Das Böse

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Schimmermatt
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Legitimation hilft, Leute zu mobilisieren. Grund genug.

Der Rest ist im Prinzip Hobbes: Die Leute waren das anarchische Plündern und Geplündertwerden im Naturzustand leid und beschlossen, ihr natürliches Recht auf Gewalt abzutreten, wenn das alle Nachbarn auch tun. Sie übertrugen dies Gewaltrecht an eine Institution, die sie "Staat" nannten und beschlossen, dass es ihre vornehmste Aufgabe sei, diese zur rigorosen Durchsetzung des wechselseitigen Nichtangriffspakts einzusetzen. Die Drohung wirkte nach einigen Zuwiderhandlungen und wenn nicht wurde die lasche Staatsmacht durch eine ersetzt, die mehr "law and order" war. Der Rest ist Erziehung zur Rechtschaffenheit und da wären wir in der Zivilisation.



"Manche Leute werden heutzutage langsam wahnsinnig. Ich schnell." C. Schlingensief

Tosa Inu
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Schimmermatt hat geschrieben :
Sa 15. Sep 2018, 15:43
Legitimation hilft, Leute zu mobilisieren. Grund genug.
Die ist aber Anfangs noch nicht vorhanden.
Schimmermatt hat geschrieben :
Sa 15. Sep 2018, 15:43
Der Rest ist im Prinzip Hobbes: Die Leute waren das anarchische Plündern und Geplündertwerden im Naturzustand leid und beschlossen, ihr natürliches Recht auf Gewalt abzutreten, wenn das alle Nachbarn auch tun. Sie übertrugen dies Gewaltrecht an eine Institution, die sie "Staat" nannten und beschlossen, dass es ihre vornehmste Aufgabe sei, diese zur rigorosen Durchsetzung des wechselseitigen Nichtangriffspakts einzusetzen. Die Drohung wirkte nach einigen Zuwiderhandlungen und wenn nicht wurde die lasche Staatsmacht durch eine ersetzt, die mehr "law and order" war. Der Rest ist Erziehung zur Rechtschaffenheit und da wären wir in der Zivilisation.
Ist so ein wenig die düstere Variante, aber ist sicher auch richtig.
Die hellere Sicht ist das Netz der Sorge und Freundschaft, die ja ebenfalls verpflichten.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Schimmermatt
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So 16. Sep 2018, 18:04

Tosa Inu hat geschrieben :
So 16. Sep 2018, 09:50

Die ist aber Anfangs noch nicht vorhanden.

Die ist doch eigentlich immer sofort bei der Hand. Man unterstellt einfach dem avisierten Feind stets die Motive, derer man sich selber nur ungern bewusst wird. Das passiert eh quasi dauernd allen automatisch.



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Schimmermatt hat geschrieben :
So 16. Sep 2018, 18:04
Die ist doch eigentlich immer sofort bei der Hand. Man unterstellt einfach dem avisierten Feind stets die Motive, derer man sich selber nur ungern bewusst wird. Das passiert eh quasi dauernd allen automatisch.
Damit bleibt man zwar auf der dunklen Seite, aber da ist das als Motiv sicher treffend.



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Der Bote einer Nachricht ist nicht an dessen Inhalt schuldig, ich betreibe nur den Versuch von Deskription. Mir scheint das Gerede vom "Bösen" ohnehin etwas zu farbig. Wie ist denn das Böse trennscharf zu definieren? Das grenzt an Unmöglichkeit, wenn man nicht einfach bestimmte psychologische Neigungen eins zu eins mit dem Bösen übersetzen will. Ich erinnere auch gern mal an George Bushs "Achse des Bösen", die aus purer Güte zu katastrophalen Konsequenzen geführt hat. Es ist nicht dringend eine ethisch bessere Position, utopischen Menschenbildern anzuhängen, sondern eventuell utilitaristisch-pragmatischer, Exzesse zu unterbinden.



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Stefanie
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Mo 17. Sep 2018, 19:31

Waren alle Mitläufer, die KZ Wächter, Gestapo Schergen, und der grösste Teil der Deutschen Psychopathen?
War und ist nicht das Erschreckende, dass es die Nachbarn von nebenan waren und nicht Psychopathen?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Schimmermatt
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Mo 17. Sep 2018, 19:42

Vielleicht sind Menschen Psychopathen und wehe wenn sie los gelassen!



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Stefanie
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Mo 17. Sep 2018, 19:46

Das reicht mir nicht als Erklärung warum damals Millionen mitmachten.

Oder anders gefragt, welcher Philosoph hat außer Arendt etwas zu totalitären Strukturen geschrieben?



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Schimmermatt
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Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch.

Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung.

Interessant ist auch der Historiker Götz Ahly, der mal sinngemäß schrieb, dass die Tendenz, es nicht so genau wissen zu wollen, durchaus von Geschenken an die daheim gebliebenen Frauen, finanziert aus beschlagnahmter Beute, angespitzt wurde, offenbar mit einigem Erfolg.


Würde Dir die Erklärung, der Satan habe Leute besessen, das Böse habe sein Jahrzehnt gehabt oder die deutsche Kultur habe so etwas erzwungen, reichen? Was könnte so einen Exzess denn beruhigend erklären?



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Stefanie
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Mo 17. Sep 2018, 20:19

Erklärt man etwas nicht, oder nur unzureichend, kann man schlecht daraus lernen, oder?
Mir gefällt das narrative Konzept von Arendt.
Die Vernichtung der Juden war eine komplette Vernichtung. Die Menschen und auch ihre Geschichte sollten ausgelöscht werden.
Warum, damit niemand deren Geschichten weitererzählen kann.
Es geht auch um das Erinnern, und um das Aufbereiten der Geschichte, dem Weitergeben der Geschichten. Gegen das Vergessen. Um das Verstehen. Nicht um eine beruhigende Erklärung. Aber ohne Erklärungen, dem suchen und teilweisen finden von Gründen und Ursachen kann die Geschichte nicht weitererzählt werden. Meiner Meinung nach.

Arendt schreibt:
Sofern es überhaupt ein Bewältigung der Vergangenheit gibt, besteht es in dem Nacherzählen dessen, was sich ereignet hat; aber auch dies Nacherzählen, das Geschichte formt, löst keine Probleme und beschwichtigt kein leiden, es bewältigt nichts endgültig. Bewältigen können wir die Vergangenheit so wenig, wie wir sie ungeschehen machen können. Wir können uns aber mit ihr abfinden.
Zitiert nach Salzberger Seite 200.

Adorno habe ich mal versucht zu verstehen, bin aber gescheitert. Wobei es interessant wäre, Arendt und Adorno hatten wohl so ihre Differenzen.



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Schimmermatt hat geschrieben :
Mo 17. Sep 2018, 19:42
Vielleicht sind Menschen Psychopathen und wehe wenn sie los gelassen!
Nee, das hat man untersucht. Es reicht der Opportunismus normaler Narzissten, um im KZ relativ frei von Gewissensbissen an weniger prekären Stellen mitzumachen. Echter Sadismus, der Psychopathen auszeichnet, ist selten, das sind dann die Folterer. Die Erklärung, warum auf einmal Millionen "erkranken" (was gar nicht der Fall ist), liegt in typischen Regressionen von Großgruppen und Massen. Das ist gut untersucht und bekannt, die schlechte Nachricht ist, man kann Regressionen im Grunde nicht aufhalten.
Im Zuge der Regression dominieren auch bei intellektuell und moralisch hochstehenden Menschen in Windeseile konventionelle Ansichten, moralische Klischees, typischerweise, das genau jetzt die Stunde gekommen ist, in der man sich entscheiden muss, der Endkampf von gut gegen böse, die andere Seite sieht das natürlich spiegelverkehrt, Ambivalenzen werden nicht toleriert, gelten als lauwarm, suspekt und schließlich als feindlich.
Es läuft erschreckend einfach und immer nach dem selben Muster und funktioniert auch mit Mitglieder des Ethikrats, der Wissenschaft, der Theologie, Anmesty Interational oder wenn auch immer man ansonsten für integer hält.
Um in diesen Strudel zu geraten muss man dann nicht einmal narzisstisch sein.

Aber Menschen können auch nett sein und dass das nur reziproker Altruismus ist, der sich letztlich dafür feiern lässt, dass man toll und gönnerhaft ist, diese simple Nummer gilt vielleicht bei Putzerfischen, ist ansonsten aber durch.



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Schimmermatt
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Mo 17. Sep 2018, 20:53

Dann sind Menschen also teils Psychopathen und teils Mitläufer.


Sorry, Stefanie, das Erklären schaffe ich nicht. Jedenfalls grad nicht.



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Stefanie
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Mo 17. Sep 2018, 21:24

Kein Problem.



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Di 18. Sep 2018, 08:03

"Das Böse" ist m.E. abhängig von der momentanen moralischen Verfasstheit des Diagnostikers.
Für manchen Diagnostiker gibt es "das Böse" gar nicht ausserthalb menschlichen Begriffes.



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

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Stefanie
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Mi 19. Sep 2018, 20:36

Anbei eine Datei, die verschiedene philosophische Ansichten über das Böse beschreibt.
3-Heil_Das_Boese.pdf
(503.94 KiB) 371-mal heruntergeladen



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Stefanie
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Sa 6. Okt 2018, 21:23

Einige Aussagen aus dem oben genannten Text:

Nochmal Hannah Arendt, die u.a sagt, dass das spezifische Böse der Gewalt ihre Dummheit ist.
Daran anschließend bezeichnen einige Autoren, dass radikale Böse ein gewaltsamen Abbruch der Kommunikation ist.
Es ist die Verweigerung der Pluralität, des Sozialen und der Verständigung zwischen den Menschen. (Nicht ohne Grund verweist Carolin Emcke in ihrem Buch auch auf Arendt und die Pluralität.)
Die bedeutet nach dem Autor, dass das Böse ein Sich-nicht-bekennen gegenüber die Freiheit ist, was zu einem vermeintlichen zum- schweigen-bringen des inneren Dialoges gleichkommt.

Horster interpretiert das radikale Böse als die vollständige Außerkraftsetzung der Moral. Der Autor des Textes schreibt, dies hieße nach Kant, die vollständige Außerkraftsetzung des kat. Imperativ.

Der Text selber will die Fragestellung behandeln, ob man dem Bösen wirklich näher kommt, wenn man die subjektive Einstellung und den Willen eine Tat zu begehen, außer acht lässt, und nur auf die Handlung abstellt.
Die Frage ist nicht wirklich beantworten worden, für mich nicht, also steht diese Frage noch im Raum.



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