Organspenden

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Stefanie
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Mi 7. Feb 2018, 17:24

Zum Thema Organspenden ergeben sich auch philosophische Fragen.
Gibt es eine moralische Pflicht zum Organspenden?
Wann ist ein Mensch tot (Stichwort Hirntod)?

Zum Einstieg zwei Texte:
https://organspendeblog.wordpress.com/2 ... ertretbar/

http://www.bpb.de/apuz/33313/organspend ... ssay?p=all

Ich persönlich habe keine Bedenken, dass nach meinem Tod meine Organe gespendet werden.
Mit den theoretischen Unterbau habe ich mich noch nicht intensiv beschäftigt.



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Rosita
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Mi 7. Feb 2018, 20:17

Liebe Stefanie,

philosophisch kann ich nichts beitragen.
Aber vielleicht interessiert es, dass hier in Spanien jeder automatisch Organspender ist, wenn er nicht einen Spenderpass
bei sich trägt, der aussagt, dass er nicht Organspender sein will.

Hier in Spanien werden die meisten Transplantationen durchgeführt!!!

Ich finde das sehr gut und alle die ich höre hier, finden das auch.



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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2018, 06:28

Rosita hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2018, 20:17
Aber vielleicht interessiert es, dass hier in Spanien jeder automatisch Organspender ist, wenn er nicht einen Spenderpass bei sich trägt, der aussagt, dass er nicht Organspender sein will.
Das scheint mir eine sehr einfache und auch logische Lösung des Problems zu sein, die ich sofort unterstützen würde! Logisch ist das, weil man in einer säkularen Gesellschaft einfach davon ausgehen kann, dass es jedem einzelnen egal ist, was mit seinen Organen nach dem Tod passiert. Wer - aus welchen Gründen auch immer - anders darüber denkt, der braucht nur Einwände zu erheben und seine Organe werden dann nach seinem Ableben geschützt.

Ich habe es bisher nicht geschafft, die verlinkten Artikel zu lesen. Was spricht denn dagegen, dass Organspenden nach dem Tode der Normalfall ist?




Tosa Inu
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Do 8. Feb 2018, 07:26

Scheint mir eher ein weiterer Schritt in Richtung Kommerzialisierung der Medizin zu sein. Ein Entwicklung, die jetzt schon viel Leid mit sich bringt.
Warum sollte man das Spendersein voraussetzen?
Zudem würde ich die spanische Regelung explizit nicht als Vorbild nehmen, weil die Kriterien für den Todeszeitpunkt in Europa sehr unterschiedlich sind.
In Spanien reicht der Herztod, nicht der Hirntod.
Wenn man für den Handel mit Organen interessant ist, wie lange wird dann wohl die Reanimation im Falle des Herzstillstandes durchgeführt?
Mir erscheint es nicht vollkommen verwegen zu denken, dass es da bei extrem gegenteiligen Interessen auch sehr stark abweichende Meinungen darüber gibt, wann und ob jemand tot ist. Da geht es nicht um den durchmetastasierten Greis, sondern um das junge Unfallopfer und eben einen plötzlichen Herzstillstand.
Also, ich wäre da eher sehr konservativ, gerade mit Blick auf die Spanier.



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Rosita
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Do 8. Feb 2018, 10:31

Natürlich gibt es bei diesem System zwei Seiten. Die eine ist die katholische Kirche und die andere die spanische Öffentlichkeit, die in grosser Mehrheit hinter dem spanischen System steht.
Wen es interessiert, hier sind zwei Artikel PRO.

Die kaholische Kirche bemängelt unter anderem, dass die Seele nicht genügend Zeit hat sich zu verabschieden.

http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/ ... 42284.html

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/ ... 57afc.html



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Do 8. Feb 2018, 10:51

Soweit ich weiß, waren/sind Papst Benedikt und Johannes Paul beides Befürworter der Organspende. Es sei ein Akt der Nächstenliebe und der Menschlichkeit.
Und wenn man in seiner Lehre Wert auf die Dualität von Geist und Körper legt, ist letzterer nach dem Tod nicht weiter relevant.




Rosita
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Do 8. Feb 2018, 12:08

Ich frage mich, wie das gehandhabt werden kann mit Menschen, die wegen iher Religion keine Organentnahmen dulden, noch nicht mal Autopsien. Sind die dann von Transplantationen ausgeschlossen?



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Segler
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Do 8. Feb 2018, 20:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 06:28

Das scheint mir eine sehr einfache und auch logische Lösung des Problems zu sein, die ich sofort unterstützen würde! Logisch ist das, weil man in einer säkularen Gesellschaft einfach davon ausgehen kann, dass es jedem einzelnen egal ist, was mit seinen Organen nach dem Tod passiert.
Ganz so einfach ist es nicht.

Unsere Abendländische Auffassung ist durch und durch rationalistisch. Wir verstehen uns als Selbstbewusstein. Der Körper ist nur ein Akzidenz. Es gibt Kulturen, die sehen das anders. Sie verstehen den Menschen als Einheit aus Geist und Körper. Hier wird das Ausschlachten des Körpers zum Problem.

Das größere Problem ist die Definition von "tot".
Wirklich tot ist ein Organismus, wenn alle Vitalfunktionen zum Stillstand gekommen sind und der Zerfall eingesetzt hat. In diesem Zustand sind Organentnahmen allerdings sinnlos. Daher gibt es sehr deutliche Bestrebungen, das Todeskriterium so zu modifizieren, dass man Organe früher und somit intakt entnehmen kann. Der Hirntod ist ein Beispiel dafür. Menschen, deren Stoffwechselfunktionen noch aktiv sind, werden in ihre Einzelteile zerlegt und verwendet. Warum ist bei Organentnahmen von Hirntoten ein Anästhesist anwesend, der die auszuweidende Person narkotisiert. Sie ist doch tot. Oder?

Ein weiteres Problem ergibt sich aus den ordinären menschlichen Begierden. Ein schwer verletzter, junger Motorradfahrer mit Organspenderausweis wird in die Klinik eingeliefert. Vielleicht könnte man ihn ja retten. Andererseits könnte man seine Organe wirklich gut gebrauchen.




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Stefanie
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Do 8. Feb 2018, 21:37

Mir war nicht ganz klar, dass eine Organspende nur bei einem Hirntod möglich, und dabei die Organe weiterhin besorgt werden.
Für viele Menschen scheint aber ein Mensch nur dann Tod zu sein, wenn das Herz nicht mehr schlägt, der Mensch nicht mehr atmet. Der Hirntod ist weniger offensichtlich, vor allem wenn das Herz noch schlägt.
Ich denke, dass sich damit die Angehörigen schwer tun. Sie sehen ihn oder sie atmen, aber es wird ihnen erklärt, er oder sie ist tot.

Deshalb sollte die Entscheidung über eine Organspende bei einem selbst liegen, und nicht den Angehörigen zugemutet werden.

Ich habe übrigens nicht die geringsten Zweifel, dass alles unternommen wird, damit ein Schwerverletzter überlebt.



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Rosita
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Do 8. Feb 2018, 21:51

Stefanie,

wenn ich mich nicht irre, dann ist jeder Komapatient, der an der Atemmaschine hängt, irgendwie herztot.
Obwohl sein Hirn noch lebt.

Hirntod ist auch nicht so eindeutig. Das Hirn kann manchmal zwar noch teilweise aktiv sein, aber die Hauptfunktionen sind nicht mehr aktiv.
Ich bin auch der Meinung, dass die Möglichkeit so vielen Menschen zu helfen wichtiger ist, als die sehr geringe Möglichkeit der Manipulation. Ausserdem müssen 4 Ärzte den Tod bezeugen.

Auch wenn der Körper noch künstlich am Leben gehalten wird, heisst das nicht, dass der Mensch noch lebt.



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Tosa Inu
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Fr 9. Feb 2018, 14:27

Ihr seid auf dem falschen Dampfer, denn der Hirntod ist das härtere Kriterium.
Erst stirbt das Herz, dann das Hirn.

D.h. die Spanier haben die lascheren Kriterien, o.a. in Deutschland ist man toter, wenn die Organe entnommen werden.
So richtig tot ist der Körper nach 3 Tagen.



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Rosita
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Fr 9. Feb 2018, 17:20

Nein, es ist nicht immer das Herz das zuerst stirbt.
Es kann auch anders herum sein, dass das Hirn zuerst zerstört wird, nämlich bei Operationen oder Unfällen.
Das herz schlägt noch, aber das Gehirn ist nur noch "vegetal" wie die Spanier sagen. Oder sagt man das auch in DE.
Also brutal gesagt, der Mensch ist nur noch "Gemüse", es hat keine Gehirnströme mehr.



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Alethos
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Fr 9. Feb 2018, 21:49

Ich bin gegen die Widerspruchslösung. So heisst ja die Regelung bei Organspenden, die automatisch erfolgen, wenn man sich nicht gegen sie ausspricht. Aber ich bin da ziemlich egoistisch und es ist auch überhaupt nicht rational, denn nach meinem Tod besitze ich gar nichts mehr, auch nicht mehr meine Willensfreiheit. Ich kann nicht wirklich erklären, wieso ich das so empfinde, aber wahrscheinlich ist das so, weil ich denke, dass sich meine Würde über meinen Tod hinaus erstreckt und nicht meine Einwilligung vorausgesetzt werden darf, die ich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich gegeben habe. Ich bin für die Zustimmungslösung und gegen die Widerspruchslösung, nicht zuletzt deshalb, weil ich denke, dass man niemand zu einem Widerspruch zwingen soll, wenn er das Gegenteil will, denn so bürdet man einer Person den Zwang auf, sich gegen oder für etwas entscheiden zu müssen, und das geht gegen liberale Prinzipien.

Nun ist mir aber auch klar, dass es hier um die Rettung von Menschenleben geht und hier verfolgt ja die Widerspruchslösung das Ziel, die Zahl verfügbarer Organe zu erhöhen. Und das ist ja an sich ein Bestreben, das man unterstützen darf. Aber ob man zwangsweise widersprechen müssen soll, wenn man dies nicht will, empfinde ich als Eingriff in meine Privatsphäre.



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Fr 9. Feb 2018, 21:58

Alethos hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 21:49
Ich bin gegen die Widerspruchslösung. So heisst ja die Regelung bei Organspenden, die automatisch erfolgen, wenn man sich nicht gegen sie ausspricht. Aber ich bin da ziemlich egoistisch und es ist auch überhaupt nicht rational, denn nach meinem Tod besitze ich gar nichts mehr, auch nicht mehr meine Willensfreiheit. Ich kann nicht wirklich erklären, wieso ich das so empfinde, aber wahrscheinlich ist das so, weil ich denke, dass sich meine Würde über meinen Tod hinaus erstreckt und nicht meine Einwilligung vorausgesetzt werden darf, die ich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich gegeben habe. Ich bin für die Zustimmungslösung und gegen die Widerspruchslösung, nicht zuletzt deshalb, weil ich denke, dass man niemand zu einem Widerspruch zwingen soll, wenn er das Gegenteil will, denn so bürdet man einer Person den Zwang auf, sich gegen oder für etwas entscheiden zu müssen, und das geht gegen liberale Prinzipien.

Nun ist mir aber auch klar, dass es hier um die Rettung von Menschenleben geht und hier verfolgt ja die Widerspruchslösung das Ziel, die Zahl verfügbarer Organe zu erhöhen. Und das ist ja an sich ein Bestreben, das man unterstützen darf. Aber ob man zwangsweise widersprechen müssen soll, wenn man dies nicht will, empfinde ich als Eingriff in meine Privatsphäre.
Das wirst Du ganz anders sehen, wenn Du selber ein Organ brauchst oder Dein Kind. Was ich aber nicht hoffen will.
Nur hypothetisch. Bild



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Alethos
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Fr 9. Feb 2018, 23:09

Eindeutig, ja, ich würde fordern, dass man mir oder meinem Kind dieses Organ beschaffe. Aber das wäre nicht minder egoistisch mit Bezug auf meinen unbedingten Willen zu überleben, insofern ich ja meinen Überlebenswunsch oder den meines Kindes höher achtete als den Willen des Organspenders, falls er nie ausdrücklich die Einwilligung zur Organentnahme gegeben hat und sie auch nie gegeben hätte. Klar, man kann sagen, der mögliche Spender hätte sich ja melden können und ausdrücken müssen, dass er das nicht gewollt habe, aber warum sollte man überhaupt die Bringschuld in diesem
Punkt auf den möglichen Spender verlagern? Gibt es ein Recht auf Leben mit fremden Organen? Interessant sind ja die moralphilosophischen Argumente, ich brauche nicht überzeugt werden, dass Organspenden sinnvoll sind :)



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Sa 10. Feb 2018, 00:00

Die Realität ist nicht philosophisch, Alethos. :)



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Jörn Budesheim
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Sa 10. Feb 2018, 05:21

Segler hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 20:46
Unsere Abendländische Auffassung ist durch und durch rationalistisch. Wir verstehen uns als Selbstbewusstein. Der Körper ist nur ein Akzidenz. Es gibt Kulturen, die sehen das anders. Sie verstehen den Menschen als Einheit aus Geist und Körper. Hier wird das Ausschlachten des Körpers zum Problem.
Warum besteht das Problem auch über den Tod hinaus? Das ist mir nicht ganz klar geworden. Das heißt ich verstehe nicht, warum der Umstand, dass man an eine Einheit von Geist und Körper zu Lebzeiten glaubt, dazu führen sollte, dass man nach dem Ende dieser Einheit, keine Organe nehmen darf.




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Sa 10. Feb 2018, 07:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 05:21

Warum besteht das Problem auch über den Tod hinaus? Das ist mir nicht ganz klar geworden. Das heißt ich verstehe nicht, warum der Umstand, dass man an eine Einheit von Geist und Körper zu Lebzeiten glaubt, dazu führen sollte, dass man nach dem Ende dieser Einheit, keine Organe nehmen darf.
Es gibt, besonders in Asien und Ozeanien, metaphysische Vorstellungen, die davon ausgehen, dass die Einheit von Geist und Körper über den Tod hinaus anhält. Wer Organe entnimmt, verstümmelt den Menschen, auch wenn er bereits tot ist. Das ist unter anderem die metaphysische Grundlage des Kannibalismus. Ein Kannibale nimmt die Kraft des Gegners auf, indem er dessen Körper verzehrt. Gleichzeitig vernichtet er den Gegner auch jenseitig.

Selbst im aufgeklärten Japan waren Organtransplantationen lange gesetzlich verboten. Auch die Ostasiaten schreiben dem toten Körper noch metaphysische Bedeutung zu.

Solche Vorstellungen gab es latent auch in Europa. So trennte man noch im Mittelalter gelegentlich toten Feinden, hingerichteten Verbrechern und Selbstmördern den Kopf ab, um ihre Wiederauferstehung am jüngsten Tag zu verhindern. Auch die Verbrennung von Leichen galt im christlichen Europa lange Zeit als Gräueltat. Bei Häretikern wurde die Verbrennung als Hinrichtungsmethode angewandt. Der Grund ist wieder derselbe. Die leibliche Auferstehung wird auf diese Weise verhindert.

Die streng rationalistische Auffassung, der Körper sei nur ein Anhängsel des eigentlichen Ichs, hat in Europa ebenfalls lange Tradition. Ausgehend von den Pythagoräern über Platon und Descartes hat sie sich in der westlichen Welt durchgesetzt. Wir verstehen uns nicht als Körper, sondern als Selbstbewusstsein. Der Körper ist für uns nur die materiale Grundlage, um das Selbstbewusstsein zu erhalten. Da macht es natürlich nichts aus, wenn der Körper zerlegt wird, nachdem er seine Funktion verloren hat.




Tosa Inu
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Sa 10. Feb 2018, 09:50

Rosita hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 21:58
Das wirst Du ganz anders sehen, wenn Du selber ein Organ brauchst oder Dein Kind. Was ich aber nicht hoffen will.
Rosita hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 00:00
Die Realität ist nicht philosophisch, Alethos. :)
+ @'Alethos'

Dahinter steckt die Idee, dass wir, spätestens, wenn es eng wird, doch alle Egoisten sind oder zu welchen werden.
Dagegen sind Moral und Ethik von jeher aufgestanden. Zurecht.

Aktuell hat das vielleicht weniger Konjunktur, da narzisstische und insofern egoistsche Bewegungen ("Was kümmern mich die anderen?") schwer in Mode sind, wenn man das aber nicht mit stehenden Ovationen feiern und durchwinken will (was auch bei Narzissten/Egoisten rapidement endet, wenn sie mal selbst mit den Anprüchen eines anderen Menschen konfrontiert sind), sollte man schauen, dass die Idee Philosophie (oder Reflexion) sei etwas vom Alltag Abgekoppeltes und insofern für stille Stunden oder launige Gesellschaftsabende, nicht noch weiter um sich greift, sondern in diesen (re)integriert wird. Das geht und nennt sich Gewissen.

Die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, inklusive in Organhandel, Intensivmedizin, Medizin, Pharmakologie, Kranken- und Altenpflege ist eine Bewegung, die desen Trend verstärkt, denn es stellt sich unmittelbar die Frage nach dem Wert und Nutzen eines Lebens, der dann doch etwas faulige Atem dem Utilitarimus.

[Hier könnte eine seitenlange Tirade stehen, ich belasse es beim Impulsversuch.]

PS: Ich meinte übrigens nicht, dass der Hirntod immer später kommt, sondern das härtere Kriterium ist, insofern ist man, wenn man scharf auf Organe ist, in Spanien ein weiteres Mal eher an der Sonne. Da der Durchblutungsmangel viele Organe rasend schnell versaut, ist man da unter einem erheblichen Zeitdruck, da ist man dann, so die Befürchtung, schon mal eher tot als man gestorben ist ... zumal die Kriterien ja abweichen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Rosita
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Sa 10. Feb 2018, 11:15




Dahinter steckt die Idee, dass wir, spätestens, wenn es eng wird, doch alle Egoisten sind oder zu welchen werden.
Dagegen sind Moral und Ethik von jeher aufgestanden. Zurecht.

Aktuell hat das vielleicht weniger Konjunktur, da narzisstische und insofern egoistsche Bewegungen ("Was kümmern mich die anderen?") schwer in Mode sind, wenn man das aber nicht mit stehenden Ovationen feiern und durchwinken will (was auch bei Narzissten/Egoisten rapidement endet, wenn sie mal selbst mit den Anprüchen eines anderen Menschen konfrontiert sind), sollte man schauen, dass die Idee Philosophie (oder Reflexion) sei etwas vom Alltag Abgekoppeltes und insofern für stille Stunden oder launige Gesellschaftsabende, nicht noch weiter um sich greift, sondern in diesen (re)integriert wird. Das geht und nennt sich Gewissen.
In Spanien geht man davon aus, dass der Hirntod unweigerlich nach spätestens 5 Minuten eintritt, wenn das Herz nicht mehr schlägt. Länger kann das Gehirn ohne Sauerstoff nicht überleben. Danach kann der Patient an die Herz-Lungenmaschine angeschlossen werden, das zwar den Zellverfall aufhält, aber den Mensch nicht wieder reanimiert. Denn nur wenn das Gehirn noch Hirnströme aufweisst und der Körper eine Spontanatemreaktion hat, lebt der Mensch.

Wenn der Patient rechtzeitig an die Herz-Lungenmaschine angeschlossen werden kann und eine Reanimierung möglich ist, dann wird auch in Spanien niemand aufgegeben. Eine andere Behauptung ist vermessen.
Im übrigen gab es in Deutschland einen Organhandelskandal und nicht in Spanien.

Jeder der nicht damit einverstanden ist, dass seine Organe entnommen werden, hat die unterschiedlichsten Möglichkeiten das bekannt zu machen.
PS: Ich meinte übrigens nicht, dass der Hirntod immer später kommt, sondern das härtere Kriterium ist, insofern ist man, wenn man scharf auf Organe ist, in Spanien ein weiteres Mal eher an der Sonne. Da der Durchblutungsmangel viele Organe rasend schnell versaut, ist man da unter einem erheblichen Zeitdruck, da ist man dann, so die Befürchtung, schon mal eher tot als man gestorben ist ... zumal die Kriterien ja abweichen.


Diese Annahme verstehe ich nicht. Wie kann das gehen, wenn der Hirntod bereits nach 5 Minuten nach dem Herztod eintritt.
Das erkläre doch mal bitte.



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