Was ist (menschliches) Handeln und warum handeln Menschen?

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Friederike
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Di 19. Sep 2017, 12:49

Aus dem "Kaffeestübchen" habe ich die Beiträge herauskopiert, in denen Fragestellungen zur "Handlungstheorie" angesprochen worden sind. Weil sich elegantere technische Möglichkeiten meiner Kenntnis entziehen, habe ich das "händisch" (Jörns Ausdruck) getan und die entsprechenden Beiträge untereinander gestellt. Falls Ihr, @Alethos + @Segler, Euch an irgendeiner Stelle nicht korrekt wiedergegeben findet, bitte sagt es.
Alethos hat geschrieben :
Segler hat geschrieben : Mit diesem Thema bin ich ziemlich durch. Derzeit interessiert mich eher die Frage, was das handlungsleitende Element ist. Warum handeln wir? Was treibt uns dazu an?
Spannend. Kannst du einen Text verlinken? Ein neuer Thread würde sich sicher lohnen.
Friederike hat geschrieben : Ha Alethos, das ist eine wundervolle Gelegenheit, Dir einen meinen Leib- und Magentexte zu verlinken. CharlesTaylor, "Was ist menschliches Handeln?" Es geht darin um "Wünsche erster und zweiter Ordnung" (im Anschluß an H. Frankfurt), um Werte und Wünsche, die der Auswahl von Handlungsoptionen zugrundeliegen und, aus meiner Sicht ein entscheidener Aspekt, die Identität von Menschen. Der Aufsatz ist nicht allzu lang, didaktisch freundlich aufbereitet, :lol: ... das schreibe ich, weil Du zu Beginn von Deinem nicht unstressigen und durchgeplanten Alltagsleben erzählt hattest.
Segler hat geschrieben : Der Aufsatz von Taylor ist schön. Er gefällt mir besser als das was Frankfurt, der alte Determinist, dazu geschrieben hat. Mein Interesse geht allerdings in eine andere Richtung. Die Frage lautet nicht "Was ist Handeln?", sondern vielmehr "Warum Handeln wir?". Das bleibt in den Werken der Protagonisten der Handlungstheorie weitgehend offen. Die Literatur konzentriert sich auf die Frage, was Handeln ist. Die Fragestellung taucht angewandt in der Ethik auf. Die ethischen Theorien versuchen zwar die Frage, was ethisches Handeln ist, zu beantworten, schweigen aber zu der Frage, warum man überhaupt ethisch handeln soll. Es ist empirisch verifizierbar, dass es Personen gibt, die trotz ausgesprochen bösartigem Verhalten gut leben.
Segler hat geschrieben :
Alethos hat geschrieben : CharlesTaylor, "Was ist menschliches Handeln?" Habe den Text durch und obwohl mir vieles klar ist (er ist tatsächlich in einer verständlichen Sprache gehalten), gäbe er viel her für eine darauf aufbauende Diskussion. Halte ich für ein wirklich lohnendes Thema. Ich kenne den zugrunde gelegten Text nicht, aber vielleicht gibt es eine öffentliche Ausgabe, die du zur Verfügung stellen kannst? Ethisches Handeln halte ich für ein Thema, das uns alle im Leben berührt und beschäftigt. Wenn wir im Alltag auch selten wirklich tiefergehende Reflexionen anstellen, um unsere täglichen Handlungen nach ethischen Gesichtspunkten zu beurteilen, so würde sich gerade deshalb ein philosophischer Austausch darüber lohnen.
Wenn es diesen Text gäbe, wäre meine Forschungsfrage vielleicht schon beantwortet. So muss ich weitersuchen.
Alethos hat geschrieben : Oder wir fangen einfach an und versuchen, eine Handlungstheorie zu beschreiben und mitzuschreiben ...
Friederike hat geschrieben :
Segler hat geschrieben : Mein Interesse geht allerdings in eine andere Richtung. Die Frage lautet nicht "Was ist Handeln?", sondern vielmehr "Warum Handeln wir?". Das bleibt in den Werken der Protagonisten der Handlungstheorie weitgehend offen. Die Literatur konzentriert sich auf die Frage, was Handeln ist.
Ich glaube fast, daß mir nicht klar ist, was Du meinst. So wie ich Deine Frage verstehe, würde ich lapidar antworten, daß wir doch gar nicht anders können als handeln. Daß unser Leben aus einer ununterbrochenen Abfolge von Handlungsvollzügen besteht. Vom morgendlichen Aufstehen an. Die meisten der alltäglichen Handlungsentscheidungen werden sicher unreflektiert getroffen, was aber nichts daran ändert, daß wir uns entscheiden. Mehr oder weniger überlegt bzw. mehr oder weniger automatisch. Das kann es irgendwie nicht sein, wovon Du meinst, es sei eine Forschungslücke?
Segler hat geschrieben : Meine Frage lautet vereinfacht: "Warum führe ich Handlung H aus? Dafür muss es einen Grund geben. Unreflektierte Tätigkeit ist kein Handeln in diesem Sinne. Die Aufgabe ist es nun, aus einer Vielzahl möglicher Gründe für unterschiedlichste Handlungen zu abstrahieren, um so das zentrale handlungsleitende Element zu finden, das allen Handlungen zugrunde liegt. Welcher Schalter muss auf ON stehen, damit eine Handlung nicht unterlassen wird?




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Friederike
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Di 19. Sep 2017, 15:00

Segler hat geschrieben : Meine Frage lautet vereinfacht: "Warum führe ich Handlung H aus? Dafür muss es einen Grund geben. Unreflektierte Tätigkeit ist kein Handeln in diesem Sinne. Die Aufgabe ist es nun, aus einer Vielzahl möglicher Gründe für unterschiedlichste Handlungen zu abstrahieren, um so das zentrale handlungsleitende Element zu finden, das allen Handlungen zugrunde liegt. Welcher Schalter muss auf ON stehen, damit eine Handlung nicht unterlassen wird?
Das heißt, Du setzt voraus, daß Nicht-Handeln der Normalzustand ist, aus dem herauszutreten es (irgend)-eines Grundes/Antriebes/Anlasses bedarf?

NS: Nein, irgendwas verstehe ich an Deiner Fragestellung nicht. "Warum führe ich Handlung H aus? Welcher Schalter muss auf ON stehen, damit eine Handlung nicht unterlassen wird?" Dazu siehe meine obige Verständnisnachfrage. Ich würde eigentlich sagen, daß sowohl "Handeln" als auch "Nicht-Handeln" Handlungen sind. Das bedeutet, daß ich die Voraussetzung Deiner Fragestellung nicht teile. "Die Aufgabe ist es nun, aus einer Vielzahl möglicher Gründe für unterschiedlichste Handlungen zu abstrahieren, um so das zentrale handlungsleitende Element zu finden, das allen Handlungen zugrunde liegt." Das wiederum, meine ich, ist eine andere Frage. Nämlich die nach den Beweggründen einer Person X bzw. genau genommen die nach dem einen Beweggrund, den eine Person zu einer bestimmten Handlung veranlaßt.




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Jörn Budesheim
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Di 19. Sep 2017, 19:05

Ist das ein Lesethread, der sich mit Taylors Text beschäftigt? Oder ist er Freestyle?




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Friederike
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Di 19. Sep 2017, 19:31

Jörn Budesheim hat geschrieben : Ist das ein Lesethread, der sich mit Taylors Text beschäftigt? Oder ist er Freestyle?
Ich habe lediglich getan, was Hermeneuticus aus Zeitgründen nicht tun konnte (siehe "Kaffeestübchen". Das heißt, ich übernehme keine Verantwortung :lol:). Wenn ich mir den Gesprächsverlauf dort ansehe, dann meine ich, daß wir Handlungstheoretisches allgemein thematisieren, je nachdem, wie wir uns voneinander inspirieren lassen. Also "Freestyle" wohl. 8-)




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Jörn Budesheim
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Di 19. Sep 2017, 20:22

Segler hat geschrieben : Meine Frage lautet vereinfacht: "Warum führe ich Handlung H aus? Dafür muss es einen Grund geben. Unreflektierte Tätigkeit ist kein Handeln in diesem Sinne. Die Aufgabe ist es nun, aus einer Vielzahl möglicher Gründe für unterschiedlichste Handlungen zu abstrahieren, um so das zentrale handlungsleitende Element zu finden, das allen Handlungen zugrunde liegt. Welcher Schalter muss auf ON stehen, damit eine Handlung nicht unterlassen wird?
Beim Lesen deines Textes schwanke ich zwischen zwei Interpretationen. Einerseits liest er sich so, als wärest du (offensichtlich zurecht) der Ansicht, dass jede einzelne Handlungen einen Grund haben muss. Und andererseits liesst der Text sich aber so, als würdest du meinen, dass alle Handlung einen gemeinsamen Grund haben müssten ... Oder etwas in der Art. So richtig schlau werde ich daraus nicht.




Segler
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Di 19. Sep 2017, 20:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 20:22

Beim Lesen deines Textes schwanke ich zwischen zwei Interpretationen. Einerseits liest er sich so, als wärest du (offensichtlich zurecht) der Ansicht, dass jede einzelne Handlungen einen Grund haben muss. Und andererseits liesst der Text sich aber so, als würdest du meinen, dass alle Handlung einen gemeinsamen Grund haben müssten ... Oder etwas in der Art. So richtig schlau werde ich daraus nicht.
Beide Aspekte habe ich tatsächlich angesprochen. Jede einzelne Handlung muss einen Grund haben. Hier ist der Begriff Grund eher weit gefasst. Meine Frage lautet nun, lassen sich alle Gründe für einzelne Handlungen auf ein einzelnes Element abstrahieren, dass immer dann gegeben ist, wenn ein Subjekt handelt. Das wäre sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner aller Handlungen.




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Jörn Budesheim
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Di 19. Sep 2017, 20:57

Bei einer Handlung kann man in der Regel fragen, warum jemand etwas gemacht hat, was die Absicht war. Ich glaube kaum, dass es eine bestimmte Absicht gibt, die man bei allen Handlungen hat, außer eben dass alle Handlungen Absichten verfolgen...




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Stefanie
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Di 19. Sep 2017, 21:56

Grundsatzfrage: Verfolgt eine Handlung ein zukünftiges Ziel - Absicht? Erfolgt eine Handlung aufgrund eines Motives oder eines Beweggrundes, ist das auch einen Absicht? Ist eine Handlung das Ergebnisse eines Grundes, oder eine Ursache? Reagiere ich mit einer Handlung auf etwas, was nicht unbedingt von mir selber gesetzt wurde, also Ursache? Oder agiere ich von mir aus, ohne, dass vorher etwas passierte auf das ich reagiere, und verfolge eine Absicht?

Mir sind die unterschiedlichen Begrifflichkeiten nicht ganz klar, und ob sie alle das identische meinen.



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Jörn Budesheim
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Mi 20. Sep 2017, 05:41

Wenn man fragt, warum etwas geschehen ist, kommen (vermutlich neben anderem) sowohl Gründe als auch Motive als auch Ursachen als Antwort in Frage. Aber sie antworten in verschiedene Richtung, sie nehmen unterschiedliche Momente in den Blick.

Ich würde zunächst vorsichtig zwischen Ursachen und Motiven auf der einen Seite und Gründen auf der anderen Seite unterscheiden. (Ich schätze jedoch, dass der Sprachgebrauch sowohl in der Philosophie als auch im Alltag hier nicht eindeutig ist. Insbesondere beim Begriff Motiv.)

Gründe sind Tatsachen, die für etwas sprechen. Gründe erlauben, etwas zu rechtfertigen. Dieses normative Element fehlt bei Ursachen und Motiven, beide würde ich eher zur kausalen Dimension von Handlung zählen. Ursache dürfte hier der allgemeinere Begriff sein und kann sich auch auf so etwas wie Dopamin-Ausschüttungen oder Vorgänge in den Gelenken beziehen, während Motive oftmals eher als psychische Ursachen verstanden werden.

Handlungen hätte man auch unterlassen können, daher passt der Begriff Ursache in diesen Zusammenhang nicht wirklich hinein, da Ursachen immer etwas zwangsläufiges haben. Ursachen, egal welcher Art, können jedoch nicht alle Dimension der Handlung erfassen, welche normatives enthält und sowohl Zwecke als auch Ziele in Anschlag bringt.




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Alethos
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Mi 20. Sep 2017, 08:58

Stefanie hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 21:56
Mir sind die unterschiedlichen Begrifflichkeiten nicht ganz klar, und ob sie alle das identische meinen.
Mir auch nicht. Vielleicht ist es wichtig, dass wir diese Begriffsklärung am Anfang vornehmen. Jörn hat da ja auch schön vorgelegt.

Eine Bewegung, obwohl sie sich immer auf ein Zukünftiges hinbewegt, muss nicht immer teleologisch sein. Eine Absicht zu haben ist nicht zwingend, um eine Bewegung auszuführen.

Ich verstehe aber unter Handlung nicht einfach eine wie auch immer geartete Bewegung des Körpers. Die Absicht x zu tun, weil , d.h. das teleologische Moment
der Zweckerfüllung macht aus einer Bewegung eine Handlung. Diese muss nicht zwingend reflektiert werden, sie geschieht ja im Alltag auch sehr oft ohne bedacht zu werden. Aber dennoch verbinden wir in diesen alltäglichen Momenten ein Nacheinander unserer Handlungen zu einem funktionellen Ganzen, das zu einem Ziel hinführt. Die Zwischenhandlungen, z.B. beim Abwaschen zuerst diesen und dann den nächsten Teller zu waschen oder beim Autofahren zuerst zu blinken und dann rechts abzubiegen, das sind alles wahrscheinlich nicht einzeln reflektierte Einzelhandlungen, die aber einem übergeordneten Ziel 'gehorchen'. Gehorchen deshalb, weil obwohl ein Grund doch sehr wohl frei gesetzt werden kann, sich daraus gewisse Optionen zwingend ergeben und andere ausschliessen. Ich kann nicht wollen, ein Athlet zu werden, ohne die bestimmten Handlungen zu vollziehen, die mich dahin bringen und andere zu unterlassen, die es nicht tun.

Ich spreche, ob zurecht oder nicht, im Zusammenhang mit Handlungen also immer nur von Gründen, nicht von Ursachen. Denn mögen auch Ursachen am mechanischen Ablauf der Körper am Vollzug von Handlungen beteiligt sein, so sind sie es nicht bei der Qualifizierung einer Bewegung als Handlung.

Nun lassen sich aber ganz verschiedene Gründe denken, die eine Handlung veranlassen können: innere Einstellungen, (Grund-)Bedürfnisse, äussere Umstände. Besonders bei letzteren fragt sich, ob wir uns als Spielball der Umstände begreifen wollen oder als mit der Umwelt interagierdende Vernunftswesen. Nun, bei letzterem implizieren wir, dass zu handeln eine Sache der Vernunft sei, wobei dies wiederum nicht heisst, dass jede Handlung vernünftig ist. Man kann sich ja auch in seinen Begründungen irren.

Motivationen wiederum sind innere Umstände, an denen ich mit meinen Bedürfnissen und Gefühlen massgeblich beteiligt bin :) Es gibt wohl kein Richtig oder Falsch unserer Handlungen im Sinne einer Folgerichtigkeit oder -unrichtigkeit unserer Motivationen, aber dennoch sagen wir, dass eine Handlung richtig oder falsch war.

Wir beurteilen unsere Handlungen nach fachmännischen Gesichtspunkten, nach juristischen, nach ethischen etc. Dieses Bewertetwerden von Handlungen zeigt aber grundsätzlich nur den Kontext von Handlungen an, d.h. verweisen auf den Zusammenhang, in welchen Handlungen vorkommen. Implizit ethisch und richtig, falsch oder unwürdig ist eine Handlung nicht.

Nun würde ich, dies alles gesagt, folgende Kategorisierung vornehmen:

Ursachen = eine (Tat)Sache bewegende Kraft
Motiv = ein innerer Antrieb, der mich etwas zu tun bewegt
Motivation = ein innerer Umstand, dem ich nachgeben kann
Grund = Tatsachen, die für etwas sprechen und deretwegen ich die eine Handlungsoption wähle.

Aufsteigend von Ursachen zu Gründen scheint eine Wahl zu haben immer möglicher.

Dann war ja noch von Gründen 1. und 2. Ordnung die Rede.



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Mi 20. Sep 2017, 09:27

Stefanie hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 21:56
Grundsatzfrage: Verfolgt eine Handlung ein zukünftiges Ziel - Absicht?
Ich gehe davon aus, das ein Ziel, eine Absicht, notwendige Bedingung ist. Warum sollte jemand handeln, wenn er nicht die Absicht hätte, die Welt zu verändern?
Erfolgt eine Handlung aufgrund eines Motives oder eines Beweggrundes, ist das auch einen Absicht?
Beides. Motiv und Absicht sind zwar ähnliche Begriffe, können aber wohl unterschieden werden. Absichten sind immer zielgerichtet. Motive können vielfältiger und durchaus diffus sein. In ein Motiv können auch Gründe und Determinationen einfließen, es entsteht sozusagen aus der Vergangenheit heraus, während eine Absicht immer in die Zukunft gerichtet ist.
Ist eine Handlung das Ergebnisse eines Grundes, oder eine Ursache? Reagiere ich mit einer Handlung auf etwas, was nicht unbedingt von mir selber gesetzt wurde, also Ursache? Oder agiere ich von mir aus, ohne, dass vorher etwas passierte auf das ich reagiere, und verfolge eine Absicht?
Mindestens ein Grund ist notwendige Voraussetzung für eine Handlung. Warum sollte man handeln, wenn man keinen Grund dafür hat? Wenn man nicht gerade Solipsist ist, werden in jede Handlung auch Gründe einfließen, die nicht vom handelnden Subjekt gesetzt wurden. Die raumzeitlichen Tatsachen können nicht ignoriert werden.

Jetzt haben wir einige notwendige Bedingungen für Handlungen. Was ist ein hinreichender Grund?


Ich stelle jetzt mal eine These in den Raum:

Bei jeder Handlung ist die Hoffnung vorhanden, die Welt durch die Handlung in einen zu bevorzugenden Zustand zu bringen. Sie wird nach der Handlung besser sein, als sie ohne die Handlung wäre. Den Begriff Hoffnung verwende ich hier, obwohl er deutlich theologisch konnotiert ist. Vielleicht könnte man ihn auch durch einen neutraleren Begriff wie positive Erwartung ersetzen. Hoffnung scheint mir allerdings treffender zu sein. Bis jetzt ist mir kein Beispiel eingefallen, in dem jemand handelt, ohne die Erwartung, dass durch die Handlung ein besserer Zustand der Welt erreicht wird, als durch jede andere verfügbare Handlungsoption inklusive des Nichtstuns.

Diese Überlegungen setzten einen rationalistischen Handlungsbegriff voraus.

Handlungen sind freiwillig. Sie können auch unterlassen werden.
Handlungen sind bewusst. Sie beruhen auf einer rationalen Entscheidung.
Handeln kann nur ein Subjekt, das zur Selbstreflexion und zur Setzung von Zielen fähig ist.

Alle anderen Tätigkeiten sind keine Handlungen in diesem Sinne. Das betrifft unter anderem alle Aktivitäten, die durch weitgehende Determination, Instinkt oder Reflexe ausgelöst werden.




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Mi 20. Sep 2017, 11:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 05:41
Handlungen hätte man auch unterlassen können, daher passt der Begriff Ursache in diesen Zusammenhang nicht wirklich hinein, da Ursachen immer etwas zwangsläufiges haben.
Ja. Außerdem können Handlungen gelingen oder scheitern. Und es wäre doch seltsam, wenn der Handlungsgrund auch als Ursache für eine gescheiterte Handlung herhalten sollte. (Zumindest dann, wenn man vom neuzeitlichen Begriff der Ursache ausgeht, also Ursache = "causa efficiens".)




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Friederike
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Mi 20. Sep 2017, 13:29

Segler hat geschrieben : Ich gehe davon aus, das ein Ziel, eine Absicht, notwendige Bedingung ist. Warum sollte jemand handeln, wenn er nicht die Absicht hätte, die Welt zu verändern? [...] Erfolgt eine Handlung aufgrund eines Motives oder eines Beweggrundes, ist das auch einen Absicht? [...] Motiv und Absicht sind zwar ähnliche Begriffe, können aber wohl unterschieden werden. Absichten sind immer zielgerichtet. Motive können vielfältiger und durchaus diffus sein. In ein Motiv können auch Gründe und Determinationen einfließen, es entsteht sozusagen aus der Vergangenheit heraus, während eine Absicht immer in die Zukunft gerichtet ist.
Die Absicht oder das Ziel (ich gebrauche beide Wörter an dieser Stelle synonym) wäre also die notwendige Bedingung, damit eine Handlung eine Handlung ist. Das heißt, hier ist Deine weiter unten genannte Voraussetzung impliziert, daß Handlungen rational sind.
Segler hat geschrieben : Ich stelle jetzt mal eine These in den Raum:
Bei jeder Handlung ist die Hoffnung vorhanden, die Welt durch die Handlung in einen zu bevorzugenden Zustand zu bringen. Sie wird nach der Handlung besser sein, als sie ohne die Handlung wäre. Den Begriff Hoffnung verwende ich hier, obwohl er deutlich theologisch konnotiert ist. Vielleicht könnte man ihn auch durch einen neutraleren Begriff wie positive Erwartung ersetzen. Hoffnung scheint mir allerdings treffender zu sein. Bis jetzt ist mir kein Beispiel eingefallen, in dem jemand handelt, ohne die Erwartung, dass durch die Handlung ein besserer Zustand der Welt erreicht wird, als durch jede andere verfügbare Handlungsoption inklusive des Nichtstuns.
Und dies wäre jetzt der von Dir gesuchte generelle Handlungsgrund, den alle Handlungen gemeinsam haben. Soweit mein Versuch, Deine Überlegungen auf die entscheidenden Aussagen zu reduzieren (bei den "Aktivitäten" sehe ich noch nicht klar, und ob es wichtig ist, bei Deinem handlungstheoretischen Ansatz "Grund" einerseits und "Absicht/Ziel" andererseits zu unterscheiden, darüber bin ich mir noch unschlüssig). Intuitiv finde ich Deine These bestechend einleuchtend.




Segler
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Mi 20. Sep 2017, 15:40

Ich denke schon, dass man Gründe und Absichten unterscheiden sollte.
Nehmen wir an, die Handlung besteht darin, einen Regenschirm aufzuspannen. Der Grund ist, dass es regnet. Die Absicht, welche die Handlung auslöst, ist es dagegen, nicht nass zu werden. Das zwei unterschiedliche Aspekte, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen.




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Stefanie
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Mi 20. Sep 2017, 19:29

Segler:
Handlungen sind freiwillig. Sie können auch unterlassen werden.
Handlungen sind bewusst. Sie beruhen auf einer rationalen Entscheidung.
Wann sind denn Handlungen nicht mehr freiwillig? Wenn sie nicht mehr bewusst sind und/oder auf keiner rationalen Entscheidung beruhen?
Sind Handlungen nicht mehr freiwillig, wenn ich auf etwas reagieren muss, ich die so "erzwungende" Handlung gar nicht durchführen wollte? Auch dann handele ich bewusst und sie beruht auf einer rationalen Entscheidung. Im Beruf muss ich das zumindest ab und zu grummelnd so machen.
Bis jetzt ist mir kein Beispiel eingefallen, in dem jemand handelt, ohne die Erwartung, dass durch die Handlung ein besserer Zustand der Welt erreicht wird, als durch jede andere verfügbare Handlungsoption inklusive des Nichtstuns.
Was ist denn mit dem Mörder? Will er durch seine Handlung erreichen, dass ein besserer Zustand der Welt erreicht wird? Mag sein, dass seine Welt verbessert wird (Mord aus Habgier), aber die Welt für alle verbessert?



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Mi 20. Sep 2017, 20:21

Stefanie hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 19:29

Wann sind denn Handlungen nicht mehr freiwillig? Wenn sie nicht mehr bewusst sind und/oder auf keiner rationalen Entscheidung beruhen?
Sind Handlungen nicht mehr freiwillig, wenn ich auf etwas reagieren muss, ich die so "erzwungende" Handlung gar nicht durchführen wollte? Auch dann handele ich bewusst und sie beruht auf einer rationalen Entscheidung. Im Beruf muss ich das zumindest ab und zu grummelnd so machen.
Freiwilligkeit ist eine notwendige Bedingung. Auch im Beruf hast Du die Möglichkeit, nicht zu handeln. Das hat zwar Konsequenzen aber die Möglichkeit hast Du.
Was ist denn mit dem Mörder? Will er durch seine Handlung erreichen, dass ein besserer Zustand der Welt erreicht wird? Mag sein, dass seine Welt verbessert wird (Mord aus Habgier), aber die Welt für alle verbessert?
Sagte ich für alle? Der Mörder geht davon aus, dass er nach dem Mord besser dran ist als vorher. Das gilt sogar für den Selbstmörder. Der würde sich nicht selbst töten, wenn er nicht davon ausginge, dass der Tod besser ist als seine aktuelle Situation. Allerdings ist nicht jede Selbsttötung eine Handlung im von mir definierten Sinn. Viele Selbsttötungen sind determinierte Akte und keine Handlungen.




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Friederike
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Do 21. Sep 2017, 15:37

Segler hat geschrieben : Ich denke schon, dass man Gründe und Absichten unterscheiden sollte.
Nehmen wir an, die Handlung besteht darin, einen Regenschirm aufzuspannen. Der Grund ist, dass es regnet. Die Absicht, welche die Handlung auslöst, ist es dagegen, nicht nass zu werden. Das zwei unterschiedliche Aspekte, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen.
Ahja. Nochmal zu der Absicht, die alle Handlungen, laut Deiner These, verfolgen, nämlich die, einen Zustand zu verbessern. In ihrer Einfachheit finde ich sie nach wie vor bestechend plausibel; ich frage mich nur, was es dann eigentlich noch zu diskutieren gibt. :lol:




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Do 21. Sep 2017, 20:59

Friederike hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 15:37
Ahja. Nochmal zu der Absicht, die alle Handlungen, laut Deiner These, verfolgen, nämlich die, einen Zustand zu verbessern. In ihrer Einfachheit finde ich sie nach wie vor bestechend plausibel; ich frage mich nur, was es dann eigentlich noch zu diskutieren gibt. :lol:
Es irritiert mich, dass ich in der Literatur bisher nichts dazu gefunden habe. Das ist ein Indiz dafür, dass ich irgendetwas übersehen haben könnte.




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Alethos
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Fr 22. Sep 2017, 00:37

Also, wenn ich das so richtig interpretiere, beschreibt dies eine utilitaristische Handlungsmotivation: Die Handlung verfolgt das unmittelbare Ziel eines persönlichen Nutzens. Die Handlung ist so gesehen Mittel zum Zweck. Darüber gibt es sehr viele Quellen.

Nun können wir uns aber fragen, auf welche Zwecke sich Handlungen beziehen: auf den Zweck zwischen zwischen A und B zu entscheiden oder auf ein bestimmtes moralisches Telos. Das ist doch die Frage nach Wünschen 1. und 2. Ordnung?



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Tosa Inu
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Fr 22. Sep 2017, 10:38

Segler hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 20:59
Friederike hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 15:37
Ahja. Nochmal zu der Absicht, die alle Handlungen, laut Deiner These, verfolgen, nämlich die, einen Zustand zu verbessern. In ihrer Einfachheit finde ich sie nach wie vor bestechend plausibel; ich frage mich nur, was es dann eigentlich noch zu diskutieren gibt. :lol:
Es irritiert mich, dass ich in der Literatur bisher nichts dazu gefunden habe. Das ist ein Indiz dafür, dass ich irgendetwas übersehen haben könnte.
Vielleicht den Masochismus?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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