"Morgen früh, wenn Gott will, ...

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
Nauplios
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Mi 21. Aug 2019, 18:40

Ja, auch Blumenberg-Leser können Schiffbruch erleiden, in den Tiefen seiner monumentalen Werke ebenso wie in den tückischen Strudeln seiner Essays. Nur ist die Metapher des "Schiffbruchs mit Zuschauer" eine, die nicht vorrangig den Leser betrifft, sondern sie ist eine Daseinsmetapher, deren Wandlungen und Konstellationen Blumenberg im gleichnamigen Essay nachgeht. Es wäre ein Mißverständnis, wollte man die Anlässe zu Blumenbergs metaphorologischen Arbeiten zur Absicht einer Lebenskunst bündeln, die den Leser das Leben bestenfalls das Leben lehrt, schlimmstenfalls das Fürchten. Auch geht es hier nicht um "Unbegreiflichkeit", sondern (im Anhang zu Schiffbruch mit Zuschauer) um Unbegrifflichkeit. Der kurze Text "Nachdenklichkeit" belegt recht gut, daß Blumenberg für das Lob des Zögerns und der Distanznahme, für das Recht auf Konjektur und Umwege steht. -

"Nur wenn wir Umwege einschlagen, können wir existieren." (Die Sorge geht über den Fluß, 137)

Das ist so ziemlich das Gegenteil eines "Antreibers" oder eines "Getriebenen". - Seine Texte sind über weite Strecken mäandernde Texte.




Nauplios
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Mi 21. Aug 2019, 19:07

Ohne, daß ich die Zitate jetzt an ihrem Originalschauplatz aufsuche: Du möchtest daraus ein Selbstportrait machen - Blumenberg, der blinde Maulwurf, der rastlos, ratlos, "ohne Ziel", zu keinem anderen Ergebnis kommt als dem Leser seine Ratlosigkeit "tiefschürfend" mitzuteilen. :)

Du möchtest ein Psychogramm des Scheiterns erstellen, das Bild eines "Getriebenen", der Schiffbruch erleidet, ein sinkender Petrus, dem zur Errettung das Gottvertrauen fehlt.

Friederike, TsukiHana, Jörn, Stefanie, Alethos ... und wer sonst noch mitliest: Jetzt seid Ihr mal dran. :lol:




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Aug 2019, 19:20

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Kobra übernehmen sie!




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epitox
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Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Aug 2019, 19:07
Du möchtest ein Psychogramm des Scheiterns erstellen, das Bild eines "Getriebenen", der Schiffbruch erleidet, ein sinkender Petrus, dem zur Errettung das Gottvertrauen fehlt.
Das mag für dich alles schwer zu verstehen sein, aber Blumenberg sagt es hier: "der Geist weht nicht wo und wohin er will". Ein Satz, herausgenommen aus dem Johannesevangelium, das den Auferstandenen, als Sohn Gottes, sprechen lässt, um dessen Ausdruck zu dramatisieren,zu radikalisieren und hinzuweisen auf die "Unbegreiflichkeiten" die wir in Philosophie und Theologie genötigt werden denken zu sollen. Unbegreiflichkeit sollte man bei Blumenberg nicht mit Unleserlichkeit verwechseln. Blumenberg denkt plantonisch: Ziel ist nicht ein Text, ein Buch, sondern die Schau, so wie die Weisheit der Seligen auch kein Text ist, sondern ihr Ziel in der Gotteschau findet (visio dei beatifica).




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Alethos
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Mi 21. Aug 2019, 22:57

Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Aug 2019, 14:50
Nachdenklichkeit
Manchmal kann man es stehen lassen, dass sich die Antworten nicht auf Anhieb finden lassen. Und dann, manchmal, im Gang der Suche lässt sich finden, dass keine Antwort schöner sein kann als eine einzig richtige. Die glatte Oberfläche, die scharfen Kanten einer strammen Wahrheit, deren sich die Orthodoxie bemächtigt, zeigen sich in der Draufsicht von hier und da, in der Offenheit eines Vielleichts und mit der Geduld im Bauch, als Bruchlinien im zersplitternden Fels. Das Monument der Wahrheit ist nicht in Fels gehauen, sondern gibt es nicht. Wahrheit flottiert lässig durch die Zeit, im Werden und Vergehen.. und die philosophische Seele lässt sich treiben, nicht wie eine getriebene, sondern wie eine nachdenkliche. Und dass ihre Reise nicht bei einer Antwort ende, gar der richtigen und letzten, das gibt ihr Hoffnung. Und wenn sie glaubt, die Wahrheit in Händen zu halten, gleich einem von Gott geschenkten Edelstein, so freue sie sich, dass sie zerbreche und zersplittere und verwehe... und gehe sie mit diesen wunderbaren Funken aus Staub.. hinaus aufs Meer.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Nauplios
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Do 22. Aug 2019, 02:11

Du hast ein gutes Gespür für die klimatischen Bedingungen, unter denen sich die Wetterlagen der Blumenberg´schen Philosophie bilden, Alethos. Das Kompliment ist frei von jeglicher Vergiftung, die sich darin vermuten ließe; ist doch das Gespür in der Philosophie eher ein beargwöhntes Organ für´s Vage und Konturlose. - Ich garniere das poetisch in Szene Gesetzte mit einigen prosaischen Ergänzungen:

- "... Antworten, [die sich] nicht auf Anhieb finden lassen." - Antworten gehen in der Regel Fragen voraus, darunter auch solche die als "große Fragen" von existenzieller Bedeutung sind, anspruchsvoller noch: Fragen, die wir als im Daseinsgrund gestellte vorfinden, Fragen nach dem Sinn dieses Daseins, nach unserer "Stellung" in der Welt, nach dem Tod, nach der Liebe, nach Gott u.a. Wir wären nicht lebensfähig, grübelten ("grübeln" ist die Iterativbildung zu "graben"!) wir beständig über solche Sinnfragen nach. Hin und wieder kommen uns aber dann doch diese Fragen in den Sinn. Die Fragen kommen. Sie kommen zu uns. Blumenbergs Philosophie ist ein Plädoyer dafür, diese Fragen zuzulassen, wohl ahnend, daß uns letzte Antworten, definitive, einzig wahre Antworten darauf verwehrt werden. Er gebraucht dafür die Formel "Kunst der Resignation". Das klingt dramatisch, jedoch ist diese Kunst eine durchaus heitere, weil sie zugleich auch eine Kunst der Zurückhaltung ist, des Umgangs mit Provisorien, eine Kunst des Umwegs. Es ist eine ins Meditative spielende Kunst der Verzögerung, keineswegs ein ABC der Selbstoptimierung: wie komme ich auf schnellstem Wege zum größtmöglichen Quantum Glück? Die Kunst der Resignation ist eine Einübung in das Verständnis, daß sich "Antworten nicht auf Anhieb finden lassen". (Geheideggert: der Hieb ist der Verdruß über die Stummheit dieses An. Das ist natürlich Quatsch.) ;)

- "... im Gang der Suche ... " - Der Gang verweist auf den Weg, der ihn ermöglicht. Diese Weg-Metapher steckt auch in der Methode (meta + hodos) als ein Nachgehen eines Weges. Das Mäandern, das

- "... sich treiben lassen ..." meint eigentlich etwas, das der Methode, dem angebbaren, "methodisch gesicherten" Weg entgegensteht, was eher ein

- "... Flottieren lässig durch die Zeit ..." im Sinn hat. Rüdiger Zill spricht deshalb auch von einer "Anti-Methodologie" bei Blumenberg (Permanentes Provisorium; 53ff). Damit ist nicht der Beliebigkeit das Wort geredet, wohl aber einer Kultur des Umwegs, die zur Vor-sicht (morale par provision) rät und Offerten für das

- "... einzig richtige ..." mißtraut.

- "... die scharfen Kanten einer strammen Wahrheit ..." hat Blumenberg in einer Mappe verhandelt mit der ironischen Überschrift "Unerlaubte Fragmente"; daraus entnommen ist ein Text, der nach seinem Tod veröffentlicht worden ist unter dem Titel "Rigorismus der Wahrheit. ˋMoses der Ägypter´ und weitere Texte zu Freud und Arendt". Das schmale Bändchen zählt vermutlich zu den umstrittendsten Texten Blumenbergs. Unter anderem geht es dort um Hannah Arendts Buch Eichmann in Jerusalem und ihre These von der "Banalität des Bösen". (In Kürze erscheint ein weiterer Text aus dem Nachlaß: "Die nackte Wahrheit".) -

"... in der Offenheit eines Vielleicht ... " - Ins Offene dessen, was Vorläufig ist. Oder

"... hinaus aufs Meer." -

"nur Meeresrauschen
als die Zeit plötzlich ablief ...
simpel ANFANGEN!"

(TsukiHana - 2. August) :!:




Nauplios
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epitox
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Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Aug 2019, 19:07
Ohne, daß ich die Zitate jetzt an ihrem Originalschauplatz aufsuche: Du möchtest daraus ein Selbstportrait machen
Nein, mich interessiert eigentlich nur die Teile seine Philosophie, die Bezug nehmen zum Christentum. Und da finde ich gibt es vorwiegend nur düstere Unwetterszenarien zu bestaunen. Am härtesten finde ich seine Aussage, dass die Erlösung, also das dem Menschen in Aussicht gestellte Heil, nicht seiner Natur entspricht. Mit anderen Worten: Heilsordnung und Weltordnung, Schöpfung und Erlösung, Vernunft und Glaube widersprechen sich - sie sind keine adäquate Antworten aufeinander. Die Aufklärung habe - so er - den Verdienst gehabt, den Menschen wieder auf sich und seine Weltlichkeit zu konzentrieren, anstatt dass sich der Mensch - verursacht durch das Christentum - genötigt sieht seine Aufmerksamkeit auf den Gottesglauben zu verschwenden und damit abgebracht wird von seiner natürlichen Bestimmung. [...]


Anmerkung der Moderation: Der letzte Satz des obigen Beitrages wurde gestrichen. Er entsprach nicht den Nutzungsbestimmungen, die das Verunglimpfen von Personen nicht zulassen. Die nachfolgenden Beiträge, die sich auf diesen Satz bezogen, sind ins Beitrags-Lager verschoben worden.




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Friederike
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Do 22. Aug 2019, 14:17

Das Plädoyer für die "Nachdenklichkeit" erlaubt mir, meine Gedanken zu verlangsamen ... sollte man meinen. Anstelle dessen haben mich seit dem Lesen der Rede Blumenbergs eine abscheuliche Hektik und Verstreutheit in Besitz genommen.

Was ist die Aussage der Säkularisierungsthese von Blumenberg?
Was ist überhaupt die Säkularisierungsdebatte in den 60er Jahren?
Inwiefern ist Blumebergs These dazu provokant oder jedenfalls nicht "main-stream(ig)"? :oops:
Könnte man Webers "Entzauberungsthese" in die Debatte einordnen?
Neinnein, ich will keine Antworten. Ich kann ja selber recherchieren, falls ich das will.

Aus der Rede Blumenbergs wenige Sätze geklaubt:
H.B. hat geschrieben : Versucht man sich nun selbst darin, die vermeintliche Mitteilung der Fabel zu extrahieren, so bemerkt man schnell, daß jeder Satz, den man hier spricht, die Tiefe dessen verflacht, was nur in der Nachdenklichkeit umfaßt, nicht erfaßt werden kann.[...] Die Fabel erzählt nichts von dem, was dem Greis durch den Kopf gegangen war, um den Tod als Helfer zum weiteren Tragen der Last zu bewegen, als sei er dazu gerufen worden. Eben durch das, worauf die Fabel verzichtet, gewährt sie uns den Spielraum der Nachdenklichkeit.

Nachdenklichkeit ist also ein Aspekt von "Unbegrifflichkeit". Und von da schnurstracks (ohne zögerliche Umwege :lol:) zu Adorno. Immer noch gibt es nur einen einzigen Vortrag (Sebastian Tränkle), in dem versucht wird, Blumenbergs "Theorie der Unbegrifflichkeit" mit der Konzeption von Adornos "Nicht-Identischem" zusammenzuführen. Was könnten beide Ansätze, verbindet man sie, für eine philosophische Philosophiekritik leisten oder in welcher Hinsicht ähneln sich die historiographischen Methoden der beiden Philosophen.

Was gehört zum Unbegrifflichen, Nicht-Identischen?
Das Schweigen der Worte? Die Nachdenklichkeit. Siehe oben.
Die Bilder?
Das Spüren?
Andere, neue Begriffe?

Wie ist ihre persönliche Beziehung zueinander gewesen? Wie haben sie einander rezipiert? Das interessiert mich, ich weiß nicht warum, sehr.

Mein etwas atemlos geratener Kommentar, weil u.a. ich "dran bin"




Nauplios
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Do 22. Aug 2019, 14:47

Friederike, ich komme zu Deinem Beitrag auf jeden Fall. Ich brauche erst ein wenig Abstand, ein wenig Nachdenklichkeit. ;)




Nauplios
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Fr 23. Aug 2019, 16:54

Friederike, ich habe im Netz einen Aufsatz gefunden aus der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, der das gesamte Problemfeld "Säkularisierung" von Max Weber über Carl Schmitt bis zur Blumenberg/Löwith/Böckenförde-Debatte nachzeichnet. Ich habe diesen Aufsatz zwar nicht vollständig gelesen, aber ich denke doch, daß er recht informativ ist und einen Überblick über die Standpunkte und den Diskussionsverlauf bietet:

https://www.zfl-berlin.org/tl_files/zfl ... ierung.pdf

Gelesen habe ich gestern den von Dir erwähnten Aufsatz von Sebastian Tränkle "Die Vernunft und ihre Umwege. Zur Rettung der Rhetorik bei Hans Blumenberg und Theodor W. Adorno" aus: Permanentes Provisorium. - Darin bezieht sich Tränkle u.a. auf die von Dir geschätzte Birgit Recki. ;)

Der Aufsatz arbeitet Gemeinsames und Trennendes im Hinblick auf das "Unbegriffliche"/"Nichtidentische" heraus; man kann ihn auch gut als Einführung in Blumenbergs Theorie der Unbegrifflichkeit lesen. Soll ich ein paar Stichworte aus diesem Aufsatz hier einstellen? - Oder ist die "abscheuliche Hektik und Zerstreutheit" mittlerweile einem ruhigen Nachdenken gewichen?




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Friederike
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Fr 23. Aug 2019, 17:41

Nauplios hat geschrieben :
Fr 23. Aug 2019, 16:54
Friederike, ich habe im Netz einen Aufsatz gefunden aus der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, der das gesamte Problemfeld "Säkularisierung" von Max Weber über Carl Schmitt bis zur Blumenberg/Löwith/Böckenförde-Debatte nachzeichnet. Ich habe diesen Aufsatz zwar nicht vollständig gelesen, aber ich denke doch, daß er recht informativ ist und einen Überblick über die Standpunkte und den Diskussionsverlauf bietet:

https://www.zfl-berlin.org/tl_files/zfl ... ierung.pdf

Gelesen habe ich gestern den von Dir erwähnten Aufsatz von Sebastian Tränkle "Die Vernunft und ihre Umwege. Zur Rettung der Rhetorik bei Hans Blumenberg und Theodor W. Adorno" aus: Permanentes Provisorium. - Darin bezieht sich Tränkle u.a. auf die von Dir geschätzte Birgit Recki. ;)

Der Aufsatz arbeitet Gemeinsames und Trennendes im Hinblick auf das "Unbegriffliche"/"Nichtidentische" heraus; man kann ihn auch gut als Einführung in Blumenbergs Theorie der Unbegrifflichkeit lesen. Soll ich ein paar Stichworte aus diesem Aufsatz hier einstellen? - Oder ist die "abscheuliche Hektik und Zerstreutheit" mittlerweile einem ruhigen Nachdenken gewichen?
Daniel Weidner schätze ich. Dank für die Verlinkung des Aufsatzes.

Nein, Stichworte brauchst Du mir nicht notieren @Nauplios. Da Du mir den Titel des Tagungsbandes geschrieben hast, konnte ich im Campus-Katalog der Stabi nachsehen. Ich leihe das Buch dort aus.

Und ich bin auch noch fündig geworden: Ch. Voller „Kommunikation verweigert. Schwierige Beziehungen zwischen Blumenberg und Adorno“ in: Zeitschrift für Kulturphilosophie Bd. 7, Heft 2, Hamburg, Felix Meiner 2013, 381-407. Der volle Text online. Ich habe zwar erst mit der Lektüre begonnen, aber meine Neugierde, was A.+ B. voneinander "gehalten haben" und was sie aus den Gedanken und Texten des jeweils Anderen aufgenommen und verarbeitet haben oder eben auch nicht, die wird vollauf zufriedengestellt. Wobei hinzuzufügen ist, daß Adorno sowieso nur die "Legitimität der Neuzeit" noch hat lesen können.




Nauplios
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Fr 23. Aug 2019, 18:14

(In dem Aufsatz der Deutschen Vierteljahrsschrift ... geht es um Blumenberg ab Seite 98) -

Als Diskussionsimpuls ein paar Passagen aus dem Tränkle-Aufsatz in Permanentes Provisorium:

Da geht es zunächst um die allseits bekannten Aphorismen Nietzsches zur Metapher.

So dann kommt die "Rehabilitierung der Rhetorik" (Blumenberg) zur Sprache und die "Umwandlung des menschlichen Weltverhältnisses in ein durch und durch, seiner gesamten Artung nach metaphorisch-rhetorisches". (Theorie der Unbegrifflichkeit; S. 90) - Den Beginn der Theorie der Unbegrifflichkeit markiert übrigens eine anthropogene Theorie des Begriffs (der Begriff als Falle), die aufschlußreich ist zum Verständnis des Unbegrifflichen. Auch Tränkle spricht von einer "anthropologisch fundierten Neukonzeption von Rhetorik" (124) -

Der Umweg wird als Emblem der Blumenberg´schen Philosophie vorgestellt, verbunden mit einer Kritik an der Verengung des Rationalitätsverständnisses, welches den geraden Weg als den höchsten Ausweis von Rationalität favorisiert und Umwege beargwöhnt als Zeitverlust und Abweichung. Hier gibt es einen Berührungspunkt mit Adorno, dessen Kritik an der Vernunft - allerdings in ideologiekritischer Absicht - den Begriff verdächtigt, diese Vernunft auf ihre Variante als instrumentelle Vernunft zu verkürzen.

"Blumenberg thematisiert Umwegsstrukturen in den verschiedendsten Bereichen seiner Auseinandersetzung mit der Geistes- und Philosophiegeschichte: in seinen historisch-metaphorologischen Studien, die sich auf die doppelte Funktion von Metaphern als ˋRudimente auf dem Wege vom Mythos zum Logos´ und als nicht in Begrifflichkeit rückübersetzbare ˋGrundbestände der philosophischen Sprache´ konzentrieren; in seiner Arbeit am Mythos als der ˋSphäre der indirekten Wege´; oder wenn er den explikativen ˋUmweg über die Theorie´ von einer auf der ˋbloßen Akkumulation von Erfahrung´ beruhenden ˋselbstverständlich-lebensweltlichen´ Erkenntnispraxis abhebt. Diese Stränge laufen in seiner späten ˋTheorie der Unbegrifflichkeit´ zusammen, die ihre Eigensinnigkeit und Unauflöslichkeit - dem Stigma der Überflüssigkeit zum Trotz - gegenüber den logisch-begrifflichen Konventionen mit ihrem universellen Integrationsanspruch behaupten, die also nicht mehr in erster Linie als Vor- oder Verfallsformen begrifflicher Sprache verstanden werden und die nicht allein über ihre sprachimmanenten Bezüge aufzuschließen sind." (Tränkle; 125f) -

Der cartesische Imperativ des clara et distincta, des Klaren und Deutlichen als der höchsten Vollendungsform der sprachlichen Genauigkeit führt nach Blumenberg auf die "rigorose Selbstverschärfung der theoretischen Sprache". An diesem Begriffsverständnis kritisiert Blumenberg die "Normierungstendenz der Sprache", indem die begriffliche Eindeutigkeit die wissenschaftliche Erkenntnis verklärt wird, "deren Umfang sich aber nicht mit dem deckt, was erfahren werden kann". Von einer "instrumentellen Objektivierung" spricht Blumenberg, was sich schon recht nach Adorno anhört.

Der Begriff trägt das Gütesiegel der Vernunft. Blumenberg legt es nicht auf die "Dekonstruktion" des Begriffs an und bringt auch das Unbegriffliche nicht in Stellung gegen das Begriffliche; er beharrt jedoch auf das Ausdrucks- und Erkenntnispotential des Unbegrifflichen. Der Wirklichkeitsbezug des Menschen ist wesentlich umwegig, verzögert, metaphorisch. Das Ensemble aller Umwegigkeit faßt Blumenberg zusammen als Rhetorik. Rhetorische Umwege verschaffen Distanzgewinne gegenüber dem "Absolutismus der Wirklichkeit".




Nauplios
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Friederike hat geschrieben :
Fr 23. Aug 2019, 17:41

Und ich bin auch noch fündig geworden: Ch. Voller „Kommunikation verweigert. Schwierige Beziehungen zwischen Blumenberg und Adorno“ in: Zeitschrift für Kulturphilosophie Bd. 7, Heft 2, Hamburg, Felix Meiner 2013, 381-407. Der volle Text online. Ich habe zwar erst mit der Lektüre begonnen, aber meine Neugierde, was A.+ B. voneinander "gehalten haben" und was sie aus den Gedanken und Texten des jeweils Anderen aufgenommen und verarbeitet haben oder eben auch nicht, die wird vollauf zufriedengestellt. Wobei hinzuzufügen ist, daß Adorno sowieso nur die "Legitimität der Neuzeit" noch hat lesen können.
Ja, Christian Voller wird auch von Tränkle erwähnt als eine "erfreuliche Ausnahme".

Was Adorno und Blumenberg voneinander "gehalten haben" - Hm, aus meinen Erinnerungen an die Vorlesungen Blumenbergs in Münster kann ich diese Frage von Blumenberg in Richtung Adorno mit einem Wort beantworten: Nichts. :?

Adorno kam in diesen Vorlesungen im Grunde nicht vor, ebensowenig Hegel (ich erinnere mich diesbezüglich sogar an ein im Blumenberg´schen Sprachgebrauch ansonsten nie vorgekommenes Wort: "Quatsch"). :o

Blumenberg hat sich bekanntlich nicht nur der Frankfurter Schule verweigert ("Poetik und Hermeneutik" verstand sich auch als eine Art Gegeninstanz zu den Frankfurtern), sondern auch seinen Studenten in Münster und nach seiner Emeritierung verweigerte er jedwede Kommunikation. Diskursverweigerung gehörte gleichsam zu seinem Programm. Insofern schrieb auch Blumenberg "Flaschenpost".




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Fr 23. Aug 2019, 20:00

"Was die Paradigmatik der Metaphorologie offenläßt, das Problem der Inkommensurabilität der Paradigmen, verlangt im Projekt der Metakinetik Meta-Rhetorik: eine Typologie der Figuralität, in der die implizite Metaphorik der Paradigmen und Epistemen unterschieden ist als je inkommensurable Rhetorik einer historisch-diskursiven Praxis." (Anselm Haverkamp; Metapher - Mythos - Halbzeug. Metaphorologie nach Blumenberg; S. 267. -

Jetzt wissen wir´s ganz genau. :lol:




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Friederike
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Sa 24. Aug 2019, 08:15

Nauplios hat geschrieben :
Fr 23. Aug 2019, 20:00
"Was die Paradigmatik der Metaphorologie offenläßt, das Problem der Inkommensurabilität der Paradigmen, verlangt im Projekt der Metakinetik Meta-Rhetorik: eine Typologie der Figuralität, in der die implizite Metaphorik der Paradigmen und Epistemen unterschieden ist als je inkommensurable Rhetorik einer historisch-diskursiven Praxis." (Anselm Haverkamp; Metapher - Mythos - Halbzeug. Metaphorologie nach Blumenberg; S. 267. -
Jetzt wissen wir´s ganz genau. :lol:
Aha, das ist also eine Kostprobe des konkurrierenden Verständlichmachen (-wollens), von dem Du kürzlich gesprochen hattest.




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Alethos
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Sa 24. Aug 2019, 12:06

Nauplios hat geschrieben :
Fr 23. Aug 2019, 20:00
"Was die Paradigmatik der Metaphorologie offenläßt, das Problem der Inkommensurabilität der Paradigmen, verlangt im Projekt der Metakinetik Meta-Rhetorik: eine Typologie der Figuralität, in der die implizite Metaphorik der Paradigmen und Epistemen unterschieden ist als je inkommensurable Rhetorik einer historisch-diskursiven Praxis." (Anselm Haverkamp; Metapher - Mythos - Halbzeug. Metaphorologie nach Blumenberg; S. 267. -

Jetzt wissen wir´s ganz genau. :lol:
Schön, dass du es ganz genau weisst :) Noch schöner, wenn ich es auch wüsste.



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Nauplios
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Sa 24. Aug 2019, 14:15

Das Zitat von Haverkamp stammt zwar aus einer eigenen Arbeit, die legitimerweise eigene Intentionen verfolgt, nur ist der Kommentar, den er in der Studienreihe stw zu Blumenbergs "Paradigmen" abgefaßt hat, über weite Strecken in ähnlicher Diktion gehalten, also seinerseits wieder kommentarbedürftig. Das hilft einem Philosophiestudenten, der eine Einführung sucht, nicht weiter.

Ich denke, Kommentare sollten auch eine dienende Rolle ihrem Text gegenüber einnehmen, sollten sich bis zu einem gewissen Grad in den Dienst des Textes stellen, den sie kommentieren. Aber das ist eine Haltung, die man im Haverkamp-Kommentar vergeblich sucht.




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Sa 24. Aug 2019, 17:41

Alethos hat am Donnerstagabend an anderer Stelle auf ein Gespräch in der NZZ mit dem Neuropsychologen Lutz Jäncke hingewiesen. Was hat der Inhalt dieses Gesprächs mit der Philosophie Hans Blumenbergs zu tun? - Ich isoliere mal einige Wendungen und Formulierungen aus diesem Jäncke-Interview:

- "Verhaltensweisen und psychologische Fertigkeiten ... die wir selber nicht richtig verstehen" (gemeint sind u.a. Kunst und Kultur)

- "Computertechnik, maschinelles Lernen, Algorithmen"

- "Umgebung ... anpassen"

- "Inselgebiet im Gehirn ... im Gedächtnis abspeichern"

- "Das Gehirn ist ein biochemisches System"

- "Erinnerungsfetzen aktivieren"

- "Diese Unterscheidung gerät ins Wanken"

- "Computernetzwerke aus biologischem Material"

- "Modelle"

- "Wir sind biologische Wesen, die von der Natur programmiert wurden ..."

- "Motor"

- "Verhaltenssteuerung"

- "Der Mechanismus, der dahintersteckt ... "

- "kulturelles Umfeld"

- "Informationsflut"

Der Mensch wird hier analog einer "Maschine" verstanden, einer zukünftigen Maschine, für die er das "Modell" abgibt. Die Steuerungseinheit des Menschen ist das Gehirn. Es funktioniert gleichsam wie ein "Motor", der die "Verhaltenssteuerung" übernimmt. Der momentane Unterschied zum Menschen besteht darin, daß die "Erinnerungsfetzen", die der Mensch hat, der künftigen Mensch-Maschine implantiert werden müßten, so daß die Mensch-Maschine sie dann "aktivieren" könnte. Analog einem "Computernetzwerk" sind auch wir Menschen "programmiert" - in unserem Fall durch die Natur. Die Erinnerungen werden im "Insel-Gebiet im Gehirn", genauer in der dafür vorgesehenen Speichereinheit so wie beim Computernetzwerk "abgespeichert". Diese Speichereinheit ist das "Gedächtnis". - Der Mensch besteht genau wie das Computernetzwerk der zukünftigen Mensch-Maschine aus "biologischem Material". Mit dem "Gehirn" als ein zentrales Steuerungselement ist es so "überlebens"fähig in einem je spezifischen "kulturellen Umfeld", in einer "Umgebung". Das Gehirn fungiert dann als "Mechanismus", der zum Beispiel die "Informationsflut" regelt, analog den lernfähigen "Algorithmen" der künftigen Mensch-Maschine, die sich auf diese Weise gleichsam wie der Mensch auch ihrer "Umgebung anpaßt". -

Analog ... gleichsam ... wie ein ...

Der Mensch und seine Selbst- (Gedächtnis) und Weltbeziehung ("programmiert" und lernfähig durch leistungsstarke "Algorithmen") werden von Jäncke am Leitfaden einer forschungsanleitenden Metaphorik bestimmt, die den Menschen als Computernetzwerk aus biologischem Material mit einer zentralen Steuerungseinheit erscheinen läßt. - Exakt dies ist u.a. auch Thema der Blumenberg´schen Philosophie, daß es Bilder, Analogien, Metaphern, Rhetorik ... gibt, die handlungs- und forschungsleitend sind, die sich selbst aber eher im Rücken der Forschung befinden. Diese Bilder, Metaphern, Erzählungen ... sind natürlich historisch variabel. Man vergleiche etwa die Leitvorstellung eines in eine Schöpfung "eingesetzten" Menschen, dessen Welt von einer außerhalb der Welt gedachten Instanz garantiert und "gehalten" wird, mit einem Netzwerk aus "biologischem Material", welches das "Modell" für zukünftige Maschinen abgibt und dann auch nicht mehr von diesen Maschinen zu unterscheiden ist. - Es geht gar nicht mal um die moralischen Konnotationen, die mit einem solchen Paradigmenwechsel verbunden sein mögen, sondern um die Leit- und Innovationskraft einer solchen Metaphorik. -




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Friederike
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So 25. Aug 2019, 10:40

Nauplios hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2019, 17:41
Der Mensch und seine Selbst- (Gedächtnis) und Weltbeziehung ("programmiert" und lernfähig durch leistungsstarke "Algorithmen") werden von Jäncke am Leitfaden einer forschungsanleitenden Metaphorik bestimmt, die den Menschen als Computernetzwerk aus biologischem Material mit einer zentralen Steuerungseinheit erscheinen läßt. - Exakt dies ist u.a. auch Thema der Blumenberg´schen Philosophie, daß es Bilder, Analogien, Metaphern, Rhetorik ... gibt, die handlungs- und forschungsleitend sind, die sich selbst aber eher im Rücken der Forschung befinden. Diese Bilder, Metaphern, Erzählungen ... sind natürlich historisch variabel. Man vergleiche etwa die Leitvorstellung eines in eine Schöpfung "eingesetzten" Menschen, dessen Welt von einer außerhalb der Welt gedachten Instanz garantiert und "gehalten" wird, mit einem Netzwerk aus "biologischem Material", welches das "Modell" für zukünftige Maschinen abgibt und dann auch nicht mehr von diesen Maschinen zu unterscheiden ist. - Es geht gar nicht mal um die moralischen Konnotationen, die mit einem solchen Paradigmenwechsel verbunden sein mögen, sondern um die Leit- und Innovationskraft einer solchen Metaphorik. -
[Unterstreichung von mir, F.]

Unter dem Aspekt der (Selbst-)"Beschreibung des Menschen" habe ich das Interview, auch sofort an Blumenberg denkend, gelesen. Der Mensch, weil er sich zu gar nichts so richtig bestimmt vorkommt (allenfalls könnte man meinen, eben darin, in der Unbestimmtheit, läge die Bestimmung des Menschen) erzählt Geschichten über sich, von denen die des Menschen, konzipiert nach dem Modell einer Maschine, eine dieser Geschichten ist.

Für mich liegt der Clou des von Jäncke vorgestellten Menschenbildes darin, daß es, wie ich finde, einerseits den menschlichen Erfindungsgeist demonstriert; den Geist, der so erfindungsreich ist, wie @Alethos es in "homine ex machina" ausdrückte, einen derart "reduktionistischen" Entwurf vom Menschen andererseits sich ausdenken zu können. In dieser Spannung von Geistesblitz zu Gehirnzelle liegt ein Moment des die eigenen Worte "Lüge strafen", wie man so sagt. Das heißt, J. erzählt von einem hirngesteuerten Menschen, der nach Art einer Maschine funktioniert und führt doch seinen eigenen Entwurf, indem er selbst es ist, der ihn ersinnt, zugleich ad absurdum.

Wo könnte man das Hirn-Maschinen Konzept vom Menschen einordnen? Gehört es immer noch zu der Erfindung eines Gottes, dem gleichzutun sich der Mensch bemüht (sinngemäß Blumenberg), diesmal nur unter anderem Vorzeichen, die Allmachtsphantasie, versteckt hinter dem Bild des hirnabhängigen Räderwerkes, oder aber ist es Umkehrung des Menschenbildes von der "Krone der Schöpfung" zu einer Sache, zu einem Ding; der Mensch, ein Ding unter vielen anderen Dingen.

Der Wechsel vom Status "Person" zum Status "Gegenstand" wäre eine der möglichen ethischen Konsequenzen.




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