Das Böse

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Di 4. Sep 2018, 22:28

Was ist das Böse?
Das radikalste, schlimmste am und im Menschen?

Zum Einstieg zwei Zitat über das Böse.

1) Kant:
„Dieses Böse ist radical, weil es den Grund aller Maximen verdirbt; zugleich auch als natürlicher Hang durch menschliche Kräfte nicht zu vertilgen, weil dieses nur durch gute Maximen geschehen könnte, welches, wenn der oberste subjective Grund aller Maximen als verderbt vorausgesetzt wird, nicht statt finden kann; gleichwohl aber muß er zu überwiegen möglich sein, weil er in dem Menschen als frei handelndem Wesen angetroffen wird.“

2) Hannah Arendt

"Ich bin in der Tat heute der Meinung, dass das Böse immer nur extrem ist, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. Es kann die ganze Welt verwüsten, gerade weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiterwuchert. Tief aber, und radikal ist immer nur das Gute." (Hannah Arendt an Gershom Scholem, New York, 20. Juli 1963)

(Zeitlich nach ihrer Aussage über die Banalität des Bösen.)



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
proximus
Beiträge: 299
Registriert: Do 31. Mai 2018, 09:23

Mi 5. Sep 2018, 06:10

Zunächst einmal bedeutet m.E. "das Böse" und "die Wahrheit" "ein Gleiches" : "Universalie".



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23449
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 5. Sep 2018, 20:24

Wenn Arendt von der Banalität des Bösen spricht, dann scheint in mir natürlich gleich der Name Eichmann auf. Das Böse ist dann nicht radikal, tief, abgründig oder dämonisch verliert damit alles "faszinierende" was es in einer solchen Sicht haben könnte. Eichmann ist dagegen "ein stumpfer Bürokrat der Show, der nicht von diabolischen vernichtungs willen, sondern bloß von persönlichem Streber tun betrieben worden, und dessen bemerkenswerteste Eigenschaft an seinem eklatanten Mangel an Phantasie bestand." (Micha Werner) Solches Böse ist nicht tief, sondern flach und schäbig.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 5. Sep 2018, 22:17

Der berühmte Ausspruch "Die Banalität des Bösen."
Ich habe dazu ein interessante Interview mit Susan Neiman gefunden:

https://philomag.de/heimisch-bleiben-in ... auschwitz/


Mein Verständnisproblem ist, was Kant wie Arendt mit Radikal und Tiefe meinen.
Die Vorstellung von Eichmann war der eines "Streber" ohne Vorstellungsvermögen, Gedankenlos. Aber ist das nicht gerade radikal, weil er eben so war wie war? Also inhuman? Nach dem alltäglichen Sprachgebrauch und Vorstellung ist das Böse immer radikal und hat Tiefe, weil es so radikal ist.
Irgendwie liest sich das wie gegen den Strich gebürstet.
Ich verstehe die Ansicht von Arendt, nur nicht wirklich die Wortwahl, und was Kant mit radikal meint, ist mir nicht so klar.
Ich habe zudem gelesen, dass Arendt mit ihrer Sicht sich gegen Kant wendet. Da ich mal wieder mit Kant Probleme habe kann ich das nicht so nachvollziehen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Bartleby
Beiträge: 16
Registriert: Mi 16. Aug 2017, 18:16

Mi 5. Sep 2018, 22:46

Hallo Stefanie,

ach stimmt, da war ja mal was ... Ich bin so frei und zitiere mich mal selbst (nach einem alten, leicht überarbeiteten Forumsbeitrag aus dem Philosophie-Raum mit dem Projekttitel "Die Wurzel allen Übels") :P ; vielleicht wird Dir dadurch ja auch klarer, was "Radikalität" in diesem Zusammenhang bedeutet:

„Das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an“ heißt es in Gen 8,21. An die Auffassung, der Mensch sei von vorneherein moralisch verdorben, schließt auch Kant in seiner Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) an (die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf die Reclam-Ausgabe, hrsg. v. Rudolf Malter, Stuttgart 1996), in der er seine Konzeption eines „radikal Bösen“ entwickelt. Darunter versteht Kant allerdings nicht, Böses um des Bösen willen zu tun, was Kant zufolge kein Mensch, sondern allenfalls ein teuflisches Wesen wollen kann. Das radikal Böse, die „Bösartigkeit“ im eigentlichen Sinn, bezeichnet vielmehr eine fundamentale Verkehrung der Gesinnung “radikale[n] Verkehrtheit im menschlichen Herzen” (46), nämlich andere Motive als die unbedingte Achtung vor der Moral selbst und ihrem Gesetz zum Ausgangspunkt seines moralischen Wollens und Handelns zu machen bzw. sie dieser Achtung vorzuziehen. „Radikal“ zu nennen ist dieses Böse deswegen, weil es für Kant tatsächlich in der Natur des Menschen, d.h. in diesem Fall aber in „keinem Naturtriebe“ (22), sondern vielmehr einem unerforschlichen ersten „subjektive[n] Grund“ (23, Anm.) seiner Maximen, eben seinem „Herzen“ und dessen grundsätzlicher Art und Weise, von seiner Freiheit Ge- oder auch Missbrauch zu machen, verwurzelt ist. In anderen Worten: beherrschen eigennützige Motive den Willen einer Person, ist die Gesinnung des Herzens radikal korrumpiert oder verdorben insofern, als der Mensch sich um das, was moralisch richtig oder geboten wäre, nicht oder jedenfalls erst sekundär kümmert, weil sein Eigeninteresse oder seine persönlichen Neigungen ihm im Grunde wichtiger sind. Bemerkenswerterweise ist das radikal Böse zugleich aber nichts, was der Mensch sich vor sich selbst eingestehen oder vertreten will oder kann. Hinzu kommt daher auch „eine gewisse Tücke (...) sich wegen seiner eigenen guten oder bösen Gesinnungen selbst zu betrügen“ (46) oder sich diesbezüglich „blauen Dunst vorzumachen“ (47), eine Trübung des Urteilsvermögens, die „sich denn auch äußerlich zur Falschheit und Täuschung anderer“ (ebd.) ausweitet. Radikal Böses und lügenhafte (Selbst-)Täuschung oder (Selbst-)Betrug scheinen insofern eine intrinsische Beziehung zueinander zu haben, so dass das radikal Böse nach Kant möglicherweise nicht nur der „faule“ (ebd.), sondern auch der blinde Fleck des Menschen genannt werden kann. Darin unterscheidet es sich auch von der bloßen Willensschwäche oder „Gebrechlichkeit“ (Kant), die bereits Paulus anspricht: „Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ (Römer 7,19): Ich kann eingestehen und akzeptieren, ein schwacher, ohnmächtiger Mensch zu sein, dem es an der nötigen Willenskraft oder Willensstärke fehlt, nicht aber, ein vorsätzlich verdorbener.

Sofern Kants Moralphilosophie die Entscheidung über den moralischen Wert oder Unwert von Handlungen allein im Inneren, in Motivlagen und deren grundlegende Dispositionen im menschlichen Gemüt als deren Bedingungen ansiedelt (uneingeschränkt gut ist für Kant bekannlich ja nur der gute Wille), entrückt dies das Böse allerdings zugleich in eine gewisse Ungreifbarkeit und damit auch (Un-)Heimlichkeit. Auch eine dem äußeren Anschein nach gute Handlung, die zufällig mit dem moralisch Richtigen übereinstimmt, kann demnach ja einer „bösen“ Gesinnung entspringen - und das, dank der Selbsttäuschung, zugleich bei bestem Gewissen. Wir können demnach aufgrund der berühmten Unerforschlichkeit des menschlichen Herzens von uns selbst offenbar nicht mit letzter Sicherheit wissen, ob und inwieweit wir „gut“ oder „böse“ sind, ob und inwieweit wir uns in diesem Punkt selbst etwas vormachen, und letzteres jedenfalls nicht ausschließen.

Im Allgemeinen kann man mit einem solchen Fazit leben. Angesichts der Konfrontation mit Handlungen, die so offensichtlich als „böse“ erlebt werden, dass man, in einer Formulierung Hannah Arendts, nur fassungslos sagen kann ‚das hätte nie geschehen dürfen’, die geeignet sind, das Grundvertrauen in die Welt und den Menschen nachhaltig zu erschüttern, wird diese Ungewissheit jedoch zum quälenden Alptraum. Die Erfahrung zeigt, dass – jedenfalls der Aussage der Täter nach - monströse Taten offenbar keineswegs von Menschen mit ebenso monströsen Absichten oder ausgemachten Psychopathen begangen werden müssen, sondern auch von solchen begangen werden können, die im Nachhinein mitunter beteuern, nur die besten Absichten gehabt zu haben oder auch nur einfach ihre Pflicht erfüllt zu haben. Unter dem Eindruck des Prozesses gegen Adolf Eichmann 1961 stellt Hannah Arendt Kants Behauptung eines „radikalen“ Bösen radikal infrage. In Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen (1963) sowie einer (von Arendt nicht zur Veröffentlichung bestimmten) Vorlesung aus dem Jahr 1965 (dt.: Über das Böse, hrsg. v. Jerome Kohn, München 2006) entwickelt Arendt eine Konzeption des Bösen, das von Menschen begangen wird, „die sich weigern, Personen zu sein“ (Über das Böse, 101), d.h. über ihr Tun nachzudenken/zu reflektieren und sich an ihre Taten zu erinnern, die darüber sozusagen die Kommunikation mit sich selbst verweigern und denen daher auch die „Dimension der Tiefe“ (ebd., 77) in gewisser Weise fehlt. Anbetrachts ihres drastischen Bildes des Bösen als eine Art „Pilz“, der insofern gerade keine tieferen Wurzeln hat und gerade deswegen die gesamte Oberfläche überwuchern kann, wirkt ihre bekannte These von der „Banalität des Bösen“ keineswegs verharmlosend, sondern nur umso verstörender – enthält aber auch ein Moment der Hoffnung, dass es zumindest denkbar oder möglich ist, das banale Böse zu überwinden.

LG, Bartleby

p.s. Bitte nicht wundern, sollte ich erst nach längerer Zeit dazu kommen, zu antworten. Bin in den nächsten Tagen voll eingespannt ...



Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est, et speculum. (Alanis ab Insulis)

Bartleby
Beiträge: 16
Registriert: Mi 16. Aug 2017, 18:16

Mi 5. Sep 2018, 23:06

Stefanie hat geschrieben :
Mi 5. Sep 2018, 22:17
Ich habe zudem gelesen, dass Arendt mit ihrer Sicht sich gegen Kant wendet. Da ich mal wieder mit Kant Probleme habe kann ich das nicht so nachvollziehen.
Doch nutze ich die Gunst der Stunde noch für einen kurzen Nachtrag:
Arendt wendet sich so weit mir bekannt insbesondere gegen die Kantsche Gesetzeskonzeption von Moral. Etwas gemäß dem Kategorischen Imperativ in die Maxime seines Handelns aufnehmen heißt für Kant: es sich zur allgemeinen Regel zu machen, an die man sich hält, so wie man sich auch an Gesetze hält. Das heißt nach Arendts Auffassung aber auch: Kant unterscheidet nicht genau genug zwischen Legalität und Moralität. Hier wiederum kommt dieses spezifisch menschliche dialogische Selbstverhältnis von "Zwei-in-Einem" (Über das Böse, 70) ins Spiel, das harmonisch oder auch disharmonisch verlaufen kann. Vor sich selbst kann man ja nicht einfach weglaufen; schlimmstenfalls ist man dazu "verdammt, in unerträglicher Intimität mit einem Unrechttuenden zusammenzuleben" (ebd., 70), sozusagen sein eigener Feind zu sein. (Bei Kant kann man zwar auch von einem Selbstverhältnis sprechen, allerdings eher in der hierarchischen Form, dass ich dann eben mein eigener Regel- oder Gesetzgeber bin... ) Und dieses Kriterium des offenen Mit-sich-Umgehen- und-Leben-Könnens auf Augenhöhe ist, so Arendt, "im Unterschied zum rechtlichen, ein rein moralisches Prinzip" (ebd., 97) - und daher auch das entscheidende. In diesem Sinn schreibt sie an anderer Stelle:

„Diejenigen, die nicht [an der NS-Diktatur und ihren Auswüchsen] teilnahmen und von der Mehrheit als unverantwortlich bezeichnet wurden, waren die einzigen, die es wagten, selber zu urteilen. Zu dieser Urteilsbildung waren sie nicht etwa deshalb in der Lage, weil sie über ein besseres Wertesystem verfügten, oder weil die alten Maßstäbe für Recht und Unrecht immer noch fest in ihrem Denken und ihrem Bewußtsein verwurzelt waren, sondern, so würde ich sagen, weil ihr Gewissen nicht in dieser sozusagen automatischen Weise funktionierte (...) Die Voraussetzung für diese Art der Urteilsbildung ist keine hoch entwickelte Intelligenz oder ein äußerst differenziertes Moralverständnis, sondern schlicht die Gewohnheit, ausdrücklich mit sich selber zusammenzuleben, das heißt, in jenem stillen Zwiegespräch zwischen mir und meinem Selbst zu stehen, das wir seit Sokrates und Plato gewöhnlich als Denken bezeichnen (...) In dieser Hinsicht kann uns der totale moralische Zusammenbruch der ehrenwerten Gesellschaft während des Hitler-Regimes lehren, daß es sich bei denen, auf die unter diesen Umständen Verlaß ist, nicht um jene handelt, denen Werte lieb und teuer sind und die an moralischen Normen und Maßstäben festhalten (...)Viel verläßlicher werden die Zweifler und Skeptiker sein (...) weil diese Menschen es gewohnt sind, Dinge zu überprüfen und sich ihre eigene Meinung zu bilden.“ (H. Arendt: Responsibility under Dictatorship (1964), dt. Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, in: dies.: Nach Auschwitz, 81ff., hier 93f.)
Zuletzt geändert von Bartleby am Mi 5. Sep 2018, 23:32, insgesamt 3-mal geändert.



Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est, et speculum. (Alanis ab Insulis)

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 5. Sep 2018, 23:27

Hallo Bartleby,

schön von Dir zu lesen. Ich werde die Beiträge in Ruhe durchlesen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Do 6. Sep 2018, 19:39

Danke Bartleby.

An einigen Punkten hakt es aber bei mir noch. Ich mache dies mal häppchenweise.*
Darunter versteht Kant allerdings nicht, Böses um des Bösen willen zu tun, was Kant zufolge kein Mensch, sondern allenfalls ein teuflisches Wesen wollen kann
Auch Arendt teilt scheint diese Ansicht zu teilen, dass es für den Menschen unmöglich ist, das Böse um des Böse zu wollen. (So Torkler, der das Denktagebuch zitiert.)
Das ist mir etwas rätselhaft.

Wenn das Böse - die Bösartigkeit - dann vorliegt, wenn andere Motive als die unbedingte Achtung vor der Moral und ihren Gesetzten einem Wollen und Handeln zugrunde liegen, wieso ist dann ein z.B. ein Mord aus Habgier nicht etwas Böses um des Böses willen? Das ist eine fundamentale Mißachtung der Moral und den Gesetzen. Absolutes Eigeninteresse wird mittels Gewalt durchgesetzt.

Auch eine dem äußeren Anschein nach gute Handlung, die zufällig mit dem moralisch Richtigen übereinstimmt, kann demnach ja einer „bösen“ Gesinnung entspringen - und das, dank der Selbsttäuschung, zugleich bei bestem Gewissen.
Arendt schreibt:
"Wenn ich jemanden verrate, um einer sogenannten guten Sache zu helfen, so steht die Frage nicht mehr, ob sich vielleicht die gute Sache im Handumdrehen in eine schlechte verwandelt, sondern lediglich die Tatsache, dass ich Verrat in die Welt des menschlichen Verhaltens gebracht habe. Hier wird das Mittel nicht nur gelegentlich stärker als der Zwecke, sondeen die sogenannten Mittel sind immer das einzige was zählt, der Zwecke wird immer zu illusionären Verhalten, und zwar deshalb, weil ja das unmittelbar, greifbare Handeln sofort das ist, so dass sich die Welt prinzipiell geändert hat, bevor der Zweck erreicht ist, und zwar so geändert, dass der Zweck unter Umständen gar nicht mehr sinnvoll ist."
"Eine gute Tat für einen bösen Zwecke fügt der Welt Güte zu; eine böse Tat für einen guten Zweck fügt der Welt Bosheit zu."
Beides aus dem Denktagebuch, zitiert nach Salzberger, Seite 115.


Hier komme ich weder mit Kant, der Zweck-Mittel-Relation und meinem juristisch Erlernten nicht mehr weiter. Wie kann ein böser Zweck eine gute Tat bewirken? Oder anders gefragt, wenn ein böser Zweck vorliegt, wie kann dann nur Ausführung dieses Zweckes eine gute Tat dabei rauskommen?


*Kleiner Hinweis: Ich habe bei weiten nicht alle Publikationen von Arendt (das sprengt selbst mein Bücherbudget). Im Original habe ich "vita activa", "Eichmann in Jerusalem", "Das Urteilen". Ich habe mir als Zufallsfunde Florian Salzberger "Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen" und Rene Torkler "Philosophische Bildung und politische Urteilskraft" gekauft, und bislang nur Salzberger fast durch und aus dem anderen Buch nur die Passagen zum Bösen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Bartleby
Beiträge: 16
Registriert: Mi 16. Aug 2017, 18:16

Fr 7. Sep 2018, 01:45

Stefanie hat geschrieben :
Do 6. Sep 2018, 19:39
Wenn das Böse - die Bösartigkeit - dann vorliegt, wenn andere Motive als die unbedingte Achtung vor der Moral und ihren Gesetzten einem Wollen und Handeln zugrunde liegen, wieso ist dann ein z.B. ein Mord aus Habgier nicht etwas Böses um des Böses willen? Das ist eine fundamentale Mißachtung der Moral und den Gesetzen. Absolutes Eigeninteresse wird mittels Gewalt durchgesetzt.
Ja, das ist eigentlich eine ganz interessante und gar nicht so eindeutige Unterscheidung: Böses um seiner Selbst bzw. um des banalen Eigennutzes oder Eigeninteresses willen ist offenbar etwas anderes als Böses um seiner selbst willen, weil man - wie Shakespeares dämonische Figur des Richard III. - bewusst und absichtlich böse sein will. Eigeninteresse, könnte man daraus folgern, ist offenbar nicht schon per se etwas Böses. Oder - nach Kants Bestimmung des radikal Bösen jedenfalls - doch? Denn es ist eben auch etwas anderes als das Gute oder Richtige allein um seiner selbst willen zu wollen, einfach nur weil es das Gute und Richtige ist. Um auf Dein Beispiel zurückzukommen: Der Unterschied, könnte man mit Kant vielleicht sagen, liegt wohl eher in der Selbsttäuschung über die wahre Natur der Absichten des selbstsüchtigen Mörders: Er will ja eigentlich nichts Böses, sondern etwa 'nur' vorzeitig in den Genuss eines reichen Erbes kommen, und sieht zu diesem alles andere bestimmenden Zweck zu seinem großen Bedauern nun mal kein anderes Mittel...
Stefanie hat geschrieben :
Do 6. Sep 2018, 19:39
"Eine gute Tat für einen bösen Zwecke fügt der Welt Güte zu; eine böse Tat für einen guten Zweck fügt der Welt Bosheit zu."
Beides aus dem Denktagebuch, zitiert nach Salzberger, Seite 115.


Hier komme ich weder mit Kant, der Zweck-Mittel-Relation und meinem juristisch Erlernten nicht mehr weiter. Wie kann ein böser Zweck eine gute Tat bewirken? Oder anders gefragt, wenn ein böser Zweck vorliegt, wie kann dann nur Ausführung dieses Zweckes eine gute Tat dabei rauskommen?
Wenn Du statt "Zweck" den Begriff "Absicht" verwendest, wird die Sache vielleicht klarer. Absichten, ob nun gute oder schlechte, sind als solche schließlich verborgen, sie treten anders als die daraus entspringenden Taten nicht unmittelbar in Erscheinung und sind damit "greifbar" (das In-Erscheinung-Treten in der Welt ist nach Arendt ja auch gerade Kennzeichen allen Sprechen und Handelns). Man kann - so wie Kant - letztere von ersteren her beurteilen. Bekanntlich ist demnach nichts auf der Welt gut als der gute Wille allein. Es gibt jedoch noch einen anderen (manchmal auch "konsequentialistisch" genannten) Ansatz: man kann Taten auch nach ihren Auswirkungen in der Welt, nach ihren guten oder schlechten Folgen beurteilen, unabhängig davon welche Absicht ihnen zugrunde gelegen haben mag. Wenn ich einer Person helfe, nur um eine andere Person zu ärgern, dann hat diese Handlung trotzdem und unabhängig von der fragwürdigen Absicht positive Auswirkungen. Und auch umgekehrt gilt: der scheinbar beste Absicht kann üble Folgen haben, zumal wenn sie mit fragwürdigen Mitteln wie Verrat umgesetzt werden soll.



Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est, et speculum. (Alanis ab Insulis)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Fr 7. Sep 2018, 16:57

Stefanie hat geschrieben :
Di 4. Sep 2018, 22:28
Was ist das Böse?
...

1) Kant:
„Dieses Böse ist radical, weil es den Grund aller Maximen verdirbt;...“

2) Hannah Arendt

"Ich bin in der Tat heute der Meinung, dass das Böse immer nur extrem ist, aber niemals radikal, ...."
---
Bartleby hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 01:45
Man kann - so wie Kant - letztere von ersteren her beurteilen. Bekanntlich ist demnach nichts auf der Welt gut als der gute Wille allein. Es gibt jedoch noch einen anderen (manchmal auch "konsequentialistisch" genannten) Ansatz: man kann Taten auch nach ihren Auswirkungen in der Welt, nach ihren guten oder schlechten Folgen beurteilen, unabhängig davon welche Absicht ihnen zugrunde gelegen haben mag. Wenn ich einer Person helfe, nur um eine andere Person zu ärgern, dann hat diese Handlung trotzdem und unabhängig von der fragwürdigen Absicht positive Auswirkungen. Und auch umgekehrt gilt: der scheinbar beste Absicht kann üble Folgen haben, zumal wenn sie mit fragwürdigen Mitteln wie Verrat umgesetzt werden soll.
Bei all dem fällt auf, dass die Frage des Threads kaum berührt wird.
Es wird vorausgesetzt, dass man bereits weiß, was das Böse ist und dann kommentiert, wie es (das Böse) ist (Kant und Arendt, oben) oder (unten), dass man das Gute wollen muss, entweder in der guten Absicht oder der indem es sich als gute Auswirkung zeigt.

Wenn man allerdings sagt, dass das Böse die Abwesenheit des Guten und das Gute die Abwesenheit des Bösen sei, muss man mindestens einen der Begriffe bestimmen.

Aber was macht eine Tat (oder Unterlasseung) zu einer bösen? Wenn nicht der Egoismus allein, dann ist die Lust am Leid des anderen m.E. ein guter Kandidat.
Noch beim industriellen Massenmord in dem Konzentrationslagern, hat man Menschen maximal dehumanisiert. Aus dem 'Untermenschen' wird das 'Vieh' oder 'Ungeziefer', heute manchmal die Naturkatastrophe (der Tsunami ... wobei ich da immer auch auf den Kontext schauen würde, nicht jede missglückte Formulierung ist abgrundtief böse), in der Steigerung bei Eichmann bleibt dann nur noch der andere, als das logistische Problem. Ist man erst mal bei der Frage angekommen, wie man bei der 'Entsorgung' maximal effizient vorgehen kann, ist der lebendige Mensch, der fühlende andere zum Stückgut geworden und als einer der wie ich ist gar nicht mehr erkennbar. Das ist die böse Absicht aller Brutalentwerter. Den Verantwortlichen für KZs hat man ja auch oft ihre Kühle und Emotionslosigkeit vorgeworfen, die sadistischen unter den Lageraufsehern handelten vielleicht aus Lust, für die Logistiker wird das oft kein Thema gewesen sein.

Aber in welcher Haltung drückt sich das Böse nun stärker aus: In der (auf den ersten Blick) emotionsarmen Entwertung des anderen, in der ich ihn zum Ding mache? Oder in der sadistischen Lust, mit der ich sehe, wie ein anderer leidet und mich großartig fühle, weil es leidet und in der Steigerung, weil ich es bin, der ihm dieses Leid zufügen kann? Oder in der ideologisch (pseudo)legitimierten Sicht, man stünde auf der Seite der eigentlich Guten und habe daher das Recht, die anderen zu töten?

Und, ja, immernoch: Was macht ein Handlung oder Absicht eigentlich böse?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Fr 7. Sep 2018, 22:25

Ich habe einen Knoten in meinen Gedanken und warum auch immer muss ich an die Frage des Altruismus denken. Seltsam.

Die Position von Arendt hat ja wohl auch die Folge, dass man eigentlich nicht mehr sagen kann, dass Gut und Böse sich ausschließen bzw. man nicht mehr sagen kann, Gut ist die Abwesenheit des Bösen oder umgekehrt.


Nur als kleiner Zusatz zum Thema:




Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 10:24

Stefanie hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 22:25
Ich habe einen Knoten in meinen Gedanken und warum auch immer muss ich an die Frage des Altruismus denken. Seltsam.
Vielleicht, weil der Altruismus gut als Wunsch definiert werden kann, das Wohlergehen eines anderen zu vergrößern.
Das ist ja beim Streben nach dem Guten ähnlich, beim Utilitarismus geht es um das Wohlergehen aller oder der größtmöglichen Zahl.
Stefanie hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 22:25
Die Position von Arendt hat ja wohl auch die Folge, dass man eigentlich nicht mehr sagen kann, dass Gut und Böse sich ausschließen bzw. man nicht mehr sagen kann, Gut ist die Abwesenheit des Bösen oder umgekehrt.
Woran machst Du das fest?

Ich finde eher, dass sie hier noch verschärft, da sie den Fokus aufs Hier und Jetzt legt.
Wenn ich jetzt lüge, füge ich der Welt ein Übel zu (und wenn ich jetzt jemadem helfe, etwas Gutes) unabhängig, ob für später ein gutes (oder böses) Ziel angepeilt ist.
Sie sieht also von der zukünftgen und strategischen Intention ab. Aber hieße das nicht, man sollte sein Kind nicht zur Schule schicken, wenn es hier und jetzt lieber spielen möchte?

Nach Auschwitz hat Kants KI gelitten, weil er sagt, dass Lügen immer schlecht ist, aber das hieße eben jemanden den Schergen auszuliefern.
Nur, was macht z.B. die Nazi-Schergen, die jemanden suchen, verhaften und womöglich töten wollen, denn nun eigentlich zu bösen Menschen?
Sie könnten ja meinen, dass das, was sie tun richtig ist, wie billig legitimiert diese Vorstellung auch immer sein mag.

Was macht jemanden zu einem bösen Menschen?
Oder, wenn das nach Arendt nicht mehr gelten sollte und Deine Auffassung stimmt: Was schützt die Ansicht, dass gut und böse nicht sauber zu trennen sind, vor einem Abrutschen in den moralischen Relativismus?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23449
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 11:11

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 16:57
Es wird vorausgesetzt, dass man bereits weiß, was das Böse ist
Im Grunde muss es so auch so, oder? Nehmen wir an, ich schlage eine Definition D des Bösen vor. Du kannst D zustimmen, D anzweifeln, D unvollständig finden, D ablehnen etc. Aber all das doch nur auf Basis eines Wissens, was das Böse ist, finde ich.




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 11:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 11:11
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 16:57
Es wird vorausgesetzt, dass man bereits weiß, was das Böse ist
Im Grunde muss es so auch so, oder? Nehmen wir an, ich schlage eine Definition D des Bösen vor. Du kannst D zustimmen, D anzweifeln, D unvollständig finden, D ablehnen etc. Aber all das doch nur auf Basis eines Wissens, was das Böse ist, finde ich.
Ja, nur habe ich noch keine Definition des Bösen gefunden.
Und des Guten auch noch nicht. Alternativ, wenn das Böse oder Gute zu metaphysisch klingt, was denn nun eine Absicht oder Handlung gut bzw. böse sein lässt.

Machen wir es mal konkret, mit Arendt oder wem auch immer, als angelegte Messlatte. Jan Fleischhauer ist beim Spiegel der abonnierte Konservative ist, hinterfragt den Automatismus, des "ist doch klar" und dass man automatisch gut ist, wenn man gegen rechts ist, ein wenig, in seiner jüngsten Kolumne.

Interessant ist Kommentar 2 zu dem Artikel:
Ich bin auch dagegen dass man zu Gewalt gegen Polizisten aufruft. Keine Frage. Aber lassen wir uns mal folgenden Satz betrachten: "Wir setzen an die Stelle des Wortes "Bullen" einfach "Frauen" oder "Schwule" ein." Und hier zeigt sich, dass der Liebe Herr F. nicht mehr so ganz Herr seines Verstandes ist. Ein denkender Mensch hätte nämlich den Unterschied gemerkt, dass man freiwillig Polizist wird. Wer danach den weiteren Text noch ernst nehmen kann, tut mir ehrlich gesagt leid.
(Quelle, im gleichen link)
Was will uns der Autor sagen? Und mit welchem Recht? Wenn man freiwillig etwas wird, ist man damit automatisch Freiwild jener Menschen, die sich, auf jede weitere Defintion verzichtend - weil: "Weiß man doch", "Darüber brauchen wir doch wohl nicht zu reden, oder ...?", das beliebte Motiv der konventionellen Rechthaber, die meinen Anpassung an die Masse derer, von denen man denkt, sie seien aktuell in der Mehrheit, erübrige jede weitere Begründung oder Diskussion - qua Selbsternennung zu den Guten rechnen. Weil man ja schließlich gegen das Böse ist?
Klingt ein wenig wie: "Ich bin ja niemand, der zur Gewalt gegen Polizisten aufruft, aber ..."

Dass man damit inzwischen alles rechtfertigen kann, ist traurig und radikal unphilosophisch. Aber wie der Mainstream ebenfalls weiß, ist ja schon genug geredet worden, jetzt muss Haltung gezeigt. Wäre diese Vorstellung aus dem Jahr 2018 im Jahr 1938 eigentlich genauso fraglos richtig gewesen?
Manchmal lohnt es sich, das scheinbar implizit Gewusste explizit zu mache. Solche Forderungen werden zum Ärgerniss, wenn sie auf den Club der nackten Kaiser treffen.
Zuletzt geändert von Tosa Inu am Sa 8. Sep 2018, 12:05, insgesamt 1-mal geändert.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23449
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 11:57

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 11:50
Ja, nur habe ich noch keine Definition des Bösen gefunden.
Vielleicht gibt es auch keine. In der Sprache dürfte es viele basale/primitive Begriffe geben, die wir nicht mehr mittels anderer Begriffe definieren können.




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 12:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 11:57
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 11:50
Ja, nur habe ich noch keine Definition des Bösen gefunden.
Vielleicht gibt es auch keine. In der Sprache dürfte es viele basale/primitive Begriffe geben, die wir nicht mehr mittels anderer Begriffe definieren können.
Dann können das Gebiet der Ethik und Moral ja zu den Akten packen.

Alternativ: Vielleicht ist es einfach nur nicht so leicht, wie der Mainstream meint und vielleicht lohnt ja gerade daher die Diskussion.
Wir finden ja haufenweise Beispiele für das richtig Böse: Jemanden einfach so vor den Zug schubsen, KZs betreiben, Kinder f ... , jemanden zu Tode quälen, einen Amoklauf begehen, terroristische Attentate begehen ... aber was ist denn nun das alles verbindende Böse an diesen Taten?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23449
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 12:48

Stefanie hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 22:25
Gut ist die Abwesenheit des Bösen oder umgekehrt.
Hmmm. Sicher gibt es auch Handlungen, die moralisch indifferent sind, oder? Bei diesen wäre das Böse zwar abwesend, aber damit wären sie nicht automatisch gute Handlungen, oder?

Ich bin auch nicht 100% sicher, ob das Gute und das Böse "parallele" Begriffe sind. Böse ist etwas, was extrem unmoralisch ist, finde ich. Mogeln mag moralisch fragwürdig sein, beim Einsteigen und die Straßenbahn zu drängeln ebenso - aber ist das schon böse? Eine Handlung, die das Wertsystem als Ganzes unterminiert, infrage stellt, zum Wanken bringt oder ähnliches (ich finde dazu gerade nicht die passenden Worte) ist böse. Trump agiert böse. Die Angreifer bei 9/11 waren böse. Rassismus ist böse, weil es infrage stellt, dass es in der Moral nur ein "Wir" (und keine anderen) gibt. Das geht an die Basis des Wertsystems.

Das Gute muss dagegen nicht in irgendeiner Form extrem sein, meine ich. Einem Bedürftigen ein paar Euro zu geben kann gut sein, Menschen auf der Flucht aus der Seenot zu retten ebenso. Das passt beides unter den Begriff gut.




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 13:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 12:48
Böse ist etwas, was extrem unmoralisch ist, finde ich.
Ja, aber das ist rein tautologisch, da unmoralisch ein Synonym für böse ist.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 12:48

Eine Handlung, die das Wertsystem als Ganzes unterminiert, infrage stellt, zum Wanken bringt oder ähnliches (ich finde dazu gerade nicht die passenden Worte) ist böse.
Das ist besser, aber insofern problematisch, als es das Gute als Anpassung an irgendein Wertesystem definiert. Die Nazis und der IS folgen aber auch Wertesystemen und manchmal kann es gut und moralisch/ethisch geboten sein einem Wertesystem gerade nicht zu folgen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 12:48
Rassismus ist böse, weil es infrage stellt, dass es in der Moral nur ein "Wir" (und keine anderen) gibt. Das geht an die Basis des Wertsystems.
Das heißt, dass es neben bestimmten Regio-Wertesystemen noch ein übergeordnetes Wertesystem geben muss, von dem aus man bestimmte Spielarten (z.B. Rasssimus) als unmoralisch beurteilen würde.
Aber was, wenn jemand sagt, auch dies sei nur eine Regio-Norm, die zufällig in der westlichen Wertehemisphäre aufgetaucht sei und der Versuch sie nun überall auf der Welt durchzudrücken sei nur eine Form des Neokolonialismus?
Man müsste darstellen, dass Einstellungen, die Rassismus moralisch verwerflich finden, mehr als zufällige Normen sind, so wie man hier eben mit der Gabel und woanders mit Stäbchen isst, hier in festen Häusern, dort in beweglichen Zelten wohnt, weil es besser zu den jeweiligen Bedingungen passt.
Was also macht die Ablehnung des Rassismus zu einem höheren oder begründbar übergeordneten Wert, anstatt zu einer Variation von prinzipiell gleichberechtigten Möglichkeiten, wie beim Essen oder in der Musik?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 13:44

Eine „schöne“ Skala des Bösen (in numerischer Reihe aufsteigend im Schweregrad) von Michael Stone, einem zurecht sehr renommierten Psychiater.
Focus online hat geschrieben : Dr. Michael Stone ist forensischer Psychiater in New York, lehrt an der Columbia University und behandelt Klienten in seiner Praxis an der Upper West Side.

Als Autor schrieb er über Borderline und andere Psychostörungen, sammelte 600 Bücher über Serienkiller.

1. Menschen, die aus Notwehr töten („gerechtfertigte Tötung“ nach US-Recht)
2. eifersüchtige Liebende, die egozentrisch und kindlich sind, aber keine Psychopathen (Verbrechen aus Leidenschaft)
3. willige Beihelfer von Mördern: extrem impulsiv, mit asozialen Merkmalen
4. Menschen, die aus Notwehr töten, sich zum Opfer extrem provozierend verhielten
5. traumatisierte Menschen, die gewalttätige Verwandte oder andere töten (z.B., um eine Drogensucht zu finanzieren). Nach der Tat voll echter Reue
6. ungestüme, hitzköpfige Mörder ohne besondere psychopathische Merkmale
7. extrem narzisstische, nicht auffällig psychopathische Menschen mit psychotischem „Kern“, die Nahestehende töten (Motiv: Eifersucht)
8. Nichtpsychopathen mit unterschwelliger Wut, die töten, wenn Wut sich entzündet
9. eifersüchtige Liebende mit psychopathischen Merkmalen
10. Mörder von Zeugen oder Menschen, die „im Weg“ sind
11. Psychopathen, die Menschen töten, weil sie ihnen „im Weg“ stehen
12. machthungrige Psychopathen, die töten, wenn in die Enge getrieben
13. Psychopathen mit von Wut angetriebenem Persönlichkeitsbild, die „durchdrehen“
14. rücksichtslose, egozentrische, psychopathische Intriganten
15. psychopathische, „kaltblütige“ Amokläufer oder Mehrfachmörder
16. Psychopathen, die gewalttätige Verbrechen begehen
17. sexuell perverse Serienmörder, Foltermörder
18. Foltermörder, bei denen Mord primäres Motiv ist
19. Psychopathen, die zu Terrorismus, Vergewaltigung getrieben sind
20. Foltermörder, deren Hauptmotiv Folter ist, aber mit psychotischer Persönlichkeit
21. Psychopathen, die von extremen Foltervorstellungen besessen sind, von denen aber nicht bekannt ist, dass sie getötet haben
22. psychopathische Foltermörder, deren Hauptmotiv Folter ist, Sexualmord
(Quelle)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23449
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 8. Sep 2018, 13:46

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 13:09
Ja, aber das ist rein tautologisch, da unmoralisch ein Synonym für böse ist.
Ich behaupte ja aber gerade, dass die Begriffe eben nicht synonym sind.




Antworten