage, "wie es überhaupt möglich ist und was es eigentlich bedeutet, das [Poesie, Ironie, Metapher] zu verstehen"(Jörn) keinen rechten Reim machen. Das Phänomen des Verstehens durchzieht alle menschlichen Weltbezüge, schreibt Gadamer sinngemäß. Bei Heidegger gehört das Verstehen - neben Befindlichkeit und Rede - zu den drei Existzialien, welche die Welt erschließen. Aber vermutlich ist ein solches hermeneutisches Verstehen hier nicht gemeint.




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