Tangens Alpha hat geschrieben : ↑ Sa 9. Nov 2019, 14:34
Ich denke, dass moralische Entitäten keine vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen realen Tatsachen sind in dem Sinne, wie der Sonnenaufgang oder die Erdrotation, sondern geistig-mentale Konstruktionen, die erforderlich, nützlich, abgrenzend, orientierend, ... sein können.
Ich werde vermutlich in verschiedenen Schritten Antworten, und picke mir erstmal dieses Zitat raus. Erstmal zwei Sätze zur Begriffsklärung.
Wörterbuch der philosophischen Begriffe hat geschrieben : Entität, neulat. Weiterbildung von ↑ens, die Seinshaftigkeit, das Dasein eines Dings im Unterschied zur Quiddität, dem Wassein oder Sosein, das ›Daß‹ im Unterschied zum ›Was‹. Heute auch einfach für ›Objekt‹, ›Ding‹.
Das Wort Entität ist eine Art Kunstwort, was im Grunde Objekt oder Ding bedeutet. Du sprichst wiederholt von moralischen Entitäten, ich jedoch nicht. Ich spreche von moralischen Tatsachen. Eine Tatsache ist eine Wahrheit. Es ist z.b. im Moment eine Tatsache, dass ich gerade hier sitze und auf deinen Beitrag antworte. Eine Tatsache ist also kein Ding, sprich keine Entität. Ich weiß nicht, ob es moralisch Entitäten gibt, im Moment kann ich mir nichts wirkliches darunter vorstellen. Nach meiner Ansicht gibt es jedoch moralische Tatsachen, z.b. es ist eine Tatsache, dass es verwerflich ist, kleine Kinder ohne Grund zu quälen. Ebenso ist es verwerflich, in der Fußgängerzone beliebige Passanten anzuspringen und zusammen zu schlagen.
Diese Unterscheidung ist wichtig, weil moralische Tatsachen keine moralischen Entitäten nach sich ziehen - insbesondere nichts, was wir irgendwie in der Raumzeit einordnen müssten. Und dass wir gar nicht erst in Verlegenheit geraten, nach seltsamen metaphysischen Entitäten Ausblick halten zu müssen, wie ist ein gewisse John Macky mal erläutert hat.
Du schreibst: "Ich denke, dass moralische Entitäten keine vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen realen Tatsachen sind in dem Sinne, wie der Sonnenaufgang oder die Erdrotation, sondern geistig-mentale Konstruktionen, die erforderlich, nützlich, abgrenzend, orientierend, ... sein können."
Hier ist mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, wie dein Argument lauten soll. Die Konklusion soll - wenn ich dich bisher richtig verstanden habe - lauten, dass es keine moralischen Tatsachen gibt, die universell gültig sind. Ich sehe aber nicht, wie deine Aufzählung das stützen soll. Du erklärst nämlich weder, warum Tatsachen, die vom menschlichen Bewusstsein abhängig sind, keine Tatsachen sein sollen, noch was es heißt, dass eine Tatsache vom menschlichen Bewusstsein abhängig ist.
Es ist z.b. eine Tatsache, dass ich mir gerade bewusst bin, das Tablet in meiner Hand zu halten und eine Antwort zu schreiben. Diese Tatsache, dass ich mir das Tablets und des Schreibens bewusst bin, ist offenbar von meinem Bewusstsein abhängig, das ist trivial. Aber warum sollte es deswegen keine Tatsache sein? Also noch mal: dass wir Bewusstsein haben, ist eine Tatsache und diese Tatsache hängt natürlich vom Bewusstsein ab. Es bleibt aber dennoch eine Tatsache, dass wir bewusstsein haben. Das zeigt, dass Bewusstseinsabhängigkeit kein Indiz für Irrealität oder etwas in der Art ist. Oder noch mal anders gesagt:es ist "seltsam" zu sagen, nur das existiert wirklich, was unabhängig von unserem Bewusstsein existiert, weil dann unser Bewusstsein nicht existieren würde.
Zurück zur Ethik/Moral: Ein Grund, dass es falsch ist, andere einfach so zu quälen, liegt daran, dass sie Schmerzen empfinden. Diese Tatsache ist selbstverständlich vom Bewusstsein abhängig, denn Schmerzzustände sind Bewusstseinszustände. Das, was mir einen Grund liefert, andere nicht zu quälen, soll zugleich dazu führen, dass es sich hier nicht um eine Tatsach handelt? Das halte ich für widersinnig.
Außerdem scheinst du zu unterstellen, dass etwas entweder zur natürlichen Welt gehört, wie z.b. die Erdrotation oder eine geistig mentale Konstruktion ist - was man damit auch gemeint sein könnte. Dafür gibst du jedoch keine Gründe an und ich meine nicht, dass es stimmt. Weiter oben habe ich einen bekannten, sehr renommierten Mathematiker zitiert, der ganz offenbar anderer Ansicht ist. Die Welt der Zahlen ist (nach seiner Ansicht und ich stimme ihm darin zu) ebenso real wie die Welt der Neutrinos. Und sie lässt sich erforschen. Das ist, wie es der bekannte Physiker David Deutscher die Realität der Abstraktionen.
Dass die Ethik für uns so von Bedeutung ist, liegt ja unter anderem daran, dass wir fühlende geistige bewusste Wesen sind. Das ist einer der Gründe, warum es Ethik gibt und kein Grund, warum sie nicht geben kann.