Der Rechtsbegriff "Menschenwürde": Eine Kritik

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Stefanie
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Sa 16. Dez 2017, 19:38

Was wäre denn für dich eine moderne, ernst zunehmende Begründungsstruktur?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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iselilja
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Sa 16. Dez 2017, 22:18

Ich denke, dass solche ..tja wie nennt man das am besten.. Definitionen (?), die einen allgemein gültigen Anspruch erheben sollen, so verfasst sein sollten, dass jeder der sie zur Kenntnis nimmt, sich nicht fragen muss, was das bedeuten soll. Wie soll etwas, was von vielen nicht verstanden oder bezweifelt oder gar abgelehnt wird, für alle gültig sein?

Aus solchen Erläuterungen müsste mE selbst hervorgehen, warum so ein Begriff benötigt wird und was der Zweck dieses Begriffes sein soll und vielleicht noch wie es dazu kam, dass man überhaupt die Auffassung vertritt, einen solchen Begriff zu benötigen. Der Begriff sollte also in einen verständlichen Zusammenhang eingebettet sein, der ihn in seiner ganzen Relevanz zugleich verdeutlicht. Ferner sollte der eben schon genannte Zusammenhang ebenfalls klar und deutlich nachvollziehbar sein. Ich will damit nicht sagen, dass solche Begriffe in der Sprache der Wissenschaft verfasst sein sollen - aber doch zumindest in einer Sprache, die von allen verstanden wird.




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Jörn Budesheim
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So 20. Mai 2018, 10:48

In der aktuellen Information Philosophie gibt es einen Artikel über Martha Nussbaum, der mich hierhin > https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bef%C3% ... prov=sfla1 geführt hat.
Wiki hat geschrieben : Grundbefähigungen: Martha Nussbaum
Martha Nussbaum hat von 1986 bis 1993 in einem Projekt der United Nations University am World Institute for Development Economics Research (UNU-WIDER) eng mit Amartya Sen zusammengearbeitet. Hierbei hat sie einen zwar eng verwandten, in der Begründung und in der Ausformulierung jedoch eigenständigen Ansatz der Befähigungen entwickelt. Oftmals werden bei der Rezeption beide Konzepte und ihre ursprünglichen Vertreter in einem Zuge genannt. Nussbaum betont, dass Prämisse des Befähigungsansatz die Würde von Lebewesen ist, die Respekt und Achtung erfordert, auf die die Lebewesen Anspruch haben. „Das Ziel des Projektes als Ganzem ist, grundlegende verfassungsmäßige Prinzipien philosophisch zu unterlegen, dass sie von allen Regierungen aller Nationen respektiert und eingeführt werden als ein reines Minimum dessen, was der Respekt der menschlichen Würde erfordert.“ Ihr Verständnis von Würde geht insofern über das von Kant und Rawls hinaus, als sie diese nicht nur auf der rationalen, sondern auch auf der emotionalen und sozialen Ebene betrachtet.
Liste des guten Lebens von Martha Nussbaum
  1. Die Fähigkeit, ein volles Menschenleben bis zum Ende zu führen;
  2. Gesundheit insbesondere als Ernährung, Wohnen, Sexualität und Mobilität;
  3. Fähigkeit, unnötigen Schmerz zu vermeiden und freudvolle Erlebnisse zu haben;
  4. Fähigkeit, fünf Sinne zu benutzen, sich etwas vorstellen und denken zu können;
  5. Bindungen zu Dingen und Personen einzugehen, zu lieben, zu trauern, Sehnsucht und Dankbarkeit zu empfinden;
  6. Sich Vorstellungen vom Guten zu machen und kritisch über die eigene Lebensplanung nachzudenken;
  7. Für andere und bezogen auf andere zu leben, verschiedene Formen familiärer und sozialer Beziehungen einzugehen;
  8. Verbundenheit mit Tieren und Pflanzen und der ganzen Natur zu (er-)leben;
  9. Fähigkeit zu lachen, zu spielen und Freude an Erholung zu haben;
  10. Das eigene Leben und nicht das eines anderen zu leben;
    10a.Fähigkeit, sein eigenes Leben in seiner eigenen Umgebung und seinem eigenen Kontext zu leben
mehr dazu > https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/ ... _nussbaum/




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Stefanie
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So 20. Mai 2018, 18:31

Meine spontane Reaktion war, grundsätzlich liest sich das gut. Aber, was ist mit Personen, die diese genannten Fähigkeiten noch nicht, zwischenzeitlich nicht oder nie haben werden? Ich wollte schon auf die Barrikade gehen, und fand dieses hier:

http://www.zeitschriftfuermenschenrecht ... 1_2010.pdf

(Es ist mir ein Rätsel, wieso das mit dem Handy nicht geht.)

Ab Seite 91 geht sie auf diese Frage ein. So richtig überzeugt hat sie mich nicht. Es entsteht der Eindruck, dass sie ziemliche gedankliche Klimmzüge machen muss, um ihre Theorie aufrechtzuerhalten.
Sie schreibt u.a. dass man die Begründung der Menschenwürde nicht mit den genannten Fähigkeiten begründen kann, sonst schließe man viel Personen tatsächlich aus.



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novon
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Mo 21. Mai 2018, 01:20

Whoo... Allein das Editorial liefert doch ausgiebig, um verschiedenste Fragen hinreichend zu beantworten. Well picked.




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Jörn Budesheim
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Di 4. Sep 2018, 19:08

Oft wird Ambiguität willentlich erzeugt... "der bewusst vage gehalten erste Satz des ersten Artikel des Grundgesetzes "die Würde des Menschen ist unantastbar", ein Satz, über den Bibliotheken geschrieben worden sind, konnte gerade wegen seiner Ungenauigkeit zur ersten Säule des Grundgesetzes werden. Dadurch wird er deutungsoffen und ist nicht abhängig vom bestimmten Vorstellung von Würde, die zu einer bestimmten Zeit gelten."

(Thomas Bauer, die Vereindeutigung der Welt)




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