Moralisierung

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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NaWennDuMeinst
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Di 30. Mai 2023, 14:36

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 30. Mai 2023, 10:40
Da bin ich dann manchmal froh, dass ich mir meine eigene Moral machen kann und nicht auf die anderen hören muss.
Das finde ich ok. Ich finde es aber auch ok, wenn die anderen dann die Freiheit haben zu sagen, dass sie mit dir nichts zu tun haben wollen.
Das ist nämlich leider das Problem. Jeder baut sich seine Individualmoral und erwaret dann, dass die anderen das schlucken müssen.
So funktioniert das aber nicht. Wenn Du frei bist, sind es die anderen auch.



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AufDerSonne
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 30. Mai 2023, 14:36
Das finde ich ok. Ich finde es aber auch ok, wenn die anderen dann die Freiheit haben zu sagen, dass sie mit dir nichts zu tun haben wollen.
Unbedingt! So funktionieren ja die Menschen. Man kann nicht ein Kollege für jeden sein, den man trifft.
Gut, ich bin ein extrem freiheitsliebender Mensch. Bin wohl dort eher etwas schwierig.

Aber ja, es gibt auch eine Moral für alle. Etwa: Du sollst nicht töten. Oder, du sollst nicht lügen. Usw.



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Jörn Budesheim
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Mi 31. Mai 2023, 08:27

Ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Thread systematisch aneinander vorbei reden :-) Der Begriff "Moral" wird in gefühlt einem Dutzend verschiedener Bedeutungen verwendet, teilweise mit sich gegenseitig ausschließenden Bedeutungen in ein und demselben Satz. Ich habe schon weiter oben einmal versucht, die verschiedenen Aspekte der Begriffe zumindest grob zu unterscheiden. Hier ein weiterer Versuch.
  1. Bei der Moral im engeren Sinne geht es um das, was geboten ist, einfach weil wir Menschen sind.
  2. Moral kann aber auch das bezeichnen, was man vielleicht die allgemeinen Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten (in einem Kulturkreis) nennen könnte.
    (Die beiden ersten Begriffe können sich überschneiden, sie können sich aber auch direkt widersprechen. So gehörte es zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Regionen durchaus zu den Sitten und Gebräuchen, dass Schwarze nicht auf den Plätzen von Weißen sitzen durften. Das galt als moralisch geboten, steht aber natürlich in krassem Widerspruch zu dem Begriff der Moral, wie ich ihn im ersten Abschnitt dargestellt habe. Denn das war natürlich höchst verwerflich und keineswegs geboten.)
  3. Moral wird in diesem Thread darüber hinaus auch im Sinne von "Moralvorstellung" verwendet. Das dürfte zwar oft mit dem Begriff der Sitten und Gebräuche zusammenfallen, kann sich aber auch auf die Moralvorstellungen einer einzelnen Person beziehen. Unterschiedliche Menschen haben sicherlich unterschiedliche Moralvorstellungen, auch dort, wo bestimmte Sitten und Gebräuche herrschen.
  4. ... sicher gibt es weitere Aspekte (oder Mischungen der Aspekte), die hier fehlen und welche mir gerade nicht einfallen.
  5. Ethik hingegen ist (soweit ich weiß, nach einem relativ weiter verbreiteten Verständnis in der Philosophie) im Allgemeinen die philosophische Disziplin, die sich mit der Moral befasst.
Nun kann man natürlich (z.B.) der Meinung sein, dass es Moral im Sinne von (1) gar nicht gibt. Oder dass die ganze Liste unbrauchbar ist. Aber auch dann wäre es m.E. nicht verkehrt, verschiedene Aspekte zumindest vage zu unterscheiden und Hinweise zu geben, was man jeweils unter Moral versteht.




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Jörn Budesheim
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AufDerSonne hat geschrieben :
Di 30. Mai 2023, 10:40
...
Da bin ich dann manchmal froh, dass ich mir meine eigene Moral machen kann und nicht auf die anderen hören muss.
Etwas vom Unangenehmsten im Leben ist, wenn man Moralvorstellungen von einer anderen Person übernehmen muss, die dann obendrein auch noch falsch sind.
...
"Sich eine eigene Moral machen können" - das klingt für mich wie "sich eine eigene Wahrheit/Logik/Mathematik/Naturwissenschaft/etc. machen können". Ein einfaches Gegenbeispiel: Das Gebot, andere nicht zum Vergnügen zu quälen, ist keine Privatangelegenheit. Niemand kann sich dazu eine eigene Moral machen - auch AufDerSonne nicht.

Dennoch gibt es einen Aspekt in der Aussage, den ich wichtig finde, und dazu formuliere ich den zitierten Satz um: Ich bin froh, dass ich aus moralischer Einsicht handeln kann und nicht auf andere hören muss. So betrachtet, wird dann auch der zweite Satz wahr: "Etwas vom Unangenehmsten im Leben ist, wenn man Moralvorstellungen von einer anderen Person übernehmen muss, die dann obendrein auch noch falsch sind."

Ich glaube, ein Aspekt der Moral ist, dass wir aus moralischer Einsicht handeln können. Das ist in der Regel auch unser gutes Recht. Es ist sicher nicht gut, wenn wir oft Dinge tun müssen, die wir eigentlich nicht richtig finden. Das geht auch an unser Selbstbild und ist sicher einer der Gründe, warum moralische Meinungsverschiedenheiten oft so "erbittert" ausgetragen werden. Aber immerhin: In freiheitlichen Gesellschaften wie der unseren können wir diese Meinungsverschiedenheiten austragen. Dass wir darüber reden können, ist noch lange kein Moralisieren. Im Gegenteil: Es ist Teil unserer Freiheit.




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NaWennDuMeinst
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 11:00
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 30. Mai 2023, 10:40
...
Da bin ich dann manchmal froh, dass ich mir meine eigene Moral machen kann und nicht auf die anderen hören muss.
Etwas vom Unangenehmsten im Leben ist, wenn man Moralvorstellungen von einer anderen Person übernehmen muss, die dann obendrein auch noch falsch sind.
...
"Sich eine eigene Moral machen können" - das klingt für mich wie "sich eine eigene Wahrheit/Logik/Mathematik/Naturwissenschaft/etc. machen können". Ein einfaches Gegenbeispiel: Das Gebot, andere nicht zum Vergnügen zu quälen, ist keine Privatangelegenheit. Niemand kann sich dazu eine eigene Moral machen - auch AufDerSonne nicht.
Definiere hier "Niemand kann". Natürlich kann Jeder sich auch in dem Bereich eine eigene Moral machen. Nur: Die Anderen werden das verfolgen und bestrafen.
Und dann geht es um die Frage womit sie das rechtfertigen/begründen.
Dennoch gibt es einen Aspekt in der Aussage, den ich wichtig finde, und dazu formuliere ich den zitierten Satz um: Ich bin froh, dass ich aus moralischer Einsicht handeln kann und nicht auf andere hören muss. So betrachtet, wird dann auch der zweite Satz wahr: "Etwas vom Unangenehmsten im Leben ist, wenn man Moralvorstellungen von einer anderen Person übernehmen muss, die dann obendrein auch noch falsch sind."
Das klingt alles so einfach. Ist es aber nicht. Denn das löst ja die Frage nicht, ob nun meine Einsicht die richtig ist, oder die der anderen.
Und da kommen wir dann zur Ethik (Achtung, es folgt eine Definition), nämlich zu der Frage wie bildet man denn eigentlich "richtige" (sofern man an sowas glaubt) moralische Einsichten?



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Jörn Budesheim
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 12:47
Das klingt alles so einfach. Ist es aber nicht. Denn das löst ja die Frage nicht, ob nun meine Einsicht die richtig ist, oder die der anderen.
Stimmt, diese Frage ist damit nicht geklärt. Aber das war auch nicht die Frage, zu der ich etwas beitragen wollte. Ich wollte vielmehr das Begriffsgewirr ein wenig entwirren. Das kann ich durchaus versuchen, ohne im gleichen Atemzug das andere anzustreben.




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Jörn Budesheim
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Mi 31. Mai 2023, 13:56

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 12:47
Definiere hier "Niemand kann".
Aber dazu hab ich doch etwas geschrieben: In demselben Sinn, wie niemand seine eigene Logik etc. haben kann, kann niemand seine eigene Moral haben. Natürlich kann jeder seine eigenen Moralvorstellungen haben, aber damit kann man eben auch falsch liegen.

Vielleicht noch ein paar Worte zu der Frage, wie man rauskriegt, was richtig ist. Es gibt meines Erachtens kein Grundprinzip, keinen Masterplan, kein generelles Wahrheitskriterium. Ethisches Denken funktioniert im Großen und Ganzen so ähnlich wie unser sonstiges wahrheitsorientiertes Denken, denke ich.

Ich glaube zum Beispiel nicht, dass sich die gesamte Moral aus einem einzigen Prinzip und mithilfe eines Algorithmus ableiten lässt. Auch gibt es in der Ethik, wie in allen anderen Bereichen auch, kein einfaches Wahrheitskriterium, das man unterschiedslos auf alle Fragen anwenden könnte.

Wir fangen also nach meinem Verständnis nicht bei Null oder einem Prinzip an und deduzieren dann nach einem Verfahren orientiert nach oben, sondern wir müssen "freihändig" in die Diskussion einsteigen da, wo wir eben sind und die verschiedenen Argumente so gegeneinander abwägen, dass sie ein kohärentes, also stimmiges Ganzes ergeben. Wobei wir uns in vielen Fällen der Wahrheit vermutlich nur annähern können. Wir sind hier, wie in vielen anderen Bereichen, immer auch fallibel. (Außerdem müssen wir natürlich immer auch außerethisches Wissen einbeziehen).

Auf die Frage "Woher willst du das wissen?" gibt es in der Ethik ebenso wenig wie in fast allen anderen Bereichen eine einfache Antwort, etwa im Sinne eines einfachen, allumfassenden, gleichsam maschinellen Algorithmus. (Hinzu kommt, dass die Veränderungen, die wir in der Wirklichkeit vornehmen, immer wieder neue moralische Probleme aufwerfen.)

Aber aus der Tatsache, dass ich keine generelle Methode zur Wahrheitsfindung angeben kann, außer eben der Diskussion, weil ich glaube, dass es keine andere gibt, folgt nicht, dass das, was Du oben sinngemäß als "zu einfach" kritisiert hast, falsch ist. Das halte ich für ein Scheinargument. Ich kann begriffliche Klärungen von Problemen vorschlagen, ohne eine Methode der Wahrheitsfindung parat zu haben, weil es sich dabei um Fragestellungen auf verschiedenen Ebenen handelt.




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Mi 31. Mai 2023, 14:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 13:56
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 12:47
Definiere hier "Niemand kann".
Aber dazu hab ich doch etwas geschrieben: In demselben Sinn, wie niemand seine eigene Logik etc. haben kann, kann niemand seine eigene Moral haben. Natürlich kann jeder seine eigenen Moralvorstellungen haben, aber damit kann man eben auch falsch liegen.
Das verstehe ich nicht. Wo ist denn jetzt hier der Unterschied zwischen Moral und Moralvorstellungen?
Wenn es eine richtige Moral gibt, was ist das denn dann anderes als eine richtige Moralvorstellung?
Vielleicht noch ein paar Worte zu der Frage, wie man rauskriegt, was richtig ist. Es gibt meines Erachtens kein Grundprinzip, keinen Masterplan, kein generelles Wahrheitskriterium. Ethisches Denken funktioniert im Großen und Ganzen so ähnlich wie unser sonstiges wahrheitsorientiertes Denken, denke ich.
Was macht man denn dann dMn in der Ethik?
Was ist denn z.B. der Satz "Handle nur nach derjenigen Maxime von der Du wollen kannst, dass sie zu einem allgemeinen Gesetz werde" (Kant) anderes als der Versuch Moral (moralisch richtige Regeln) aus einem übergeordneten Prinzip abzuleiten?
Ich glaube zum Beispiel nicht, dass sich die gesamte Moral aus einem einzigen Prinzip
Aus einem einzigen nicht, aber vielleicht aus mehreren?
Und warum sollte man nach diesen Prinzipien nicht suchen?
Man suchtt ja auch bei der restlichen Wahrheitsfindung stets nach übergeordneten Prinzipien (z.B. in der WIssenschaftstheorie) aus denen sich Wahrheit verlässlich ableiten lässt.
Logik ist ja eigentlich auch so ein Prinzip.
Wir fangen also nach meinem Verständnis nicht bei Null oder einem Prinzip an und deduzieren dann nach einem Verfahren orientiert nach oben, sondern wir müssen "freihändig" in die Diskussion einsteigen da, wo wir eben sind und die verschiedenen Argumente so gegeneinander abwägen, dass sie ein kohärentes, also stimmiges Ganzes ergeben. Wobei wir uns in vielen Fällen der Wahrheit vermutlich nur annähern können. Wir sind hier, wie in vielen anderen Bereichen, immer auch fallibel. (Außerdem müssen wir natürlich immer auch außerethisches Wissen einbeziehen).

Auf die Frage "Woher willst du das wissen?" gibt es in der Ethik ebenso wenig wie in fast allen anderen Bereichen eine einfache Antwort, etwa im Sinne eines einfachen, allumfassenden, gleichsam maschinellen Algorithmus. (Hinzu kommt, dass die Veränderungen, die wir in der Wirklichkeit vornehmen, immer wieder neue moralische Probleme aufwerfen.)
Ja ok. Aber das alles entbindet uns ja nicht von der Pflicht unsere Moralvorstellungen für Andere nachvollziehbar zu begründen. Und warum sollte die Begründung nicht auch auf ein Prinzip zurückgreifen können?
Aber aus der Tatsache, dass ich keine Methode zur Wahrheitsfindung angeben kann, weil ich glaube, dass es keine gibt, folgt nicht, dass das, was Du oben sinngemäß als "zu einfach" kritisiert hast, falsch ist. Das halte ich für ein Scheinargument. Ich kann begriffliche Klärungen von Problemen vorschlagen, ohne eine Methode der Wahrheitsfindung parat zu haben, weil es sich dabei um Fragestellungen auf verschiedenen Ebenen handelt.
Letztlich muss ich mit Anderen aber zu einer Einigung darüber gelangen was nun gelten soll, allein schon aus praktischen Gründen des Zusammenlebens.
Wie erreichen wir das, wenn jeder nach seiner eigenen Methode vorgeht?



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AufDerSonne
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Mi 31. Mai 2023, 14:45

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:16
Ja ok. Aber das alles entbindet uns ja nicht von der Pflicht unsere Moralvorstellungen für Andere nachvollziehbar zu begründen. Und warum sollte die Begründung nicht auch auf ein Prinzip zurückgreifen können?
Da frage ich dich. Wer macht das schon (in der Realität des Alltags)?
Da wird gelebt und weniger über Moralvorstellungen diskutiert. Die meisten Menschen müssen arbeiten, müssen handeln. Sie haben keine Zeit für Moraldiskussionen.

Ich finde aber auch, dass man bei der Moral ebenso wie bei allen anderen Gebieten der Philosophie, mit Logik weiterkommen kann.
Es gibt sicher auch irgendwelche Prinzipien. Aber die muss man erst einmal finden. Oder man lernt aus Erfahrungen.

Ist es richtig, dass die Moral im Prinzip davon handelt, was gut ist und was schlecht? Also die Fragen. Was darf ich tun und vor allem, was darf ich nicht tun?



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Jörn Budesheim
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:16
Wo ist denn jetzt hier der Unterschied zwischen Moral und Moralvorstellungen?
Dies entspricht strukturell dem Unterschied zwischen Wahrheit und Fürwahrhalten. Wahrheit ist das, was der Fall ist, und nicht nur das, was jemand für wahr hält. Wir können uns irren. Dementsprechend ist Moral das, was faktisch geboten, erlaubt oder verboten ist, unabhängig davon, was Individuen für wahr halten. Moralvorstellungen (= Vorstellungen von dem, was moralisch geboten ist) sind dagegen immer die Moralvorstellungen eines Einzelnen oder einer bestimmten Gruppe, die natürlich auch falsch sein können.




Timberlake
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Mi 31. Mai 2023, 15:15

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:45


Ich finde aber auch, dass man bei der Moral ebenso wie bei allen anderen Gebieten der Philosophie, mit Logik weiterkommen kann.
Es gibt sicher auch irgendwelche Prinzipien. Aber die muss man erst einmal finden. Oder man lernt aus Erfahrungen.

Weil tatsächlich als solches mit der ... Logik ! ... weiterkommend , wurde von Kant bereits ein solches Prinzip gefunden , als da wäre ..
  • kategorische Imperativ
    Der kategorische Imperativ ist das grundlegende Prinzip moralischen Handelns in der Philosophie Immanuel Kants. Als Kriterium, ob eine Handlung moralisch sei, wird hinterfragt, ob sie einer Maxime folgt, deren Gültigkeit für alle, jederzeit und ohne Ausnahme akzeptabel wäre, und ob alle betroffenen Personen nicht als bloßes Mittel zu einem anderen Zweck behandelt werden, sondern auch als Zweck an sich. Der kategorische Imperativ wird als Bestimmung des guten Willens von Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vorgestellt und in der Kritik der praktischen Vernunft ausführlich entwickelt. Er lautet in einer seiner Grundformen: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03

Der Sinn der Moralisierung liegt wohl kaum an der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe.
Wenn man denn dieser Logik folgen würde, so würde der Sinn der Moralisierung übrigens tatsächlich in der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe liegen. Denn wer würde wohlgemerkt .. "als Zweck an sich ( Kant)" .. nicht wollen , dass die menschlichen Unversehrtheit oder die Pflege der Nächstenliebe ein allgemeines Gesetz werde?

Da gibt es nur ein Problem ...
transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03
Das ist absurd in einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie.
Dieses Problem , einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie, kann man , wie die menschliche Unversehrtheit oder die Pflege der Nächstenliebe, die es zuweilen zweifelsohne gibt , übrigens auch aus Erfahrung lernen.
Zuletzt geändert von Timberlake am Mi 31. Mai 2023, 16:10, insgesamt 2-mal geändert.




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AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:45
Ich finde aber auch, dass man bei der Moral ebenso wie bei allen anderen Gebieten der Philosophie, mit Logik weiterkommen kann.
Logik ist leider bloß formal, sie allein kann uns nicht helfen, wenn es um die Frage geht, was wir tun sollen, sie kann uns nur helfen, bessere Schlüsse zu ziehen.




Timberlake
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Mi 31. Mai 2023, 15:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 15:31
AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:45
Ich finde aber auch, dass man bei der Moral ebenso wie bei allen anderen Gebieten der Philosophie, mit Logik weiterkommen kann.
Logik ist leider bloß formal, sie allein kann uns nicht helfen, wenn es um die Frage geht, was wir tun sollen, sie kann uns nur helfen, bessere Schlüsse zu ziehen.
Um dazu nochmal auf die Logik des kategorischen Imperativ zurück zu kommen , auch wenn es um die Frage geht, was wir tun sollen, gibt leider nur ein Problem ..
  • Es ist niemand, selbst der ärgste Bösewicht, wenn er nur sonst Vernunft[90] zu brauchen gewohnt ist, der nicht, wenn man ihm Beispiele der Redlichkeit in Absichten, der Standhaftigkeit in Befolgung guter Maximen, der Teilnehmung und des allgemeinen Wohlwollens (und noch dazu mit großen Aufopferungen von Vorteilen und Gemächlichkeit verbunden) vorlegt, nicht wünsche, daß er auch so gesinnt sein möchte. Er kann es aber nur wegen seiner Neigungen und Antriebe nicht wohl in sich zu Stande bringen; wobei er dennoch zugleich wünscht, von solchen ihm selbst lästigen Neigungen frei zu sein
    Kant .. Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich?

transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03

Der, der Böses tun kann, ist im Vorteil, da er keine Beschränkung kennt.
Kann man sich tatsächlich dennoch .. so zumindest Kant .. zugleich wünschen , selbst von solchen, ihm selbst lästigen Neigungen frei zu sein , wenn doch der, der diesen "bösen" Neigungen und Antrieben nachgibt mitunter im Vorteil ist, da er als solches .. so transfinitum .. keine "moralischen" Beschränkungen kennt?

Beispiel
  • »Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.«(T. J. Dunning, l.c. p. 35, 36.)
    Karl Marx ... Das Kapital




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NaWennDuMeinst
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Mi 31. Mai 2023, 16:23

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:45
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:16
Ja ok. Aber das alles entbindet uns ja nicht von der Pflicht unsere Moralvorstellungen für Andere nachvollziehbar zu begründen. Und warum sollte die Begründung nicht auch auf ein Prinzip zurückgreifen können?
Da frage ich dich. Wer macht das schon (in der Realität des Alltags)?
Was jetzt? Die eigenen Moralvorstellungen begründen?
Ich denke das machen so ziemlich Alle sobald es zu Konflikten kommt.
Oder meinst Du sich selbst zu fragen wieso man diese oder jene moralische Überzeugung hat?
Das machen wahrscheinlich deutlich weniger Menschen.
Die Meisten übernehmen einfach die Vorstellung aus der Erziehung oder aus Filmen und Büchern oder von anderen Menschen.
Denoch: Wenn es darum geht die eigenen Moralvorstellungen zu begründen ist so eine Antwort wie "Das hat meine Mutter mir so beigebracht" eine ziemlich schwache Begründung.
Ich finde also schon, dass es sich lohnt darüber nachzudenken woher die eigenen Überzeugungen kommen und ob sie auf belastbaren Prinzipien beruhen oder einfach nur nachgeäfft sind.
Da wird gelebt und weniger über Moralvorstellungen diskutiert. Die meisten Menschen müssen arbeiten, müssen handeln. Sie haben keine Zeit für Moraldiskussionen.
Also das halte ich für vollkommenen Blödsinn. Die meisten Menschen sind keine Philosophen, ja.
Aber über Moral diskutieren die Menschen die ganze Zeit. Ständig. Andauernd.
Da kommt man auch gar nicht drumrum, weil man ja ständig mit anderen Moralvorsttellungen konfrontiert wird.
und es hat da auch jeder eine Meinung zu. Zu kaum was haben die Menschen so "viel" Meinung wie dazu.
Ich finde aber auch, dass man bei der Moral ebenso wie bei allen anderen Gebieten der Philosophie, mit Logik weiterkommen kann.
Es gibt sicher auch irgendwelche Prinzipien. Aber die muss man erst einmal finden. Oder man lernt aus Erfahrungen.
In der Moralphilosophie und Ethik geht es genau darum, also die Frage nach welchen Prinzipien lassen sich moralische "Gesetze" finden und bilden.
In der Theologie wiederum ist das relativ simpel. Da lautet die Antwort auf alles "Es ist Gottes Gebot, dass..".
Ist es richtig, dass die Moral im Prinzip davon handelt, was gut ist und was schlecht? Also die Fragen. Was darf ich tun und vor allem, was darf ich nicht tun?
Laut Kant geht es in der Moralphilosophie um die Frage "Wie sollen wir handeln?". Mit Betonung auf "sollen".
Also wie und woher wissen wir was "gutes" oder "schlechttes" Handeln ist. Wobei gerade der Begriff "gut" auf eine bestimmte Weise aufgeladen ist (guter Mensch/schlechter Mensch).
Etwas neutraler könnte man vielleicht eher von richtig und falsch reden.

Aber das kommt drauf an wen Du fragst. Es gibt auch Philosophen die meinen, dass solche Kategorien in der Moral gar nichts zu suchen haben, weil es dort kein richtig oder falsch gib, sondern moralische Überzeugung hängen von einem gewissen Stanpunkt oder Blickwinkel (z.B. einem kulturellen) ab.
Diese Kategorie von Philosophen mag Jörn am liebsten ... :-D (Achtung Ironie)
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 31. Mai 2023, 16:31, insgesamt 1-mal geändert.



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AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:45
Die meisten Menschen müssen arbeiten, müssen handeln. Sie haben keine Zeit für Moraldiskussionen.
Für manche ist die moralische Diskussion Arbeit, zum Beispiel für manche Philosophen, die in der Ethik forschen. Und die anderen arbeiten nicht rund um die Uhr. Wir haben gerade ein paar drängende moralische Probleme, da wäre es sicher nicht schlecht, wenn sich einige daran beteiligen würden. Wir wollen doch zum Beispiel unseren Enkeln, Urenkeln oder Ururenkeln einen einigermaßen lebenswerten Planeten hinterlassen, oder?




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Mi 31. Mai 2023, 16:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 16:30
AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 14:45
Die meisten Menschen müssen arbeiten, müssen handeln. Sie haben keine Zeit für Moraldiskussionen.
Für manche ist die moralische Diskussion Arbeit, zum Beispiel für manche Philosophen, die in der Ethik forschen. Und die anderen arbeiten nicht rund um die Uhr. Wir haben gerade ein paar drängende moralische Probleme, da wäre es sicher nicht schlecht, wenn sich einige daran beteiligen würden. Wir wollen doch zum Beispiel unseren Enkeln, Urenkeln oder Ururenkeln einen einigermaßen lebenswerten Planeten hinterlassen, oder?
Ach, ich finde auch gar nicht, dass das stimmt was "AufderSonne" sagt. Ich diskutiere alle Nase lang mit Menschen über Themen der Moral. Man nennt es dann nur nicht so, sondern "Plaudern über das Leben" oder "über das Weltgeschehen".
Einfaches Beispiel. Meine Freundin kommt nach Hause und motzt erstmal eine halbe Stunde darüber wie die Leute sich auf der Straße benehmen und dass man das so nicht machen kann.
Das ist ja eine "Moraldiskussion". Was denn sonst?
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 31. Mai 2023, 16:35, insgesamt 2-mal geändert.



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Mi 31. Mai 2023, 16:34

the new institut, auf dem Weg zu einer neuen Aufklärung hat geschrieben : Moralischer Realismus
Ein prominenter Ansatz, den Unterschied zwischen Werten und Wertvorstellungen zu erklären, ist der moralische Realismus, der in der zeitgenössischen Ethik als weitgehend anerkannt gelten darf. Er vertritt die Auffassung, dass es moralische Tatsachen gibt, wobei es sich bei einer moralischen Tatsache um eine richtige Antwort auf die Frage handelt, was wir tun oder lassen sollten - ganz einfach aufgrund unseres gemeinsamen Menschseins, das insofern eine entscheidende Quelle ethischer Einsicht ist ...




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Mi 31. Mai 2023, 16:34

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 16:23
Ist es richtig, dass die Moral im Prinzip davon handelt, was gut ist und was schlecht? Also die Fragen. Was darf ich tun und vor allem, was darf ich nicht tun?
Laut Kant geht es in der Moralphilosophie um die Frage "Wie sollen wir handeln?". Mit Betonung auf "sollen".
Also wie und woher wissen wir was "gutes" oder "schlechttes" Handeln ist. Wobei gerade der Begriff "gut" auf eine bestimmte Weise aufgeladen ist (guter Mensch/schlechter Mensch).
Etwas neutraler könnte man vielleicht eher von richtig und falsch reden.

Aber das kommt drauf an wen Du fragst. Es gibt auch Philosophen die meinen, dass solche Kategorien in der Moral gar nichts zu suchen haben, weil es dort kein richtig oder falsch gibt.
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Wie sollen wir handeln?
Ja, aber wer sagt denn uns, wie wir handeln sollen? Die Philosophen? Die Eltern? Oder ist gemeint, dass wir selbst herausfinden müssen, wie wir handeln sollen?
Ich weiss nicht, ob es einen Sinn hat, so tief in die Materie abzutauchen, dass man gut und schlecht definieren muss. Das ist sehr schwierig. Können wir nicht einfach davon ausgehen, dass es gute und schlechte Handlungen gibt?
Nun, gute und schlechte Menschen. Das ist immer ein sehr heikles Thema. Und man hört etwa sofort, es gebe keine schlechten Menschen.
Aber gute und schlechte Handlungen. Schon eher. Da kann ich mir etwas darunter vorstellen. Und solche Bewertungen können ja nicht nur von der Gesellschaft abhängen.
Sonst gäbe es ja Gesellschaften, wo Töten eine gute Handlung wäre. Das halte ich aber in jeder Gesellschaft für falsch.



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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 16:33
Ich, ich finde auch gar nicht, dass das stimmt was "AufderSonne" sagt.
Auch nach meiner Beobachtung liegt er komplett falsch.




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Mi 31. Mai 2023, 16:39

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 31. Mai 2023, 16:34
Wie sollen wir handeln?
Ja, aber wer sagt denn uns, wie wir handeln sollen?
Solange wir darauf warten, dass uns jemand sagt, was wir tun sollen, ist es um die Moral schlecht bestellt. Es gibt niemanden, der es uns sagt, nicht Kant, nicht der liebe Gott, niemand. Deshalb nennt man den Menschen manchmal frei. Das ist eine Aufgabe, die wir an niemanden delegieren können, nicht einmal an ChatGPT.




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