Darf man Tiere essen?

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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Sa 21. Okt 2017, 07:49

Tommy hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 22:53
Muss ich dem Löwen die Gazelle aus den Klauen reissen, weil mir das meine Ethik vorschreibt?
Ich sehe den Menschen als Teil dieser natürlichen Vorgänge.
Nach meinem Gefühl knirscht es hier etwas. Denn im Unterschied zu dem Löwen und zu der Gazelle kannst du dir die Fragen stellen, die wir hier diskutieren, nämlich ob etwas richtig oder falsch ist. Diese Eigenschaft (sich die Frage nach richtig und falsch stellen zu können) haben diese Tiere offensichtlich nicht. Und in dieser Hinsicht sind wir nicht mehr nur ein Teil dieser natürlichen Vorgänge, sondern können sie betrachten, bewerten und uns fragen, was zu tun ist. Der Löwe kann das nicht. Er kann nicht sagen "Stopp, was tue ich denn hier? Sollte ich das wirklich tun? Was spricht (in ethischer Hinsicht) dafür? Was spricht dagegen?" (Instrumentelle Intelligenz ist den Tieren damit nicht abgesprochen!)

Der Löwe kann auch den inhärenten Wert der Gazelle nicht erkennen, für ihn hat sie nur insofern ein Wert, als sie ihm als Nahrungsmittel dienen kann.

Aber du hast natürlich recht, wir sind selbstverständlich nicht völlig aus diesem natürlichen Vorgängen herausgehoben, denn wir müssen uns ernähren, wenn wir leben wollen, das heißt wir müssen andere Leben beenden, um unser eigenes zu erhalten. Aber anders als Löwe und Gazelle können wir uns zu diesem Umstand verhalten. Wir können versuchen, darüber nachzudenken, was ethisch gegeben ist. Es ist offensichtlich, dass wir die Eigenschaft haben, das zu tun. Und wir sollten uns selbst nicht unterbieten. Indem wir hier überhaupt darüber diskutieren haben wir den wichtigsten, nämlich den ersten Schritt schon getan ...

Diese Eigenschaft, nämlich ein moralischer Akteur sein zu können, ist eine der Eigenschaften, die uns selbst einen Wert verleiht, wie ich finde. Die Fähigkeit, das Leben genießen zu können, auf die du hinweist, gehört auch nach meiner Ansicht zu diesem Bündel der Eigenschaften.

Wie du zurecht feststellst, stehen wir jedoch in einer gewissen Kontinuität mit den anderen Lebewesen. Soweit ich sehe, sind alle in diesem Thread der Ansicht, dass auch Tiere einen inneren Wert haben, so dass die Kontinuität der Werte also nicht an irgendeiner Stelle einfach abgebrochen wird - gewissermaßen "nach unten".

Dass es eine Kontinuität gibt, heißt aber nicht nicht, dass es nicht eine Abstufung geben kann. (Auch hier herrscht, bei aller Differenz eine gewisse Einigkeit, auch wenn wir damit zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.) Denn eine dieser Eigenschaften, die einem Wesen einen inneren Wert verleiht, teilen die Tiere mit uns eben nicht, wie ich weiter oben bereits dargelegt haben, sie sind keine moralische Akteure, in dem Sinn, in dem wir es sind. Allerdings teilen Sie mit uns viele andere Eigenschaften, die grundsätzlichste ist wohl, dass wir alle leben. Aber diese Eigenschaft teilen wir auch mit dem Salat. Und es ist jetzt zu klären, welche dieser Eigenschaften welche Werte darstellen und welche Ansprüche sich daraus herleiten.

...

Nachtrag: Man sollte unterscheiden zwischen einem intrinsischen Wert und einem absoluten Wert. Intrinsische Werte oder innere Werte müssen nicht absolut sein. Unsere Würde ist jedoch intrinsisch und absolut, sie lässt sich nicht verrechnen, kann nicht Gegenstand einer Güterabwägung werden, was bei anderen Werten möglich ist. Diese Auffassung führt übrigens direkt in kompliziertes moralisches Fahrwasser wie etwa beim Straßenbahnproblem oder der Frage, ob man entführte Flugzeuge abschießen darf. Aber das ist ein anderer Thread ... der noch eröffnet werden muss.




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Jörn Budesheim
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Sa 21. Okt 2017, 09:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 07:49
Der Löwe kann das nicht. Er kann nicht sagen "Stopp, was tue ich denn hier? Sollte ich das wirklich tun? Was spricht (in ethischer Hinsicht) dafür? Was spricht dagegen?" (Instrumentelle Intelligenz ist den Tieren damit nicht abgesprochen!)
http://www.huffingtonpost.de/2015/09/27/gorilla-kleiner-junge-zoo-gehege_n_8202408.html hat geschrieben : Ein fünfjähriger Junge, Levan Merritt, war in dem Zoo auf der britischen Insel Jersey in ein Gorilla-Gehege gefallen und hatte das Bewusstsein verloren. Jambo, das größte Gorilla-Männchen, läuft auf den kleinen Körper zu und stellt sich zwischen ihn und die anderen Gorillas. Eine Geste, die von Tierforschern als Schutzgeste gegenüber den anderen Gorillas gewertet wird.
Der Vorfall scheint einigermaßen verbürgt zu sein. Hier muss man wohl die Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen, dass auch Gorillas manchmal "anders können". Das zeigt, dass es nicht wirklich grundsätzlich angemessen ist, stets einfach von "den Tieren" zu sprechen, weil das viel zu viele Unterschiede unterschlägt, die für die jeweilige Diskussion relevant ist.




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Sa 21. Okt 2017, 10:43

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 10:22
Das ist mir vollends bewusst.
Die Frage die ich mir nur stelle ist, welchen Unterschied macht das für die Gazelle?
Ich vermute es ist ihr vollkommen egal ob ihr Ende in Form eines Löwen kommt, der nicht anders kann, oder ob sie von einem Jäger geschossen wird, der "auch anders könnte". Das macht für die Gazelle einfach keinen Unterschied. Für sie sind wir nur einer von vielen Räubern, vor denen sie sich in Acht nehmen muss.
Und so sehe ich das eigentlich auch. Wir Menschen sind Teil des natürlichen Gefüge aus Räubern und Beute. Dass wir darüber nachdenken können - und somit spezielle Tiere mit besonderen Fähigkeiten sind - ändert daran eigentlich nichts.
Dann darf ich jedes Lebewesen töten, da der Tod letztlich für alle das unumstößliche Ende darstellt und fester Bestandteil unserer Natur ist?

Es geht letztlich nicht darum, welchen Unterschied es für das Opfer macht. Es geht um uns.




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Sa 21. Okt 2017, 11:35

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 11:04
Also geht es gar nicht um die Gazelle.
Aber sagtest Du nicht es spielt eine Rolle ob sie lebt oder stirbt?
So wie ich Dich aber nun verstehe ist das egal. Es geht nur darum, dass sie nicht durch unsere Hand stirbt?
Dann müsstest Du noch begründen warum der Tod der Gazelle nur dann ethisch relevant ist, wenn er durch den Räuber Mensch verursacht wird, nicht aber wenn er durch alle anderen Räuber verursacht wird.
Ist das nicht in allen Fällen das gleiche Leid?
Weil wir die Wahl haben. Wir können uns Gedanken darüber machen, welche Möglichkeiten wir haben und was die Folgen einzelner Entscheidungen wären. Der Gazelle ist es egal, ob sie ein Wesen ist oder eine Person. Wir müssen klären, ob sie das für uns ist und welche Konsequenzen daraus für uns resultieren.




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Sa 21. Okt 2017, 12:04

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 11:55
Um ehrlich zu sein habe ich inzwischen auch den Überblick verloren, wie manche Tierschützer nun eigentlich argumentieren.
Ich hab ihn (den Überblick) noch nicht mal gewonnen :-) Es gibt zu diesem Thema bereits eine unüberblickbare Fülle an Literatur und daher auch keine einheitliche Argumentation "der" Tierschützer oder "der" Vegetarier oder "der" Veganer.




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Sa 21. Okt 2017, 15:17

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 12:11
Wenn wir keine Menschen essen dürfen (worüber wohl Einigkeit herrscht), dann
Wenn man die Argumentationslast etwas gleichmäßiger verteilen will, kann man die Karnisten ja auch mal fragen, warum man ihrer Ansicht nach Tiere essen darf. Inbesondere, wenn zugestanden ist, dass zwischen ihnen und uns irgend eine Form der evolutionäre Kontinuität bestehen soll.




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Sa 21. Okt 2017, 15:24

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 12:11
Wer sich als Philosoph einen Namen machen will, der sollte versuchen das aufzulösen.
Wir sind ja dabei, es aufzulösen, vielleicht. Wir bräuchten dann einfach ein süffiges Pseudonym, z.B. Cow Ariu Duing!



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Sa 21. Okt 2017, 15:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 15:17
Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 12:11
Wenn wir keine Menschen essen dürfen (worüber wohl Einigkeit herrscht), dann
Wenn man die Argumentationslast etwas gleichmäßiger verteilen will, kann man die Karnisten ja auch mal fragen, warum man ihrer Ansicht nach Tiere essen darf. Inbesondere, wenn zugestanden ist, dass zwischen ihnen und uns irgend eine Form der evolutionäre Kontinuität bestehen soll.
Dieser Begriff hat mich zum Nachdenken gebracht. Schon in deinem vorigen Beitrag war mir nicht ganz klar, wie du diese evolutionäre Kontinuität verstehst. Hat es etwas mit den sich gegenseitig begründenden Schildkröten zu tun?

Wäre schön, wenn du das vielleicht etwas ausführlicher darlegen könntest.



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Sa 21. Okt 2017, 18:30

Ich gehe schon davon aus, dass die Evolutionstheorie zumindest in groben Zügen richtig ist. Ich schätze, das sieht Tommy auch so und du doch auch, oder?




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Sa 21. Okt 2017, 18:46

Ja, ich sehe es so. Aber ich sehe hier (noch) keinen Zusammenhang mit einer ethischen Handlungsanleitung.



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Sa 21. Okt 2017, 20:03

Alethos hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 21:04
Für mich sind Tiere, sobald sie auf dem Teller sind, keine Tiere mehr. Ich geniesse ja nicht die Tatsache, dass hier ein totes Tier auf dem Teller liegt und schon gar nicht die Tatsache, dass es gelitten hat. Dann wäre ich ja makaber und Sadist. Im Gegenteil, ich muss es richtig verdrängen (was ich bereits sehr gut kann), dass mein Entrecôte das Produkt einer kleinen Tragödie ist. Ich muss verdrängen, dass dieses Tier vielleicht eine Persönlichkeit hatte, vielleicht ganz ulkig war oder anschmiegsam. Und ich muss mir die Freundschaft wegdenken, das ich mit diesem Tier eingegangen wäre, hätte ich es gekannt.
Ottington hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 13:25
Vielleicht sollte ein jeder mal ein Tier selbst um seinen Lebensgenuss bringen. Vielleicht macht das mehr deutlich.
Ich hab dazu mal ein kurzes Radiofeature gehört. Seit geraumer Zeit wird Fleisch zunehmend so dargeboten, dass seine tierische Herkunft und der Umstand, dass die Tiere dafür getötet werden mussten, kaum noch nachzuvollziehen ist. Sogar die Essgewohnheiten haben sich in diese Richtung entwickelt. Ein Beispiel, was mir in Erinnerung geblieben ist, sind Innereien. Waren sie früher regelmäßig Teil des Speiseplans, werden sie heute kaum noch angeboten ... sieht zu sehr nach Tier aus.

Das heißt der Zusammenhang zwischen unserem Fleischkonsum und der Fleischproduktion wird mehr und mehr "invisibilisiert".




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Sa 21. Okt 2017, 20:04

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 19:59
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 15:17
Wenn man die Argumentationslast etwas gleichmäßiger verteilen will, kann man die Karnisten ja auch mal fragen, warum man ihrer Ansicht nach Tiere essen darf.
Ich meine dazu gab es hier schon den einen oder anderen Versuch.
Ich bin ein alter Mann, mein Gedächtnis ist auch nicht mehr, was es mal wahr :-)




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Sa 21. Okt 2017, 21:08

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 20:08
Das sehe ich eher nicht so.
Man wird heute mehr denn je mit der Nase drauf gestossen, unter welchen Umständen Tiere gezüchtet und wie Tierprodukte verarbeitet werden.
Bei der Untersuchung ging nicht um die Frage, ob im TV oder in anderen Medien darüber berichtet wird, unter welchen Umständen Tiere gezüchtet werden. Sondern darum, wie diese Produkte dargeboten werden und wie sich die Essgewohnheiten verändert haben. Ich kenne das Design der Untersuchung zwar nicht, meine eigenen Erfahrungen bestätigen das jedoch ganz deutlich, ich sehe daher keine Veranlassung diese Untersuchung zu bzweifeln.

Dass man "heute mehr denn je mit der Nase drauf gestossen, unter welchen Umständen Tiere gezüchtet und wie Tierprodukte verarbeitet werden" kann ich nicht bestätigen. Mir selbst kommt das praktisch nie unter. Ich kann mich überhaupt nur eine eine Demo auf der documenta erinnern, wo ich so was gesehen habe ... ansonsten muss es ewig her sein, dass ich darüber etwas im TV gesehen oder irgendwo gelesen habe. Mag aber an meinen Mediengewohnheiten liegen. In Netflix gibts darüber vermutlich keine Serie :-)




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Alethos
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Sa 21. Okt 2017, 21:45

Das ist ja auch nicht erstaunlich, weil es auch keine sexy Sache ist. Du als Marketingexperte wirst das bestätigen können, dass sich die industrialisierte Tierhaltung sowie das Töten am Fliessband einfach nicht geschmeidig in die Landschaft der vielen frohen Werbebotschaften einpassen lässt.

Aber es ist nicht nur die Sache mit dem Blut und dem Ekel, was alles so dégoutant macht, sondern dass wir genau wissen, dass wir im Grunde ganz unethisch handeln, wenn wir Lebewesen nicht als solche respektieren, sondern als Mittel zum Zweck. Wir müssen wegschauen, wenn wir auf den Teller schauen und dabei Genuss empfinden wollen. Dass die Präsentation der toten Ware nicht zu sehr an unsere Mittäterschaft erinnern darf, passt in diese Kunst des Verdrängens.



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Segler
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Sa 21. Okt 2017, 22:13

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 20:08

Andersrum kann ich keinen UNterschied erkennen zwischen einem Jäger der einen Hirsch schiesst und dann ausweidet und einem Löwen, der eine Gazelle hetzt und dann durch einen Kehlenbiss tötet.
Das ist für mich der selbe Vorgang. Und ich begreife nicht wieso das Eine OK sein soll, das Andere aber nicht.
Nur weil der mit dem Gewehr weiß was er tut?
Die Tatsache, dass der Mensch weiß, was er tut, stellt höhere Anforderungen an ihn. Anders als das Tier, das nur agiert, kann er handeln. Er kann sein eigenes Handeln moralisch bewerten.

Die Moralfähigkeit konstituiert Pflichten.
Die Moralfähigkeit konstituiert Würde und Rechte.

Der Mensch ist als anders zu betrachten als ein Tier.

Das Beispiel mit dem Hirsch zeigt, dass es nicht um das Töten geht, sondern um das Quälen. Jagd und Massentierhaltung unterscheiden sich in ihrer ethischen Bewertung erheblich. Ich kann nicht erkennen, warum es verboten sein soll, ein Tier zu töten. Ich kann sehr wohl erkennen, warum es verboten sein soll, ein Tier ohne vernünftigen Grund zu quälen.

"Tierschützer" neigen dazu, das Töten von Tieren grundsätzlich zu verbieten. Geht es um das Töten von Menschen (Abtreibung, Sterbehilfe) sind sie erstaunlicherweise deutlich flexibler.




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Alethos
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Sa 21. Okt 2017, 23:13

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 22:21
Dass die Präsentation der toten Ware nicht zu sehr an unsere Mittäterschaft erinnern darf, passt in diese Kunst des Verdrängens.
Was schwebt dir denn vor? Gruselbilder wie auf den Zigarettenschachteln?
Meine Stellungnahme war nur der kleine Versuch einer soziopsychologischen Analyse. Es ist lediglich ein Versuch zu verstehen, warum wir Menschen es übers Herz bringen, Tiere zu töten, wo wir doch das Leben zu achten gelernt haben. Diese Lebensachtung scheint aber in Abstufungen vorzukommen, da wir nicht jedes Leben gleich achten, das uns Nähere offenbar eher und mehr als das uns Entferntere, z.B. beklagen wir den Tod eines Angehörigen mehr als den Tod von 3000 Fremden. Wir machen aber offensichtlich auch einen Unterschied zwischen Ähnlichem und Unähnlichem, z.B. töten wir einen Schimpansen eher weniger schnell als einen Regenwurm, weil ersterer uns ähnlicher ist.

Aber dann hat Lebensachtung offensichtlich auch mit Wertschätzung zu tun. Wir zeigen einer Fliege gegenüber in der Regel weniger empathische Zuwendung als einer Katze. Einer Katze wiederum weniger als einem Menschen. Einem seltenen Käfer, wenn wir um seine Bedeutung und seinem Wert wissen, wiederum mehr als einem gewöhnlichen ‚Bug‘. Dass wir empathische Wesen sind, zeigen wir Tag für Tag, aber offenbar hat das mit Wertschätzung zu tun, d.h. mit dem Erkennen von Wert. Und zu gewissen Zeiten, z.B. zu Mahlzeiten, machen wir uns sozusagen unempfindlich für die Fähigkeit der Wertschätzung. Aber wie kann das sein? Und ich denke, dass dies nur durch Verdrängungspraktiken möglich ist. Wir sind darin bereits so gut trainiert, dass wir nicht einmal ein schlechtes Gewissen entwickeln, wenn wir Werte verkennen.

Meine Stellungnahme habe ich deshalb auch nicht als moralische Aufforderung zu bestimmten Gegenmassnahmen verstanden. Ich denke, dass sich das ethische Bewusstsein nicht erzwingen lässt. Schliesslich muss auch nicht jeder Mensch zur selben Schlussfolgerung gelangen, dass es unethisch sei, Tiere zu essen. Aber es kann sicherlich nicht schaden, wenn wir uns ab und zu vergegenwärtigen, weshalb wir etwas machen und weshalb wir es unterlassen. Ich glaube, dass wir mit dieser kritischen Würdigung unserer Einstellungen auch ein grösseres Verständnis dafür ausarbeiten, welche Werte uns eigentlich wichtig sind. Das ist auch entscheidend für die Antwort auf die Frage, wer wir eigentlich sind und ferner sein wollen.



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novon
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Sa 21. Okt 2017, 23:28

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 22:21
Und auch das eigene Kaufverhalten kann eine Rolle spielen. Lieber mal beim kleinen Fleischer kaufen als bei den großen Supermarktketten.
Darauf achten, woher das Feisch kommt, das man isst.
Reicht bestimmt schon ein ganzes Stück weit hin, nicht den billigsten Scheiß zu kaufen, um die entsprechenden Abwärtsspiralen nicht auch noch zu füttern. Gutes Fleisch ist ohne tiergemäße Haltung nicht zu bekommen.




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So 22. Okt 2017, 06:49

Alethos hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 23:13
z.B. töten wir einen Schimpansen eher weniger schnell als einen Regenwurm, weil ersterer uns ähnlicher ist.
Man muss das jedoch so lesen, schätze ich, das nicht die "oberflächliche" Ähnlichkeit der Grund ist,sondern all das, was zu dieser Ähnlichkeit führt. Irgendwie zählt dazu auch die "Dialektik" aus Andersheit und Ähnlichkeit ... (note to myself: müsste besser ausgeführt werden).




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Jörn Budesheim
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So 22. Okt 2017, 06:55

novon hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 23:28
Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 22:21
Und auch das eigene Kaufverhalten kann eine Rolle spielen. Lieber mal beim kleinen Fleischer kaufen als bei den großen Supermarktketten.
Darauf achten, woher das Feisch kommt, das man isst.
Reicht bestimmt schon ein ganzes Stück weit hin, nicht den billigsten Scheiß zu kaufen, um die entsprechenden Abwärtsspiralen nicht auch noch zu füttern. Gutes Fleisch ist ohne tiergemäße Haltung nicht zu bekommen.
de.statista.com/statistik/daten/studie/75719/umfrage/ausgaben-fuer-nahrungsmittel-in-deutschland-seit-1900/ hat geschrieben : Diese Statistik zeigt den Anteil der Ausgaben der privaten Haushalte in Deutschland für Nahrungsmittel an den gesamten Konsumausgaben in den Jahren 1850 bis 2016. Im Jahr 1900 wendeten die Verbraucher durchschnittlich rund 57 Prozent ihrer gesamten Konsumausgaben für Nahrungsmittel auf, im Jahr 2016 betrug dieser Anteil (nach neuer Berechnungsmethodik) rund 13,7 Prozent.
Dabei geben wir "heute" weniger Geld für Essen aus als jemals zuvor, während es vor einem Jahrhundert mehr als die Hälfte des Einkommens war, ist es heute nicht mal mehr ein Siebtel.




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So 22. Okt 2017, 07:47

Alethos hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 23:13

Und zu gewissen Zeiten, z.B. zu Mahlzeiten, machen wir uns sozusagen unempfindlich für die Fähigkeit der Wertschätzung. Aber wie kann das sein? Und ich denke, dass dies nur durch Verdrängungspraktiken möglich ist. Wir sind darin bereits so gut trainiert, dass wir nicht einmal ein schlechtes Gewissen entwickeln, wenn wir Werte verkennen.
Meine Wertschätzung eines guten Stückes Fleisch auf dem Teller wird nicht verdrängt. Ich genieße sie ebenso wie das Fleisch. Insoweit scheint mir diese soziopsychologische Analyse etwas kurz gegriffen.
Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Okt 2017, 22:21
Was schwebt dir denn vor? Gruselbilder wie auf den Zigarettenschachteln?
Fleisch wird heute weitgehend in einer Form angeboten, der man ihren tierischen Ursprung nicht mehr ansieht. Beim Geflügel sind zum Beispiel Kopf und Füße entfernt. Bestimmte Teile von Schlachttieren, die früher ganz selbstverständlich angeboten und gekauft wurden, sind nicht mehr zu sehen. Wann hast Du zum Beispiel das letzte mal beim Metzger einen Schweinekopf gesehen? Nicht umsonst wird Hackfleisch immer beliebter, während Stücke, die Knochen enthalten, nicht so gerne gekauft werden. Die Knochen erinnern schließlich an den tierischen Ursprung des Eiweißbrockens.




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