Burkart hat geschrieben : ↑ So 24. Okt 2021, 08:48
Oder haben die Fragenden kein Recht mehr auf ihre Frage-(Meinungs-)Freiheit, nur noch die Befragten?
Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit der anderen beginnt.
Zu meiner Freiheit gehört, dass ich mir selbst über das, was ich tue, Rechenschaft ablegen kann, zumindest in gewissen Grenzen. Ich verstehe es also als ein Teil meiner eigenen Freiheit, Muster, die ich bediene, gegebenenfalls zu erkennen, zu sehen, dass sie möglicherweise falsch sind und sie dann eben nicht mehr zu bedienen. Dinge, die ich sage, selbst im besten Glauben, können sich als fragwürdig herausstellen, wenn sie zu einem Überzeugungs-Netz oder sagen wir: zu einer Ideologie gehören, die in sich verwerflich ist. Dass ich so etwas erkennen und ändern kann, heißt, dass ich in gewissen Grenzen frei bin. Das heißt, dass ich kein letztgültiger Gefangener solcher Strukturen bin.
Ich empfinde es auch nicht als Einschränkung meiner Freiheit, zu versuchen, die Perspektive eines Gesprächspartners oder einer Gesprächspartnerin zu verstehen, ggf. anzuerkennen und zu übernehmen, wenn sie mir richtig erscheint und ich sie nachvollziehen kann. Im Gegenteil, ich finde, das ist ein Teil meiner Freiheit.
Zu meiner Freiheit gehört auch, dass ich mein "Weltbild" überdenken und gegebenenfalls korrigieren kann. Das Interview mit Christian Geulen und auch das Buch von ihm, was ich zu großen Teilen gelesen habe, hat mir zB gezeigt, dass meine Vorstellungen von Rassismus in großen Teilen verfehlt waren. Das ist keine Gängelung oder betreutes Reden, sondern eine Erweiterung meiner Meinungsfreiheit. Dass die Frage nach der Herkunft für people of color nicht nur nervend, sondern auch verletzend sein kann, war mir zuvor nicht so bewusst. Das hat erst die Lektüre von Alice Hasters ergeben. Obwohl ich diese Frage noch nie einem Schwarzen und einer Schwarzen gestellt habe und erst "dank" dieses Themas etwas genauer darauf geschaut habe. Dadurch habe ich meine Meinungsfreiheit erweitert.
Zu der Frage: Wer ist ein Rassist bzw eine Rassistin? Die Frage kann, muss aber nicht, schon Teil des Problems sein: denn man ist zu schnell geneigt, den Rassismus in eine bestimmte Ecke zu stellen: die AFD, die Ulttrarechten, der Ku-Klux-Klan und so weiter. Das ist aber bereits ein Teil des Musters, denn es sind immer die anderen, die rassistisch sind. Auf diese Art und Weise geraten die eigenen Muster, die man bedient, schnell aus dem Blick.
Wie auch immer: ich für meinen Teil glaube nicht, dass Elke Heidenreich eine Rassistin ist. Dennoch ist die Frage nach der Herkunft bei weitem nicht so harmlos, wie man vielleicht glauben mag, wenn man sich damit nicht beschäftigt hat. Denn der Rassismus im Kleinen hängt mit dem Rassismus im Großen eben zusammen, wie Alice Hasters schon erläutert hat. Ich kann mir auch nicht im Ernst vorstellen, das es eine gravierende Einschränkung der Meinungsfreiheit ist, wenn man ein Gespräch mit Schwarzen nicht mit dieser Frage beginnt, wenn man weiß, dass sie womöglich als problematisch empfunden wird.
Mal ein Beispiel: ich habe vor kurzem einen Text zu einer Ausstellung hier in der Kunsthalle gelesen. Darin ging es unter anderem um Sartre, Camus und andere Philosophen. Der Text hat mir gut gefallen und als ich gegoogelt habe, um herauszufinden wer ihn geschrieben hat, habe ich gemerkt, dass ich überrascht war, als ich gesehen habe, dass es sich um eine schwarze Autorin handelte. Das war für mich umso erstaunlicher, als ich mich später erinnert habe, dass es im Text sogar deutlich gesagt wurde. Das Muster, dass solche Texte von weißen (Männern) stammen, war aber offensichtlich stärker.