Mitsprache in der Politik
- Jörn Budesheim
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Ich fände es mal spannend, folgende Frage zu diskutieren: warum schaukeln sich die Debatten wie diese so oft so schnell hoch und werden so erhitzt geführt? Was bedeutet das für die Mitsprache? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das eine neue Erscheinung ist, obwohl es meistens so gehandelt wird (und ich es auch vermute). Gibt es darüber Untersuchungen?
- Lucian Wing
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Das ist eine polemische Frage aus einem unzulässigen Umkehrschluss.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 15:53
Drittens: sollte man die Sprache deiner Ansicht nach eher gemäß unmoralischer Kriterien formen?
Aber im Ernst: Eine Sprache, in der im Mittelpunkt steht, dass jeder in irgendeiner Form der Identität und/oder seiner Gefühlslage abgebildet sein muss, endet in einer Kakophonie. Deutsch ist schon ohne dieses absurde Theater ein Alptraum für Fremde (und Lehrer, die ihnen die Sprache beibringen sollen). Mit der teilweise völlig sinnfreien, aber moralisch korrekten Grammatik, verkompliziert sich das Ganze noch einmal. Am Ende einer auf Identitätres und individuelle Gefühle abgestellten Sprache steht die Unverständlichkeit bzw. die reine Anarchie.
Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)
- Jörn Budesheim
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Ich weiß nicht, ob diese Frage wirklich im Mittelpunkt der Sprache steht. Wie auch immer: eine Sprache, welche die vielfältige Wirklichkeit so abbildet, wie sie ist, endet nicht zwingend in einer Kakophonie. Meines Erachtens wird die Sprache dadurch eher so bunt wie das Leben selbst. Ich für meinen Teil habe Spaß daran, die neuen Formen auszuprobieren, auch wenn es mir nicht immer leicht fällt, weil ich über ein halbes Jahrhundert nichts anderes als die alten Formen gekannt habe.Lucian Wing hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 17:05Eine Sprache, in der im Mittelpunkt steht, dass jeder in irgendeiner Form der Identität und/oder seiner Gefühlslage abgebildet sein muss, endet in einer Kakophonie.
- Lucian Wing
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Also ich sehe das so: Die "Buntheit" ist für mich nicht ausschlaggebend, wobei ich sowie glaube, dass die ganzen Partizipkonstruktionen keine Buntheit schaffen, sondern bestimmte Schärfen verwischen und auf lange Sicht Ausdrucksmöglichkeiten nehmen. "Bunt" ist ein typisches Elitenwort, moralisch und weltanschaulich aufgeladen. Und "neue Formen" auszuprobieren ist ein intellektuelles Spiel von Müßiggängern - Sprache als Selbstzweck der müßigen Klasse. Und schon darin steckt eben das, was ich behaupte, nämlich dass es nicht um materielle Wirklichkeit geht, sondern dir ums Ästhetische und den anderen Pro-Leuten ums Moralische, vorzugsweise das eigene gute Gewissen. Das ist ein subjektiver Erfahrungswert mit Anspruch auf materielle Objektivität. Die Veränderungsrichtung sprachlicher Wirklichkeit läuft vertikal und dort machttheoretisch top-down durchgesetzt. Auf Gefühls- und Gesinnungsbasis mit Ausnahmen wie dir, die es als ästhetisierende Spielerei betrachten.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 17:20Ich weiß nicht, ob diese Frage wirklich im Mittelpunkt der Sprache steht. Wie auch immer: eine Sprache, welche die vielfältige Wirklichkeit so abbildet, wie sie ist, endet nicht zwingend in einer Kakophonie. Meines Erachtens wird die Sprache dadurch eher so bunt wie das Leben selbst. Ich für meinen Teil habe Spaß daran, die neuen Formen auszuprobieren, auch wenn es mir nicht immer leicht fällt, weil ich über ein halbes Jahrhundert nichts anderes als die alten Formen gekannt habe.Lucian Wing hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 17:05Eine Sprache, in der im Mittelpunkt steht, dass jeder in irgendeiner Form der Identität und/oder seiner Gefühlslage abgebildet sein muss, endet in einer Kakophonie.
Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)
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Ich kann dir das aus meiner subjektiven Sicht sagen: Das Ausmaß, in dem aus allen Richtungen in meine moralische Lebensführung eingegriffen wird, hat in den letzten beiden Jahrzehnten zugenommen, und mit Wokeness, Gendern und ähnlichen Programmen einer ganz bestimmten Politklasse zieht das immer mehr an. Ich hatte im Sommer im Kaffeestübchen schon einmal die Frage Berlins zur negativen Freiheit eingestellt, welcher Bereich des Lebens eines Menschen frei von Einmischung durch andere Menschen oder Institutionen sein soll. Und dieser Bereich nimmt dramatisch ab, weil Politik sich heute nicht mehr als die Kunst des Interessenausgleichs der Bürger versteht, sondern als irrlichternder Vollzugsgehilfe moralischer und identitärer Anspruchsgruppen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 16:36Ich fände es mal spannend, folgende Frage zu diskutieren: warum schaukeln sich die Debatten wie diese so oft so schnell hoch und werden so erhitzt geführt? Was bedeutet das für die Mitsprache? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das eine neue Erscheinung ist, obwohl es meistens so gehandelt wird (und ich es auch vermute). Gibt es darüber Untersuchungen?
Und alle Mittel sind recht. Ich muss mir nur anschauen, dass sozialkonstruktivistische Identitätspolitiker ein Problem mit zwei biologischen Geschlechtern haben, andererseits aber aus einem Naturrecht Menschenrechte ableiten oder den Begriff der Menschenwürde. Das ist die größte philosophische Lachnummer, nur das glücklicherweise kaum jemand diesen philosophischen Hintertreppenwitz versteht.
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Inwiefern ist das eine Antwort auf die Frage, warum sich die entsprechenden Diskussionen oft so schnell hochschaukeln?
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Ich erlebe das völlig anders. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass in meine moralische Lebensführung in irgendeiner Form eingegriffen wird. Nicht im mindesten! Möglicherweise gibt es jedoch heute mehr Dinge, die moralisch thematisiert werden, als früher. Sicher bin ich da jedoch nicht. Aber vermutlich. Ich habe jedoch das Gefühl, dass ich mich da völlig frei positionieren kann und erlebe nichts davon als Eingriff.Lucian Wing hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 18:20Ich kann dir das aus meiner subjektiven Sicht sagen: Das Ausmaß, in dem aus allen Richtungen in meine moralische Lebensführung eingegriffen wird, hat in den letzten beiden Jahrzehnten zugenommen, und mit Wokeness, Gendern und ähnlichen Programmen einer ganz bestimmten Politklasse zieht das immer mehr an.
Was mir heute dadurch viel deutlicher geworden ist, dass sehr viel mehr Dinge moralisch von Relevanz sind, als ich früher bemerkt habe. (Denkbar ist natürlich auch, dass ich dafür einfach taub war.) Das empfinde ich jedoch eher als Bereicherung, auch wenn vieles natürlich schwierig umzusetzen ist. Apropos umsetzen: Ich bin mir dabei nicht ganz sicher, wie viel der oder die einzelne sollte und was letztlich eigentlich Aufgabe der Gesetzgebung ist.
Allein die Antwort bzw. die Antworten auf diese Frage haben das Potential dazu, dass sich die Diskussion hochschaukelt und aus dem Ruder laufen kann.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 18:28Inwiefern ist das eine Antwort auf die Frage, warum sich die entsprechenden Diskussionen oft so schnell hochschaukeln?
Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Deswegen erlebe ich unsere Zeit als eine Zerrissene. Denn ich habe das Gefühl, dass auf der einen Seite viele richtig gute Sachen passieren, während auf der anderen Seite eine Katastrophe die andere jagd.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 18:39Das empfinde ich jedoch eher als Bereicherung ...
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Allein solche, ich sage mal: untergründigen Bemerkungen wären angetan, dafür zu sorgen. So ein Bandenspiel mit dem "Freund" gegen den "Feind". Hübsch. Im Fußball nennt man so etwas Nicklichkeiten.Stefanie hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 18:43Allein die Antwort bzw. die Antworten auf diese Frage haben das Potential dazu, dass sich die Diskussion hochschaukelt und aus dem Ruder laufen kann.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 18:28Inwiefern ist das eine Antwort auf die Frage, warum sich die entsprechenden Diskussionen oft so schnell hochschaukeln?
Keine Angst, es gibt nicht mehr an dieser Stelle zu sagen. Irgendwann sollte man seine eigene Position klargemacht und die des anderen verstanden haben. Dann ist alles gut.
Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)
"Wir" (?) achten die Banker? Kannst Du diese Behauptung belegen oder begründen?sybok hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 08:40Welches "Umerziehungs-System", das Anreizsystem? Die Politik, die Gesellschaft. Warum achten wir beispielsweise Banker und bezahlen sie entsprechend, wenn doch beispielsweise eine Kindergärtnerin oder Pflegerin wahrscheinlich im eigentlichen Sinn von "Leistung" mehr oder mindestens gleich viel leisten (und auch weitaus "systemrelevanter" sind)? Warum werden sie als intelligent betrachtet, als Leute die "ihr Fach verstehen", obwohl sie uns die Finanzkrise beschert haben? Usw.
"...tatsächlich haben wohl nur wenige Berufe in den vergangenen Jahren derart an Prestige eingebüßt wie der des Bankers." https://www.welt.de/wirtschaft/karriere ... htert.html
Pädagigische und pflegerische Fachkräfte werden positiv angesehen insbesondere nach Corona.
Die taz zur ersten Veranstaltung der neuen liberal-konservativen Denkfabrik R 21 unter dem Motto „Wokes Deutschland – Identitätspolitik als Bedrohung unserer Freiheit?“:Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 20. Nov 2022, 18:28Inwiefern ist das eine Antwort auf die Frage, warum sich die entsprechenden Diskussionen oft so schnell hochschaukeln?
"Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hat die linken Bewegungen in den USA einst ermahnt: „Don't be too woke.“
Für die politische Kultur in Deutschland wäre es günstig, wenn Liberal-Konservative den Satz „Don't be too antiwoke“ beherzigen würden. Mehr jedenfalls, als es bei R 21 der Fall ist." https://taz.de/Anti-Wokeness-Kongress-i ... /!5890581/
Die Gesellschaft, also die "Normalos", spaltet sich wohl nicht in diverse Identitäten; vom angeblich "woken Deutschland" bis zum Gegenteil einer angeblich liberal-konservativen Sprach-Elite. Obwohl die so genannten neuen Medien solche "Extreme" zumindest verstärken und entsprechende Biotope bieten.
Aber es ist wohl so, dass mehr oder wenig latente identitäre Reizbarkeiten in der Twitter-/Facebook-/Intergram-/usw. Welt umherschwirren und reiz-reaktionsmäßig (re-)agieren.
Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg bedauert in dem taz-Artikel wie der Islamwissenschaftler Thomas Bauer in seinem Reclam-Büchlein "Die Vereindeutigung der Welt" die wachsende „Sehnsucht nach Eindeutigkeit“ und die Unfähigkeit, Mehrdeutigkeiten auszuhalten.
Ja, zum Beispiel anhand des "Drehtüreffekts", der überproportionalen Vertretung von Finanzwirtschaftlern in der Politik. Aktuellstes prominentes Beispiel ist mW der neue englische Premier, Rishi Sunak.
Rishi Sunak wurde 2019 in seinem Wahlkreis mit 63,6 % der Stimmen gewählt.
Wahrscheinlich eher nicht, weil er von seinen Wähler als ehemaliger Banker "geachtet" wurde.
Es gibt darüberhinaus weder einen "Drehtüreffekt" noch eine "überproportionale Vertretung von Finanzwirtschaftlern in der Politik".
Stöhn!