Könnte man hier den Ausdruck "Absicht" ohne Bedeutungsverlust durch "Zweck" ersetzen? Ich frage, weil Du sagst, dass beim Vordrängeln die Absicht der Person in jedem Fall darin besteht, früher abgefertigt zu werden. Das heißt doch so viel wie: "Wann immer jemand (= eine beliebige Person X) sich vordrängelt, will sie/er früher abgefertigt werden." Oder noch zugespitzter: Diese Absicht hängt nicht von den Besonderheiten der jeweiligen Person ab, sondern sie ist im Handlungsschema 'Vordrängeln' inbegriffen.Friederike hat geschrieben : ↑Mi 25. Okt 2017, 15:34Ich stehe an der Supermarkt-Kasse an und die nächste Person, die an die Kasse tritt, stellt sich doch tatsächlich nicht hinter, sondern vor mich. Die Handlung wird als "vordrängeln" bezeichnet und das heißt, daß die Absicht der Person in jedem Fall darin besteht, vor mir an der Kasse abgefertigt zu werden.
Wegen dieser Allgemeinheit (Typisierung) und allgemeinen Bekanntheit des Vordrängelns braucht man nicht auf die mentalen Episoden der konkreten Person zurückzugreifen, um zu verstehen, was sie will.
Mit Deinen Fragen nach den Motiven oder Beweggründen zielst Du dann allerdings auf etwas Personenspezifisches, Individuelles:
Ja, da ist Vielerlei denkbar, das sich in der Handlung des Vordrängelns nicht unmittelbar manifestiert. Und genau deshalb, weil es sich im Handlungsvollzug quasi nicht "abbildet", sind wir geneigt, uns auf mentale Episoden der konkreten Person zu beziehen - ihre "Hintergedanken", ihre Zu- und Abneigungen, ihre Ungeduld usw.Was ist jetzt mit dem Motiv oder dem Beweggrund, den die Person für diese Handlung hat? Sie kennt mich und kann mich nicht leiden; ihr Parkschein ist in einer Minute abgelaufen; sie nimmt an einer experimentellen Studie teil usw.usf.
Was ich sagen will, ist also etwa dies: Was das "Äußere" und das "Innere" an einer Handlung ist, liegt nicht allgemein und von vornherein fest. Es gibt also keine allgemeine, "ontologische" Grenzlinie derart, dass Dinge vom Typ x immer zum Draußen gehören, und Dinge vom Typ y immer zum Drinnen. Es hängt vielmehr von den besonderen Umständen der Handlung, von den beteiligten Personen, ihrer Vertrautheit mit den lebensweltlichen Üblichkeiten usw. ab, wo jeweils die Grenze verläuft zwischen dem Offensichtlichen ("Äußeren") und dem Verdeckten ("Inneren"). Und genau darum empfiehlt es sich nicht, Handlungen grundsätzlich als "zusammengesetzt" aus äußerlichen Anteilen (z.B. körperlichen Bewegungen) und inneren Anteilen (z.B. Absichten, Motiven, Beweggründen) zu konzipieren.
Nein. Ich möchte vielmehr den Begriff der Handlung (und die dazugehörigen weiteren Bestimmungen wie Zweck, Mittel, Handlungserfolg...) im Grundsätzlichen als indifferent, "neutral" hinsichtlich der Unterscheidungen Innen/Außen, Körperliches/Mentales verstehen. Damit werden diese Unterscheidungen nicht grundsätzlich verworfen. Sie stehen einer näheren Bestimmung im konkreten Fall offen, wenn sich das als zweckmäßig oder vielleicht sogar unumgänglich erweisen sollte.Person X kauft ein Brötchen. Die Absicht besteht darin, ein Brötchen zu kaufen. Die Absicht kann von Hunger motiviert sein oder von der Bitte der Nachbarin, ihr ein Brötchen mitzubringen oder davon, daß Person X später ein Picknick machen will. Würdest Du sagen, daß Letzteres gar nicht mehr zu den Handlungen "Vordrängeln" und "Brötchen kaufen" gehört und deswegen an Deiner Argumentation gegen ein eher mentalistisch ausgerichtetes Konzept von "Handlung" vorbeiläuft?