Freiheit und Sollen

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Tangens Alpha
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Mi 27. Nov 2019, 11:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 26. Nov 2019, 16:17
Wieso stellt sich die Frage? Es stellt sich für das Argument nur die Frage, ob wir es für möglich erachten, dass ganz andere Wesen (Aliens/Tiere/Roboter/...), wenn wir mit ihnen zusammen leben sollten, uns rechtlich/moralisch gleich gestellt sein könnten. Da kann die Antwort doch nur ja sein, wenn man nicht meint, dass wir die einsame Spitze der Schöpfung sind. Und daraus folgt, dass die Gleichheit des Gehirns (die bei den Fremden voraussetzungsgemäß fehlt) kein Kriterium sein kann.
Die usprüngliche Frage war die nach dem Verhältnis von Naturwissenschaften, ... , Ethik und Philosophie. In diesem Zus.-hang fiel bzgl. der Gleichheit der Gehirne der in Rede stehende Satz - aber als Beispiel für eine Sachinformation!

Bei dir mutiert er zur Aussage "Alle Gehirne sind gleich ergo alle Menschen sind gleich!"

Obwohl Friederike dich zweimal darauf hinwies, dass weder sie noch ich derartiges behaupten, kommt dann von dir:
Mag sein, aber das Argument ist davon nicht sehr weit entfernt, denn es werden grundverschiedene Gleichheiten gleichgesetzt.
Du schiebst uns eine Aussage unter und bist - etwas störrisch - nicht davon abzubringen, wie man sieht. Ich finde, du manipulierst etwas, und meine du solltest das zugrunde legen, was gesagt / geschrieben wurde.

Wie wir die ethischen Prozesse i.V. m. den Aufgaben der Philosophie sehen, einordnen oder charakterisieren haben wir eigentlich ganz sauber herausgestellt, wie ich meine. Was hältst du davon?



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Friederike
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Mi 27. Nov 2019, 11:34

Tangens Alpha hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 11:28
[...] i.V. m. [...]?
:lol: Deine ... bzw. meine Stolpersteine. ABER: i.K. kriege ich es dann doch raus. 8-)




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Tangens Alpha
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Mi 27. Nov 2019, 11:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 26. Nov 2019, 17:59
Friederike hat geschrieben :
Di 26. Nov 2019, 17:37
Sagte ich nicht "um Himmels nein", womit ich meinte, es handele sich selbstverständlich nicht um diesselben Gleichheiten. Der Begriff "Gleichheit" müsse sowieso erst auf den Prüfstand.
So ist es. Das Argument, dass die Gleichheit der Gehirne in irgendeiner Form für die Gleichheit der Menschen spricht, ist doch auch nicht von dir, oder?
So auch nicht von mir! Vorsicht!
Und in so einem Moment ist doch die naheliegendste Überlegung, ob man das Gehirn nicht weglassen/durch etwas anderes ersetzen kann, und dennoch zur Gleichheit kommt.
Am naheliegensten wäre m.e., wenn wir uns der Aufgabe der Philosophie, den Satz "Alle Menschen sind gleich!" zu begründen, zuwenden würden.



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Tangens Alpha
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Mi 27. Nov 2019, 11:53

Friederike hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 11:34
Tangens Alpha hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 11:28
[...] i.V. m. [...]?
:lol: Deine ... bzw. meine Stolpersteine. ABER: i.K. kriege ich es dann doch raus. 8-)
"in Verbindung mit..."
Sorry, ich bessere mich.



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Jörn Budesheim
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Mi 27. Nov 2019, 11:54

aus ethischer Sicht unterstützt die Erkenntnis der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen.
Wenn es hier keinen Zusammenhang gibt zwischen der Gleichheit der Gehirne und der Gleichheit der Menschen - was dann?




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Tangens Alpha
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Mi 27. Nov 2019, 12:04

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 11:54
A) aus ethischer Sicht unterstützt die Erkenntnis der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen.
Wenn es hier keinen Zusammenhang gibt der Gleichheit der Gehirne und der Gleichheit der Menschen - was dann?
B) "Alle menschlichen Gehirne sind gleich - alle Menschen sind gleich".

Du siehst zwischen meiner Aussage A) und deiner mir unterstellten Aussage B) keinen Unterschied???



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Jörn Budesheim
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Mi 27. Nov 2019, 12:09

Deine Aussage impliziert, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gleichheit der Gehirne und der Gleichheit der Menschen gibt, scheint mir. Siehst du das auch so? Und wenn nicht, wie sollte die Gleichheit der Gehirne ansonsten, die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen unterstützen? Ich verstehe nicht, wie das gehen soll.




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Mi 27. Nov 2019, 12:17

Gesagt habe ich zum Beispiel das:

"Aber warum unterstützt nicht die Erkenntnis der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Füße (oder das Herz oder oder) die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen?

Seid ihr euch sicher, dass im ersten Teil des Satzes von derselben Gleichheit gesprochen wird, wie im zweiten Teil?"


und das:

Wir können uns zum Beispiel ausmalen, dass uns in naher oder ferner Zukunft eine andere/fremde Spezies über den Weg läuft, der wir auch "Personenstatus" einräumen sollten, die jedoch eine ganz andere "Architektur" als wir aufweist. Das zeigt recht einfach, dass mit Gleichheit keineswegs automatisch körperliche Gleichheit verbunden ist.

und auch das:

"die Gleichheit der Gehirne [spricht nach nach T.A.] in irgendeiner Form für die Gleichheit der Menschen."

aber nicht das:
Alle menschlichen Gehirne sind gleich - alle Menschen sind gleich




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Nov 2019, 14:48

Wir sollten uns aber nicht bei irgendwelchen Wortlauten oder Formulierungen festbeißen. Es soll doch um die Sache gehen, oder? Und die ist, so weit ich es verstehe, dass es eine Behauptung gibt, nämlich dass es irgendeinen (wie auch immer gearteten) Zusammenhang geben soll zwischen der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne und der Gleichheit aller Menschen. Wenn das nicht behauptet wurde - was dann?

Dafür wurde bisher jedoch kein Grund angegeben. Es wurde einfach nur behauptet. So als sei es selbsterläuternd. Schön wäre also, wenn es ein Argument dafür geben würde, warum die gleiche prinzipielle Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen unterstützen soll.

Ich bin dabei nämlich sehr skeptisch. Aus mehreren Gründen, die ich bereits angedeutet habe.
  • Ich vermute, dass eine Äquivokation vorliegt zwischen Gleichheit und Gleichheit. (Gleichheit der Beschaffenheit und normativer Gleichheit)
  • Ich befürchte einen Sein-Sollen-Fehlschluss.
  • Ich meine, die Wissenschaft kann gar nichts über Werte sagen, weil das gar nicht zu ihrem Gegenstandsbereich gehört - auch wenn das in dem fraglichen Satz vielleicht nicht explizit gesagt wird, stelle ich das hier schon mal klar, für den Fall, dass es irgendwie "mitschwingt".




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Friederike
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Mi 27. Nov 2019, 15:56

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 14:48
Wir sollten uns aber nicht bei irgendwelchen Wortlauten oder Formulierungen festbeißen. Es soll doch um die Sache gehen, oder? Und die ist, so weit ich es verstehe, dass es eine Behauptung gibt, nämlich dass es irgendeinen (wie auch immer gearteten) Zusammenhang geben soll zwischen der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne und der Gleichheit aller Menschen. Wenn das nicht behauptet wurde - was dann?

Dafür wurde bisher jedoch kein Grund angegeben. Es wurde einfach nur behauptet. So als sei es selbsterläuternd. Schön wäre also, wenn es ein Argument dafür geben würde, warum die gleiche prinzipielle Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen unterstützen soll.

Ich bin dabei nämlich sehr skeptisch. Aus mehreren Gründen, die ich bereits angedeutet habe.
  • Ich vermute, dass eine Äquivokation vorliegt zwischen Gleichheit und Gleichheit. (Gleichheit der Beschaffenheit und normativer Gleichheit)
  • Ich befürchte einen Sein-Sollen-Fehlschluss.
  • Ich meine, die Wissenschaft kann gar nichts über Werte sagen, weil das gar nicht zu ihrem Gegenstandsbereich gehört - auch wenn das in dem fraglichen Satz vielleicht nicht explizit gesagt wird, stelle ich das hier schon mal klar, für den Fall, dass es irgendwie "mitschwingt".
Wir könnten dann noch hinzunehmen:
Tangens Alpha hat geschrieben : Am naheliegendsten wäre m.e., wenn wir uns der Aufgabe der Philosophie, den Satz "Alle Menschen sind gleich!" zu begründen, zuwenden würden.
Damit will ich sagen, daß wir zusätzlich versuchen können, eine Begründung ohne "Unterstützung" der Neuro- oder einer sonstigen Wissenschaft zu finden. Um Mißverständnisse auszuschließen: Mit "gleich" ist in moralischer und rechtlicher Hinsicht gemeint. Davon gehe ich aus.




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Nov 2019, 17:04

Ich hatte dazu vor ein paar Tagen einiges gesagt. Hier ein Ausschnitt davon.
Jeder einzelne von uns ist das Zentrum seines subjektiven Er/lebens. Und zugleich sind wir in der Lage, zu erkennen, dass genau das für alle anderen auch gilt und keiner von ihnen - inklusive man selbst - in irgendeiner Form herausgehoben ist. Das heißt also, unsere Fähigkeit zur Abstraktion, also zum Absehen von der eigenen/individuellen Perspektive, die uns in den Naturwissenschaften so große Erfolge ermöglicht hat, können und sollen wir auch in dem Bereich anwenden, indem es um ethische Fragestellungen und An/forderungen geht. Wir können (z.b. in problematischen Situationen) von uns selbst abstrahieren und uns fragen, wie sollte diese Person dort handeln, die "zufälligerweise" ich selbst bin. Dabei muss allerdings der Umstand, dass die anderen (wie wir selbst) ein einzigartiges Leben führen und geburtliche, sterbliche, bedürftige, rationale und fühlende Wesen sind, eingepreist bleiben. (Von diesen entscheidenden Aspekten dürfen wir anders als in naturwissenschaftlichen Theorie Bildungen hier natürlich nicht absehen.)
Wenn wir für etwas Gründe angeben, müssen wir immer damit rechnen, dass man für diese Gründe wiederum Gründe anführen muss und so weiter und so fort. Das kann in einem unendlichen Regress führen oder ggf. an einem Punkt, der fraglos wahr ist.

Dass wir in einem ethisch normativen Sinne gleich sind, das gibt für vieles, was wir tun und denken einen Grund (und nicht etwa eine Ursache oder ein Motiv). Aber dieser kann nicht durch etwas, was noch fundamentaler ist, begründet werden, denke ich. Dass wir als Menschen alle gleich(wertig) sind ist von nichts anderem abgeleitet. Daher gibt es nach meinem Kenntnisstand auch in allen Kulturen so etwas wie die goldene Regel oder vergleichbares.

Das Zitat oben ist eine knappe Skizze, wie ich mir die Basis der Ethik vorstelle, die dazu führt, dass wir diese grundlegende Tatsache erkennen können.

(Daher ist nicht Gleichheit begründungsbedürftig, sondern jede Abweichung davon!)




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Tangens Alpha
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Mi 27. Nov 2019, 17:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 14:48
Wir sollten uns aber nicht bei irgendwelchen Wortlauten oder Formulierungen festbeißen. Es soll doch um die Sache gehen, oder? Und die ist, so weit ich es verstehe, dass es eine Behauptung gibt, nämlich dass es irgendeinen (wie auch immer gearteten) Zusammenhang geben soll zwischen der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne und der Gleichheit aller Menschen. Wenn das nicht behauptet wurde - was dann?
Hier nochmal:
Die usprüngliche Frage war die nach dem Verhältnis von Naturwissenschaften, ... , Ethik und Philosophie. In diesem Zus.-hang fiel bzgl. der Gleichheit der Gehirne der in Rede stehende Satz - aber als Beispiel für eine Sachinformation!

Bei dir mutiert er zur Aussage "Alle Gehirne sind gleich ergo alle Menschen sind gleich!" oder wie auch immer. Du hast uns diese Aussage untergeschoben und dann für dich zu einem Thema zum Kritisieren gemacht (jedenfalls kommt es mir stark so vor!). Beim eigentlichen Thema ging es aber gar nicht um Gleichheit, sondern um die Entstehung von Gesetzen, um die Aufgabe der Philosophie und die Rolle der Ethik.

Ich finde das ein bisschen manipulativ und meine du solltest das zugrunde legen, was gesagt / geschrieben wurde.

Wie wir die ethischen Prozesse in Verbindung mit den Aufgaben der Philosophie sehen, einordnen oder charakterisieren haben wir eigentlich ganz sauber herausgestellt, wie ich meine. Was hältst du davon?
Wenn nichts - welche Änderungen, Verbesserungen oder Alternativen schlägst du vor?



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Jörn Budesheim
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Mi 27. Nov 2019, 18:47

Hier ist noch mal der original Beitrag :)
Tangens Alpha hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 13:56
Friederike hat geschrieben :
Do 21. Nov 2019, 16:04
Tangens Alpha hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 18:35
Diese neuro-biologischen E-Prozesse sind zunehmend Gegenstand der Neuro-Forschung und es scheint sicher, dass diese Vorgänge im Gehirn genauso den natürlichen Gesetzen unterliegen, wie alle anderen Bio-Prozesse auch.
Emotionsbewegt meine Reaktion: Was haben wir davon???!!!
Ich würde meinen
- aus naturwissenschaftlicher Sicht: es ist Neugierde, schlichter Erkenntnistrieb, wie das Gehirn und damit das "Verhalten, ... " beschaffen ist.
- aus ethischer Sicht unterstützt die Erkenntnis der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen.
- aus juristischer Sicht führt die Erkenntnis der Bedingtheit menschlichen Verhaltens zur Schuldminderung, im Idealfall zur hilfreichen Therapie.
- aus didaktischer Sicht: wenn ich weiß, wie Lernprozesse im Gehirn ablaufen, kann ich meinen Unterricht daraufhin optimieren.
- aus sozialer Sicht: wenn ich weiß, wie soziale Kommunikationsprozesse im Gehirne ablaufen, erleichtert es mir den Umgang mit schwierigen Sozialpartnern (zB Mitarbeiter)
- aus medizinischer Sicht kann die Kenntnis von zB depressiven Prozessen medikamentös behandelt werden.
- aus pädagogischer Sicht helfen diese Erkenntnisse bei der Erziehung.
- aus meiner persönlichen Sicht: ich finde, das menschliche Gehirn ist das komplexeste & faszinierenste "System" überhaupt; es ist kaum vorstellbar, dass aus ein paar Elementarteilchen am Uranfang so etwas Komplexes mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion, entstanden ist; ein kleiner aber unglaublicher Kosmos für sich.

Es ist, als würde der Kosmos durch das menschliche Gehirn über sich selbst nachdenken...


PS: welche Emotion hatte dich bewegt (wenn die Frage erlaubt ist)?
Offenbar verstehe ich, was du da geschrieben hast, anders als du es gemeint hast. Darauf können wir es gerne beruhen lassen.




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Jörn Budesheim
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Mi 27. Nov 2019, 19:44

Tangens Alpha hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 17:57
Wie wir die ethischen Prozesse in Verbindung mit den Aufgaben der Philosophie sehen, einordnen oder charakterisieren haben wir eigentlich ganz sauber herausgestellt, wie ich meine. Was hältst du davon?
Wenn nichts - welche Änderungen, Verbesserungen oder Alternativen schlägst du vor?
Du meinst das folgende? (Wer ist mit "wir" gemeint?)
Tangens Alpha hat geschrieben :
So 24. Nov 2019, 20:51
Ich persönlich stelle mir das wie ein eine rundes Pyramidengebäude vor:
unten sitzt die Physik, darüber die Chemie, Biologie, Soziologie, Psychologie, Theologie, ..., Ethik und in der Spitze die Philosophie. Es gibt keine strenge räumliche Trennung, sondern alle Ebenen sind mit allen anderen Ebenen verbunden.
Warum ein Stufenmodell? Und warum die Physik an der Basis und die Philosophie oben?

Dass die verschiedenen Disziplinen je nach Fragestellung das Gespräch suchen sollten/könnten, finde ich auch. Irgendeine Form der Hierarchie würde ich jedoch nicht sehen wollen.

Interessant finde ich deine Auswahl an Wissenschaften. Da du Soziologie und Theologie erwähnst, hast du also nicht nur Naturwissenschaften im Blick. Aber warum fehlen z.b. Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte oder etwas vergleichbares? das scheint mir ein gewisses Ungleichgewicht zu sein.

Wenn die Philosophie z.b. in der Ästhetik die Frage "Was ist Kunst?" erörtert, könnten Vertreter aus der Kunstgeschichte durchaus interessante Gesprächspartner sein. Während Astrophysiker vermutlich hier nicht viel beitragen können. (Ganz pragmatisch betrachtet natürlich nur: der Umstand, dass wir auf einem Planet leben, im Habitat einer Sonne, macht natürlich Kunstgeschichte überhaupt erst möglich. Aber ich vermute, die Kunstgeschichte muss solche Dinge ausblenden, um sich nicht im unendlichen zu verlieren.) Evolutionsbiologen hingegen könnte man hier durchaus mit ins Boot nehmen, damit sie die Ergebnisse ihrer evolutionären Ästhetik einbringen können. Und mit dem einen oder anderen Künstler ins Gespräch zu kommen, wäre vielleicht auch nicht falsch.

Damit will ich sagen, dass die Frage, wer mit wem, wieso und weshalb ins Gespräch kommt, ergibt sich vermutlich aus der Fragestellung und den Interessen, die damit verfolgt werden und natürlich aus den theoretischen Voraussetzungen, aber nicht aus der Platzierung in einer Pyramide, in der es gar ein Oben und ein Unten gibt.
TA hat geschrieben : - aus didaktischer Sicht: wenn ich weiß, wie Lernprozesse im Gehirn ablaufen, kann ich meinen Unterricht daraufhin optimieren.
Nehmen wir dieses Beispiel. Es ist meines Erachtens sehr schwierig, zu beantworten, welche Fachbereiche hier zusammen sitzen sollten. Nicht schlecht wäre ein analytischer Philosoph, der mit der Idee dass Lernprozesse im Gehirn ablaufen, aufräumen könnte. Hinzunehmen sollte man des weiteren einen Leib Philosophen, der die Bedeutung des Leibes für das Lernen darlegen könnte. Naturwissenschaftler könnten hier im Verbund mit anderen sicherlich auch einiges beitragen, also natürlich auch Hirnforscher, Psychologen et cetera. Ich denke, Lernforschung ist ohnehin ein eigenes Gebiet und ich weiß natürlich nicht im Detail, welche verschiedenen Disziplinen dort zusammengeführt werden. Außerdem ist keineswegs ausgemacht, dass die Lernbedingungen von Lerngegenstand zu Lerngegenstand gleich sind. Es ist ja leicht vorstellbar, dass beim Sportunterricht andere Bedingungen am Werke sind als etwa beim Verfassen eines Deutschaufsatzes :)




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Tangens Alpha
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Fr 29. Nov 2019, 11:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 19:44
Warum ein Stufenmodell? Und warum die Physik an der Basis und die Philosophie oben?
Weil Naturwissenschaften den breitesten Datenbestand haben und Entwicklung auf ihnen beruht.
das scheint mir ein gewisses Ungleichgewicht zu sein
Es sind nur nicht alle aufgeführt.
Damit will ich sagen, dass die Frage, wer mit wem, wieso und weshalb ins Gespräch kommt, ergibt sich vermutlich aus der Fragestellung und den Interessen,
So ist es.
Nicht schlecht wäre ein analytischer Philosoph, der mit der Idee dass Lernprozesse im Gehirn ablaufen, aufräumen könnte
Warum sollte er das tun? Wo laufen sie dann ab?



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Fr 29. Nov 2019, 13:15

Tangens Alpha hat geschrieben :
Fr 29. Nov 2019, 11:43
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Nov 2019, 19:44
Nicht schlecht wäre ein analytischer Philosoph, der mit der Idee dass Lernprozesse im Gehirn ablaufen, aufräumen könnte.
Warum sollte er das tun? Wo laufen sie dann ab?
Ich glaube, ich komme nicht drum herum einzusehen, daß es beispielsweise auch die Freiheit als anthropologisches Prinzip, wie im Einleitungsbeitrag von Dir ausgeführt,
Tangens Alpha hat geschrieben : > Freiheit ist ein aktives anthropologisches Prinzip, das durch Erkenntnisse ein Feld von Möglichkeiten schafft, aus dem heraus Entscheidungen gewählt werden können (Wählen können allein wäre passiv).

Beispiel:
In einer bildungsfernen Umgebung ist die Freiheit von Entscheidungen sehr eingegrenzt und im Wesentlichen durch Tradition & Konditionierungen stark determiniert.
In einer bildungsnahen Umgebung ist die Freiheit von Entscheidungen dadurch gegeben, dass gelernt wird, wie Entscheidungsprozesse rational zu strukturieren & durchzuführen sind zB. „Sammeln – Sichten – Entscheiden“. Das eröffnet ein Feld der Möglichkeiten, aus dem gewählt werden kann = Freiheit.
ohne das Körperorgan "Gehirn" nicht gäbe. Es ist die -körperliche- Bedingung der Möglichkeit von allen Phänomenen, die wir "denken", "lernen", "fühlen", "wahrnehmen" nennen. Da beißt die Maus kein Faden ab - und mir ist nur noch nicht klar, warum ich das als kränkend empfinde. Man kann noch nicht enmal mehr sagen, der Mensch sei mehr als sein Gehirn, denn alles, was ich mehr oder weniger aus "mir mache", das "Feld der Möglichkeiten", am Ende sind es Abläufe meines Gehirns. Außerhalb dieses Organs gibt es nicht noch ein Anderes, was denkt usw.




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Fr 29. Nov 2019, 13:58

Im Moment hab ich zwar etwas Rückenschmerzen. Aber im Allgemeinen finde ich es ziemlich gut, einen Körper zu haben :-) Und dazu gehören natürlich auch meine Organe. Ich kann für mich daran nichts kränkendes finden. Ohne Körper kein Geist. Der lebendige Geist ist ein verkörperter. Das macht es (meistens) so schön, ein Geistwesen zu sein. Ein Engel (= reiner Geist ohne Körper) wäre ich nicht so gerne - unabhängig davon, dass ich glaube, dass es so etwas gar nicht gibt. :-)




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Fr 29. Nov 2019, 23:05

Friederike hat geschrieben :
Fr 29. Nov 2019, 13:15
ohne das Körperorgan "Gehirn" nicht gäbe. Es ist die -körperliche- Bedingung der Möglichkeit von allen Phänomenen, die wir "denken", "lernen", "fühlen", "wahrnehmen" nennen. Da beißt die Maus kein Faden ab -
Das tut sie auch nicht. Ohne Gehirn kein Geist.
und mir ist nur noch nicht klar, warum ich das als kränkend empfinde
Viele brauchen diese Begriffe, um sich klar vom Tierreich abzugrenzen



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Sa 30. Nov 2019, 06:50

Tangens Alpha hat geschrieben : - aus didaktischer Sicht: wenn ich weiß, wie Lernprozesse im Gehirn ablaufen, kann ich meinen Unterricht daraufhin optimieren.
Stellen wir uns vor, was wirklich passiert. Eine kleine Person soll etwas lernen. Etwas, was sie noch nicht kann, nämlich den Lernstoff. Also z.b. Schwimmen oder Französisch. Das Lernen des Lernstoffs (also der Lernprozess) - z.b. das Schwimmen - kann schwerlich in ihrem Gehirn ablaufen. Schwimmen findet bekanntlich im Wasser statt und es ist eine äußerst komplizierte körperliche Aktivität. Hier muss das Kind als Ganzes den eigenen gespürten Leib im Wasser so zu bewegen lernen, dass das Wasser es trägt. Wichtiger Teil dieses Lernprozesses ist sicherlich der Lehrer. Nicht unwesentlich dürfte auch die Atmosphäre des Lernorts sein, das Verhalten der Mitschüler und sicher viele viele Faktoren mehr. (Das was du an anderer Stelle despektierlich Gemischtwarenladen genannt hast.)

Der Lernprozess ist dabei ein normativer Prozess. Denn man kann das, was man tut, richtig oder falsch anstellen. Bei "richtig oder falsch" haben wir es in diesem Fall mit objektiven Relationen zwischen dem, was das Kind tut und dem, was es tun sollte, zu tun. Das kann daher gar nicht im Gehirn stattfinden, denn welchen Ort im Gehirn sollte das Relat "richtiges tun" haben? (Welchen Ort hat die französische Sprache?) Wie bei der Sprache gilt hier der Externalismus.

Zu sagen, im Gehirn finden Lernprozesse statt, ist meines Erachtens an Kategorienfehler. (ich denke das ist das, was ein analytischer Philosoph auch beizutragen hätte.) Im Gehirn finden biologische/chemische Prozesse statt.

Wenn der Lehrer z.b. eine bestimmte Armbewegung vormacht (die man beim Kraulen macht), dann ist das Teil des Lernprozesses und die Art und Weise, wie der Lehrer das macht gehört dazu. Aber das findet sich nicht in irgendeinem Gehirn.

Das Gehirn ist zudem ein biologisches Organ und weißt daher keine normative Aspekte auf.

Wichtig bei jedem Lernen ist aldo natürlich die Person und die Persönlichkeit des Lehrers. Seine Ausstrahlung, sein Einfühlungsvermögen, seine Fähigkeit sich auszudrücken und die Dinge zu erklären. Das ist ein ganz wesentlicher Teil des Lernprozesses und nichts davon befindet sich in einem Gehirn.

Natürlich müssen alle beteiligten Menschen bei diesem Prozess ein Gehirn haben, sonst würde da nichts laufen. (Auch ohne Lunge könnten wir nicht schwimmen lernen.) Ein Gehirn haben ist für diesen Prozess notwendig, aber bei weitem, bei weitem nicht hinreichend. Und ganz sicher finden im Gehirn zwar viele Prozesse statt, aber keine Lernprozesse, weil zu diesen der Gegenstand des Lernens, der Lehrkörper, die Umgebung und vieles anderes mehr gehört - der gesamte Gemischtwarenladen eben.

Vermutlich können Hirnforscher diesen Vorgang mit ihren Mitteln irgendwie beobachten und vielleicht auch dabei helfen, ihn zu optimieren. Aber wenn man behauptet, im Gehirn finden Lernprozesse statt, dann verfehlt man meines Erachtens völlig, was Lernprozesse überhaupt sind. (Meines Erachtens ein mereologischer Fehler, weil man einem Teil zuschreibt, was man nur dem Ganzen zu schreiben kann.)

All dies ist meines Erachtens von größten Belang, weil es das Verständnis dessen, was dort überhaupt passiert, mitbestimmt. Solange wir das Gehirn als ein Organ, als ein sehr wichtiges Organ betrachten, ist es vielleicht noch alles okay. Aber wenn wir dabei den Blick für die lebensweltlichen Tatsachen verlieren, dann ist das der erste Schritt in die falsche Richtung.




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Sa 30. Nov 2019, 08:15

Nehmen wir ein anderes Beispiel, jemand möchte Portraitzeichnen lernen und geht dazu in die Volkshochschule.

Man kann sich leicht klar machen, wie komplex das ist, wenn man nur nach dem Ort des Porträts fragt. Das ist schon ziemlich schwer zu analysieren. Wir haben natürlich die Farben und Linien auf dem Papier. Allerdings müssen diese natürlich betrachtet werden. Im Gehirn findet man jedoch weder Farbe noch Linien. Sondern nur die graue Gehirnmasse. Soviel ist sicher. Aber die Farben und die Linien und ihre Betrachtung sind noch nicht alles. Sie müssen in eine Relation "gesetzt werden" zur porträtierten Person. (bzw sie befinden sich in einer Relation zu Porträt & Person.) Auch diese Relation kann nicht in einem Gehirn sein, weil die porträtierte Person in kein Gehirn passt. Zudem ist nicht jede Relation hinreichend, um von einem Porträt zu sprechen. In irgendeiner Form muss die Zeichnung "stimmig" sein. Was sich hinter diesem unscheinbaren Wort verbirgt, dürfte relativ schwierig zu analysieren sein.

Wie man sieht, ist es bereits ziemlich schwierig, auch nur einigermaßen zu erfassen, was überhaupt ein Portrait ist. Lernprozess Portraitzeichnen ist sicherlich noch deutlich komplexer. Wenn man hier auf das Gehirn schaut, schaut man nur auf einen verschwindend kleinen Teil des Prozesses. Ein notwendiger Teil, sicherlich, aber notwendig sind dabei alle körperlichen Funktionen des Zeichners, des Lehrers und auch des Modells. Die komplexen realen Relationen, die dabei mit im Spiel sind und auch über die Zeit verteilt sind, lassen sich schlechterdings nicht in ein Gehirn packen, weil Relationen in dieser Weise gar nicht lokalisiert werden können. Die Relation der Ähnlichkeit wird vielleicht nur mithilfe eines Gehirns erkannt werden können, aber sie befindet sich nicht im Gehirn.




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