Das Milgram Experiment Exkurs zu Das Böse

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Tangens Alpha
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Sa 9. Nov 2019, 14:05

Friederike hat geschrieben :
Fr 8. Nov 2019, 17:46
Jetzt weiß ich @T.A., wie ich auf "gut" und "schlecht" gekommen bin. Weil ich grundsätzlich Deine Auffassung teile, daß moralische Werte sich aus sozio-kulturellen, auch ökonomischen Bedingungen entwickeln, wollte ich, um diesen Punkt gleich abhakend zu überspringen, darauf hinaus, daß die Zeit- und Kulturbedingheit von Moral nichts daran ändert, daß die Werte entweder unter "gut" oder "schlecht" einsortiert werden. Körperliche Unversehrtheit ist für uns, gegenwärtig, ein Menschenrecht, fällt also unter "gut". Im Mittelalter oder in der Antike, denke nur an die Körperstrafen (grauslich), war dies gar kein Wert.
Ja, ich glaube, jetzt verstehe ich: du meinst, dass die Form (Begrifflichkeit) zwar dieselbe bleibt, der Bedeutungsinhalt sich aber der gesellschaftlichen Entwicklung anpasst, korrekt? If ja: Konsens.
Ähnlich wie der Begriff "Mensch"? Bei den Griechen galten alle Nicht-Griechen als Barbaren, bei den Römern analog, im Mittelalter waren es die Nicht- oder -Anti-Christen und im 19. Jh. dachte man noch, Schwarzafrikaner wären eine etwas weiter entwickelte tumb sprechende Affenart.



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Tangens Alpha
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Sa 9. Nov 2019, 14:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 8. Nov 2019, 14:15
Mir wird ehrlich gesagt, zunehmend unklarer, wofür oder wogegen du eigentlich argumentierst :-) Zu Beginn schien es mir, dass du für eine Art "Materialismus"/Relativismus argumentiert hast, mit dem "Unterton", dass es so etwas wie moralische Tatsachen nicht gibt.
Ist auch so! Ich denke, dass moralische Entitäten keine vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen realen Tatsachen sind in dem Sinne, wie der Sonnenaufgang oder die Erdrotation, sondern geistig-mentale Konstruktionen, die erforderlich, nützlich, abgrenzend, orientierend, ... sein können.
In etwa, wie die Begriffe "Seele oder absolute Freiheit".
Meine (metaethische) Sicht ist, dass es moralische Tatsachen gibt, die universell gelten. Das ist mein Punkt. Das kann ich auch gerne gegen Einwände gerne verteidigen.
Recht so! Ich verstehe nur nicht, woher du die Gewissheit nimmst. Kannst du mal am konkreten Beispiel diese Universalität belegen?



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Tangens Alpha
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Sa 9. Nov 2019, 15:04

Alethos hat geschrieben :
Sa 9. Nov 2019, 11:49
Danke für deine Ausführungen. Sie bestärken meinen Eindruck, dass wir von einem ganz anderen Wahrheitsbegriff ausgehen:
Wenn du z.B. sagst, dass ich einen "heutigen Wahrheitsbegriff" auf damalige Umstände "übertrage", dass es die "Wirklichkeit des Paläolithikers" gebe, die sich so und so ausgestalte, dann wird der epistemologische Charakter von Wahrheit deutlich. Wahrheit ist nach dieser Konzeption ein sich dem Denken erschliessender 'Wirklichkeitsraum', der sich um den Erkenntnisfortschritt des Denkens, also mit dem Wissensumfang dieses Denkens, vergrössert.
Es kann dann sein, dass es eine 'Wahrheit des Paläolithikers' gibt und eine 'Wahrheit des modernen Menschen', im Grunde kann es dann aber auch meine Wahrheit geben und deine. Denn ist die Wahrheit gekoppelt an meinen Erkenntnisfortschritt und differiert dieser von deinem: So haben wir zwei Wahrheiten (meine und deine); sie wären dann wahr je relativ zu etwas (zu mir oder dir).
Hi Alethos, so weit scheinen wir gar nicht auseinander zu liegen. Ich habe mich zwar nicht intensiver mit Wahrheitstheorien befasst, aber hier würde ich dir erstmal zustimmen.
Es gibt wohl unterschiedliche Definitionen: Wahrheit = das Ganze, oder: = Was der Fall ist ... sind wohl eher ontologischer Natur, die von dir Angeführten eher, wie du auch schreibst, epist'ologischer Natur.
Aber man kann die Wahrheit auch verstehen als 'Relation von Tatsachen', also davon ausgehen, dass es (in der Gedanken unabhängigen Wirklichkeit) Gründe gibt die Ansicht von etwas als wahr gibt. Diese Gründe liegen dann aber objektiv vor, denn sie entspringen nicht unserem Denken resp. sind nicht einmal wahr und einmal falsch, je nachdem, wer sie sich zugrunde legt oder sie auslässt, sondern sie sind durch sich selbst wahr als die Wirklichkeit begründende Tatsachen. Aus dieser Grundhaltung ist es nun, dass man über die Wahrheit von Sachverhalten Gewissheit beziehen kann: Dass es sich so und so verhält mit Grausamkeit, mit Gut oder Böse etc.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich's geschnallt habe, also: es gibt eine vom menschlichen Gedanken unabhängige Wirklichkeit, deren zusammenhängende "Bestandteile" als Tatsachen anzuerkennen wir gute Gründe haben. Korrekt? Sprichst du hier die wissenschaftlichen Tatsachen an? Den Bogen zu "Grausamkeit, ..." krieg' ich nicht hin (?).



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Jörn Budesheim
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Sa 9. Nov 2019, 16:20

Tangens Alpha hat geschrieben :
Sa 9. Nov 2019, 14:34
Ich denke, dass moralische Entitäten keine vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen realen Tatsachen sind in dem Sinne, wie der Sonnenaufgang oder die Erdrotation, sondern geistig-mentale Konstruktionen, die erforderlich, nützlich, abgrenzend, orientierend, ... sein können.
Ich werde vermutlich in verschiedenen Schritten Antworten, und picke mir erstmal dieses Zitat raus. Erstmal zwei Sätze zur Begriffsklärung.
Wörterbuch der philosophischen Begriffe hat geschrieben : Entität, neulat. Weiterbildung von ↑ens, die Seinshaftigkeit, das Dasein eines Dings im Unterschied zur Quiddität, dem Wassein oder Sosein, das ›Daß‹ im Unterschied zum ›Was‹. Heute auch einfach für ›Objekt‹, ›Ding‹.
Das Wort Entität ist eine Art Kunstwort, was im Grunde Objekt oder Ding bedeutet. Du sprichst wiederholt von moralischen Entitäten, ich jedoch nicht. Ich spreche von moralischen Tatsachen. Eine Tatsache ist eine Wahrheit. Es ist z.b. im Moment eine Tatsache, dass ich gerade hier sitze und auf deinen Beitrag antworte. Eine Tatsache ist also kein Ding, sprich keine Entität. Ich weiß nicht, ob es moralisch Entitäten gibt, im Moment kann ich mir nichts wirkliches darunter vorstellen. Nach meiner Ansicht gibt es jedoch moralische Tatsachen, z.b. es ist eine Tatsache, dass es verwerflich ist, kleine Kinder ohne Grund zu quälen. Ebenso ist es verwerflich, in der Fußgängerzone beliebige Passanten anzuspringen und zusammen zu schlagen.

Diese Unterscheidung ist wichtig, weil moralische Tatsachen keine moralischen Entitäten nach sich ziehen - insbesondere nichts, was wir irgendwie in der Raumzeit einordnen müssten. Und dass wir gar nicht erst in Verlegenheit geraten, nach seltsamen metaphysischen Entitäten Ausblick halten zu müssen, wie ist ein gewisse John Macky mal erläutert hat.

Du schreibst: "Ich denke, dass moralische Entitäten keine vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen realen Tatsachen sind in dem Sinne, wie der Sonnenaufgang oder die Erdrotation, sondern geistig-mentale Konstruktionen, die erforderlich, nützlich, abgrenzend, orientierend, ... sein können."

Hier ist mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, wie dein Argument lauten soll. Die Konklusion soll - wenn ich dich bisher richtig verstanden habe - lauten, dass es keine moralischen Tatsachen gibt, die universell gültig sind. Ich sehe aber nicht, wie deine Aufzählung das stützen soll. Du erklärst nämlich weder, warum Tatsachen, die vom menschlichen Bewusstsein abhängig sind, keine Tatsachen sein sollen, noch was es heißt, dass eine Tatsache vom menschlichen Bewusstsein abhängig ist.

Es ist z.b. eine Tatsache, dass ich mir gerade bewusst bin, das Tablet in meiner Hand zu halten und eine Antwort zu schreiben. Diese Tatsache, dass ich mir das Tablets und des Schreibens bewusst bin, ist offenbar von meinem Bewusstsein abhängig, das ist trivial. Aber warum sollte es deswegen keine Tatsache sein? Also noch mal: dass wir Bewusstsein haben, ist eine Tatsache und diese Tatsache hängt natürlich vom Bewusstsein ab. Es bleibt aber dennoch eine Tatsache, dass wir bewusstsein haben. Das zeigt, dass Bewusstseinsabhängigkeit kein Indiz für Irrealität oder etwas in der Art ist. Oder noch mal anders gesagt:es ist "seltsam" zu sagen, nur das existiert wirklich, was unabhängig von unserem Bewusstsein existiert, weil dann unser Bewusstsein nicht existieren würde.

Zurück zur Ethik/Moral: Ein Grund, dass es falsch ist, andere einfach so zu quälen, liegt daran, dass sie Schmerzen empfinden. Diese Tatsache ist selbstverständlich vom Bewusstsein abhängig, denn Schmerzzustände sind Bewusstseinszustände. Das, was mir einen Grund liefert, andere nicht zu quälen, soll zugleich dazu führen, dass es sich hier nicht um eine Tatsach handelt? Das halte ich für widersinnig.

Außerdem scheinst du zu unterstellen, dass etwas entweder zur natürlichen Welt gehört, wie z.b. die Erdrotation oder eine geistig mentale Konstruktion ist - was man damit auch gemeint sein könnte. Dafür gibst du jedoch keine Gründe an und ich meine nicht, dass es stimmt. Weiter oben habe ich einen bekannten, sehr renommierten Mathematiker zitiert, der ganz offenbar anderer Ansicht ist. Die Welt der Zahlen ist (nach seiner Ansicht und ich stimme ihm darin zu) ebenso real wie die Welt der Neutrinos. Und sie lässt sich erforschen. Das ist, wie es der bekannte Physiker David Deutscher die Realität der Abstraktionen.

Dass die Ethik für uns so von Bedeutung ist, liegt ja unter anderem daran, dass wir fühlende geistige bewusste Wesen sind. Das ist einer der Gründe, warum es Ethik gibt und kein Grund, warum sie nicht geben kann.




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Jörn Budesheim
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Sa 9. Nov 2019, 16:37

Der amerikanische Philosoph John Searle hat einmal erläutert, wieso es beim Bewusstsein so oft zu Fehlschlüssen kommt. Hier ein Punkt, an dem ich mich gut erinnere. Wir haben Bewusstsein, so viel ist sicher. Zugleich ist Bewusstsein in einer gewissen Weise etwas subjektives, weil nur Subjekte Bewusstsein haben können. Daraus darf man natürlich nicht schließen, dass alles, was in irgendeiner Art und Weise mit dem Bewusstsein zusammenhängt, subjektiv ist. Dass wir ein Bewusstsein haben, ist nämlich seinerseits eine objektive Tatsache. Sesrle spricht hier von einer subjektiven Ontologie und meint damit, das Bewusstsein davon abhängt, dass es Subjekte gibt.

Und sicherlich hat unser Bewusstsein auch allgemeine objektive Strukturen, die man heraus arbeiten kann. (Manchmal kommt man aus der Konfusion heraus, wenn man sich fragt ob man das Wort subjektiv ging das Wort individuell eintauschen könnte.)




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Tangens Alpha
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Sa 9. Nov 2019, 22:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 9. Nov 2019, 16:20
Hier ist mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, wie dein Argument lauten soll. Die Konklusion soll - wenn ich dich bisher richtig verstanden habe - lauten, dass es keine moralischen Tatsachen gibt, die universell gültig sind. Ich sehe aber nicht, wie deine Aufzählung das stützen soll. Du erklärst nämlich weder, warum Tatsachen, die vom menschlichen Bewusstsein abhängig sind, keine Tatsachen sein sollen, noch was es heißt, dass eine Tatsache vom menschlichen Bewusstsein abhängig ist.
Also zunächst einmal denke ich, dass die Beweis- oder Begründungslast bei dem liegt, der eine Existenz behauptet, nicht beim anderen. ;). Du müsstest schlüssig beweisen, dass "moralische Tatsachen" unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existieren (also zB schon bei den Dinos?), nicht ich muss dir das Gegenteil beweisen, oder?

Im Allg. ist meine Auffassung, dass unabhängig von menschlichen Bewusstsein eine objektive materielle Realität existiert, die vom menschlichen B. mehr oder weniger scharf in einer Theorie = theoretische Konstruktion abgebildet wird. Das Konstrukt selbst ist zwar immateriell aber, wenn du so willst, eine mentale Realität, die wir darstellen können wie zB. in einer Formel: F = ma (Kraft = Masse x Beschleunigung).

Dementsprechend ist der Mensch in der Lage, auch eine ethische Theorie und Regel zu konstruieren, die im Laufe der Erfahrungen immer mehr verfeinert und den Bedingungen und Bedürfnissen angepasst werden, wie alle Theorien.

Du sprichst den Mathematiker an, der an ein (platonisches?) Zahlenreich glaubt, ich kann dir genauso viele nennen, die das nicht tun!

Also nochmal ganz klar gefragt:
Du glaubst, das die Universalien zB das Gute, das Böse, das Menschliche, das Tierische, etc. eine eigenständige vom Menschen unabhängige Existenz haben, somit immateriell, ungeworden, ewig etc.?



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Alethos
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Sa 9. Nov 2019, 23:16

Tangens Alpha hat geschrieben :
Sa 9. Nov 2019, 15:04
Aber man kann die Wahrheit auch verstehen als 'Relation von Tatsachen', also davon ausgehen, dass es (in der Gedanken unabhängigen Wirklichkeit) Gründe gibt die Ansicht von etwas als wahr gibt. Diese Gründe liegen dann aber objektiv vor, denn sie entspringen nicht unserem Denken resp. sind nicht einmal wahr und einmal falsch, je nachdem, wer sie sich zugrunde legt oder sie auslässt, sondern sie sind durch sich selbst wahr als die Wirklichkeit begründende Tatsachen. Aus dieser Grundhaltung ist es nun, dass man über die Wahrheit von Sachverhalten Gewissheit beziehen kann: Dass es sich so und so verhält mit Grausamkeit, mit Gut oder Böse etc.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich's geschnallt habe, also: es gibt eine vom menschlichen Gedanken unabhängige Wirklichkeit, deren zusammenhängende "Bestandteile" als Tatsachen anzuerkennen wir gute Gründe haben. Korrekt? Sprichst du hier die wissenschaftlichen Tatsachen an? Den Bogen zu "Grausamkeit, ..." krieg' ich nicht hin (?).
Vielleicht, weil es diesen Bogen nicht gibt. Tatsachen sind nicht alle gleich 'gelagert', es verhält sich ja mit gedachten Tatsachen (Gedanken) ja nicht so wie mit biologischen oder physikalischen oder wiederum mit solchen mathematischer oder ästhetischer Art. Nicht alle Tatsachen lassen sich mit den gleichen Verfahren aufschlüsseln, für manche haben wir gar keinen Zugang. Aber es verhält sich mit der Moral so, dass sie eine Wirklichkeit eigenen Rechts ist, was soviel bedeutet, als dass über vieles wahr ist, dass es gut oder böse ist. Nicht über alle Sachverhalte gilt dies, aber über die, die das Menschliche betreffen.

Das Gute denke ich mir dabei nicht als eine Entität, auch nicht als 'ideales Ding'. Dazu hat sich ja Jörn schon geäussert. Dass Gefühle real sind und es Mitgefühl gibt, dürfte für die Moral nicht ganz unerheblich sein.



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Jörn Budesheim
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So 10. Nov 2019, 11:11

TA hat geschrieben : Im Allg. ist meine Auffassung, dass unabhängig von menschlichen Bewusstsein eine objektive materielle Realität existiert
Das ist eine alte, ehrwürdige philosophische Tradition. Und eine Weichenstellung, die für viele Bereiche sinnvoll ist. Ein Beispiel für diese spezielle Form von Realismus sind die theoretischen Entitäten. Man kann einerseits annehmen, dass es sich bei ihnen nur um Konstrukte handelt, also um Teile von Theorien, die man braucht, um die Theorie gleichsam in Gang zu bringen. Und man kann andererseits annehmen, dass diese Entitäten zur objektiven materiell-energetischen Realität gehören. Dann ist man in dieser Hinsicht Realist. Ansonsten entsprechend ein Konstruktivist.

Diese Weichenstellung hat jedoch ihre Grenzen! Und zwar genau dort, wo wir über den Menschen und sein Bewusstsein und z.b. seine kulturellen Erzeugnisse sprechen. Wie oben schon erläutert, gehört (nach dieser Weichenstellung) dann das Bewusstsein per Definition schon nicht mehr in den Suchbereich. Unser Bewusstsein gehört jedoch auch zu dem, was es gibt. Das kann man schlechterdings nicht bezweifeln. Wobei es natürlich Versuche in dieser Richtung z.b. bei eliminativistischen Theorien gibt. Vermutlich gibt es in der Philosophie nichts, was es nicht gibt :)

Deswegen ist meine grundsätzliche Weichenstellung als Realist eine andere als deine. Für mich ist der entscheidende Punkt die Frage, ob wir uns über etwas irren können. Damit ist z.b. unser lebensweltlicher Bereich explizit ein-, und nicht ausgeschlossen.

Die Zahlen sind für diesen Ansatz nur ein Beispiel: Was auch immer ich denke, 7 + 5 = 12 und eben nicht 13. Das heißt, es gibt hier eine Wahrheit, die unabhängig ist von unserem Fürwahrhalten. Und das ist für mich der entscheidende Kontrast: kann man einen Unterschied machen zwischen Fürwahrhalten und Wahrsein oder mit den Worten von weiter oben, können wir uns irren?

Das ganze kann man mit (sehr raffinierten) ontologisch/metaphysischen Überlegungen verknüpfen, wie es z.b. der Philosoph Markus Gabriel tut. Oder man kann versuchen, diese ontologisch/metaphysischen Fragen nicht explizit zu machen, wie es nach meinem Verständnis (ich mag mich da irren) Julian Nida-Rümelin tut, der daher von einem "unaufgeregten Realismus" spricht.

Du hattest weiter oben moniert, dass ich für den ethischen Bereich stets Beispiele nutze, die unstrittig sind. Aber genau darum geht es ja! Wir müssen auch im Bereich der Ethik mit Wahrheiten rechnen. Das zeigen diese Beispiele. Wie in allen anderen Bereichen sind natürlich auch im Bereich der Ethik viele Dinge umstritten und vor allem können wir uns irren! Aber das zeigt nicht, dass es hier keine Tatsachen gibt, sondern das ganze Gegenteil ist der Fall! Wir können uns nur dort irren, wo es Tatsachen gibt und ein Streit ist auch nur dort wirklich sinnvoll.




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So 10. Nov 2019, 11:32

Tangens Alpha hat geschrieben :
Sa 9. Nov 2019, 22:00
Also zunächst einmal denke ich, dass die Beweis- oder Begründungslast bei dem liegt, der eine Existenz behauptet, nicht beim anderen. ;). Du müsstest schlüssig beweisen, dass "moralische Tatsachen" unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existieren (also zB schon bei den Dinos?), nicht ich muss dir das Gegenteil beweisen, oder?
Aber ich schätze, wir können uns sehr schnell darauf einigen, dass ich Dinge, die ich gar nicht vertrete, auch nicht beweisen muss :)

(Die Frage, wo die Beweislast liegt - ich würde vielleicht lieber von Begründungslast sprechen, ist übrigens sehr interessant. Ich meine, wer einem wohletablierten Bereich als illusorisch - oder wie auch immer man sich ausdrücken mag - auszeichnen möchte, der trägt die Beweis-Begründungslast.)

Zurück zum Thema: Nehmen wir zur Bewusstseinsunabhängigkeit noch mal ein Beispiel, was vielleicht an Einfachheit schwer zu überbieten ist: In Situationen 1 halte ich einen Stein in der Hand und schlage und trete ihn. In Situation 2 halte ich einen Mitwesen in der Hand und schlage und trete es. Situation 1 dürfte in der Regel moralisch problemlos sein, während Situation 2 in der Regel moralisch verwerflich ist.

Was macht den Unterschied? Natürlich das Bewusstsein! Unser Mitwesen ist bei Bewusstsein und kann Schmerzen und Leiden empfinden. Wenn man diese Situation durch die Brille "bewusstseinsunabhängige materielle Realität" betrachtet, dann entgeht einem natürlich das Entscheidende. Man kann schlechterdings nicht genau das Ausblenden, worum es geht, meine ich.




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So 10. Nov 2019, 16:16

Dass wir den Tatsachen, die von Tischen und Atomen und anderem materiellen Inventar handeln, den Status als Tatsache eher einzuräumen bereit sind als solchen, die unter Beteiligung von Menschen zustande kommen, das verdanken wir dem cartesianischen Erbe: Was immer mit dem Subjekt und seinem Anteil an der Wirklichkeitserkenntnis zu tun hat, das gerät in den Verdacht, ein subjektivistisches Zerrbild zu sein und scheint apriori nur Anrecht auf einen Platz in der Wirklichkeit zu haben als prinzipiell Fragwürdiges.
Nur die Erkenntnis, dass ich denke und dass ich dieses Denken wahrnehme, gilt als unbestreitbar, aber alles, was dieses Denken an Erkenntnis darüberhinaus produziert, das gilt prinzipiell als möglicher Irrtum.

Selbstverständlich ist nun, dass jede Theorie falsifizierbar ist und sich jedes Denken täuschen kann. Es kann sich aber auch über Tische und Atome täuschen, nicht nur über sich selbst. Darum ist es doch sonderbar, dass wir jenen Tatsachen des Denkens und Fühlens, die für die Einsicht in moralische oder ästhetische Tatsachen unabdingbar sind, sowenig Kredit entgegenbringen, müssten sie doch aus phänomenologischer Sicht grössere Glaubwürdigkeit geniessen als Tatsachen, die von Tischen und anderem materiellen Inventar handeln, denn darüber, was es heisst zu fühlen und dass jemand leidet, darüber kann kein grösserer Zweifel sein als über alles, was bloss materiellen Charakter hat.



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Mo 11. Nov 2019, 12:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 10. Nov 2019, 11:11
TA hat geschrieben : Im Allg. ist meine Auffassung, dass unabhängig von menschlichen Bewusstsein eine objektive materielle Realität existiert
Das ist eine alte, ehrwürdige philosophische Tradition. Und eine Weichenstellung, die für viele Bereiche sinnvoll ist. Ein Beispiel für diese spezielle Form von Realismus sind die theoretischen Entitäten. Man kann einerseits annehmen, dass es sich bei ihnen nur um Konstrukte handelt, also um Teile von Theorien, die man braucht, um die Theorie gleichsam in Gang zu bringen. Und man kann andererseits annehmen, dass diese Entitäten zur objektiven materiell-energetischen Realität gehören. Dann ist man in dieser Hinsicht Realist. Ansonsten entsprechend ein Konstruktivist.
Ich versuche, beides zu verbinden, aber auch klar auseinanderzuhalten: die Realität als materielle Basis (Ontologie) und die erkenntnistheoretische Abbildung als Re-Konstruktion (Epist'ologie).
Diese Weichenstellung hat jedoch ihre Grenzen! Und zwar genau dort, wo wir über den Menschen und sein Bewusstsein und z.b. seine kulturellen Erzeugnisse sprechen. Wie oben schon erläutert, gehört (nach dieser Weichenstellung) dann das Bewusstsein per Definition schon nicht mehr in den Suchbereich. Unser Bewusstsein gehört jedoch auch zu dem, was es gibt. Das kann man schlechterdings nicht bezweifeln. Wobei es natürlich Versuche in dieser Richtung z.b. bei eliminativistischen Theorien gibt. Vermutlich gibt es in der Philosophie nichts, was es nicht gibt :)
Deswegen ist meine grundsätzliche Weichenstellung als Realist eine andere als deine.
Sieht so aus. Ich komme zwar aus der naturwissenschaftlichen Ecke, aber das Bewusstsein als Element des Phänomens "Mensch" ist natürlich Teil der Realität und leugne ich nicht - genauso wenig wie das Bedürfnis nach Spiritualität.
Du hattest weiter oben moniert, dass ich für den ethischen Bereich stets Beispiele nutze, die unstrittig sind. Aber genau darum geht es ja! Wir müssen auch im Bereich der Ethik mit Wahrheiten rechnen. Das zeigen diese Beispiele. Wie in allen anderen Bereichen sind natürlich auch im Bereich der Ethik viele Dinge umstritten und vor allem können wir uns irren! Aber das zeigt nicht, dass es hier keine Tatsachen gibt, sondern das ganze Gegenteil ist der Fall! Wir können uns nur dort irren, wo es Tatsachen gibt und ein Streit ist auch nur dort wirklich sinnvoll.
Ok. Noch mal das Beispiel:
Kinder zu quälen ist a priori ethisch verwerflich.
Man könnte es auch so sehen: die "Wahrheit" dieser Aussage beruht darauf, dass wir so etwas wie "Empathie" haben und wir dieses Quälen auf uns beziehen und nacherleben" können - und absolut vermeiden wollen; deshalb erscheint es uns als absolutes "No-Go" und wird damit erst zur ethischen Wahrheit erklärt, nämlich, dass es verwerflich zu sein hat.



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Mo 11. Nov 2019, 12:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 10. Nov 2019, 11:32
Aber ich schätze, wir können uns sehr schnell darauf einigen, dass ich Dinge, die ich gar nicht vertrete, auch nicht beweisen muss :)
Natürlich nicht! War auch nicht so tierisch ernst gemeint.
Zurück zum Thema: Nehmen wir zur Bewusstseinsunabhängigkeit noch mal ein Beispiel, was vielleicht an Einfachheit schwer zu überbieten ist: In Situationen 1 halte ich einen Stein in der Hand und schlage und trete ihn. In Situation 2 halte ich einen Mitwesen in der Hand und schlage und trete es. Situation 1 dürfte in der Regel moralisch problemlos sein, während Situation 2 in der Regel moralisch verwerflich ist.
Was macht den Unterschied? Natürlich das Bewusstsein! Unser Mitwesen ist bei Bewusstsein und kann Schmerzen und Leiden empfinden. Wenn man diese Situation durch die Brille "bewusstseinsunabhängige materielle Realität" betrachtet, dann entgeht einem natürlich das Entscheidende. Man kann schlechterdings nicht genau das Ausblenden, worum es geht, meine ich.
Ich denke, das Entscheidende ist die Emphatie und der Drang zur Unlust- oder Schmerzvermeidung, die hier zur ethischen Regel führt, etwa nach folgendem Ablauf:

Beobachtung (einer schmerzleidenden Person/Tier) - empathischer Rückbezug: Miterleben des Schmerzes - Schmerzabwehr/-vermeidung: will ich nicht! - Def. Verwerflich: darf nicht sein! - Regel: Verbot!

Beim Stein empfinde ich keine starke Empathien.



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Mo 11. Nov 2019, 13:17

Alethos hat geschrieben :
So 10. Nov 2019, 16:16
Dass wir den Tatsachen, die von Tischen und Atomen und anderem materiellen Inventar handeln, den Status als Tatsache eher einzuräumen bereit sind als solchen, die unter Beteiligung von Menschen zustande kommen, das verdanken wir dem cartesianischen Erbe: Was immer mit dem Subjekt und seinem Anteil an der Wirklichkeitserkenntnis zu tun hat, das gerät in den Verdacht, ein subjektivistisches Zerrbild zu sein und scheint apriori nur Anrecht auf einen Platz in der Wirklichkeit zu haben als prinzipiell Fragwürdiges.
Nur die Erkenntnis, dass ich denke und dass ich dieses Denken wahrnehme, gilt als unbestreitbar, aber alles, was dieses Denken an Erkenntnis darüberhinaus produziert, das gilt prinzipiell als möglicher Irrtum.
Ja, Descartes gnadenloser Schnitt zwischen Geist und Materie ist m.e. heute noch nicht vollständig aus den Köpfen.

Der "Status als Tatsache" der Naturwissenschaften hat sich auch sehr gewandelt:
In der klassischen Physik sind die Objekte noch anschaulich und klar einer mathematischen Größe zugeordnet, die gemessen werden können:
Objekte, repräsentiert durch die Masse, m; Bewegung repräsentiert durch die Beschleunigung a; Ursache, repräsentiert durch die Kraft. F=ma. Tatsachen.

In der Quantenphysik ist das schon nicht mehr so einfach:
Hier wird der Zustand eines Teilchens mathematisch als Überlagerung aller möglichen Zustände des Teilchens durch einen Vektor repräsentiert.
Die Frage ist: entspricht der mathemathische Vektor der Realität, gibt es diese Überlagerung wirklich, ist sie eine Tatsache? Denn sie kann nicht beobachtet werden.
Erst, wenn die Messung erfolgt, wird der gemessene Zustand aus allen möglichen ausgefiltert und am Messgerät angezeigt. "Tatsachen" mutieren hier zu "Konzepten".
In der Quantenfeldtheorie, kann die keiner mehr sagen, was ein "Teichen" ist.
Selbstverständlich ist nun, dass jede Theorie falsifizierbar ist und sich jedes Denken täuschen kann. Es kann sich aber auch über Tische und Atome täuschen, nicht nur über sich selbst. Darum ist es doch sonderbar, dass wir jenen Tatsachen des Denkens und Fühlens, die für die Einsicht in moralische oder ästhetische Tatsachen unabdingbar sind, sowenig Kredit entgegenbringen, müssten sie doch aus phänomenologischer Sicht grössere Glaubwürdigkeit geniessen als Tatsachen, die von Tischen und anderem materiellen Inventar handeln, denn darüber, was es heisst zu fühlen und dass jemand leidet, darüber kann kein grösserer Zweifel sein als über alles, was bloss materiellen Charakter hat.
Interessanter Gedanke. Wie erklärst du dir das?
Mir fällt dazu ein, dass es m.e. erforderlich wäre, die Tatsachen des Denkens & Fühlens (und was das mit uns macht) in einem Unterrichts-Fach "Persönlichkeitsbildung" als Lerninhalt zu installieren - mind. so wichtig wie Chemie...



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Mo 11. Nov 2019, 13:48

Tangens Alpha hat geschrieben :
Mo 11. Nov 2019, 12:08
Man könnte es auch so sehen: die "Wahrheit" dieser Aussage beruht darauf, dass wir so etwas wie "Empathie" haben und wir dieses Quälen auf uns beziehen und nacherleben" können - und absolut vermeiden wollen; deshalb erscheint es uns als absolutes "No-Go" und wird damit erst zur ethischen Wahrheit erklärt, nämlich, dass es verwerflich zu sein hat.
Nehmen wir ein Alltagsbeispiel aus einem anderen Lebensbereich, ich nutze die Begriffe jetzt etwas "freestyle":

Karls Schlüssel ist weg 8-)
Die Wahrheit ist: der Schlüssel liegt unter dem Sofa.
Karls "Fürwahrhalten" ist: er muss im Auto liegen. :roll:
Karls "Epistemologie": Suchen :mrgreen:

Die Wahrheit, dass der Schlüssel unter dem Sofa liegt, beruht nicht auf dem Suchen. Auch wenn Karl ihn später dort findet, nachdem er vergeblich im Auto gesucht hat. Der Schlüssel liegt einfach da.

So würde ich es auch mit der Empathie sehen. Die Empathie gehört zum Erkennen der Wahrheit. Unter anderem, weil wir empathisch sind, erkennen wir, dass es falsch ist, andere zu quälen. Manche Menschen fehlt diese Fähigkeit allerdings! Wenn Wahrheit" der fraglichen Aussage darauf beruhen würde, dass wir so etwas wie "Empathie" haben, dann würde diese Wahrheit nicht für Empathielosen gelten. Aber auch für sie gilt, dass es falsch ist, andere zu quälen.




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Tangens Alpha hat geschrieben :
Mo 11. Nov 2019, 12:26
In der klassischen Physik sind die Objekte noch anschaulich und klar einer mathematischen Größe zugeordnet, die gemessen werden können:
Objekte, repräsentiert durch die Masse, m; Bewegung repräsentiert durch die Beschleunigung a; Ursache, repräsentiert durch die Kraft. F=ma. Tatsachen.
Da sie oben genannt wurden, bei Tischen müssen wir noch mit weiteren Tatsachen rechnen. Tische können zu groß oder zu klein zu hoch oder zu niedrig sein. Sie können einen Zweck erfüllen oder auch nicht.




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Tangens Alpha
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Do 14. Nov 2019, 14:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 11. Nov 2019, 13:48
Nehmen wir ein Alltagsbeispiel aus einem anderen Lebensbereich, ich nutze die Begriffe jetzt etwas "freestyle":

Karls Schlüssel ist weg 8-)
Die Wahrheit ist: der Schlüssel liegt unter dem Sofa.
Karls "Fürwahrhalten" ist: er muss im Auto liegen. :roll:
Karls "Epistemologie": Suchen :mrgreen:

Die Wahrheit, dass der Schlüssel unter dem Sofa liegt, beruht nicht auf dem Suchen. Auch wenn Karl ihn später dort findet, nachdem er vergeblich im Auto gesucht hat. Der Schlüssel liegt einfach da.
So würde ich es auch mit der Empathie sehen. Die Empathie gehört zum Erkennen der Wahrheit. Unter anderem, weil wir empathisch sind, erkennen wir, dass es falsch ist, andere zu quälen. Manche Menschen fehlt diese Fähigkeit allerdings! Wenn Wahrheit" der fraglichen Aussage darauf beruhen würde, dass wir so etwas wie "Empathie" haben, dann würde diese Wahrheit nicht für Empathielosen gelten. Aber auch für sie gilt, dass es falsch ist, andere zu quälen.
Die Wahrheit über Objekte (die Position eines Schlüssels) ist eine andere als die der Moral: ersteres kann objektiv gemessen werden. Die Wahrheit über Moral (Kinder quälen ist falsch) ist m.e. keine Wahrheit, sondern eine Auffassung oder Meinung. Man kann anderer Meinung sein (auch wenn es unmoralisch ist), was beim Schlüssel nicht zutrifft. Karls "Fürwahrhalten" ist definitiv falsch.
Da sie oben genannt wurden, bei Tischen müssen wir noch mit weiteren Tatsachen rechnen. Tische können zu groß oder zu klein zu hoch oder zu niedrig sein. Sie können einen Zweck erfüllen oder auch nicht.
Dann verlassen wir aber die Ebene der physikalischen Beschreibungsweise.

Aber hier nochmal die Frage: hältst du die Universalien für real existent?



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Jörn Budesheim
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Do 14. Nov 2019, 15:11

Auch bei Auffassungen über physikalisches gehen die Meinungen oft auseinander. Dass Meinungen über etwas auseinander gehen, zeigt also nicht, dass es darüber keine Wahrheit geben kann.




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Jörn Budesheim
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Tangens Alpha hat geschrieben :
Do 14. Nov 2019, 14:45
Die Wahrheit über Objekte (die Position eines Schlüssels) ist eine andere als die der Moral
Und wie sieht es mit der Wahrheit dieses Satzes aus? Du hältst ihn schließlich für wahr, oder?

Natürlich sind moralische Tatsachen und physikalische Tatsachen etwas verschiedenes. Meine Absicht ist nicht, sie kurzzuschließen. Mir geht es darum, zu unterscheiden zwischen Wahrheit, Fürwahrhalten und der Art und Weise, wie wir versuchen, die Wahrheit herauszufinden. Das kann man nicht einfach vermischen.

Den Schlüssel zu suchen, ist eine Methode, um herauszubringen, wo sich der Schlüssel befindet. Aber es ist nicht die Position des Schlüssels. Analog dazu ist Mitgefühl, eine Möglichkeit, eine moralische Tatsache zu erfassen. Aber es ist nicht diese Tatsache.

Wenn du diese fundamentale Unterscheidung zwischen Fürwahrhalten und Wahrheit und Wissenserlangung nicht akzeptierst, musst du meines Erachtens dafür sehr stark Gründe anbieten, finde ich.




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Tangens Alpha
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Fr 15. Nov 2019, 13:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 15. Nov 2019, 07:32
Wenn du diese fundamentale Unterscheidung zwischen Fürwahrhalten und Wahrheit und Wissenserlangung nicht akzeptierst, musst du meines Erachtens dafür sehr stark Gründe anbieten, finde ich.
Nochmal:
Wissenschaftliche Wahrheit ist für mich "das Ganze der objektiven Realität", alles das, "was der Fall ist" die "Totalität". Die historisch abhängige Erkenntnis dieser Wahrheit in Form von Theorien ist das "Fürwahrhalten". Dahinter steckt die Realität als Wahrheit.
Ethisch-moralische Wahrheit ist nach meiner Auffassung keine objektiv existierende Tatsache, sondern immer nur ein "Fürwahrhalten" oder "Fürwahrsetzen" im Gesetz. Man kann "Kinder quälen" verwerflich finden, muss es aber nicht (die Prügelstrafe ist bis heute nicht verboten).
Du vermutest hinter dem relativen "Fürwahrhalten" noch eine absolute Wahrheitsebene, die du noch nicht begründet hast. Woher weißt du das? warum gibt es sie?



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Fr 15. Nov 2019, 14:15

Darüber haben wir schon gesprochen. Ich bin der Ansicht, dass die Begründungslast bei dir liegt. Der Grund dafür ist folgender: Wer eine gut etablierte Praxis infrage stellt, muss dies sehr gut begründen.

Unsere tagtägliches Leben ist ein gut etablierte Praxis. Ich gehe also einfach von den Tatsachen unseres Lebens aus: es gibt ganz offenbar viele moralische Tatsachen, was du übrigens schon mehrfach akzeptiert hast, zum Beispiel, dass es in der Regel falsch ist, anderen ohne Grund Schmerzen zuzufügen oder kleine Kinder zu quälen. Noch ein Beispiel: Wir reden doch nicht so, als sei es Geschmackssache oder bloßes Meinen, wenn wir klar machen, dass es falsch ist, andere in der Fußgängerzone zu belästigen, anzuspucken, niederzuschlagen oder auszurauben. Oder: Wer ein Versprechen gibt, muss es halten. Kaum jemand hält das nur für irgendeine Meinung, statt dessen gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass es so ist. Denn wer ein Versprechen gibt und es nicht hält, verhält sich in der Regel falsch. So ist unsere die Realität.

Du bezweifelst das, wir mir scheint. Also musst du sehr, sehr gute Gründe anbringen, warum es sich doch anders verhält.




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