Hermeneuticus hat geschrieben : ↑ Fr 29. Sep 2017, 21:29
Ein weiteres Beispiel: Ein parkender Autofahrer öffnet schwungvoll die Wagentür und reißt einen Radfahrer um. Man darf vermuten, dass der Autofahrer nur beabsichtigte, die Tür zu öffnen und auszusteigen, mehr nicht. Aber das objektive Geschehen, d.h. der durch die Handlung bewirkte Sachverhalt, ist etwas anderes. Und
für diesen objektiven Sachverhalt hat der Autofahrer sich zu verantworten, nicht für seine harmlosen, guten Absichten.
Nun ja, es ist richtig, dass die Handlung auch an ihren Wirkungen gemessen wird und nicht allein an den Absichten. Diese Tatsache hat wohl schon mancher Mann erfahren, der einer Frau ein Kompliment zu machen beabsichtigte, das - gänzlich missverstanden - vielleicht sogar als Beleidigung empfunden wurde. Dieses eher harmlose Verfehlen der Wirkung kann selten mildernde Umstände für sich geltend machen, wenn die Sache einmal verbockt ist
In der juristischen Sphäre jedenfalls kann aber eine deutliche Differenz von Absicht und Wirkung dazu führen, dass auf Fahrlässigkeit plädiert werden kann. Aber dann sprechen wir von äusseren Bewertungen dieser Wirkungen, d.h. von einer Welt da draussen, die urteilt.
Der bewirkte Zustand oder die Faktizität ist, einmal in die Welt entlassen, vielleicht nicht mehr aufzuhalten, da sie eine Kausalkette in Bewegung gebracht hat, für die ich nur vielleicht etwas kann. Auch hierfür kennt das Recht den Ausdruck des Kausalzusammenhangs. Die Handlung und die Wirkung müssen erkennbar ursächlich miteinander zusammenhängen, damit ich verantwortlich gemacht werden kann. Ich kann aber nicht belangt werden für den Tornado, der meine diskrete Flatulenz im Badezimmer verursacht hat, denn auch die Motivation muss in die Bewertung des Kausalzusammenhangs genommen werden. Also ja, im Grunde könnte ich von einem Gericht in Florida auf Schadenersatz verklagt werden, wenn ich mit der Absicht furzte, eine katastrophale Entwicklung in Gang zu bringen
Aber der Punkt ist der: Diese Bewertungen von durch Handlungen hergestellter Faktizität erfolgen in diesen Fällen durch ein Aussen. Bei der Motivation der Handlung durch eine schwache oder starke Wertung handelt es sich jedoch um einen inneren Vorgang, der die Handlung in Gang bringt. Der rationale Prozess des Handelns als eben dieses Abwägen von Gründen vollzieht sich als selbstverantwortliche Initiative und als solche autoreflexiv. Die Faktizität, die aus der Handlung resultiert, ist daher gar nicht die primäre Motivation, sondern gibt der Intentionalität nur eine äussere Form. Die Faktizität ist so gesehen nicht das primär Motivierende, obwohl sich die Tat auf die Welt und die Menschen bezieht und einen bestimmten Zustand herzustellen beabsichtigt. Die Intentionalität impliziert das Schaffenwollen einer bestimmten Faktizität. Dieses
Wollen, weil ist aber dasjenige, das den Handelnden im Grunde antreibt. Dieses Wollen bezieht dich zwar auf ein Aussen, wo es Fakten schaffen und Wirkungen herstellen will, Wirkung ist der Zweck der Handlung. Aber für den Zweck kann man den Handelnden allgemein gesehen, d.h. abgesehen von der konkreten Wirkung, nicht allein verantwortlich machen.
Dass dies philosophisch richtig ist, aber bei Sprechakten und auch beim Recht so nicht gilt, hat mit der Intersubjektivität zu tun, die sie betrifft. Das Subjektive einer Intention tangiert das Äussere nur durch die Wirkungen, d.h. für den intersubjektiven Kontext ist eine Intention gar nicht anders bewertbar, sichtbar, erkennbar als nur an der Wirkung. Sie ist auf Verlässlichkeit eingerichtet.. Auch wenn der beste Vorsatz gegolten hat, so zeigt sich dieser der Welt, z.B. dem Richter und dem Gesprächspartner, doch immer nur als Vermutung. Auf Vermutung darf aber ein Rechtssystem nicht primär basieren, weil es sonst nicht mehr verlässlich ist. Intersubjektivität heisst Verlässlichkeit. Wenn Rechtsprechung mehrheitlich auf Vermutungen basierte und nicht nach festen Kriterien, klaren Tatbeständen, gesprochen würde, verlöre es den intersubjektiven Wert der Verlässlichkeit. In etwas abgemildeter Form gilt dies ja auch für unsere Kommunikationen: Ein ausgesprochener Satz ist nur deshalb verständlich, weil er überhaupt geäussert wurde, ja, aber auch, weil er nach Regeln erfolgt, die nicht vermutete sind, sondern möglichst klare und eindeutige und verlässliche.
Die Bewertungen also, von denen wir mit Blick auf Handlungen in erster Linie hier sprechen, sind Handlungsmotivationen und nicht Handlungswirkungen. Sollte demnach eine Wirkung fehlgehen, wird es nämlich wiederum nur eine Handlung sein, die sie zum besseren wendet. Und daran erkennt man die starke Wertung: am Edelmut, an der Grosszügigkeit, am Guten, das sie stets verfolgt.