Nach meinem Gefühl knirscht es hier etwas. Denn im Unterschied zu dem Löwen und zu der Gazelle kannst du dir die Fragen stellen, die wir hier diskutieren, nämlich ob etwas richtig oder falsch ist. Diese Eigenschaft (sich die Frage nach richtig und falsch stellen zu können) haben diese Tiere offensichtlich nicht. Und in dieser Hinsicht sind wir nicht mehr nur ein Teil dieser natürlichen Vorgänge, sondern können sie betrachten, bewerten und uns fragen, was zu tun ist. Der Löwe kann das nicht. Er kann nicht sagen "Stopp, was tue ich denn hier? Sollte ich das wirklich tun? Was spricht (in ethischer Hinsicht) dafür? Was spricht dagegen?" (Instrumentelle Intelligenz ist den Tieren damit nicht abgesprochen!)
Der Löwe kann auch den inhärenten Wert der Gazelle nicht erkennen, für ihn hat sie nur insofern ein Wert, als sie ihm als Nahrungsmittel dienen kann.
Aber du hast natürlich recht, wir sind selbstverständlich nicht völlig aus diesem natürlichen Vorgängen herausgehoben, denn wir müssen uns ernähren, wenn wir leben wollen, das heißt wir müssen andere Leben beenden, um unser eigenes zu erhalten. Aber anders als Löwe und Gazelle können wir uns zu diesem Umstand verhalten. Wir können versuchen, darüber nachzudenken, was ethisch gegeben ist. Es ist offensichtlich, dass wir die Eigenschaft haben, das zu tun. Und wir sollten uns selbst nicht unterbieten. Indem wir hier überhaupt darüber diskutieren haben wir den wichtigsten, nämlich den ersten Schritt schon getan ...
Diese Eigenschaft, nämlich ein moralischer Akteur sein zu können, ist eine der Eigenschaften, die uns selbst einen Wert verleiht, wie ich finde. Die Fähigkeit, das Leben genießen zu können, auf die du hinweist, gehört auch nach meiner Ansicht zu diesem Bündel der Eigenschaften.
Wie du zurecht feststellst, stehen wir jedoch in einer gewissen Kontinuität mit den anderen Lebewesen. Soweit ich sehe, sind alle in diesem Thread der Ansicht, dass auch Tiere einen inneren Wert haben, so dass die Kontinuität der Werte also nicht an irgendeiner Stelle einfach abgebrochen wird - gewissermaßen "nach unten".
Dass es eine Kontinuität gibt, heißt aber nicht nicht, dass es nicht eine Abstufung geben kann. (Auch hier herrscht, bei aller Differenz eine gewisse Einigkeit, auch wenn wir damit zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.) Denn eine dieser Eigenschaften, die einem Wesen einen inneren Wert verleiht, teilen die Tiere mit uns eben nicht, wie ich weiter oben bereits dargelegt haben, sie sind keine moralische Akteure, in dem Sinn, in dem wir es sind. Allerdings teilen Sie mit uns viele andere Eigenschaften, die grundsätzlichste ist wohl, dass wir alle leben. Aber diese Eigenschaft teilen wir auch mit dem Salat. Und es ist jetzt zu klären, welche dieser Eigenschaften welche Werte darstellen und welche Ansprüche sich daraus herleiten.
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Nachtrag: Man sollte unterscheiden zwischen einem intrinsischen Wert und einem absoluten Wert. Intrinsische Werte oder innere Werte müssen nicht absolut sein. Unsere Würde ist jedoch intrinsisch und absolut, sie lässt sich nicht verrechnen, kann nicht Gegenstand einer Güterabwägung werden, was bei anderen Werten möglich ist. Diese Auffassung führt übrigens direkt in kompliziertes moralisches Fahrwasser wie etwa beim Straßenbahnproblem oder der Frage, ob man entführte Flugzeuge abschießen darf. Aber das ist ein anderer Thread ... der noch eröffnet werden muss.