Schmerzgriff bei Sitzblockaden

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Alethos
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Mo 23. Sep 2019, 19:41

Da ich keinen besseren Ort gefunden habe, stelle ich meine Frage hier:

Sind Schmerzgriffe gegen Demonstranten, die eine Sitzblockade veranstalten, legitim? Handelt es sich dabei bereits um Polizeigewalt?

Brutal oder harmlos? In Deutschland sorgt ein Video mit «Schmerzgriffen» der Polizei für Aufregung: https://www.nzz.ch/international/polize ... hare%20Hub



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Jörn Budesheim
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Mo 23. Sep 2019, 20:00

Schaut man sich nur das Video an, dann sieht es nicht so harmlos aus...




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Stefanie
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Mo 23. Sep 2019, 21:57

Hmm. Das geht auch anders. Es gab schon Demos, wo Polizisten, Personen, die so gesessen haben, einfach weggetragen haben, zu dritt. Das geht, wenn die sitzende Person alles anspannt. Bei den schienenblockaden bei den Castor Transporten habe ich das mal gesehen.
Es wird wohl rechtlich zulässig sein. Tippe ich mal.
Die Aussenwirkung ist allerdings fatal und die politische Folgen bzw. Fragen sind was anderes als die rechtliche Fragestellung.



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Friederike
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Di 24. Sep 2019, 17:01

Alethos hat geschrieben :
Mo 23. Sep 2019, 19:41
Da ich keinen besseren Ort gefunden habe, stelle ich meine Frage hier:

Sind Schmerzgriffe gegen Demonstranten, die eine Sitzblockade veranstalten, legitim? Handelt es sich dabei bereits um Polizeigewalt?

Brutal oder harmlos? In Deutschland sorgt ein Video mit «Schmerzgriffen» der Polizei für Aufregung: https://www.nzz.ch/international/polize ... hare%20Hub
Ungeachtet der Rechtslage meine ich "Nein". Falls es sich um "Schmerzgriffe" handelt (was der Polizeisprecher dazu sagt, darauf kann man nichts geben, jedenfalls nicht, solange nicht jemand, der unabhängig urteilt, zu derselben Auffassung kommt).

Die Sitzenden begeben sich in die schwächere Position, sie sind schutzlos (was zugleich natürlich auch demonstriert wird) und ich meine, daß angemessen ist, nach ein- bis dreimaliger Aufforderung diejenigen, die nicht freiwillig weggehen, wegzutragen. Das braucht Geduld und Zeit und sicher mindestens 2 - 3 PolizistInnen, die die Personen wegtragen.




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Friederike
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Di 24. Sep 2019, 17:16

Ich habe mich gerade in der Terminologie verheddert. @Alethos, "legitim"? Rechtlich oder moralisch legitimiert? Oder sind legitim und legitimiert lediglich 2 unterschiedliche Formen? Und was ist dann "legal"? Auch "rechtlich"?

Viele müßige Fragen, ich mag aber nicht nachsehen und geb' sie an Euch weiter.




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Stefanie
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Di 24. Sep 2019, 20:45

Bei den Castor Transporten gab es das Wegtragen nicht, wie ich gerade beim googlen feststellte. Da ging es auch ruppig zu. Aber bei anderen Sitzblockaden.

https://images.app.goo.gl/zZCu16SA1zPPv1EA7

https://images.app.goo.gl/8Wov376Yndh5SVaU8

Bei den Bildern kann ich nicht sagen, wie die Situation vor dem wegtragen war.
Eine Sitzblockade ist eine Straftat, mind. Nötigung. Je nach dem wo es stattfindet, kann es auch gefährlich sein. Befahrende Straßen blockieren und so was. Das Handeln der Polizei muss in der jeweiligen Situation verhältnismäßig sein. Ob es das hier war, vermag ich nicht zu beurteilen. Zu wenig Informationen.

Diese Schmerzgriffe gibt es. Diese werden auch auch in Selbstverteidungskursen geschult, oder auch zur deskalationszwecken eingesetzt. Die bewirken durch eine spezielle grifftechnik z.b. am Handgelenk, dass ein kurzer Reiz entsteht, und dadurch jemand in eine Position gebracht wird, dass er seinen Angriff nicht mehr fortsetzen kann, oder sich nicht mehr bewegen kann. Es gibt bestimmte Druckpunkte. Eine Kollegin hat mir das mal erklärt. Macht man es richtig, kann auch eine 1,50 m Frau einen 2,0 m Mann außer Gefecht setzen. Nur durch einen Griff ans Handgelenk.



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Friederike
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Mi 25. Sep 2019, 09:41

Stefanie hat geschrieben :
Di 24. Sep 2019, 20:45
[...] Eine Sitzblockade ist eine Straftat, mind. Nötigung. Je nach dem wo es stattfindet, kann es auch gefährlich sein. Befahrende Straßen blockieren und so was. Das Handeln der Polizei muss in der jeweiligen Situation verhältnismäßig sein. Ob es das hier war, vermag ich nicht zu beurteilen.
Ah ja, die Gesetzeslage hinsichtlich der Sitzblockade hatte mich interessiert. Es ist aber wohl so, daß man sich (Staatsanwaltschaft und Politik) darauf verständigt hat, sie grundsätzlich erst einmal nicht zu ahnden. Und die geforderte "Verhältnismäßigkeit" läßt auch viel Spielraum.




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Alethos
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Mi 25. Sep 2019, 12:18

Friederike hat geschrieben :
Di 24. Sep 2019, 17:01
Alethos hat geschrieben :
Mo 23. Sep 2019, 19:41
Da ich keinen besseren Ort gefunden habe, stelle ich meine Frage hier:

Sind Schmerzgriffe gegen Demonstranten, die eine Sitzblockade veranstalten, legitim? Handelt es sich dabei bereits um Polizeigewalt?

Brutal oder harmlos? In Deutschland sorgt ein Video mit «Schmerzgriffen» der Polizei für Aufregung: https://www.nzz.ch/international/polize ... hare%20Hub
Ungeachtet der Rechtslage meine ich "Nein". Falls es sich um "Schmerzgriffe" handelt (was der Polizeisprecher dazu sagt, darauf kann man nichts geben, jedenfalls nicht, solange nicht jemand, der unabhängig urteilt, zu derselben Auffassung kommt).

Die Sitzenden begeben sich in die schwächere Position, sie sind schutzlos (was zugleich natürlich auch demonstriert wird) und ich meine, daß angemessen ist, nach ein- bis dreimaliger Aufforderung diejenigen, die nicht freiwillig weggehen, wegzutragen. Das braucht Geduld und Zeit und sicher mindestens 2 - 3 PolizistInnen, die die Personen wegtragen.
Das sehe ich auch so. So ein Schmerzgriff mag sich im legalen Rahmen bewegen, aber ich denke, er ist nicht legitim. Dass man einen wehrlosen Menschen Schmerzen zufügt, das halte ich für unmoralisch (amoralisch ist er als moralischer Sachverhalt ja nicht?). Natürlich stellt auch der Protest eine Form der Gewalt dar, er bedeutet jedoch ein Auflehnen gegen die geltende Ordnung, vielleicht gegen ein System oder eine Ideologie. Wie auch immer geht der Protest gegen eine überindividuelle "Person" und fügt niemandem Schmerzen zu. Wieso sollte man Menschen überhaupt in welcher Situation auch immer Schmerzen zufügen, wenn sie keine unmittelbare oder mittelbare Gefahr darstellen? Zwang kann man doch, wie du es schreibst, auch mit schmerzlosem Wegtragen ausüben.

Damit meine ich nicht, dass es in jedem Fall nie angezeigt wäre, schmerzhafte Gewalt anzuwenden. Es kann z.B. im Umgang mit gefährlichen Individuen sinnvoll sein, dass hier ein Schmerzgriff (in welcher Form auch immer: Pfefferspray, Elektropistole usw.) zur Anwendung kommt. Aber doch nicht in solchen Situationen, wie der hier beschriebenen?



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Mi 25. Sep 2019, 13:53

Alethos hat geschrieben :
Mi 25. Sep 2019, 12:18
So ein Schmerzgriff mag sich im legalen Rahmen bewegen, aber ich denke, er ist nicht legitim. Dass man einen wehrlosen Menschen Schmerzen zufügt, das halte ich für unmoralisch (amoralisch ist er als moralischer Sachverhalt ja nicht?). [...]
Ich denke, das ist genau die Stärke dieser Form des Protestes. Die moralische Intuition geht dahin, daß einem wehrlosen Menschen keine Gewalt angetan werden darf ... daß es schlecht ist, einem wehrlosen Menschen Gewalt anzutun (vielleicht beruht diese moralische Bewertung auf dem animalischen Relikt, daß der auf dem Boden liegende Gegner sich ergeben hat und nicht mehr angegriffen wird). Was übrigens nicht heißt, daß ich diese moralische Intuition für falsch halte.




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Friederike
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Mi 25. Sep 2019, 16:55

Stefanie hat geschrieben :
Di 24. Sep 2019, 20:45
Diese Schmerzgriffe gibt es. Diese werden auch auch in Selbstverteidungskursen geschult, oder auch zur deskalationszwecken eingesetzt. Die bewirken durch eine spezielle grifftechnik z.b. am Handgelenk, dass ein kurzer Reiz entsteht, und dadurch jemand in eine Position gebracht wird, dass er seinen Angriff nicht mehr fortsetzen kann, oder sich nicht mehr bewegen kann. Es gibt bestimmte Druckpunkte. Eine Kollegin hat mir das mal erklärt. Macht man es richtig, kann auch eine 1,50 m Frau einen 2,0 m Mann außer Gefecht setzen. Nur durch einen Griff ans Handgelenk.
Der kurze Reiz muß ein so heftiger Schmerz sein, daß man(n) jede Körper-Kontrolle verliert. Anders kann ich es mir nicht vorstellen.




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