Der Rechtsbegriff "Menschenwürde": Eine Kritik

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
Hermeneuticus
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 6. Nov 2017, 14:38
Was ist der Wesenskern der Menschenwürde? Ist diese "nur lediglich" ein Rechtsgut, ein normativer Sachverhalt, dann ist der Wesenskern meiner Meinung nicht richtig erfasst und angreifbar. Was ist der Wesenskern dieses Rechtsgutes?
Was mich betrifft: darauf habe ich in dieser Diskussionsrunde schon ausführlich geantwortet. - Aber wieso sagst Du "nur", "lediglich" ein Rechtsgut? Ich würde das niemals sagen! Das ist Deine Sicht der Dinge.




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Jörn Budesheim
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Mo 6. Nov 2017, 15:10

Stefanie hat geschrieben :
Mo 6. Nov 2017, 14:38
Ist diese "nur lediglich" ein Rechtsgut, ein normativer Sachverhalt, dann ist der Wesenskern meiner Meinung nicht richtig erfasst und angreifbar. Was ist der Wesenskern dieses Rechtsgutes?
Nehmen wir das Schachbeispiel von oben. Der Bauer darf nicht ziehen wie der Springer. Warum? Weil es so in der Regeln steht. Die Regel nimmt auf nichts "jenseits" des Spiels Bezug. Bei der Würde ist es völlig anders. Wir haben nicht eine Würde, weil es im Gesetz steht, sondern sie steht im Gesetz, weil wir eine haben - sie ist keineswegs lediglich ein Rechtsgut, sondern das Rechtsgut basiert auf den Werttatsachen.




Hermeneuticus
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Mo 6. Nov 2017, 15:21

Wie würdest Du den Unterschied erklären zwischen Tatsachen und Werttatsachen? (Aber bitte nicht tautologisch, etwa: "Werttatsachen sind wertvolle Tatsachen.") ;)




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Jörn Budesheim
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Mo 6. Nov 2017, 15:25

Werttatsachen sind Tatsachen über Werte.




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Herzlichen Dank! Jetzt bin ich klüger. :D




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Jörn Budesheim
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Mo 6. Nov 2017, 15:41

Dass Menschen einen Wert in sich haben ist eine Tatsache. Das heißt es ist wahr über uns, dass wir diesen Wert haben. Alle Herleitungen, die versuchen ohne Bezug auf diese Tatsache auszukommen sind witzlos, meine ich.




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Stefanie
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Hermeuticus, die Anführungszeichen habe ich bewusst gesetzt. Menschenwürde ist mehr als ein Rechtsgut.



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Tarvoc
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 6. Nov 2017, 15:41
Das heißt es ist wahr über uns, dass wir diesen Wert haben.
Kontingent wahr oder tautologisch?



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Hermeneuticus
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Ich wäre ja bereit zu glauben, dass die Menschenwürde etwas anderes ist, als die Explizitmachung eines rationalen und grundlegenden egalitären Achtungsanspruchs, wenn mir jemand zeigen könnte, wie man auf nachvollziehbare Weise dahin gelangt. Was Ihr in dieser Richtung bisher geschrieben habt, kann mich (aus schon genannten Gründen) nicht überzeugen.

Aber Ähnliches gilt auch umgekehrt; die praktische Realität, die die Menschenwürde nach meiner Überzeugung im Zusammenleben der Menschen hat, genügt Euch nicht. Das ist ja "witzlos" oder ein Beispiel von "Nihilismus". Es bleibt wohl nur, diesen Dissens als Fazit festzuhalten.




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Alethos
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Mo 6. Nov 2017, 20:42

Ja, vermutlich schon.
Ich sehe, wenn wir über Würde sprechen, da ein weinendes Kind im syrischen Krieg, verwahrlost und allein, frierend und ängstlich, hungrig. Seine angsterfüllten Augen schauen mich an und flehen um Hilfe. Da durchzuckt mich (und wohl uns alle hier) ein tiefes Gefühl des Mitleids. Vor diesem konkreten Hintergrund fällt es mir schwer, die Würde, die dieses Kind hat, als allein durch Zuschreibugsregeln konstituiert zu begreifen. Ich kann zwar verstehen, wovon die Rede ist, aber ich kann es praktisch nicht nachempfinden. Und diese verschiedenen Zugangsweisen müssen wir wohl einfach als gleichberechtigte stehen lassen, schätze ich.



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Stefanie
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Mo 6. Nov 2017, 20:44

Ich hatte diese Frage schon zweimal gestellt. Wir war das mit der Menschenwürde, bevor sie normativ festgeschrieben wurde, und bevor Kant mit seinen Aussagen kam? In der Antike, oder vor allem im Mittelalter. Nicht Existent?



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Constantin
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Mo 6. Nov 2017, 21:28

Stefanie hat geschrieben :
Mo 6. Nov 2017, 20:44
Ich hatte diese Frage schon zweimal gestellt. Wie war das mit der Menschenwürde, bevor sie normativ festgeschrieben wurde, und bevor Kant mit seinen Aussagen kam? In der Antike, oder vor allem im Mittelalter. Nicht Existent?
Nach dem Threadverlauf meine ich:
laut Empathiekonzeption nicht existent gewesen,
laut Rechtskonzeption nicht existent gewesen,
laut Werttatsachenkonzeption existent gewesen,
laut Zuschreibungskonzeption nicht existent gewesen.




Hermeneuticus
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Di 7. Nov 2017, 00:26

Stefanie hat geschrieben :
Mo 6. Nov 2017, 20:44
Ich hatte diese Frage schon zweimal gestellt. Wir war das mit der Menschenwürde, bevor sie normativ festgeschrieben wurde, und bevor Kant mit seinen Aussagen kam? In der Antike, oder vor allem im Mittelalter. Nicht Existent?
Ich hatte diese Frage schon beantwortet, bevor Du sie gestellt hast. Im Beitrag 6494:
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 27. Okt 2017, 13:51
Alethos hat geschrieben :
Fr 27. Okt 2017, 13:02
Wenn ich es richtig verstehe, denkst du, dass Würde etwas sei, das einem jeden ungeachtet seines individuellen Seins zukommen soll. Ein solche Würde, die als normative Forderung verstanden wird, ist natürlich nur über eine Regel erhältlich, eine solche Würde ist nicht etwas Individuelles, sondern Überindividuelles und hat nur Bestand durch Aktualisierung der Regel in einer normativen Praxis.
Ja. Nur bin ich mit Hegel und den Hegelianern der Ansicht, dass die normative Forderung der Menschenwürde keine Ausgeburt einer "reinen" praktischen Vernunft ist, sondern dass sie einen "Sitz im Leben" hat, weil sie in bestimmten menschlichen Praxen und Institutionen implizit schon lange wirksam ist. Kants Bestimmung der Menschenwürde und die Erklärung der Menschenrechte sind zu verstehen als begriffliche Explikation jener impliziten praktischen Voraussetzungen und Ansprüche. Ich denke dabei vor allem (aber nicht nur) an die Praktiken der friedlichen Konfliktlösung durch unparteiliche Instanzen, d.h. an die Institutionen des Rechts. Denn im Grunde verallgemeinern die Menschenrechte nur Prinzipien, die schon lange in der Praxis der Rechtsprechung angewandt wurden. Also z.B., dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleich sei, d.h. Anspruch auf gleiche Behandlung habe; dass der Richter das Recht "ohne Ansehung der Person" zu finden habe usw.

Insofern bin ich durchaus empfänglich für die These, dass die Menschenrechte und die Menschenwürde etwas Faktisches sind. Aber sie haben eben ihre Faktizität in der Anwendung von rechtlichen und moralischen Normen, d.h. im rechtlich und sittlich geordneten Leben der Menschen.
(Jörn will aber gerade von Normen und Regeln im Zusammenhang mit der Menschenwürde nichts wissen. Auch Du hast Dich eher skeptisch geäußert gegenüber einer normativen Fundierung der Menschenwürde.)

Das heisst aber nicht, dass es keine empirische Manifestation geben könne, die der Regel konkrete Anschauungsbeispiele gibt. Dass die Würde etwas sei, das jedem Menschen zukommen solle, schliesst ja nicht aus, dass sie ihm faktisch zukommt. Erfahrbar. Sichtbar. Fühlbar?
Ich bin sogar mit allen Pragmatisten seit Aristoteles der festen Überzeugung, dass die faktischen Anwendungen von Regeln den ontologischen und explanatorischen Vorrang vor expliziten, also in Worten formulierten Regeln haben. Grob gesagt läuft das auf die These hinaus, dass es explizite Regeln überhaupt nur geben kann, weil es faktische Beispiele von Regelanwendungen gibt. Aber natürlich sind und bleiben "Beispiele" oder faktische "Manifestationen" von Regeln stets normativ signifikant. In ihnen ist also immer die Forderung mit enthalten, dem Beispiel im eigenen Handeln zu folgen, nämlich in der Zukunft... Faktische Beispiele der Norm-Anwendung enthalten somit dennoch immer ein kontra-faktisches Moment. - Aber es kommt noch eine weitere Besonderheit hinzu, nämlich die, dass man etwas nur als Beispiel einer Regel erkennen und beschreiben kann, sofern man die Regel versteht, die ihm zugrunde liegt. Darum ist es mit dem "direkten Sehen" oder "Spüren" so eine Sache...
Zum Verhältnis "impliziter" und "expliziter" Normen siehe auch Beitrag 6705 und 6767.




Hermeneuticus
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Di 7. Nov 2017, 10:52

Alethos hat geschrieben :
Mo 6. Nov 2017, 20:42

Ich sehe, wenn wir über Würde sprechen, da ein weinendes Kind im syrischen Krieg, verwahrlost und allein, frierend und ängstlich, hungrig. Seine angsterfüllten Augen schauen mich an und flehen um Hilfe. Da durchzuckt mich (und wohl uns alle hier) ein tiefes Gefühl des Mitleids. Vor diesem konkreten Hintergrund fällt es mir schwer, die Würde, die dieses Kind hat, als allein durch Zuschreibugsregeln konstituiert zu begreifen.
Nach wie vor glaube ich, dass Du hier zweierlei vermischst. Mitleid gehört - sozusagen - zu einer anderen Kategorie als Achtung (vor der Würde eines Mitmenschen). Mit-Leid empfinden wir - wie das Wort schon sagt - mit einer leidenden, bedürftigen Kreatur, und zwar ganz gleich, ob Mensch oder Tier. Auch der Anblick eines geschundenen und vernachlässigten Pferdes oder eines vom Auto überfahrenen, heulenden Hundes tun mir so weh, dass es kaum zu ertragen ist. Mitleid ist eine unwillkürliche und unmittelbare Regung, die uns gewöhnlich bei der sinnlichen Konfrontation mit einem leidenden Wesen überkommt. Mitleid einzufordern oder zur moralischen Pflicht zu machen, ist darum nicht ganz unproblematisch. Zwar lässt sich Anteilnahme - wie auch Feingefühl, Takt, Kunstsinn u.ä. - wohl üben; man kann dazu praktisch angeleitet werden - so wie man sie sich auch abtrainieren kann, wenn man sie etwa für unmännlich oder unprofessionell hält. Aber es bleibt wie bei allen anderen Gefühlen immer ein gewisser Rest an Unwillkürlichkeit und Unmittelbarkeit; wir können sie nicht so kontrollieren, wie wir eingeübte Handgriffe kontrollieren und auf Wunsch "abrufen" können.

Mit der Achtung ist das anders. Achtung ist, wenn ich es recht bedenke, gar kein Gefühl - wie Bewunderung oder Zuneigung. Es ist eher eine "Einstellung" oder "Haltung", die wir anderen gegenüber einnehmen. Sie mag durch Zuneigung erleichtert werden, ist aber davon nicht abhängig. Ja, Achtung kann sich gerade in der Zurückhaltung von unmittelbaren emotionalen Regungen manifestieren - wie sie sich in der Redewendung ausspricht: "Ich möchten Ihnen nicht zu nahe treten..." Achtung ist also eine eher "distanzierte" Einstellung. Sie könnte sich z.B. darin bekunden, dass man eine hilfsbedürftige Person, die unmittelbar Mitleid erregt, gerade nicht mitleidsvoll behandelt, sondern - wie eine eigenständige Person, der wir unterstellen, dass sie sich in der Regel selbst zu helfen weiß und nur ausnahmsweise in eine Notlage geraten ist. - Nicht von ungefähr verwahren sich viele Menschen gegen Mitleid (z.B. Menschen mit Behinderung). Denn Mitleid ist eben nicht: Achtung, Respekt, Anerkennung.

Also, mich überzeugt der vage Zusammenhang, den Du zwischen Empathie und Würde herstellen möchtest, nicht wirklich.




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Jörn Budesheim
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Di 7. Nov 2017, 11:19

Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 7. Nov 2017, 10:52
Mit-Leid empfinden wir - wie das Wort schon sagt - mit einer leidenden, bedürftigen Kreatur, und zwar ganz gleich, ob Mensch oder Tier.
Ich interpretiere Alethos etwas anders. Die Beispiele von ihm zeigen, dass wir ein Organ dafür haben, solche Lebensumstände, die wir im allgemeinen als "würdelos" bezeichnen, zu erkennen. Es geht dabei nicht abstrakte Zuschreibungen, sondern man ist dabei unmittelbar involviert. Würde ist - wie gesagt - auch ein Auftrag. Nämlich Umstände zu schaffen, die dem Wert aller Kreaturen entsprechen.




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Stefanie
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Di 7. Nov 2017, 11:48

Jetzt schreibe ich mal, dass ist für mich keine ausreichende Antwort.
Insofern bin ich durchaus empfänglich für die These, dass die Menschenrechte und die Menschenwürde etwas Faktisches sind. Aber sie haben eben ihre Faktizität in der Anwendung von rechtlichen und moralischen Normen, d.h. im rechtlich und sittlich geordneten Leben der Menschen
Das gab es aber zum Beispiel nicht im Mittelalter. Es gab keine rechtlichen Normen zur Menschenwürde, es war menschliche Praxis, dass es Sklaven gab, Unfreie Bürger und die Folter und noch so einiges mehr. Hatte ein Sklave keine Menschenwürde, nur weil diese damals nicht in rechtlichen und moralischen Normen geregelt wurde?` Warum wehrten sich dann etliche gegen ihre Lebensumstände und gegen ihre Behandlungen?



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Tarvoc
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Stefanie hat geschrieben :
Di 7. Nov 2017, 11:48
Hatte ein Sklave keine Menschenwürde, nur weil diese damals nicht in rechtlichen und moralischen Normen geregelt wurde?
Wenn er eine hatte, was nutzte ihm dieses Haben?



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Constantin
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Di 7. Nov 2017, 20:27

Tarvoc hat geschrieben :
Di 7. Nov 2017, 17:25
Stefanie hat geschrieben :
Di 7. Nov 2017, 11:48
Hatte ein Sklave keine Menschenwürde, nur weil diese damals nicht in rechtlichen und moralischen Normen geregelt wurde?
Wenn er eine hatte, was nutzte ihm dieses Haben?
Wozu taugt ein Menschenwürdeversprechen, wenn es im dringenden Bedarfsfall nichts nützt?




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Alethos
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Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 7. Nov 2017, 10:52
Also, mich überzeugt der vage Zusammenhang, den Du zwischen Empathie und Würde herstellen möchtest, nicht wirklich.
Das ist mir seit ungefähr 100 Beiträgen klar, hindert mich aber nicht daran, mit dir gemeinsam (und natürlich mit allem anderen) an einem gehaltvolleren Würdebegriff zu arbeiten.

Vielleicht sollten wir hierfür von der Diskussion über die Konstitution von Würde wegkommen, um einander einmal beschreibend und vielleicht unter Zuhilfenahme von griffigen Beispielen zu erläutern, was wir je unter Würde verstehen. Dabei muss sich die Erörterung nicht um die Frage drehen, ob sie ein empirisches, am Menschen vorkommendes Faktum sei oder eine regulative Technik, sondern sie sollte konkreter gestellt sein: Was meinen wir mit menschenunwürdigen Zuständen ? Was meinen wir mit dem Ausdruck einer Sache nicht würdig sein? Was bedeutet es uns genau, wenn wir sagen: Wir verletzen seine/ihre Würde?
Vielleicht kommen wir auf dem Umweg der Negation eher drauf, was sie eigentlich ist.

Zur Achtung: Wenn wir von Achtung sprechen, kommen wir doch nicht herum, von Respekt zu sprechen. Wenn wir von Respekt sprechen kommen wir aber auch nicht darum herum, von Autorität zu sprechen usw. und alle diese Begriffs-‚Verkettungen‘ führen uns schliesslich an den Kern unseres ethischen Vokabulars: Unsere Bewertungen resp. unsere Werte. Wir stellen dann aber fest, dass es nicht nur Universalwerte gibt (Mord ist schlecht), sondern dass es auch individuelle Wertungen gibt: Ich kann z.B. jemanden achten für diese oder eine andere Leistung. Jemand anderes achtet aber diese Leistung nicht, weil er schlicht keinen Wert drauf legt. Ich denke, dass du also den Begriff der Achtung nicht telquel als Äquivalent von Würde einführen kannst, ohne unserer Teilhabe am Vorgang des Achtens selbst, und darum auch nicht unseres Beteiligseins an Würde überhaupt zu berücksichtigen.



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Jörn Budesheim
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Di 7. Nov 2017, 21:27

Alethos hat geschrieben :
Di 7. Nov 2017, 21:14
... was wir je unter Würde verstehen.
Eine kleine (ungeordnete) Liste, wobei vieles davon netzartig zusammenhängen mag: Das Leben selbst ist ein Wert. Weitere Werte, die unsere Würde ausmachen, sind folgende unserer Eigenschaften - mögen sie in uns schlummern oder voll ausgebildet sein: Rationalität, Moralität, die Fähigkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen, Empfindungsfähigkeit, Empathie (sic!), Gefühle wie Liebe, Phantasie, Sinn für Schönheit ...

Das zeigt auch, warum dein Beispiel neben allem Leid so grausam ist: Es werden dort so viele dieser Fähigkeit an ihrer vollen Entfaltung gehindert.




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