Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ Di 29. Nov 2022, 06:05
Lucian Wing hat geschrieben : ↑ Mo 28. Nov 2022, 22:16
Was als "Menschenpflicht" hier bezeichnet wird, ist eine Norm, die ein bestimmtes Verhalten fordert. Und eine Norm ist eine Frage der Geltung, und das "Warum" kann "nicht mit der Feststellung einer Seinstatsache beantwortet" werden, wie Kelsen m.E. zurecht sagt. Aber genau das wird hier für die "Menschenpflichten" behauptet.
Dass der Mensch frei ist, was du selbst wiederholt gelten machst, ist aber nicht einfach eine Seinstatsache, sondern in sich bereits ein normativer Tatbestand.
Ich sage überhaupt nicht, der Mensch sei frei. Ich tu mich schwer mit solchen Formeln, und ich vertrete auch keine irgendwie gearteten libertären Positionen. Und als naturalistische Aussage macht es auch keinen Sinn. Die Formel ist eigentlich nur innerhalb des Modells der natürlichen Rechte sinnvoll. Ohne diese natürlichen Rechte bleibt sie leer.
Den Freiheitsbegriff gibt es für mich auf zwei Ebenen. Die eine ist diejenige, auf der wir über Willensfreiheit, Handlungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf natürliche menschliche Fähigkeiten, Vermögen und Ausstattung (wie Gehirn) diskutieren. Und es gibt die Ebene von Gesellschaft und Politik, und nur die sehe ich bei normativen Fragen wie den Rechten und Pflichten betroffen.
Das "Drama" der Freiheit ist auf dieser politisch-gesellschaftlichen Ebene angesiedelt. Hier geht es um Normen: sittliche, moralische und rechtliche, die unterschiedliche Geltungsansprüche erheben und unterschiedlich durchgesetzt werden, aber eines gemeinsam haben: Sie zielen alle ausnahmslos auf die Regulierung menschlichen Verhaltens ab. Oder, wenn wir uns eines Tages entschließen, einer KI einen menschengleichen Status zu geben, eben auch auf deren Verhalten. Eine Norm sagt immer, wie man innerhalb einer wie auch immer definierten Gemeinschaft handeln oder sich verhalten darf oder muss oder worauf man Anspruch hat. Letzteres inzwischen inflationär, was zu dem schon erwähnten Paradoxon führt, dass die Totalität des Individualismus Freiheit nicht fördert, sondern stranguliert. (Daran sind im Kleinen auch die ganzen Hippie- und Anarchokommunen letztendlich gescheitert.)
Aus den selbst gegebenen Normen folgen Rechte und Pflichten. Natürlich zielen die auf Menschen, weil wir eben als solche unser Zusammenleben, unsere Kooperation regeln. Und natürlich werden auch ein paar Seinstatsachen einbezogen. Eine Pflicht zum Fliegen aus eigener Kraft wäre sicherlich aus höchst natürlichen Gründen ein Unfug.
Rechte werden verliehen, Pflichten auferlegt. Ihre Legitimation gewinnen sie aus der Akzeptanz der Gründe. Insofern "hat" man als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft solche Rechte und Pflichten. Wer auf dem Mars einen (endlichen) Ein-Personen-Staat errichtet, hat keine. Je weniger Gründe gegeben werden, um sie zu legitimieren, desto stärker werden sie auf reiner Machtbasis durchgesetzt. Daher eben auch mein Einwand, dass wer Intersubjektivität ablehnt, weil eine Mehrheit "durchregieren" könnte, eben auf Macht setzen muss statt auf Akzeptanz. Man bringt die Freiheit aus Angst vor der Unfreiheit um. Auch ein Weg.
Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)