Verteilungsdilemma

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Friederike
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So 28. Okt 2018, 13:05

Tommy hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 00:48
Ich hatte ja nun auch ein paar Jahre Philopshieunterricht, und was mich immer gestört hat war, dass es meist sehr theoretisch blieb.
Wie, Du hattest in der Schule Philosophieunterricht ??? (Oben korrigiere ichs nicht, weil ich nicht weiß, ob Du nicht absichtlich ein bißchen danebengetippt hast).




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Alethos
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So 28. Okt 2018, 13:34

Friederike hat geschrieben :
Fr 26. Okt 2018, 13:30
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 26. Okt 2018, 13:05
Man kann meines Erachtens nicht fordern, die Gleichheit zu begründen, ohne sie in dieser Forderung bereits als solche akzeptiert zu haben, also indem man eine Begründung fordert. Der Begründung "einfordert" hat damit Gleichheit bereits geliefert.
Unabhängig davon, ob ich der Aussage später zustimme oder nicht (ich raffs noch nicht) - sehr pfiffig, "hat was".
Hat was, stimmt, aber man weiss nicht genau 'was', und man kann auch nicht erklären, was es ist, das es hat. Das macht es 'fishy' (um beim Thema zu bleiben).
Wollte man und würde man denn das Apriori der Gleichheit erklären können, erklärte man ja, was selbstevident sein soll, wodurch es nicht selbstevident mehr wäre und demnach kein moralisches Prinzip sein könnte :), was man aber behauptet. Das ist aber dogmatisch, weil man die Gleichheit hinter einer Begründungsgrenze als Prinzip festlegt, und sie vor jedem Verteidigenmüssen aufbewahrt in ewiger Wahrheit :) Aber das ist nicht legitim, finde ich, denn alles muss einen Grund haben auch ausser sich selbst, wenn es sich nicht erschöpfen will in sich selbst..

Überhaupt bleibe ich am Begriff der Gleichheit hängen: In welchem Bezug soll jeder gleich sein und warum sollte es so sein, dass jeder gleich ist, denn gerade ist er ja als Individuum ein mit eigenen Bedürfnissen ausgestattetes Wesen? Das Gleichsein aller ist kein Prinzip, meine ich, das sich aus sich selbst begründen könnte, denn diese alle, die alle sind, sind nicht Eines, sondern Viele und aus der Vielheit ergibt sich keine Gleichheit, wenigstens nicht ohne Grund!

Gleichheit ist demnach kein Prinzip, meine ich, und sie ist ganz bestimmt nicht das Prinzip der Gerechtigkeit. Denn Gleichheit ist eben nicht das, was dem Einzelnen gerecht werden könnte, insofern dieser nicht gleich dem Anderen ist, sondern ein Anderer.



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Friederike
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So 28. Okt 2018, 13:49

Alethos hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 13:34
Überhaupt bleibe ich am Begriff der Gleichheit hängen: In welchem Bezug soll jeder gleich sein und warum sollte es so sein, dass jeder gleich ist, denn gerade ist er ja als Individuum ein mit eigenen Bedürfnissen ausgestattetes Wesen. Das Gleichsein aller ist kein Prinzip, meine ich, das sich aus sich selbst begründen könnte, denn diese alle, die alle sind, sind nicht Eines, sondern Viele und aus der Vielheit ergibt sich keine Gleichheit, wenigstens nicht ohne Grund! Gleichheit ist demnach kein Prinzip, meine ich, und sie ist ganz bestimmt nicht das Prinzip der Gerechtigkeit. Denn Gleichheit ist eben nicht das, was dem Einzelnen gerecht werden könnte, insofern er nicht gleich dem Anderen ist, sondern ein Anderes.
Ich stimme Dir sehr zu. "Gleich" in Bezug worauf, das müßte man zumindest hinzufügen.




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Jörn Budesheim
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So 28. Okt 2018, 13:50

Alethos hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 13:34
Überhaupt bleibe ich am Begriff der Gleichheit hängen: In welchem Bezug soll jeder gleich sein und warum sollte es so sein, dass jeder gleich ist, denn gerade ist er ja als Individuum ein mit eigenen Bedürfnissen ausgestattetes Wesen?
"In der heutigen Diskussion über politische Fragen unterscheidet man vier Arten von Gleichheit: politische, rechtliche, soziale und ökonomische Gleichheit." (Thomas Nagel) "Es ist nachgerade ein Gemeinplatz, daß echte Gleichheit jeder Art empfindlich von ökonomischen Faktoren abhängt." (T.N.)




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Jörn Budesheim
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So 28. Okt 2018, 13:53

Als Richtschnur sollte dann auch gelten, dass jeder die gleichen Chancen hat, seine Individualität zu entwickeln und zu verwirklichen.




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Alethos
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So 28. Okt 2018, 13:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 13:50
Alethos hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 13:34
Überhaupt bleibe ich am Begriff der Gleichheit hängen: In welchem Bezug soll jeder gleich sein und warum sollte es so sein, dass jeder gleich ist, denn gerade ist er ja als Individuum ein mit eigenen Bedürfnissen ausgestattetes Wesen?
"In der heutigen Diskussion über politische Fragen unterscheidet man vier Arten von Gleichheit: politische, rechtliche, soziale und ökonomische Gleichheit." (Thomas Nagel) "Es ist nachgerade ein Gemeinplatz, daß echte Gleichheit jeder Art empfindlich von ökonomischen Faktoren abhängt." (T.N.)
Ja, nun sagt das Obige aber zunächst ja nur, dass ökonomische Gleichheit eine Bedingung für rechtliche, politische und soziale Gleichheit ist (das, wovon man die Möglichkeit der anderen Gleichheiten ableitet). Es belegt nicht Gleichheit als ein selbstevidentes Prinzip, das man dann schon einfordert, wenn man ein Argument für sie austauscht. In keiner Weise muss doch ich und du gleich sein, damit die Argumente für oder gegen Wahrheit ausgetauscht werden können? In keiner Weise kann als vorausgesetzt gelten, was wir begründen wollen, wenn es nicht Dogmatismus sein soll.



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Jörn Budesheim
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So 28. Okt 2018, 14:07

Findet du z.b., dass die logischen und mathematischen Grundwahrheiten dogmatisch sind? Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man eine Begründung nicht liefern will - oder ob man sie nicht liefern kann, weil es eben keine gibt.




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Alethos
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So 28. Okt 2018, 14:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 14:07
Findet du z.b., dass die logischen und mathematischen Grundwahrheiten dogmatisch sind? Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man eine Begründung nicht liefern will - oder ob man sie nicht liefern kann, weil es eben keine gibt.
Das ist sicherlich ein Unterschied, ob man etwas nicht will oder nicht kann. Das eine ist Verweigerung, das andere Unvermögen oder Unmöglichkeit. Nun hat das nichts mit dem Unterschied zwischen mathematischen Axiomen und Dogmatismen zu tun. Ich denke, dass sich Dogmatismus auf die 'richtige Meinung' bezieht und mathematische Axiome auf irreduzible theoretische Sachverhalte.

Dass Gleichheit vor dem Gesetz gelten soll, halte ich für eine wohl fundierte Meinung, es ist so gesehen ein Prinzip, aber nur quasi eines, weil es nicht irreduzibel ist, sondern sich aus anderen Gründen ergibt. Und falls es sich nicht aus anderen Gründen ergibt, so ist es eine blosse Meinung und dann dogmatisch, wenn sie ihre Richtigkeit aus sich selbst bezieht. Nicht nur, weil sie sie aus anderem nicht beziehen will, sondern auch nicht beziehen kann.

Dass Gleichheit ein Prinzip schlechthin sein soll, halte ich nicht für eine irreduzible Wahrheit, sofern sie eine ist. Denn sofern es wahr ist, ergibt es sich aus Tatsachen. Aber da die Tatsachen immer andere, die Situationen definitionsgemäss situative sind, auch die Menschen darin je verschiedene, kann sich unmöglich eine Gleichheit schlechthin aus diesen Tatsachen ergeben, ausser man imponiere sie (indem man nun z.B. jedes Podestträppchen so auslegt, dass alle draufstehenden Menschen gleich gross erscheinen). Das steht aber im Widerspruch zur Objektivität der Unterschiede selbst, die naturgegeben sind, mithin zu den Tatsachen selbst, die eine je individuelle Sprache sprechen. Darum ist es wenigstens fragwürdig (und darum nicht selbstevident), warum denn alles gleichgemacht werden sollte, wenn es von Natur aus Unterschiede gibt, und daraus ergibt sich die Frage: Ist es gerecht, dass ein jeder gleich viel Fisch erhalte, auch wenn sich der eine körperlich anstrengt und der andere nicht? Grundsätzlich gefragt: Ist es denn gerecht, dass die Gleichheit über alle Unterschiede hinweg gestülpt werde?

Diese Frage ist nicht nur erlaubt, ich denke, sie ist mit Bezug auf die gerechte Verteilung geradezu notwendig.
Zuletzt geändert von Alethos am So 28. Okt 2018, 14:46, insgesamt 1-mal geändert.



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Jörn Budesheim
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So 28. Okt 2018, 14:46

Wenn alle die gleichen Chancen und Möglichkeiten hätten, ihre individuellen Interessen zu entwickeln und zu leben, dann wird nichts gleich gemacht, sondern Individualität befördert.




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Alethos
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So 28. Okt 2018, 14:47

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 14:46
Wenn alle die gleichen Chancen und Möglichkeiten hätten, ihre individuellen Interessen zu entwickeln und zu leben, dann wird nichts gleich gemacht, sondern Individualität befördert.
Sehe ich auch so, aber es heisst nicht, dass am Ende des Tages jeder gleich viel haben soll, sondern individuell viel.



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Mo 29. Okt 2018, 07:31

Tommy hat geschrieben :
So 28. Okt 2018, 00:48
Ottington hat geschrieben :
Sa 27. Okt 2018, 19:51
Ja, wenn der Herr Lehrer seiner Klasse einen Knochen hinwirft. :roll:
Aber ist es nicht die Stelle, an der Ethik wirklich interessant wird?
Ich hatte ja nun auch ein paar Jahre Philopshieunterricht, und was mich immer gestört hat war, dass es meist sehr theoretisch blieb.
Wenn es doch in der Ethik um die Frage geht "wie sollen wir handeln", dann bedeutet das auch, dass jede Ethik sich in der Praxis bewähren muss, dass sie letztlich aus der Bücherstube "raus auf die Strasse muss".
Die interessantesten Unterrichtstunden waren für mich deshalb immer jene in denen es um konkrete Anwendungsfälle ging.
Ja, die konkreten Anwendungsfälle machen Ethik greifbarer. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Schimmermatts Beispiel eines "der Straße" ist. Etwas naheliegenderes wie "Ein Schüler aus armer Familie kann sich mittags nichts zu essen leisten und klaut deshalb einem Mitschüler 1, 50 Euro aus dem Geldbeutel" wäre auch denkbar. Das ist nicht so spannend wie das Insel-Beispiel, deswegen aber nicht weniger interessant.




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Mo 29. Okt 2018, 11:49

Ottington hat geschrieben :
Mo 29. Okt 2018, 07:31
Ja, die konkreten Anwendungsfälle machen Ethik greifbarer. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Schimmermatts Beispiel eines "der Straße" ist. Etwas naheliegenderes wie "Ein Schüler aus armer Familie kann sich mittags nichts zu essen leisten und klaut deshalb einem Mitschüler 1, 50 Euro aus dem Geldbeutel" wäre auch denkbar. Das ist nicht so spannend wie das Insel-Beispiel, deswegen aber nicht weniger interessant.
Warum kann der Schüler den Mitschüler nicht fragen, ob er ihm Geld für das Mittagessen gibt?
Weil der arme Schüler sich dafür schämt, daß seine Familie arm ist. Denn diejenigen, die arm sind, schämen sich auch noch dafür, daß sie arm -und benachteiligt- sind.

Ansonsten kann man natürlich gut den Unterschied von Prinzipien- und Fürsorgeethik an dem Beispiel bearbeiten.




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Jörn Budesheim
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Mo 5. Nov 2018, 13:16

Verschwendung/Verteilungsdilmma: Jedes fünfte Schwein, Rind, Huhn stirbt umsonst. Das sagen nicht Vegetarier, das sagt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. https://www.brandeins.de/magazine/brand ... um=parkett




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Stefanie
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Mo 5. Nov 2018, 18:57

Etwas offtopic.
Wenn mir erneut der teure Bio Mozarella zum überbacken und der bio Gouda auch zum überbacken, beides von Alnatura in den noch nicht geöffneten Tüten vor Ablauf des MHD verschimmelt, ich brav alles, was gekühlt werden muss, in einer Kühltüte mit extra Kühlakkus nach Hause transportiere, werde ich wütend, denn so was kann nur passieren, wenn irgendwo die Kühlkette unterbrochen wurde. Im letzten halben Jahr wanderte dadurch die Hälfte davon im Müll. Ebenso verpackter Wurstaufschnitt, schlecht geworden vor Ablauf des MHD. So. Und ich bin für kleinere Packungen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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proximus
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Di 6. Nov 2018, 10:13

Das werden die drei schon für sich regeln.
Und Aussenstehende werden sicherlich rummoralisieren.



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proximus hat geschrieben :
Di 6. Nov 2018, 10:13
Das werden die drei schon für sich regeln.
Und Aussenstehende werden sicherlich rummoralisieren.
In diesem ethischen Bereich unseres Forums kann es schon passieren, dass jemand “moralisiert“.




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Jörn Budesheim
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Di 6. Nov 2018, 11:24

Zu sagen, dass die drei das schon für sich regeln werden, ist selbst ein ein ethischer Standpunkt und ein rummoralisieren




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proximus
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Di 6. Nov 2018, 11:27

Da stimme ich euch Beiden zu.
Könnte es auch kritisch sehen.
Will ich grade nicht.



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

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proximus
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Di 6. Nov 2018, 11:42

M.E. ist moralische Situation von "aussen" eine andere als die "innen".
So könnten von aussen gestellte moralische Anforerungen an andere in ihrer Situation, von mir selbst in ähnlicher Situation nicht erfüllt werden.



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