Moralisierung

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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infinitum
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So 12. Dez 2021, 15:03

Warum wird die Menschheit durch eine in den täglichen Verhaltenskodex subtil eingeflochtene Moral konditioniert?
Besonders stark erkennt man Moral-Propaganda in Märchen oder Erzählungen (damit man auch direkt im Kindesalter mit der Konditionierung beginnen kann). Der, der fleißig und brav und systemhörig ist, wird belohnt. Der, der Autoritäten verneint, Vorgaben anzweifelt und faul ist, wird bestraft.
Dem Menschen wird damit antrainiert, dass man ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man etwas tut, was nicht den gängigen Moralvorstellungen entspricht.

Besitzen Menschen also, die kein schlechtes Gewissen haben, über ein besonderes Privileg?
Böses kann nicht jeder tun (z.B. morden).
Der, der Böses tun kann, ist im Vorteil, da er keine Beschränkung kennt.

Der Sinn der Moralisierung liegt wohl kaum an der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe. Das ist absurd in einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie. Eher gleicht die Moralisierung einer Instrumentalisierung zur Machterhaltung derjenigen, die Böses ausüben und auch weiterhin tun wollen.



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Friederike
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So 12. Dez 2021, 15:58

transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03
Warum wird die Menschheit durch eine in den täglichen Verhaltenskodex subtil eingeflochtene Moral konditioniert? Besonders stark erkennt man Moral-Propaganda in Märchen oder Erzählungen (damit man auch direkt im Kindesalter mit der Konditionierung beginnen kann). Der, der fleißig und brav und systemhörig ist, wird belohnt. Der, der Autoritäten verneint, Vorgaben anzweifelt und faul ist, wird bestraft.
Der in den täglichen Verhaltenskodex "subtil eingeflochtenen" Moral nachzugehen, das fände ich interessant. Subtil eingeflochten heißt ja nichts anderes als sie "unsichtbar" zu machen, zumindest so zu verdecken, daß man ihrer nicht ohne Weiteres gewahr wird.
transfinitum hat geschrieben : Dem Menschen wird damit antrainiert, dass man ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man etwas tut, was nicht den gängigen Moralvorstellungen entspricht.

Das "schlechte Gewissen" als verinnerlichter Richter und gleichzeitig Strafe, denn ein schlechtes Gewissen zu haben ist Strafe, das gefällt mir sehr. Wenn die Moralverbote oder Gebote erst einmal internalisiert sind, funktioniert die Moral auch ohne andere Menschen.
transfinitum hat geschrieben : Besitzen Menschen also, die kein schlechtes Gewissen haben, über ein besonderes Privileg? Böses kann nicht jeder tun (z.B. morden). Der, der Böses tun kann, ist im Vorteil, da er keine Beschränkung kennt.
Das ist mir zu schwierig ... ich denke dabei an eine Unterscheidung, die ich treffen würde: die Einzelkriminalität und die Gemeinschaftskriminalität, die Völker ermordet.
transfinitum hat geschrieben : Der Sinn der Moralisierung liegt wohl kaum an der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe. Das ist absurd in einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie. Eher gleicht die Moralisierung einer Instrumentalisierung zur Machterhaltung derjenigen, die Böses ausüben und auch weiterhin tun wollen.
Hm, nein, ich glaube, es geht um das Funktionieren einer Gemeinschaft überhaupt, nicht um die Durchsetzung der einen, die "Böses" ausüben. Die Instrumentalisierung aufgrund von Absichten scheint mir nur ein Aspekt, mit dem man den "Sinn" nicht erfaßt kriegt.




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Friederike
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So 12. Dez 2021, 16:43

Friederike hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:58
transfinitum hat geschrieben : Besitzen Menschen also, die kein schlechtes Gewissen haben, über ein besonderes Privileg? Böses kann nicht jeder tun (z.B. morden). Der, der Böses tun kann, ist im Vorteil, da er keine Beschränkung kennt.
Das ist mir zu schwierig ... ich denke dabei an eine Unterscheidung, die ich treffen würde: die Einzelkriminalität und die Gemeinschaftskriminalität, die Völker ermordet.
Ein Einzelner entzieht sich vollständig der gängigen Moralvorstellung, im ersten Fall und im zweiten Fall stellt eine Gemeinschaft ihre gängige Moralvorstellung auf den Kopf -




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Jörn Budesheim
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Mo 13. Dez 2021, 08:49

Ich glaube nicht, dass man immer ohne weiteres ausklamüsern kann, woher verfehlte Moralvorstellungen kommen. Ein Beispiel: Für die Kolonialisten war es natürlich sehr " günstig ", dass es plötzlich "wissenschaftliche Befunde" über die "Unter- bzw Überlegenheit" mancher "Rassen" gab. Hier spielen ja offensichtlich verschiedene Dinge ineinander, wirtschaftliche und Machtinteressen sowie verfehlte wissenschaftliche Sichtweisen.




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Jörn Budesheim
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Mo 13. Dez 2021, 11:14

Auch die Philosophie dürfte ich hier einiges beigetragen haben! Z.b. im Bereich der Tierethik: "... bis ins 17. Jahrhundert hinein galten Tiere als eine Sache, die ähnlich wie eine Maschine funktioniert. René Descartes (1596-1650) sprach ihnen sogar jegliches Gefühlsleben und Bewusstsein ab, sodass mit ihnen Experimente bei lebendigem Leib angestellt werden durften..." (Quelle: https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/ ... -tierethik)




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Jörn Budesheim
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Mo 13. Dez 2021, 12:01

transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03
... Moral-Propaganda in Märchen oder Erzählungen ...
Ob die Moral-Propaganda in Märchen und Erzählungen wohl dafür verantwortlich ist, dass es ein extremes globales Ungleichgewicht beim Wohlstand gibt?




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Friederike
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Di 14. Dez 2021, 14:59

transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03
Der Sinn der Moralisierung liegt wohl kaum an der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe. Das ist absurd in einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie. Eher gleicht die Moralisierung einer Instrumentalisierung zur Machterhaltung derjenigen, die Böses ausüben und auch weiterhin tun wollen.
Meine Idee ist, daß die Moralvorschriften des Tötungsverbotes (Recht auf Unversehrtheit) und der Nächstenliebe den Zweck haben, die Egokratie, wie Du es ausdrückst zu zähmen. Menschen sind zwar soziale Wesen, aber keine Herdenwesen, eine Art "Hybrid" von Herdenwesen und Einzelgänger. "Moral" sichert somit die Möglichkeit des Zusammenlebens. "Benimm"-Regeln reichen dafür nicht aus, denke ich. Es müssen schon Vorschriften sein, die in der Seele des Einzelnen verankert, die zur Selbstverpflichtung werden (siehe das "schlechte Gewissen).




Groot
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Mi 15. Dez 2021, 15:14

transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03
Warum wird die Menschheit durch eine in den täglichen Verhaltenskodex subtil eingeflochtene Moral konditioniert?
Besonders stark erkennt man Moral-Propaganda in Märchen oder Erzählungen (damit man auch direkt im Kindesalter mit der Konditionierung beginnen kann). Der, der fleißig und brav und systemhörig ist, wird belohnt. Der, der Autoritäten verneint, Vorgaben anzweifelt und faul ist, wird bestraft.
Dem Menschen wird damit antrainiert, dass man ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man etwas tut, was nicht den gängigen Moralvorstellungen entspricht.

Besitzen Menschen also, die kein schlechtes Gewissen haben, über ein besonderes Privileg?
Böses kann nicht jeder tun (z.B. morden).
Der, der Böses tun kann, ist im Vorteil, da er keine Beschränkung kennt.

Der Sinn der Moralisierung liegt wohl kaum an der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe. Das ist absurd in einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie. Eher gleicht die Moralisierung einer Instrumentalisierung zur Machterhaltung derjenigen, die Böses ausüben und auch weiterhin tun wollen.
Weil sie sonst vielleicht nicht Menschheit wäre, sondern Stamm A, B, ..., Z :P
Man erkennt sie auch in den Manierenbüchern der Renaissance (bspw. Erasmus von Rotterdam) und praktisch in der Veränderung des Menschen hin zur höfischen Gesellschaft, heraus aus dem Mittelalter.
Das Problem ist eher, dass unsere Moral antiquirierte Vorstellungen hat, was richtig und falsch ist und die Auswüchse dessen (Finanzkapitalismus, Polarisierung und fehlende Solidarisierung), was Moral geheißen, halt net die besten sind.

Naja, man hat zumindest keine Gewissensbisse dann :P Die Beschränkung bringt ja die Einsicht ins Böse - außer der Böse ist zusätzlich Psychopath oder anderweitig neurologisch krank.

Besteht eine Egokratie seit jeher? Und wenn, wieso macht das die hehren Ziele der Moral zu Gehilfen der Macht? Aber ja, die passive Haltung Europas gegenüber dem Bösen, lässt sich ankreiden; siehe wieder Finanzkapitalismus und fehlende Solidarität zwischen den Menschen.




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Jörn Budesheim
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Man kommt, glaube ich, nicht sehr weit, wenn man die Begriffe "Moral" und "Moralvorstellungen" nicht unterscheidet.




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Jörn Budesheim
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„Je mehr ein Mensch sich schämt, desto anständiger ist er.“ — George Bernard Shaw zugeschrieben




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Ottington
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Do 16. Dez 2021, 13:27

transfinitum hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:03
Der Sinn der Moralisierung liegt wohl kaum an der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe. Das ist absurd in einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie. Eher gleicht die Moralisierung einer Instrumentalisierung zur Machterhaltung derjenigen, die Böses ausüben und auch weiterhin tun wollen.
Nur am Rande. Lawrence Kohlberg hat in seiner Entwicklungstheorie des moralischen Urteils untersucht, wie sich das Moralbewusstsein des Menschen von Kindesalter an entwickelt bzw. entwickeln kann. Fazit ist, dass wir als Kleinkinder alle auf der selben Stufe anfangen und uns dann weiter nach oben arbeiten. Menschen erreichen je nach "Einsicht" unterschiedliche Stufen.

Kohlberg.jpg
Kohlberg.jpg (51.26 KiB) 18803 mal betrachtet

Moral ist damit eine natürliche Eigenschaft des Menschen. Die Moralisierung des Einzelnen entspricht dann eher dem aktiven Erklimmen "höherer" Stufen. Das Moralbewusstsein ist damit ein aktiver Vorgang, weniger ein passives "Wir drängen dir jetzt ein paar Gebote auf".




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Jörn Budesheim
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Yepp.

Nehmen wir an, wir fragen unser Kind, warum es das Meerschweinchen nicht quälen darf. Lautet die Antwort, "weil Papa es gesagt hat!", dann fehlt etwas Entscheidendes - nämlich die Einsicht in das Gebot. Zufriedener wären wäre, wenn das Kund sagt, dass es das Meerschwein nicht quält, weil es ihm weh tut :-) Erziehung zur Moral ist Erziehung zur Einsicht in das Richtige. Konditionierung oder Dressur hingegen sehen genau davon ab.




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Ottington
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Do 16. Dez 2021, 13:58

Und wenn ein Mensch sagt, ich halte mich nicht stur an moralische Erwartungen und Konventionen, dann ist das prinzipiell nicht falsch. Nur wenn diese Person zu diesem Schluss kommt, aber aufhört weiter über Moral nachzudenken, weil sie diese als veraltetes, aufoktroyiertes Regelwerk sieht, dann steckt diese Person vermutlich irgendwo auf Stufe 3 fest.




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infinitum
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Fr 17. Dez 2021, 12:12

Friederike hat geschrieben :
So 12. Dez 2021, 15:58
transfinitum hat geschrieben : Der Sinn der Moralisierung liegt wohl kaum an der Wahrung der menschlichen Unversehrtheit oder der Pflege der Nächstenliebe. Das ist absurd in einer seit jeher bestehenden Gesellschaft der Egokratie. Eher gleicht die Moralisierung einer Instrumentalisierung zur Machterhaltung derjenigen, die Böses ausüben und auch weiterhin tun wollen.
Hm, nein, ich glaube, es geht um das Funktionieren einer Gemeinschaft überhaupt, nicht um die Durchsetzung der einen, die "Böses" ausüben. Die Instrumentalisierung aufgrund von Absichten scheint mir nur ein Aspekt, mit dem man den "Sinn" nicht erfaßt kriegt.
die Aussage ist sehr hilfreich. Damit kann ich vorerst meine Aussage revidieren, dass es primär darum geht, die Ausübung von "Bösem" (wie man das auch definieren mag) aufrecht zu erhalten.
Macht sehe ich als ein Funktionsrädchen (eines unter vielen) der Gesellschaft. Nun gibt es aber genug Fälle, in denen dieses Rädchen - das seine Rolle auszufüllen hat - aus den Fugen gerät, was zur Diktatur führt. In dieser Hinsicht spielt der individuelle Aspekt eine Rolle. In Fällen von Massenermordungen kann man nicht mehr davon sprechen, dass dies in Auftrag gegeben wird, um ein Funktionieren der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Sondern vielmehr agiert dann ein Individuum, welches persönliche Ausgleichshandlungen in den Vordergrund stellt.
Das Funktionsrädchen "Macht" verfügt an sich über keine Moral, daher kann in dieser Funktion auch nach Belieben gemordet werden. Und dass der Massengehorsam funktioniert, dafür konnte man auch schon viele Beispiele in der Geschichte sehen.



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infinitum
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Groot hat geschrieben :
Mi 15. Dez 2021, 15:14


Besteht eine Egokratie seit jeher? Und wenn, wieso macht das die hehren Ziele der Moral zu Gehilfen der Macht? Aber ja, die passive Haltung Europas gegenüber dem Bösen, lässt sich ankreiden; siehe wieder Finanzkapitalismus und fehlende Solidarität zwischen den Menschen.
genau das ist der Punkt auf den ich hinaus wollte, mit Moral kann gearbeitet werden. Die, die sich an die Moral halten, sind berechenbar und können eingesetzt werden, um die Ziele durchzusetzen, die beliebig definierbar sein können.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 16. Dez 2021, 13:39
Yepp.

Nehmen wir an, wir fragen unser Kind, warum es das Meerschweinchen nicht quälen darf. Lautet die Antwort, "weil Papa es gesagt hat!", dann fehlt etwas Entscheidendes - nämlich die Einsicht in das Gebot. Zufriedener wären wäre, wenn das Kund sagt, dass es das Meerschwein nicht quält, weil es ihm weh tut :-) Erziehung zur Moral ist Erziehung zur Einsicht in das Richtige. Konditionierung oder Dressur hingegen sehen genau davon ab.
Es ist natürlich nichts an der Lehre der Moral auszusetzen, dass man A und B nicht tun soll oder dass man das Meerschweinchen nicht quälen soll. Sondern es geht darum, dass die Konditionierung derart passiert, dass sie automatisch und irgendwann ohne weitere Kontrolle funktioniert, wie Frederike schrieb.
Die Moral wird so verankert, dass man sie als vernünftig empfindet und auch nachvollziehen kann und damit sitzt sie tief. Man hält sich an Gebote ohne darauf zu achten, ob diese Gebote, wenn sie in einem Gesamtkontext eingefügt werden, doch noch eine andere Rolle spielen können.

Hannah Arendt schreibt in ihrer Banalität des Bösen davon, dass dieser Umstand zur Aufrechterhaltung eines Systems dient, welches durchaus unmoralische Ziele verfolgt.
Nimmt man ihre Geschichte, so führt ein Transportmitarbeiter nur in sich geschlossen seinen Job aus- er transportiert Juden von A nach B- danach weiß er nicht, was mit ihnen geschieht. Er führt an sich nur diese Aufgabe durch, aber im Prinzip war er ein Hauptbestandteil des Prozesses, die Massenermordung durchzuführen.



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Groot
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Sa 18. Dez 2021, 19:26

Im Idealismus ist die Sittlichkeit die Freiheit der Wahl; moralisch sein oder dem Triebe auch ab und an sein Recht zugestehen. Die damit einhergehende Freiheit (so man es so nennen möchte, diese Hölle, die einem der Idealismus als Freiheit verkaufen will) ist aber mehr, geht über Konditionierung hinaus und lässt bspw. den Unterschied von Konditionierung in Relation zur Abrichtung erkennen (oder den zwischen Verstandesbegriffen und empirischen Begriffen [aus denen die Verstandesbegriffe apprehensiv/"dem Soma folgend" entstehen])

Sicher ermöglicht ein blinder Gehorsam, dass man hinters Licht geführt von der List der Anderen. Aber als sittlicher Mensch sieht man ja auch, dass es unmöglich ist nicht in Starre zu verfallen und innerhalb der physiologischen Spanne zu sterben, wenn man wirklich dem Utilitarismus konsequent nachfolgt; weshalb man die Klugheit nicht vergessen darf, die sich global als Rhetorik zeigt oder aber situativ - und dort entweder strategisch und unmoralisch oder aber kommunikativ und der Idee der Sittlichkeit nachfolgend; aber natürlich nicht kopflos.

Viel interessanter ist die Tatsache, dass diese Konditionierung soziale Prozesse aufzeigt, die nicht rein Intentional sind, sondern auf das tatsächlich passierende Verhalten verweisen. Moral als solche wirkt grundsätzlich aber in der Juristerei; das juristische Subjekt ist ohne moralisch begründete Normativität unmöglich. Es entsteht daraus das Juridische, welches dem entgegensteht, was man das Justiziable nennen könnte.

Im Grunde scheinst du ja aber eher auf die Pädagogik abzuheben, die diese Kontrollinstanz ist. Die Frage wäre nur, ob die Moral noch die richtige ist für die Eingerichtetheit der Kontrollinstanz (zumindest in Westeuropa). Um hier eine kleinen Sprung in Strukturalismus zu machen; Foucault redet immer von struktureller Gewalt, die im Klassenzimmer und auf die Schüler und Lehrlinge wirke. Bei Luhmann kontrolliert sich das Klassenzimmer selbst, weil sich darin die Asymmetrie von Lehrer und Schüle, Meister und Lehrling zeigt und bei Parsons bspw. wird genau diese Maschinerie beschrieben, die wirkt, weil eine bestimmte Moral sich tradiert ergibt und Flügelschwünge in die Gegenwart bringt; diese Maschinerie der Schulen und Universitäten, der Sozialisierung und Erziehung, die sich an den jeweiligen Orten durchgesetzt haben. Je nachdem wo die Schule steht, sind hier natürlich unterschiedliche Normen und komplexe Wertgehäuse zu finden.




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Jörn Budesheim
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So 19. Dez 2021, 08:03

transfinitum hat geschrieben :
Fr 17. Dez 2021, 12:25
Die Moral wird so verankert, dass man sie als vernünftig empfindet und auch nachvollziehen kann und damit sitzt sie tief.
Nehmen wir rassistische Vorstellungen. Die werden sicherlich in irgendeiner Form "tradiert", es entsteht gleichsam ein gesamtes Klima von Rassismus, ein tief verankertes System, das sogar für manche Zeiten den Anschein von Vernünftigkeit geboten hat. Allerdings wird dabei gerade keine Moral verankert, sondern eine (als Moral getarnte) Unmoral.




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Friederike
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So 19. Dez 2021, 16:58

transfinitum hat geschrieben :
Fr 17. Dez 2021, 12:25
[...] Die Moral wird so verankert, dass man sie als vernünftig empfindet und auch nachvollziehen kann und damit sitzt sie tief. Man hält sich an Gebote ohne darauf zu achten, ob diese Gebote, wenn sie in einem Gesamtkontext eingefügt werden, doch noch eine andere Rolle spielen können.

Hannah Arendt schreibt in ihrer Banalität des Bösen davon, dass dieser Umstand zur Aufrechterhaltung eines Systems dient, welches durchaus unmoralische Ziele verfolgt.
Nimmt man ihre Geschichte, so führt ein Transportmitarbeiter nur in sich geschlossen seinen Job aus- er transportiert Juden von A nach B- danach weiß er nicht, was mit ihnen geschieht. Er führt an sich nur diese Aufgabe durch, aber im Prinzip war er ein Hauptbestandteil des Prozesses, die Massenermordung durchzuführen.
Neulich hatte ich zum Völkermord geschrieben, die Moral würde auf den Kopf gestellt, aber das stimmt gar nicht, wie ich jetzt feststelle. Das Tötungsverbot ist nicht umgedreht worden, sondern man hat das jüdische Volk und auch Sinti und Roma für eine Gefahr erklärt. Für Feinde der Gemeinschaft (sie würden in den Volkskörper eindringen und ihn zersetzen). Infolgedessen ist ihre Vernichtung "Notwehr". Notwehr gilt nach wie vor als ein Sachverhalt, der das Tötungsverbot einschränkt. Die Begründung ist vernünftig nachvollziehbar. Nun haben zwar viele Menschen gesehen/erkannt, daß es sich um einen Blödsinn, eine Lüge handelt, aber viele Menschen haben es geglaubt.

Ich setze meine Korrektur an diese Stelle und möchte sie aber nicht so verstanden wissen, als wolle ich Arendt damit widersprechen. Die Ausübung des pflichtgemäßen Tuns, das eine Arbeitsstelle verlangt, ist, so denke ich auch, unverzichtbar zur Durchführung gemeinschaftlichen Mordens.




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Ottington
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Mo 20. Dez 2021, 08:09

Friederike hat geschrieben :
So 19. Dez 2021, 16:58
transfinitum hat geschrieben :
Fr 17. Dez 2021, 12:25
[...] Die Moral wird so verankert, dass man sie als vernünftig empfindet und auch nachvollziehen kann und damit sitzt sie tief. Man hält sich an Gebote ohne darauf zu achten, ob diese Gebote, wenn sie in einem Gesamtkontext eingefügt werden, doch noch eine andere Rolle spielen können.

Hannah Arendt schreibt in ihrer Banalität des Bösen davon, dass dieser Umstand zur Aufrechterhaltung eines Systems dient, welches durchaus unmoralische Ziele verfolgt.
Nimmt man ihre Geschichte, so führt ein Transportmitarbeiter nur in sich geschlossen seinen Job aus- er transportiert Juden von A nach B- danach weiß er nicht, was mit ihnen geschieht. Er führt an sich nur diese Aufgabe durch, aber im Prinzip war er ein Hauptbestandteil des Prozesses, die Massenermordung durchzuführen.
Neulich hatte ich zum Völkermord geschrieben, die Moral würde auf den Kopf gestellt, aber das stimmt gar nicht, wie ich jetzt feststelle. Das Tötungsverbot ist nicht umgedreht worden, sondern man hat das jüdische Volk und auch Sinti und Roma für eine Gefahr erklärt. Für Feinde der Gemeinschaft (sie würden in den Volkskörper eindringen und ihn zersetzen). Infolgedessen ist ihre Vernichtung "Notwehr". Notwehr gilt nach wie vor als ein Sachverhalt, der das Tötungsverbot einschränkt. Die Begründung ist vernünftig nachvollziehbar. Nun haben zwar viele Menschen gesehen/erkannt, daß es sich um einen Blödsinn, eine Lüge handelt, aber viele Menschen haben es geglaubt.

Ich setze meine Korrektur an diese Stelle und möchte sie aber nicht so verstanden wissen, als wolle ich Arendt damit widersprechen. Die Ausübung des pflichtgemäßen Tuns, das eine Arbeitsstelle verlangt, ist, so denke ich auch, unverzichtbar zur Durchführung gemeinschaftlichen Mordens.
Und dennoch ist die Moral das einzige, was den Einzelnen zum Nach- und Umdenken bewegen kann.




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Fr 8. Jul 2022, 22:02

transfinitum hat geschrieben :
Fr 17. Dez 2021, 12:25


Es ist natürlich nichts an der Lehre der Moral auszusetzen, dass man A und B nicht tun soll oder dass man das Meerschweinchen nicht quälen soll. Sondern es geht darum, dass die Konditionierung derart passiert, dass sie automatisch und irgendwann ohne weitere Kontrolle funktioniert, wie Frederike schrieb.
Die Moral wird so verankert, dass man sie als vernünftig empfindet und auch nachvollziehen kann und damit sitzt sie tief. Man hält sich an Gebote ohne darauf zu achten, ob diese Gebote, wenn sie in einem Gesamtkontext eingefügt werden, doch noch eine andere Rolle spielen können.
Das ist - liest sich zunmindest als solche Betriebsanleitung - Ideologie-Machwerk.
transfinitum hat geschrieben :
Fr 17. Dez 2021, 12:25
seinen Job aus- er transportiert Juden von A nach B- danach weiß er nicht, was mit ihnen geschieht. Er führt an sich nur diese Aufgabe durch, aber im Prinzip war er ein Hauptbestandteil des Prozesses, die Massenermordung durchzuführen.
Ja, Nationalmasochsimus. währdend die ersten Juden im jüdischen Staat Israel versuchen Deutsche abzutöten. Na und? Kann man sich irgendwann als Deutscher mit Entscheidungsgewalt ohne das Wort Jude im Wort unterhalten? Jude hier, Jude da, Jude überall... und da darf man sich fürchten, vor dem aufkommen von Antjudiaismus.

Weil ihr kein völkisch-nationales Erbe meint, zu spüren, außer nationalmasochsitischen Gefühlen, räumt ihr anderen Pflichten Fremdeherrschaftlichen entgegen!



Zum Punkt kommen! Der Kern, der Inhalt einer Thematik: Das Außenherum ist nur Fruchtfleisch für seichte Unterhaltungen. Tiefgehend in der See Mittelpunktum, nicht nur seichte Gewässer dessen betreten.

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