Darf man Tiere essen?

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Di 12. Sep 2017, 13:43

Die Beweislast liegt mE immer bei demjenigen, der eine Behauptung aufstellt.

Singer bringt keine Begründung dafür, dass aus Interessen Rechte abgeleitet werden sollen, stimmt, es ist sein Grundaxiom, er hält das wohl für selbstevident. Nun kann man dagegen einwenden, wie Du es ja auch getan hat, dass es dabei auch darauf ankommen muss, ob die Interessen denn auch berechtigt sind - was Singer anscheinend nicht berücksichtigt. Bloß: wenn es um Tiere geht und wir annehmen, dass diese Schmerz empfinden können und Schmerz für sie unangenehm ist, dann können wir ihnen ein Interesse an Schmerzvermeidung zuschreiben und in dem Falle stellt sich die Frage nicht, ob das ein berechtigtes Interesse ist - mir fällt zumindest kein Grund ein, warum das ein unberechtigtes Interesse sein sollte.

Seine Personendefinition ist allerdings kein Axiom, da bringt er (zumindest für mich nachvollziehbare) Argumente: Personen nach seinem Verständnis können Wünsche für die Zukunft haben und sind sich der Gegenwart und Vergangenheit bewusst. Daher ist die Tötung einer Person nach Singers Ansicht schwerwiegender als die Tötung einer Nichtperson, weil sie die Vereitelung der Wünsche die Zukunft betreffend bedeutet. Außerdem empfinden Personen nicht nur körperliches Leid, sondern auch psychisches Leid, weil sie Zusammenhänge verstehen können - z.B. dass ein Angehöriger gestorben ist.

Die Behauptung, dass alle Menschen die arttypischen Potentiale in sich trügen, scheint mir ein Fall von Bedarfslogik zu sein. Fakt ist mE, dass einige Menschen niemals moral agents sein können, d.h. zwar verpflichtet werden können, aber keine Pflichten übernehmen können. Was aber selbstverständlich nicht heißt bzw. woraus selbstverständlich nicht folgt, dass sie deswegen nicht zur Spezies Mensch gehörten.

Zu dem "ordo amoris". Diese Bezeichnung ist nun neu für mich, danke dafür. Ich denke, dass hier die größte Schwachstelle von Singers Ethik liegt.

Nochmal zu Singers Ansicht bezüglich der Tötung von Tieren, die keine Personen sind. Das ist nach Singers Ansicht - so wie das verstehe - nicht grundsätzlich falsch, so wie es hingegen nach seiner Ansicht die Tötung von Personen wäre - da Letzteres die Vereitelung von Zukunftswünschen bedeutet. Allerdings ist es nach seiner Ansicht falsch, Tieren unnötigerweise leiden zu lassen - und diese Situation liegt seiner Ansicht nach heute in den meisten Fällen vor, in denen Tiere zur Nahrungsgewinnung verwendet werden.




Segler
Beiträge: 181
Registriert: Mi 26. Jul 2017, 20:34

Fr 15. Sep 2017, 23:39

Herr K. hat geschrieben :
Di 12. Sep 2017, 13:43

Singer bringt keine Begründung dafür, dass aus Interessen Rechte abgeleitet werden sollen, stimmt, es ist sein Grundaxiom, er hält das wohl für selbstevident. Nun kann man dagegen einwenden, wie Du es ja auch getan hat, dass es dabei auch darauf ankommen muss, ob die Interessen denn auch berechtigt sind - was Singer anscheinend nicht berücksichtigt. Bloß: wenn es um Tiere geht und wir annehmen, dass diese Schmerz empfinden können und Schmerz für sie unangenehm ist, dann können wir ihnen ein Interesse an Schmerzvermeidung zuschreiben und in dem Falle stellt sich die Frage nicht, ob das ein berechtigtes Interesse ist - mir fällt zumindest kein Grund ein, warum das ein unberechtigtes Interesse sein sollte.
Wenn Präferenzen Rechte begründen sollen, kann man nicht danach fragen, ob die Präferenzen berechtigt sind. Damit würde das Argument zirkulär.

Das ist aus meiner Sicht, neben der Ignoranz gegenüber dem ordo amoris, das Hauptproblem des Präferenzutilitarismus, wie Singer ihn vertritt.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 25. Sep 2017, 20:02

Hier gibt es ein Interview mit Peter Singer. Leider ist es auf englisch. Allerdings gibt es eine deutsche Übersetzung in Philosophy Bites von Reclam, was mir vorliegt. Vielleicht haben andere das Buch ja auch oder können ausreichend Englisch.

Eine wichtige Frage, nämlich nach dem Personenstatus wird zwar gestriffen, aber leider versäumen es die Interviewer, nach der Begründung für die Definition von Person zu fragen.




Segler
Beiträge: 181
Registriert: Mi 26. Jul 2017, 20:34

Mo 25. Sep 2017, 20:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2017, 20:02
Hier gibt es ein Interview mit Peter Singer. Leider ist es auf englisch. Allerdings gibt es eine deutsche Übersetzung in Philosophy Bites von Reclam, was mir vorliegt. Vielleicht haben andere das Buch ja auch oder können ausreichend Englisch.
Ich habe mir das angehört. Leider bricht der Soundtrack nach 11:30 ab.
Bis dahin hat Singer zwar seine Thesen dargestellt, ist auf die altbekannten Einwände aber nicht eingegangen.
Nichts neues im Westen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 25. Sep 2017, 20:31

Ich habe mir das Ende gerade noch mal angehört, bei mir ist es Interview vollständig. :(




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 11. Okt 2017, 10:09

Tommy hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 01:49
Ich schaue welcher Umgang sich sinnvoll begründen lässt, ohne bestimmte Dinge komplett auszuschliessen.
Yepp, das ist scheint mir der richtige Ansatz zu sein. Gegenüber der Vorstellung (so weit ich weiß von Descartes), dass Tiere bloß "Maschinen" (o.ä.) sind, ist das nach meinem Gefühl schon mal ein sehr großer Fortschritt. Denn das was du schreibst, heißt ja, dass Tiere und ihre Belange es Wert sind berücksichtigt zu werden. Das ist ja nicht selbstverständlich. Ich denke dabei auch an das Ende des Interviews mit Singer wo darauf hingewiesen wird, dass wir Zeugen eines Fortschritts sind. Über frühere Einstellungen zu Tieren und ihre Behandlung können wir heute oft nur den Kopf schütteln.

Offen für mich ist bisher, warum "genau" wir so handeln und auch handeln sollten. Wenn ich/wir die Gründe einigermaßen spezifizieren könnten, dann wäre eine vernünftige Orientierung daran etwas leichter. Und das ist mein "Projekt". (So richtig weit bin ich aber ehrlich gesagt noch nicht. Dieser Thread ist sozusagen ein Jörn Budesheim Hilfs-Projekt :lol: )




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 15. Okt 2017, 09:17

Tommy hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 00:11
Ich vertrete dabei nicht die Auffassung, dass Leid generell zu vermeiden ist.
Ich vermute, ich bin ähnlicher Ansicht wie du, würde es aber wohl etwas anders darstellen. Das folgende klingt zuerst wie ein Widerspruch, aber der dürfte sich schnell auflösen :-) Ich vertrete eher die Auffassung, dass Leid generell zu vermeiden ist. Diese Formulierung bedeutet für mich aber anscheinend etwas anderes als für dich: nämlich dass man je nach Umständen, Leid eben doch zufügen muss/kann/darf, wenn anderes dagegen steht. Du sprichst selbst von Abwägung. Und das sehe ich ganz genau so. Doch beim Abwägen verlieren ja die Dinge nicht ihr Gewicht, sondern manches kann eben schwerer wiegen. Die "Regel", dass Leid generell zu vermeiden ist, gilt für mich immer, da der Wert, auf dem sie basiert, ja stets bestehen bleibt. Aber von Fall zu Fall können andere Werte schwerer wiegen.

Mir ist klar, dass der Einwand etwas erbsenzählerisches hat und dass er auch nicht hilft, die Frage zu beantworten, warum manches manchmal schwerer wiegt. Dennoch hat es mich gedrängt, das hier zu notieren :-))

Die Regel, dass man Leid vermeiden soll, kann manchmal auch in Konkurrenz mit sich selbst geraten: Etwa bei Tierversuchen. Falls eine Medizin nicht anders zu testen wäre als so, dann würde ich - Speziesismus hin Speziesismus her - immer zugunsten von Homo-Sapiens entscheiden.

Nachtrag: Singer gesteht Kulturen wie den Inuit natürlich zu, Fleisch zu essen, wenn ich mich richtig erinnere. Wenn man keine Wahl hat, dann wiegt unsere Überleben eben doch schwerer.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 15. Okt 2017, 10:43

Nebenbemerkung: Ich sehe hier eine große Nähe zum Würde-Thread. Dort wurde ja auch gestritten um die Frage, worin unsere unantastbare Würde gründet. Und wenn man wie ich der Ansicht ist, dass es dabei um eine Reihe (vermutlich zusammenhängender) völlig realer Eigenschaften geht, von denen die anderen Tiere einige mit uns teilen, dann hat man vielleicht auch etwas für diesen Faden gewonnen. Das würde dann jedoch heißen, dass der Bezug auf das (zu vermeidende) Leiden noch nicht alles sein kann. (to be continued)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 15. Okt 2017, 15:07

Tommy hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 00:11
Wenn sich Tiere aber nun gegenseitig Leid zufügen - ohne das zu wollen, einfach weil es ihre Natur ist - wieso sollten wir ihnen das dann nicht, in wohlbegründeten Fällen auch zumuten dürfen?
In der ganzen Diskussion sollte man sich vor Sein-Sollen-Fehlschlüssen hüten. Auch wenn hier womöglich keiner vorliegt, so kündigt er sich vielleicht an :-)




Segler
Beiträge: 181
Registriert: Mi 26. Jul 2017, 20:34

Di 17. Okt 2017, 07:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 15. Okt 2017, 15:07
Tommy hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 00:11
Wenn sich Tiere aber nun gegenseitig Leid zufügen - ohne das zu wollen, einfach weil es ihre Natur ist - wieso sollten wir ihnen das dann nicht, in wohlbegründeten Fällen auch zumuten dürfen?
In der ganzen Diskussion sollte man sich vor Sein-Sollen-Fehlschlüssen hüten. Auch wenn hier womöglich keiner vorliegt, so kündigt er sich vielleicht an :-)
These: Von einem Sein (Leidfähigkeit) schließt auf ein Sollen, wer aus der Leidfähigkeit ein Sollen (Leidvermeidung) ableitet. Damit verfällt der Präferenzutilitarismus Humes Fehlschluss. Interessanterweise führen die Präferenzutilitaristen es als Vorteil ihrer These an, dass diese auf etwas empirisch überprüfbarem, eben der Leidfähigkeit, aufbaut. Dabei ist es ihnen völlig egal, dass sie aus dem Sein auf das Sollen schließen.

Der Hinweis auf einen möglichen Sein-Sollen-Fehlschluss wird inzwischen inflationär gebraucht. Es ist halt bequem, jedes Argument der Gegenseite damit zurückzuweisen. Vermeidet man ihn konsequent, kann man keinerlei Gründe für moralisches Handeln mehr vorbringen. Was für Gründe könnte es geben, die nicht auf irgendetwas etwas verweisen, das existiert? Woraus, wenn nicht aus etwas Seiendem, soll sich ein Sollen denn ableiten? Aus der platonischen Idee des Guten? Wer die postuliert, geht doch auch davon aus, dass sie existiert.




Administrator
Beiträge: 698
Registriert: Di 18. Jul 2017, 19:56
Kontaktdaten:

Di 17. Okt 2017, 07:47

Tommy hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 00:11
Wenn sich Tiere aber nun gegenseitig Leid zufügen - ohne das zu wollen, einfach weil es ihre Natur ist - wieso sollten wir ihnen das dann nicht, in wohlbegründeten Fällen auch zumuten dürfen?
Interessanter Punkt. Ernährungstechnisch sind wir nicht auf Fleisch angewiesen. Was wäre denn ein wohlbegründeter Fall?
(Außer vlt. das Erschießen eines freilaufenden Wolfs oder eines Bären)

Wir können wohl kaum unsere Vorliebe für Schnitzel als hinreichenden Grund für das Töten eines Lebens anführen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 17. Okt 2017, 07:59

Segler hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 07:05
These: Von einem Sein (Leidfähigkeit) schließt auf ein Sollen, wer aus der Leidfähigkeit ein Sollen (Leidvermeidung) ableitet.
Meines Erachtens ist das kein Sein-Sollenfehlschluss. Der liegt vor, wenn in den Prämissen weder Werte noch Sollen vorkommen, aber in der Konklusion. Leiden ist aber kein wertneutraler Begriff.




Administrator
Beiträge: 698
Registriert: Di 18. Jul 2017, 19:56
Kontaktdaten:

Di 17. Okt 2017, 13:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 15. Okt 2017, 10:43
Nebenbemerkung: Ich sehe hier eine große Nähe zum Würde-Thread. Dort wurde ja auch gestritten um die Frage, worin unsere unantastbare Würde gründet. Und wenn man wie ich der Ansicht ist, dass es dabei um eine Reihe (vermutlich zusammenhängender) völlig realer Eigenschaften geht, von denen die anderen Tiere einige mit uns teilen, dann hat man vielleicht auch etwas für diesen Faden gewonnen. Das würde dann jedoch heißen, dass der Bezug auf das (zu vermeidende) Leiden noch nicht alles sein kann. (to be continued)
Nein, es kann nicht alles sein. Wenn wir (manchen) Tieren so etwas wie Würde zusprechen, dann geht es nicht mehr nur um Leid, sondern um jede Form menschlicher Interaktion mit Tieren. Das schliesst zwar das Töten/Verzehren und die Massentierhaltung ein, aber auch die Frage, wie wir unseren Umgang mit Tieren an sich richtig gestalten müssen. Dann muss das Tier in den Fokus der Betrachtungen rücken und nicht aus menschlicher Sicht argumentiert werden. Aus dem "was sollten wir (nicht) machen" wird dann ein "was dürfen wir (nicht) machen". Mit der Würde für Tiere verlieren wir das Recht, den Umgang mit Tieren nach unseren Vorstellungen gestalten zu dürfen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 17. Okt 2017, 13:42

Wenn man in diese Richtung gehen will, was ich unterstütze, sind nebenbei alle Versuche Würde durch gegenseitige Zuschreibungsakte aus den Zwischenräumen von Atomen und Nichts hervorzuzaubern zum Scheitern verurteilt. Offensichtlich ist bereits die Tatsache, dass etwas lebt, ein Wert in sich selbst.




Administrator
Beiträge: 698
Registriert: Di 18. Jul 2017, 19:56
Kontaktdaten:

Di 17. Okt 2017, 20:31

Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:05
Das habe ich schon so oft gehört und das wird immer behauptet als sei das eine unumstössliche, wissenschaftlich erwiesene Tatsache.
Beschäftigt man sich aber genauer mit dem Thema stellt man schnell fest, dass sich die (Ernährungs-)Wissenschaft da gar nicht einig ist. U.a. ist man sich nicht einig ob das für jedes Lebensalter und für jeden Lebensumstand gilt.

Abgesehen davon ist dieses Argument deshalb schlecht, weil natürlich Tiere nicht nur für Schnitzel (also für Nahrung) leiden und sterben müssen.
Darüber brauchen wir nicht diskutieren, denn unterstützende Studien kann man zu jeder Meinung finden. Hängt wohl von jedem einzelnen ab, welchen Quellen er traut und welchen nicht. Aber da Vegetarier im allgemeinen nicht mit Mitte 30 sterben, ... :)
Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:05
Ich denke mal das können wir uns sparen, weil ich davon ausgehe, dass egal was ich sagen werde, Deine Antwort wird lauten: "Das ist nicht wohlbegründet", oder "Das akzeptiere ich nicht als Grund".
Stimmts?
(Sorry, aber ich habe glaube ich schon zu viele Gespräche dieser Art geführt.)
Nein, das stimmt nicht.
Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:05
Warum denn nicht? Das tun wir doch dauernd.
Wir brauchen zum Überleben z.B. auch keinen Kaffee und keine Südfrüchte, bei deren Anbau auch Tiere leiden und sterben.
Trotzdem stellt das ja niemand in Frage nur weil es sich um reinen Genuss handelt.
Der Wunsch nach Genuss ist - finde ich - ein ziemlich starker Grund.
Man muss sich einfach nur mal umschauen was wir Menschen alles nur aus Genuss und Unterhaltung tun. Das ist wahrscheinlich viel mal mehr als das was wir nur zum Überleben brauchen.
Geh mal ind en Supermarkt. Der ist voll mit Lebensmitteln aus der ganzen Welt (auch Gemüse und Obst von überall her).
Zum ÜBerleben ist das sicher nicht nötig. Das ist reiner Genuss. Und niemand stellt das in Frage, weder die Tiere die dabei indirekt draufgehen, noch die Umwelt die darunter leidet ist so sehr ein Thema, wie das Tier das als Steak auf dem Teller landet.
Warum?
Warum ist das ein Problem, wenn der Fleischliebhaber sagt er möchte ein Tier essen weil es gut schmeckt, aber kein Problem wenn der Veggie Orange essen will, für deren Plantage Lebensraum vernichtet wird?
Wieso darf der Veggie Genuss als Grund geltend machen, der Fleischliebhaber aber nicht?
Genuß ist sicher ein wichtiger Punkt. Aber wir wollen die Frage dieses Threads aus ethischer Sicht besprechen. Und leider sind Genuß, Lust oder Gefühle keine guten Kriterien, wenn es um die Frage geht, was richtig und falsch ist. Man kann ethisch auch keine Vergewaltigung rechtfertigen, selbst wenn sie dem Täter Genuß bereitet.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 17. Okt 2017, 20:46

Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:41
Jeder glaubt irgendwo auch das, was ihn in seiner Meinung stützt.
Dann wäre der Thread ja sinnlos :shock: Da ich lange Fleisch gegessen habe, jetzt aber nicht mehr ... muss an diesem Pauschalurteil wohl was faul sein ;)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23274
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 17. Okt 2017, 21:06

Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:59
Übrigens ist mit der Aussage, dass ein jeder irgendwo auch nach einer Stütze für seine Überzeugung sucht, nicht gesagt, dass man seine Überzeugung nicht ändern kann und dann nach einer Stütze für das Gegenteil sucht.
Das stimmt. Aber es macht Änderungen der Überzeugung zu einem kleinen Wunder, wo man sich doch die ganze Zeit selbst nur das verabreicht hat, was die Überzeugung stützt ... und dann das :-)

Mir gefallen zum Thema, wie sich seine Meinung bilden sollte, diese drei Regel aus dem Thread über das "zivilisierte Streiten".
3.1.1 Meinungen sollten so gebildet werden, dass sie auch wieder revidiert werden können (Prinzip des Meinungsfallibilismus).

3.1.2 Meinungen sollten weitgehend selbstständig gebildet und nicht bloß übernommen werden (Prinzip der Meinungsautonomie).

3.1.3 Meinungen sollten auf der Grundlage der Kenntnis möglichst aller anderen Positionen gebildet werden (Prinzip des Meinungspluralismus).




Administrator
Beiträge: 698
Registriert: Di 18. Jul 2017, 19:56
Kontaktdaten:

Mi 18. Okt 2017, 07:24

Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:41
Ach, Der Veggie der länger lebt, weil er nur Pflanzen isst. Das ist wohl auch so ein Mythos.
Nicht, dass die oft länger leben, sondern dass es an der Nahrung liegt.
Denn für gewöhnlich leben Veggies insgesamt gesünder und gesundheitsbewusster, sprich: Sie trinken weniger Alkohol, rauchen nicht, treiben viel Sport, etc....
Ich denke, das ist wohl eher der Grund für die höhere Lebenserwartung.
Nein, es geht darum, dass Vegetarier aufgrund ihrer Ernährung nicht früher sterben. Ebenso können Kleinkinder und alte Menschen, wie auch Schwangere, ganz problemlos rein vegetarische Nahrung zu sich nehmen, ohne zwangsläufig in einen Nährstoff-Defizit zu laufen. Dass es noch viele andere Faktoren gibt, die das Leben verlängern/verkürzen können, ist klar. Es gibt also keinen zwingenden Grund, Fleisch verzehren zu müssen (!).
Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:41
Fakt ist aber, dass wir es trotzdem tun. Und zwar dauernd. Auch der Veggie macht das.
In ganz vielen Fällen stellen wir unseren Genuss über den Schaden den wir damit anrichten.
Nur der Fleischliebhaber soll das nicht dürfen.
Das finde ich.. naja... nicht logisch.
Wie schon gesagt, man sollte bei ethischen Fragen nicht auf die Genussfähigkeit einer Lösung schauen.
Aber wenn ein Vegetarier durch den Genuß seiner Nahrung Schaden anrichtet, ist das ebenfalls diskussionswürdig. Stimmt schon.
Tommy hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 20:41
Du hast Recht, das stimmt nicht.
Du hast ja zum Beispiel schon angeführt, dass man streunende Bären erschiessen darf.
Aber wieso eigentlich? Ist das nicht Speziesimus, wenn wir ein Menschenleben höher stellen als ein Bärenleben?
Oder wie ist das genau?
Da muss ich dir Recht geben. Ich habe bei Singer keine brauchbare Begründung gefunden, warum man in solchen Fällen das menschliche Leben vorziehen sollte. Niemand würde diese Entscheidung anzweifeln, aber wenn man wie Singer der Meinung ist, dass die Interessen aller Tiere berücksichtigt werden müssen, sollte man genauer hinschauen. In einem Interview schreibt er, dass es der Selbsterhaltung, bzw. dem Vorzug der eigenen Spezies geschuldet ist und damit legitim wird. In diesem Entweder-Oder-Fall (Bär gegen Mensch) stellt er der Menschen vor das Tier, weil er ein selbstbewussteres Leben führt, also komplexere Vorstellungen von sich, dem Leben und dem hat, was er damit tun möchte. Im Grunde auch Speziesismus. Dennoch kann das Leid eines Wesens in diesem Fall nicht vermeidet werden, während der Mensch bei z.B. der Massentierhaltung sehr wohl Alternativen hat




Segler
Beiträge: 181
Registriert: Mi 26. Jul 2017, 20:34

Mi 18. Okt 2017, 21:39

Tommy hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2017, 20:58


[Schlußbemerkung: Wenn ich das alles lese, wieso soll ich dann Vegetarier aus Gesundheitsgründen werden? Dann mache ich das die nächsten 30 Jahre und todkrank sagen mir die Ärzte dann: "Ach sorry, wir wussten es damals nicht besser!". Ne, ich versuche ausgewogen zu leben, hiervon was, davon was... dabei nicht übertreiben und mehr kann man meiner Meinung nach sowieso nicht tun. Auf jeden Fall folgt für mich aber daraus, dass es gar nicht richtig ist zu behaupten der Mensch (jeder Mensch) kann pauschal auf Fleisch/Fisch verzichten. Genauso wie es wohl falsch ist, dass eine Ernährung mit Fleisch den Menschen automatisch schneller umbringt oder eine solche Lebensweise pauschal ungesund ist.]


Man muss bei solchen Fragen einfach akzeptieren, dass Statistik:

1. Nur Korrelationen zeigen kann und keine Kausalität.
2. Einzelfälle stark von der ermittelten Wahrscheinlichkeit abweichen können.

Der Kettenraucher Helmut Schmitt wurde 97 Jahre alt. Darauf lässt sich nicht ableiten, dass Rauchen die Lebenserwartung steigert.



Dazu ein kleiner Joke:

Ein Mann wird bei seinem Hausarzt vorstellig:

"Herr Doktor, sie müssen mir helfen! Ich habe das Ziel, 100 Jahre alt zu werden. Was muss ich dafür tun?"

Der Arzt untersucht den Patienten unter Einsatz seines gesamten Apparateparks, wird ja alles auf privat abgerechnet.
Anschließend entwickelt er die Therapie für den Patienten.

Er teilt ihm mit:

"Sie müssen folgendes tun:

1. Sofort mit dem Rauchen aufhören.
2. Ab Sofort kein Tropfen Alkohol mehr.
3. Ab sofort streng vegane Kost mit maximal 1800 Kilokalorien pro Tag.
4. Ab sofort kein Sex mehr.

Der Patient ist entsetzt. Er fragt den Arzt: "Garantieren Sie mir, dass ich dann 100 Jahre alt werde?"

Der Arzt antwortet: "Ich garantiere, dass es Ihnen so vorkommen wird."




Segler
Beiträge: 181
Registriert: Mi 26. Jul 2017, 20:34

Mi 18. Okt 2017, 22:16

Tommy hat geschrieben :
Mi 18. Okt 2017, 22:05
Wenig Bewegung ist ungesund.

Wirklich?

Als die Menschen körperlich noch sehr aktiv waren, war ein Sechzigjähriger ein Methusalem. In unserer bewegungsarmen Zeit sagt man gleiches von einem Achtzigjährigen.

Körperliche Aktivität führt zu körperlichem Verschleiß. Das gesamte System ist auf eine begrenzte Lebensdauer ausgelegt. Wir müssen uns entscheiden, an welchem Problem wir sterben wollen.

Geringe körperliche Aktivität: Kreislaufversagen.
Hohe Körperliche Aktivität: Verschleiß.

Für viele existiert das Problem überhaupt nicht. Sie sterben an unheilbaren Krankheiten, durch Unfälle oder Selbsttötung.




Antworten