Regieren, aber wie?
Verfasst: Do 15. Okt 2020, 10:15
Unter der Überschrift "GroKo-Gesetz gefährdet Bundestagswahl" in der Legal Tribune Online vom 14.10. schreibt Prof. Dr. Matthias Rossi mit Bezug zur jüngsten Reform des Wahlrechts: "Anstelle am geltenden System herumzudoktern und mit Feinkorrekturen immer mehr Fehlerpotential zu generieren, ist ein Systemwechsel angezeigt. Es bedarf einer offenen Diskussion: Über den Sinn der Direktwahl von Kandidaten, die ihren Wahlkreis von politischen Parteien zugewiesen bekommen. Über das Maß an föderaler Repräsentation. Über die Auswirkungen des Wahlrechts auf die Regierungsfähigkeit. Und natürlich vorab auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments selbst. Zudem muss der Preis beziffert werden, den man für ein klares und verständliches Wahlsystem zu zahlen bereit ist – er wird vermutlich sehr hoch ausfallen.
Es genügt nicht, dass diese Fragen nur von den politischen Parteien oder sogar nur parteiintern in kleinster Runde erörtert werden. Sie müssen in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Für einen Systemwechsel bedarf es genau genommen sogar einer Art kleiner verfassungsgebender Versammlung. Im Idealfall entscheidet das Volk über ein oder mehrere Vorschläge in unmittelbarer Abstimmung.
Die geplante Beauftragung einer Kommission kann ein Schritt in die richtige Richtung sein, wenn sie denn das bisherige Trauerspiel nicht als Marionettentheater fortsetzt. Dass sie vom Parlament und also nur von den derzeit im Parlament vertretenen politischen Parteien entsprechend ihrem Stärkeverhältnis besetzt werden wird, relativiert ihre Offenheit freilich ein wenig. Denn das Wahlrecht muss als materielles Verfassungsrecht vom ausschließlichen Zugriff der politischen Parteien befreit werden. Sinnvoller wäre es deshalb, sie beim Bundespräsidenten anzusiedeln, auch wenn die politischen Parteien trotzdem an ihrer Besetzung beteiligt wären."[https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... 0025964721, abgerufen am 15.10.2020]
Neben den zahlreichen juristischen Fragen, erscheinen mir folgende, gewiss nicht neuen, aber doch zu neuer Aktualität gekommenen Fragestellungen diskussionswürdig:
1. Bedarf das gegenwärtige politische System angesichts erkennbarer Fehlentwicklungen (immer wieder muss das BVerfG Gesetze der Regierung in toto oder - immer öfter - in erheblichen Teilen für verfassungswidrig erklären) umfassender Korrekturen auf Verfassungsebene, wie ließen sich Beharren auf dem Bisherigen bzw. Gegenentwürfe mit philosophischen Kategorien begründen? Etwas verkürzt: Wer soll herrschen, warum und wie?
2. Wird das gegenwärtige System von seinen Bürgern toleriert oder akzeptiert?
3. Wie steht es um die Forderung der Repräsentanz, wenn Kandidaten durch parteiinterne Listenplätze in ein Parlament kommen statt durch ein Direktmandat?
Hier zwei Thesen als "Appetizer":
1. Nur Direktmandate können für sich Legitimität und Repräsentanz beanspruchen, da sie der unmittelbare Ausdruck des Willens von Bürgern darstellen, die durch die gewählte Person vertreten werden wollen.
2. Die Unterscheidung (auch in der Rechtsprechung des BVerfG) zwischen unzulässigem Fraktionszwang und zulässiger Fraktionsdisziplin ist verbale Augenwischerei, solange Regelungen wie in der GO des Bundestages, dass die Fraktionen entscheiden, wer in welchem Ausschuss sitzt, gültig sind.
Hoffe, es gibt viele Diskussionen, Widerspruch und weitere Thesen.
Es genügt nicht, dass diese Fragen nur von den politischen Parteien oder sogar nur parteiintern in kleinster Runde erörtert werden. Sie müssen in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Für einen Systemwechsel bedarf es genau genommen sogar einer Art kleiner verfassungsgebender Versammlung. Im Idealfall entscheidet das Volk über ein oder mehrere Vorschläge in unmittelbarer Abstimmung.
Die geplante Beauftragung einer Kommission kann ein Schritt in die richtige Richtung sein, wenn sie denn das bisherige Trauerspiel nicht als Marionettentheater fortsetzt. Dass sie vom Parlament und also nur von den derzeit im Parlament vertretenen politischen Parteien entsprechend ihrem Stärkeverhältnis besetzt werden wird, relativiert ihre Offenheit freilich ein wenig. Denn das Wahlrecht muss als materielles Verfassungsrecht vom ausschließlichen Zugriff der politischen Parteien befreit werden. Sinnvoller wäre es deshalb, sie beim Bundespräsidenten anzusiedeln, auch wenn die politischen Parteien trotzdem an ihrer Besetzung beteiligt wären."[https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... 0025964721, abgerufen am 15.10.2020]
Neben den zahlreichen juristischen Fragen, erscheinen mir folgende, gewiss nicht neuen, aber doch zu neuer Aktualität gekommenen Fragestellungen diskussionswürdig:
1. Bedarf das gegenwärtige politische System angesichts erkennbarer Fehlentwicklungen (immer wieder muss das BVerfG Gesetze der Regierung in toto oder - immer öfter - in erheblichen Teilen für verfassungswidrig erklären) umfassender Korrekturen auf Verfassungsebene, wie ließen sich Beharren auf dem Bisherigen bzw. Gegenentwürfe mit philosophischen Kategorien begründen? Etwas verkürzt: Wer soll herrschen, warum und wie?
2. Wird das gegenwärtige System von seinen Bürgern toleriert oder akzeptiert?
3. Wie steht es um die Forderung der Repräsentanz, wenn Kandidaten durch parteiinterne Listenplätze in ein Parlament kommen statt durch ein Direktmandat?
Hier zwei Thesen als "Appetizer":
1. Nur Direktmandate können für sich Legitimität und Repräsentanz beanspruchen, da sie der unmittelbare Ausdruck des Willens von Bürgern darstellen, die durch die gewählte Person vertreten werden wollen.
2. Die Unterscheidung (auch in der Rechtsprechung des BVerfG) zwischen unzulässigem Fraktionszwang und zulässiger Fraktionsdisziplin ist verbale Augenwischerei, solange Regelungen wie in der GO des Bundestages, dass die Fraktionen entscheiden, wer in welchem Ausschuss sitzt, gültig sind.
Hoffe, es gibt viele Diskussionen, Widerspruch und weitere Thesen.