Der Kitzel am offenen Ausgang und die Geborgenheit nach Torschluss

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Quk
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Fr 25. Aug 2023, 17:43

Ist es ideologisch konsistent, wenn marxistische Planwirtschaftende jeglichen Wettbewerb ablehnen, um keine Verlierer zu generieren, aber im Sport durchaus Verlierer generieren und sich da an den Gewinnern enthusiastisch erfreuen?


Argumente:

Es ist konsistent. Denn die Planwirtschaft lehnt nur den wirtschaftlichen Wettbewerb ab, nicht aber den sportlichen. Der erstere stellt eine existenzielle Problematik dar, der zweitere nicht. Daher besteht kein Anlass, beide Sachen in einen konsistenten Zusammenhang zu zwingen. Die jeweilige Einzelsache ist für sich konsistent.

Es ist inkonsistent. Wenn im Sport die Freude am Siegen enthusiastisch ist, zeigt das, dass auch marxistische Planwirtschaftende grundsätzlich Wettbewerbslust haben können. Um selbige aber nicht aufkommen zu lassen in der Wirtschaft, muss dort die Lust unterdrückt werden.
Also hinsichtlich ihrer Wettbewerbslust kann deren Mentalität durchaus konsistent sein. Diese Mentalität ist jedoch nicht vollständig übertragbar auf deren Ideologie. Der Dienst dieser Ideologie am Menschen ist somit inkonsistent.

Naturalistischer Fehlschluss. Aus der Tatsache, dass der Mensch Lust hat, muss nicht notwendig ein politisches Gebot zur Auslebung derselben werden.

Inkonsistenz beim Vorwerfen Naturalistischer Fehlschlüsse. Der Mensch muss Wasser trinken. Aus dieser Tatsache muss notwendig ein politisches Gebot der Durstlöschung werden. -- Hingegen: Mancher Mensch empfindet Mordlust. Deren Auslebung soll nicht geboten sein. Zusammengefasst: Diese Inkonsistenz von Naturalistischen Schlüssen bezüglich ihrer Fehlerlosigkeit deutet an, dass diese als Mittel des Vorwurfs keine universale, argumentative Grundlage haben.

Die Frage nach der Konsistenz ist die falsche. Die Frage muss eher lauten: Welche Dosis an politischen Erlaubnissen und Verboten setzt den besten Kompromiss hinsichtlich der Risiken, Nebenwirkungen und Heilungen des irdischen Lebens.




Timberlake
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Fr 25. Aug 2023, 19:05

Quk hat geschrieben :
Fr 25. Aug 2023, 17:43

Inkonsistenz beim Vorwerfen Naturalistischer Fehlschlüsse. Der Mensch muss Wasser trinken. Aus dieser Tatsache muss notwendig ein politisches Gebot der Durstlöschung werden. --
Dazu nur mal zum Vergleich ..

"Der Mensch muss im Wettbewerb stehen. Aus dieser Tatsache muss notwendig ein politisches Gebot zum Wettbewerb werden"

Vor dem Hintergrund "Survival of the Fittest" , konsistent oder inkonsistent ?




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Quk
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Fr 25. Aug 2023, 20:13

Im Prinzip konsistent, oder? Die Kälte dieser Antwort muss aber stracks entfleuchen durch den Hinweis, dass der Fitteste heute auch Rollstuhlfahrer sein kann oder auch völlig hilflos, denn der Mensch ist ein Herdentier, und in der menschlichen Evolution zählt heute nicht mehr die Fittheit einer 5-köpfigen Jäger- und Sammler-Familie, sondern die Fittheit einer millionen-köpfigen Gesellschaft in ihrer Gesamtstruktur, als Gesamtlebewesen. Also ich denke, bei sozial fortgeschrittenen Herdentieren verschiebt sich die Auslese mehr und mehr weg von der Fittheit des Individuums hin zur Fittheit der Gesellschaftsstruktur. Die fitteste Gesellschaftsstruktur überlebt eher. Wohldosierte Offenheit, beispielsweise, halte ich für eine vitale Überlebenseigenschaft. Geschlossenheit hingegen nicht, weil sie zu tödlichem Inzest führt in jeder Hinsicht. 1933 bis 1945: Das waren nur 12 Jahre. -- 1945 bis 2025 ... 80 Jahre.




Timberlake
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Fr 25. Aug 2023, 23:04

Quk hat geschrieben :
Fr 25. Aug 2023, 20:13
Im Prinzip konsistent, oder? Die Kälte dieser Antwort muss aber stracks entfleuchen durch den Hinweis, dass der Fitteste heute auch Rollstuhlfahrer sein kann oder auch völlig hilflos, denn der Mensch ist ein Herdentier, und in der menschlichen Evolution zählt heute nicht mehr die Fittheit einer 5-köpfigen Jäger- und Sammler-Familie, sondern die Fittheit einer millionen-köpfigen Gesellschaft in ihrer Gesamtstruktur, als Gesamtlebewesen. Also ich denke, bei sozial fortgeschrittenen Herdentieren verschiebt sich die Auslese mehr und mehr weg von der Fittheit des Individuums hin zur Fittheit der Gesellschaftsstruktur. Die fitteste Gesellschaftsstruktur überlebt eher.
Sicherlich hatte man damals , als es aus den Köpfen "Survival of the Fittest" entfleuchte, vorallem das einzelne Tier der Herde im Focus. Nur gilt der gleichen , gewisswernaßen hoch skaliert , nicht auch für die Herde selbst? Insofern ich denke , das sich grundsätzlich , bei allen Herdentieren , die Auslese von der Fittheit des Individuums hin zur Fittheit der Herde verschiebt .
Quk hat geschrieben :
Fr 25. Aug 2023, 17:43
Ist es ideologisch konsistent, wenn marxistische Planwirtschaftende jeglichen Wettbewerb ablehnen, um keine Verlierer zu generieren, aber im Sport durchaus Verlierer generieren und sich da an den Gewinnern enthusiastisch erfreuen?
Welche Herde wäre wohl die fitteste , diejenige ,die den Wettbewerb in ihrer Gesamtstruktur ablehnt oder die Herde , die diesen Wettbewerb in ihrer Gesamtstruktur befördert. Welche Herde wird sich an den Gewinnern enthusiastisch erfreuen?

Wie dem auch sei ich denke mal , dass die Entdeckung der marxistischen Moral ein Ereigniss ist , das ... ...
  • „ Die Entdeckung der christlichen Moral ist ein Ereigniss, das nicht seines Gleichen hat, eine wirkliche Katastrophe. Wer über sie aufklärt, ist eine force majeure, ein Schicksal, – er bricht die Geschichte der Menschheit in zwei Stücke. Man lebt vor ihm, man lebt nach ihm … Der Blitz der Wahrheit traf gerade das, was bisher am Höchsten stand: wer begreift, was da vernichtet wurde, mag zusehn, ob er überhaupt noch Etwas in den Händen hat. Alles, was bisher „Wahrheit“ hiess, ist als die schädlichste, tückischste, unterirdischste Form der Lüge erkannt; der heilige Vorwand, die Menschheit zu „verbessern“ als die List, das Leben selbst auszusaugen, blutarm zu machen.“
    Friedrich Nietzsche .. Ecco Homno




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Quk
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Sa 26. Aug 2023, 00:39

... bei allen Herdentieren , die Auslese von der Fittheit des Individuums hin zur Fittheit der Herde verschiebt .
Da hast Du sicherlich Recht. Wenn wir Elefantenherden nehmen, beispielsweise, deren Jüngste nicht nur von den Eltern beschützt werden, sondern auch von Tanten und so weiter, dann wird die Herdenstruktur schon komplexer, und so ist es nicht nur das Indivuum, das durch sein fürsorgliches Verhalten zur Fittheit beiträgt, sondern auch die Herdenstruktur insgesamt, als Verteidigungssystem gegen Lebensfeindlichkeiten. -- Den Fokus auf den Menschen hatte ich diesbezüglich nur gerichtet, weil bei ihm diese Verschiebung heutzutage besonders stark ist. Die Medizin und die Prothesen, zum Beispiel, die erfunden wurden, sind ja enorm vorteilhaft. Die konnten nur entstehen durch komplexe Teamarbeit verschiedener, kooperierender Fachkompetenzen. Die Teamarbeit der Elefanten ist von so einer Komplexität vermutlich noch weit entfernt. Aber das Prinzip ist wohl dasselbe, ja. Denke ich auch :-)

Ich vermute, die fitteste Herde wäre diejenige, die einen guten Kompromiss einpendelt zwischen Wettbewerbsystem und bedingungsloser Grundnahrungszufuhr. Die alte Elefantentante darf zuerst ans Wasserloch, weil sie im Kompetenzwettbewerb gewonnen hat, aber sie muss den anderen genug übrig lassen. -- Wenn Elefanten trauern können, was offenbar sehr wahrscheinlich ist, beispielsweise um die verstorbene Tante, dann nehme ich an, dass bei ihnen auch das gegenteilige Gefühl vorkommen kann, nämlich Enthusiasmus, beispielsweise die Freude auf die andere Tante, die nun den Kompetenzwettbewerb gewinnt und zukünftig für Geborgenheit sorgen wird.




Timberlake
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Sa 26. Aug 2023, 13:09

Quk hat geschrieben :
Sa 26. Aug 2023, 00:39

Wenn Elefanten trauern können, was offenbar sehr wahrscheinlich ist, beispielsweise um die verstorbene Tante, dann nehme ich an, dass bei ihnen auch das gegenteilige Gefühl vorkommen kann, nämlich Enthusiasmus, beispielsweise die Freude auf die andere Tante, die nun den Kompetenzwettbewerb gewinnt und zukünftig für Geborgenheit sorgen wird.
Oder auch die Freude auf .. "den Kitzel am offenen Ausgang" .. , wer von den anderen Tanten nun den Kompetenzwettbewerb gewinnt und zukünftig . .. "nach Torschluss für Geborgenheit" .. sorgen wird . Um bei dieser Gelegenheit einmal die Überschrift dieses Theads , als da wäre .. "Der Kitzel am offenen Ausgang und die Geborgenheit nach Torschluss" .. in wortwörtlicher Rede mit ein zu beziehen.




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Quk
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Sa 26. Aug 2023, 16:50

Eine elegante Einbeziehung. Danke für Deine Aufmerksamkeit :-)




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Stefanie
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So 27. Aug 2023, 19:15

An dem Titel und/oder über Thema bin ich ehrlich gesagt immer noch etwas am grübeln.

Ein offener Ausgang ist mit einem Risiko verbunden. Könnte ja schief gehen, oder gut, aber anders als vorgestellt. Es gibt keine 100 % Sicherheit. Ich bin bei Freiheit und auch bei der Verantwortung für sich und andere.
Die andere Seite ist die 100 % Sicherheit. Je mehr Sicherheit, je kleiner das Risiko, dass etwas schief geht. Aber auch weniger Freiheit und die Verantwortung wird auf jemanden anderes, wie z.B. zum Staat abgegeben.

Und jetzt geht es darum, diese beiden Poole in ein Gleichgewicht zu bekommen bzw. zu halten?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Timberlake
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So 27. Aug 2023, 19:27

Quk hat geschrieben :
Fr 25. Aug 2023, 17:43
Ist es ideologisch konsistent, wenn marxistische Planwirtschaftende jeglichen Wettbewerb ablehnen, um keine Verlierer zu generieren, aber im Sport durchaus Verlierer generieren und sich da an den Gewinnern enthusiastisch erfreuen?
...
Die Frage nach der Konsistenz ist die falsche. Die Frage muss eher lauten: Welche Dosis an politischen Erlaubnissen und Verboten setzt den besten Kompromiss hinsichtlich der Risiken, Nebenwirkungen und Heilungen des irdischen Lebens.
Ich denke mal , dass man in der sozialen Marktwirtschaft genau jenen Kompromiss zwischen dem "Kitzel am offenen Ausgang" , wie beim Sport und "Geborgenheit nach Torschluss" , wie in der Planwirtschaft gefunden hat. Das ist zwar ebenfalls nicht ideologisch konsistent, scheint aber zu funktionieren. Jedenfalls sehr viel besser , als wenn man sich ideologisch konsistent jeweils auf den "Kitzel am offenen Ausgang" und der "Geborgenheit nach Torschluss" beschränken würde. Das wäre in etwa so , als würde man bezüglich der Warenproduktion entweder nur eine Angebots- – oder nur eine Nachfragepolitik machen . Also jeweils eine Politik , die nur im Interesse der Arbeitgeber oder die nur im Interesse der Arbeitnehmer ist. Dergleichen ist zwar ideologisch konsistent , geht aber unter Garantie in die Hose. Auch hier muss die Frage eher lauten: Welche Dosis an Angebots- und Nachfragepolitik setzt den besten Kompromiss hinsichtlich der Risiken, Nebenwirkungen und Heilungen des irdischen bzw. des menschlichen Lebens.




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Quk
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So 27. Aug 2023, 22:08

Ja, es geht wohl um die Frage des Gleichgewichts oder des Kompromisses.

Das ist mir aber erst eingefallen am Ende meines Dialog-Schreibens. Ich begann spontan mit der Frage nach der Konsistenz.




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